Die große Terrasse des Yanega-Anwesens ist zum weitläufigen Garten ausgerichtet und bietet einen herrlichen Blick auf diesen und den angrenzenden Wald. Weht eine sanfte Brise, so wird die Terrasse in einen Geruch von Bäumen und vielen, blühenden Blumen gehüllt und wirkt besonders einladend. Der Platz strahlt meist eine wahrlich idyllische Ruhe aus. Er kann allerdings von jedem Bewohner genutzt werden, sei es um Mahlzeiten im Freien zu verspeisen, Hausaufgaben zu erledigen, oder mit Freunden in lauen Sommernächten Karten zu spielen oder sich sonstigen Aktivitäten zu widmen. Durch die Überdachung sind nicht nur die Bewohner, sondern auch die Tische und Stühle, sowie der elegante Holzboden vor Regen geschützt.
Ivy´s Laune senkte sich ein wenig, als sie bemerkte, wie Jacob reagierte und sie sich erst einmal setzen wollte. Sie wollte sich nicht setzen, immerhin wollte sie sich direkt mit den neuen Informationen auf die Suche machen, allerdings wollte sie auch nicht unhöflich sein. Sie setzte sich und lächelte ihn weiterhin fröhlich an. Sie konnte es kaum erwarten Jaden endlich wieder zu sehen und erklärt zu bekommen, was denn nun mit ihm geschehen war, dass er sich nicht melden konnte. Tief in ihr wusste sie jedoch, dass das alles gar keinen Sinn machte. Etwas Schlimmes musste geschehen sein, dass Jaden sie so einfach ignorierte, doch das wollte sie einfach nicht an sich heran lassen. Bei der Frage, ob sie sich nahe standen wurde Ivy ein wenig rot und lächelte verlegen. Er ist mein Freund. sagte sie etwas schüchtern und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Jacob´s nächste Worte hallten in ihrem Kopf. Er war weg? Für immer? Einen Moment lang sah sie Jacob immer noch lächelnd an, so als würde sie nicht ganz verstehen, was er gesagt hatte, dann stand sie auf. Danke für ihre Mühe. sagte sie mit zitternder Stimme. Sie hatte nicht vor, vor irgendjemandem anfangen zu weinen oder sonstiges. In ihr machte sich eine Welle von Trauer breit, doch sie versuchte sie krampfhaft wegzudrängen. Voller Verzweiflung starrte sie in den Himmel und wünschte sich so sehr, dass sie sich nun in einen Drachen verwandeln könnte und durch den bezaubernden Himmel fliegen könnte. Der Verlust ihrer Kette machte dies aber nicht möglich.
Plötzlich spürte sie wieder diese Unruhe in ihr, als würde der Drache aus ihr brechen wollen, der Körper dies aber nicht zulassen wollte. Sie rang nach Luft und schaute auf ihre Hand, die zu pulsieren schien. Wenn es so wie auf der Party war, dann würde es sich sicherlich bald wieder beruhigen. Sie wollte hier auch keine Szene machen, deshalb ging sie mit einigen unsicheren Schritten zur Tür. Es fühlte sich an, als würde die Trauer diese Unruhe noch verstärken und sie hatte Angst diese Trauer zuzulassen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Jaden nun für immer fort war. Und sie wollte es auch nicht. Mit einem aufgezwungenem Lächeln drehte sie sich noch einmal zu Jacob um. Bis dann. sagte sie ein wenig emotionslos.
Herrlich, wie die schlechten Ereignisse seit seiner Ankunft nahtlos bis zum jetzigen Augenblick übergingen. Der Junge mit den Müslihaaren, ein vermeintlicher Anmachspruch eines dezent verwirrten Kerls, dicht gefolgt von einer seltsamen Bemerkung zu Jacobs Männlichkeit von einem noch seltsameren Kollegen. Achja! Nicht zu vergessen, die Marmelade unter der Türklinke. Wollte man ihn hier irgendwie rausekeln, oder hat er einfach nur verdammtes Pech gehabt? Tyrus schien es hier besser erwischt zu haben, er schickt Kinder zum Aufräumen und wirkte selbst relativ entspannt. Und was tat Jacob hier? Musste einem Mädchen erzählen, dass ihr Kump-, nein, doch nicht. Er musste ihr erzählen, dass ihr Freund ermordet wurde. Sich am liebsten in Luft auflösen wollend sah er auf die erröteten Wangen des Mädchens und zwang sich erneut zu einem Lächeln, was noch weniger authentisch sein musste, als das vorherige. Zunächst wollte er noch so etwas sagen wie: „Du hast mit ihm sicher Glück gehabt“, oder „Er war bestimmt ein toller Freund.“ Das verkniff er sich aber ganz schnell wieder. Klar, reib dem Mädchen noch unter die Nase, dass sie etwas verloren hat, was ihr viel bedeutet. Der Erzieher besaß zwar nicht das beste Taktgefühl, in diesem Moment schienen sich die verbleibenden Überreste von diesem dennoch eingemischt zu haben.
Nach dem Vollkünden der Nachricht schob der Erzieher den Aschenbescher wieder zurück an seinen Platz in der Mitte des Tisches. Er wollte das Mädchen nicht direkt anstarren, wenn sie in Tränen ausbrach. Doch auch nachdem einige Sekunden vergangen waren machte Ivy keine Anstalten, den befürchteten Nervenzusammenbruch zu erleiden. Den Blick noch immer auf das graue Häufchen Staub gerichtet, hörte er, wie sie sich vom Stuhl erhob. Fragend wanderten die goldfarbenen Augen zu der Schülerin, die tatsächlich wieder aufgestanden war. Den Tee hatte sie nicht einmal angerührt, stattdessen bedankte sie sich für seine Mühe. Natürlich hörte er das gerne, doch war es weder der Situation angemessen, noch nötig. Immerhin hatte er ihr versprochen, sich darum zu kümmern. Die einzige Veränderung ihrer Gemütslage konnte der zitternden Stimme abgeleitet werden. Vielleicht wollte sie lieber alleine sein? Oder es war ihr peinlich, vor Fremden zu weinen – was in diesem Augenblick mehr als nur unnötig war. Viel schräger war es, dass ihre Augen nicht mal feuchter geworden sind, als zuvor. Ihr Blick wanderte gen Himmel und der Erzieher wollte ihr etwas Aufmunterndes sagen, doch blieb ihm das Wort im Halse stecken. Kein Wort dieser Welt würde den Moment erträglicher machen. Stattdessen saß er einfach nur da, senkte den Blick wieder und schwieg. Erst als sich die Schritte des Mädchens in Richtung Tür bewegten, meldete er sich wieder zu Wort. „Bist du sicher, dass du jetzt gehen möchtest?“, fragte er sie mit einem leicht besorgten Unterton. Sie zum Bleiben zwingen wollte er garantiert nicht. Eigentlich hätte er sich selbst am liebsten direkt nach dem Dank des Mädchens verdrückt. Doch waren nicht grade solche Angelegenheiten der Grund, weshalb es die Erzieher hier überhaupt gab? Seinem Schicksal erliegend griff er wieder nach der Kaffeetasse und deutete Ivy an, dass der Tee für sie noch auf dem Tisch stand. „Außerdem wird der sonst noch kalt.“ Ihm blieb wohl oder übel nichts anderes übrig, als noch etwas bei ihr zu bleiben. Vielleicht zeigte Tyrus ja erbarmen und stieß später noch zu ihnen? Oder eine Freundin des Mädchens würde sie hier bemerken, was sich als sehr hilfreich herausstellen könnte. Die nächsten Augenblicke wären sie jedoch unter sich.
Ivy schaute zu Jacob, als dieser meinte, dass ihr Tee sonst kalt werden würde. Was interessierte sie denn jetzt der Tee noch? Aber wollte sie wirklich alleine sein? Sie blieb einen Moment stehen und schaute zu Boden. Sie war doch nun ganz allein. Sie hatte Jaden nicht mehr und wirkliche Freunde hatte sie auch nicht gefunden. Sie war komplett alleine.
Während sie weiterhin versuchte die Trauer nicht an sich heranzulassen, drehte sie sich um und setzte sich wieder an den Tisch. Sie nahm mit zitternden Händen die Tasse hoch, sodass der Tee ein wenig überschwappte, und nahm einen kleinen Schluck. Während sie die Tasse wieder wegstellen wollte, bemerkte sie, dass ihr Tränen auf ihren Schoss fiel. Sie schloss die Augen und weinte einfach weiter. Sie konnte die Trauer nicht verdrängen, denn sie war zu groß gewesen. Sie hatten ihren geliebten Freund verloren und es schmerzte so unglaublich. Plötzlich hielt sie inne und war ganz still, als wäre sie eingeschlafen.
Als sie die Augen öffnete war sie ganz woanders. Die Atmosphäre war trüb und dunkel, doch ein Liebespaar tanzte durch den Raum. Sie sahen verliebt aus, doch mit der Umgebung fühlte sich alles ein wenig bizarr an und sie erkannte sich selber. Mit kürzeren Haaren und etwas anders gekleidet, doch es war ihr jüngeres Ich. Plötzlich verblasste die Erinnerung und mit einem wütendem Schrei zeigte sich ein neues Zimmer. Man sah ein Bett und zwei Personen darin. Der Typ von dem tanzendem Liebespaar, doch eine andere Frau und sie bemerkte sich selber am Fußes des Bettes. Es fühlte sich an, als würde ihr jemand das Herz rausreißen. Dann fühlte sie nur noch leere.
Ivy machte die Augen auf und sah Jacob mit leeren und finsterem Blick an. Sie griff nach der Teetasse und diese gefror sofort zu Eis. Sie sah auf ihre Hand und diese pulsierte wieder. Dieses Mal wusste sie, würde es nicht einfach wieder aufhören und sie krampfte sich etwas zusammen. Vor Schmerzen stöhnte sie und sie spürte, wie die Kraft größer wurde und sie sich langsam verwandelte. Mit ihrer Kette war die Verwandlung eigentlich schnell verlaufen und ziemlich flüssig, doch nun konnte man die Verwandlung deutlich sehen, da sie so langsam ging. Schnell wurde sie größer und der Tisch, der zwischen Jacob und Ivy stand musste zur Seite weichen. Der Platz auf der Terrasse wurde immer knapper für Jacob, denn Ivy war nun bald in der riesigen Gestalt eines weißen Drachen. Mit einem wütendem Schrei und kräftigen Flügelschlägen erhob sie sich in den Himmel und speite eine riesige Menge Eis in den Himmel.
Wie kam Jake noch mal auf die glorreiche Idee, Ivy nicht alleine lassen zu wollen? Erstaunlich, wie schnell er diese Entscheidung verfluchte. Er hätte wirklich nicht damit gerechnet, dass sie auf seine Einladung eingehen würde. Doch das tat sie. Mit trauriger Miene ließ sich die Weißhaarige wieder auf dem Holzstuhl nieder und griff mit zitternden Händen nach der Tasse. Fieberhaft überlegend, was er ihr besänftigendes sagen konnte, beobachtete er die Tränen, welche nun über ihr blasses Gesicht kullerten. Eine Sache war damit schon mal geklärt: Sie war nicht komplett emotionslos. Dennoch wirkte ihr Verhalten nicht ganz normal. Jacob nahm einen weiteren Schluck der dunklen Flüssigkeit und entschied sich schließlich dafür, direkt die letzten Tropfen mit auszutrinken. Aus dem Augenwinkel beobachtete er die nächste fragwürdige Stimmungsänderung Ivys binnen weniger Sekunden. „Fühlst du dich nicht gut?“ - abgesehen von der Tatsache, dass dein Freund gestorben ist, fügte in Gedanken hinzu. Das Mädchen machte keine Anstalten, ihm zu antworten. Fragend die Augenbraue hebend, musterte er sie eindringlich von oben bis unten. Sie bewegte sich keinen Zentimeter, es wirkte fast so, als sei sie in eine Art Trance gefallen. War das normal in ihrem Alter? Wohl eher nicht. „Ivy, geht es dir nicht gut?“, wiederholte er die Frage, diesmal in einem eindringlicheren Tonfall. Doch auch nach mehreren Sekunden zeigte Ivy keinerlei Reaktion.
Gerade als er aufstehen und genauer nachsehen wollte, schien das Mädchen wie aus einem schlechten Traum erwacht zu sein. Ein unwohles Gefühl breitete sich in dem Vampir aus, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Seinem Instinkt folgend stand er auf und ging einige Schritte zurück. Die bei Berührung gefrierende Teetasse bestätigte ihn in seiner Vermutung. Im Unterbewusstsein des Mädchens musste sich vor wenigen Augenblicken etwas abgespielt haben, dass er weder nachvollziehen, noch einschätzen konnte. Mit einem prüfenden, schweifenden Blick vergewisserte er sich, dass sich noch immer niemand in der näheren Umgebung aufhielt. „Ivy, versuch dich zu beruhigen! Das ist zwar scheiße, aber bei weitem kein Weltuntergang!“ Die Freundlichkeit war aus seiner Stimme wie weggeblasen. Er hatte keinen blassen Schimmer, was mit dem Mädchen vor sich ging. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Die Kinder hier könnten sich in sonst was verwandeln, vermutlich mit Leichtigkeit das ganze Wohnheim vernichten und mit diesem sämtliche Bewohner. Doch interessierte das Mädchen diese Tatsache nicht. Oder sie war nicht in der Lage, ihre Kräfte zu kontrollieren. Was auch immer von beidem im Augenblick zutraf, änderte nichts daran, dass sich ihr Körper langsam verformte. Mit einem lauten Krachen zerbrach der Tisch zwischen ihnen. Ivys Haut überzog sich mit weißen Schuppen, ihre Zähne wurden spitzer und ihre Größe schoss regelrecht in die Höhe. „TYRUS?!“, schrie er förmlich in Richtung der Tür, in der Hoffnung, sein Kollege (@Tyrus Wish) könnte ihn hören und würde zur Hilfe eilen. Er würde sicher wissen, was zu tun war. Vielleicht war er aber auch zu weit weg und hat die Kinder eigenhändig in den Keller zum Aufräumen gescheucht. Der Drachenkörper wurde immer größer und Jake musste zurückweichen, um nicht zerquetscht zu werden. Tausende Ideen schossen ihm durch den Kopf, wie er das Mädchen ruhigstellen konnte. Leider endeten die meisten mit demselben Ergebnis – Ivy wäre tot. Er war verdammt noch mal kein Drachenzähmer, sondern ein Jäger. Dieser Lösungsweg würde also wegfallen. Die Verwandlung des Mädchens schien abgeschlossen zu sein und mit einem kräftigen Flügelschlag erhob sie sich in die Lüfte. So kräftig, dass der Windstoß den jungen Mann wegschleuderte und er unsanft einige Meter entfernt im Gras aufschlug. Dank seiner Magie zog er sich nicht einen Kratzer zu, doch jetzt reichte es. Mit wütend funkelnden Augen fixierte er das Wesen, was grade damit beschäftigt war, den Himmel in eine Winterlandschaft zu verwandeln. „JETZT REG DICH VERDAMMT NOCH MAL AB, WILLST DU DAS GANZE WOHNHEIM ZERLEGEN?!“, seine Geduld war am Ende. Langsam rappelte der Vampir sich wieder auf. Seine Wut rauszulassen war vollkommen okay. Doch es ging gar nicht, dass sie damit andere in Gefahr brachte. „Wenn du nicht von selbst landest, hol ich dich vom Himmel.“ Nicht die professionellste Entscheidung für einen Erzieher, doch da verletzte er lieber eins der Kinder, als am Ende hunderte Verletzte zu riskieren.
Ivy flog höher in den Himmel. Die Luft tat ihr so gut und langsam wich die Wut in ihr zurück. Sie hatte schon ein paar Mal diese Flashbacks und danach war sie einen Moment lang anders, doch schnell konnte sie sich wieder finden, allerdings war es dieses Mal anders. Die Wut wich, doch es war nur noch Trauer übrig. So überwältigend, dass sie laut in den Himmel brüllte.
Voller Verzweiflung drehte sie ein paar Runden am Himmel, bis sie eine kleine Person bemerkte, die sie direkt anstarrte. Jacob sah wütend aus, doch seine Worte konnte sie nicht hören, da sie einfach zu weit oben war. Schnell aber sah sie ein, dass sie nicht in Ruhe ein paar Runden fliegen konnte, wenn ein Erzieher sie so wütend ansah. Sie machte noch eine Runde und sog dabei die frische Luft fest ein. Seit über einem Jahr konnte sie sich nicht mehr in einen Drachen verwandeln, doch die Art wie es geschehen war, war eindeutig nicht geplant. Bei der Runde senkte sie ihre Höhe und ab der Hälfte bemerkte sie dann, was das Jahr ohne Training angerichtet hatte. Sie hatte jetzt schon absolut keine Kraft mehr. Jeder Flügelschlag fiel ihr schwerer und sie verlor deutlich schneller an Höhe, als sie es wollte. Ein wenig hilflos sah sie Jacob an, auf den sie nun zuflog und sie merkte, wie sie beim fliegen sich langsam wieder zurück verwandelte. Schnell wurde sie kleiner und fiel schneller und unkontrollierter auf Jacob zu. Ohne Kontrolle fiel sie einfach vom Himmel.
Die Drachendame am Himmel zeigte keinerlei Reaktion auf den Wutausbruch des Erziehers und zog weiter ihre Kreise. So konnte das auf keinen Fall weiter gehen. Fieberhaft überlegend, was er jetzt am besten tun sollte, ging er unruhig auf und ab. Selbst wenn der Vampir auf das Dach des Wohnheims klettern würde, wäre er noch nicht hoch genug, um Ivy erreichen zu können. Das Klischee über Blutsauger die sich in Fledermäuse verwandeln können machte zum ersten Mal einen sympathischen Eindruck. Doch so einer war er nicht – zum Glück. Auch wenn Fledermäuse weniger schlimm waren als diese glitzernden Möchtegernvampire aus dem Fernsehen. Jacob sah noch einmal gen Himmel und musste feststellen, dass sich seine Lage noch immer nicht verändert hat. „Was ein Scheiß“, fluchte er leise vor sich hin, auch wenn er hier garantiert von niemandem gehört wurde. Tyrus schien nichts mitbekommen zu haben und alleine war er schlicht und einfach aufgeschmissen. Schlecht gelaunt und demotiviert ließ er sich langsam ins Gras fallen. Er hatte weder die Ideen, noch die Lust dazu, etwas an der aktuellen Situation zu ändern. Mittlerweile hat bestimmt jemand den Drachen am Himmel bemerkt, der Ärger ließ ohnehin auf sich warten. Was sprach also dagegen, die Verrückte noch etwas fliegen zu lassen? Da er mit der Zeit nichts Besseres anzufangen wusste und seine Nerven es ihm danken würden, zog Jake die Zigarettenschachtel erneut hervor und zündete sich einen der kleinen Mörder an. Ob sein Körper mit dem Nikotin besser umgehen konnte, als der eines Menschen? Grübelnd pustete er die kleinen Rauchwölkchen in die Luft und ließ den Blick wieder nach oben schweifen. Blinzelnd versuchte er im Sonnenlicht zu erkennen, ob sie bereits etwas gesunken war, oder noch immer ihre Runden drehte. Erst als er seine Augen mit der an die Stirn erhobene Hand etwas vor den Lichtstrahlen schützte konnte er erkennen, wie Ivy langsam an Höhe verlor. Na endlich. Mit etwas Glück hatte sie sich wieder beruhigt und es würde kein peinliches Gespräch auf die beiden zukommen. Einen Zug der Zigarette einsaugend erhob sich der Schwarzschopf wieder und wartete darauf, dass das Mädchen den Boden erreichte – was mit einem mal viel schneller ging, als gedacht. War das geplant? Irritiert blickte Jake nach oben und musste beobachten, wie die Dachenflügel langsam verschwanden. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie konnte nicht nur ihre Verwandlung in einen Drachen nicht kontrollieren, sondern die Verwandlung in einen Menschen genau so wenig. Entnervt seufzend stand er auf, warf die Zigarette auf den Boden und versuchte abzuschätzen, wo das Mädchen wohl aufschlagen würde.
Es war ein dumpfer Knall, ein leises Knacken und ein schmerzerfülltes Stöhnen zu hören, als der Vampir mit Mädchen in den Armen im Gras landete. Das würde definitiv mehr werden, als nur ein blauer Fleck. Etwas benommen schob er Ivy sanft zur Seite. Scheiß Schwerkraft. Das Mädchen dürfte dank seiner kleinen magischen Spielerei nicht allzu viel abbekommen haben, er selbst müsste auch nur ein paar Kratzer haben. „Hätte doch öfter trainieren sollen, es auf zwei Personen anzuwenden… bist du okay?“ Seine Stimme wurde von einem vorwurfsvollen Unterton begleitet, den man ihm in dieser Situation nur schwer verübeln konnte. Langsam stand er wieder auf und streckte dem Mädchen seine linke Hand hin, die rechte ließ er in der Hosentasche verschwinden - das Handgelenk nahm langsam eine bläuliche Färbung an und freute sich über die Ruhe. „Zur Krankenstation bringe ich dich trotzdem, ob du willst oder nicht.“ Vielleicht hatte sie sich doch ernsthaft verletzt und es war auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
[Edit: 02.03.2019] Ivy kurz musternd, kramte er das Handy aus der Hosentasche und tippte dem Doc eine kurze Nachricht. Wer wusste schon, wo er sich im Moment herumtrieb. Ohne eine Widerrede zu dulden ging der Lockenkopf los, das Mädchen am Handgelenk leicht hinter sich herziehend.
Sie landete deutlich weicher, als sie es sich vorgestellt hatte - dank Jacob. Sie hatte überall ein paar kleine Kratzer und ihr Knöchel tat leicht weh, aber alles an sich war die Landung für sie ziemlich glimpflich ausgegangen. Ivy fühlte sich so schlecht, erst hatte sie wieder einen von diesen schrecklichen Flashbacks und dann verletzte sie auch noch diesen armen Erzieher. Eigentlich war Ivy immer ein harmloses und freundliches Mädchen gewesen, doch diese Flashbacks brachten immer öfters eine dunkle Seite an ihr zum Vorschein, vor der sie so eine Angst hatte. Jacob zog sie hinter sich her und Ivy schaute nur auf den Boden. Es war einfach alles zu viel für sie. Es tut mir so leid, ich hatte die Kontrolle verloren und ich war so lange kein Drache mehr - weil normalerweise kann ich mich nur mit meiner Kette verwandeln, aber die habe ich vor knapp einem Jahr verloren, als ich mit Jade... Die Worte, die aus ihr herausprudelten, während sie Tränen weinte, verstummten kurz. Ich hatte bestimmt nicht vor mich in einen Drachen zu verwandeln, doch in letzter Zeit hatte ich immer so einen Druck von innen gespürt und dann hatte ich wieder so einen Flashback und dann konnte ich gar nichts mehr kontrollieren und es tut mir so leid, das alles wollte ich gar nicht. Sie wurde immer hysterischer und vor lauter Reden und weinen kam sie kaum noch an Luft.
Nachdem Roxanne die Wohnung ihres neuen Kollegen verlassen hatte, steuerte sie geradewegs auf das Krankenzimmer zu, um dort schließlich ihre Nachtschicht anzutreten. Dort machte sie sich erstmal für ihren Dienst fertig, wechselte sie ihre Tageskleidung, zu sauberer Arbeitskleidung - ein schlichtes, schwarzes, knielanges und ärmelloses Kleid, über welches sie locker an der Taille einen roten Gürtel trägt und dadrüber dann ihren Ärztekittel. Wie immer überprüfte sie, ob Riley irgendeinen Vermerk hinterlassen hatte, ob irgendetwas erledigt werden musste, machte sonstige Inventur und kümmerte sich um ihre Kakteen und Orchideen, die sie da hatte. In der Nacht machte sie auch drei Rundgänge durch das Wohnheim, um zu sehen, ob alles in Ordnung war - wenn wer zum Arzt wollte und unterwegs zusammenklappte, sollte dieser halt auch gefunden werden. Zwar hatte sie ihren Piepser, wenn etwas ist, doch im Eifer des Gefechts konnte man dies vergessen und manchmal kippte man einfach weg, ohne Vorwarnung oder man rutschte im Bad aus, wo man kein Handy bei hatte, um wen zu kontaktieren. Alles möglich. Doch war die Nacht sehr ruhig, keine Vorkommnisse. So war die Arbeit zwar etwas öde, aber so war es ihr lieber - gesunde Schüler sind definitiv besser. War sie soetwas aber gewohnt und konnte sich anderen Dingen widmen - Arztzimmer putzen, Unterlagen sortieren. Konnte sich ihr werter Kollege freuen, dass er dies nicht machen musste, wenn tagsüber Schüler auf der Matte standen.
Erst am Morgen gab es für die Ärztin etwas wirkliches zu tun, aber auch nichts schwerwiegendes. Isola's Traumpaar suchte sie Heim, Cyril und Lyall, wovon ersterer umgeknickt war und demnach Schmerzen im Fuß hatte. Darum kümmerte sie sich sogleich, war auch schnell geregelt und sie konnte beide beruhigt wegschicken, danach kehrte wieder eine Stille Heim. Also konnte sie sich auf dem Stuhl zurücklehnen und etwas dösen, bis die Tür aufging oder der Pieper sich meldete. Doch geschah auch die nächsten Stunden nichts, bis ihre Schicht vorüber war. Für sie ging es jedoch nicht direkt zurück, gerne war sie auch noch nach ihrer Schicht im Heim, redete mit Kollegen oder Schülern. Heute hatte sie sogar noch einen Termin mit einer Schülerin, Helena, worauf sich sie auch bald vorbereitete.
14 Uhr Der Nachmittag war hineingebrochen, bald war es 14 Uhr. Aus diesem Grund hatte sich Roxanne gerade noch im Peronalraum aufgehalten, wo sie mit ihrem Treffen mit Helena einen Teller mit Gebäck zurechtgemacht hatte, sowie eine French Press mit Kaffee aufgefüllt - so hatte man etwas Vorrat an Kaffee und die große Kanne wollte sie nicht nehmen, sonst würde noch eine Panik im Personalraum ausbrechen, weil die Kaffeekanne verschollen war. Einmal und nie wieder. Auf einem Tablett stellte sie alles ab, den French Press, den Gebäckteller, zwei Tassen mit Untertassen, zwei Löffel, Milch und Zucker. Mit diesem bewaffnet verließ sie den Raum und begab sich hinaus, wo sie die Kekse bereits vor flinken Keksdieben retten musste, doch kam sie schließlich unbeschadet und mit vollem Vorrat auf der Terrasse an, wo das heutige Treffen stattfinden sollte. Zu dieser Uhrzeit war es noch schön warm und der Himmel soweit klar, momentan regnete es nicht, also konnte man wunderbar auf der Terrasse sitzen. Dies tat die Blauhaarige auch gleich, sie setzte sich auf einen der Stühle, auf denen man zur Tür und zur Landschaft seitlich zugewandet war und wartete dann, mit dem Blick auf dem angrenzenden Wald gerichtet.
In der Cafeteria hatte die Französin doch gleich wieder die Zeit vergessen. Gut, nach dem Treffen mit Emily ist sie erst einmal kreuz und quer durch das Wohnheim getigert, weil sie ihre Schwester gesucht hat. Ihre Schwester, welche sich irgendwie in Rauch aufgelöst hatte. Als wäre sie nie dagewesen, als hätte sie das alles am gestrigen Tage nur geträumt. Eine Illusion eines Geistes, welcher sich innerlich sehr stark nach seinem zuhause sehnte, aber nicht konnte. Nur gut das Helena wusste, das es eben nicht so war. So verrückt war sie nicht, noch nicht. Wer weiß schon was hier noch alles passieren würde. In ihrem Plan verankert war es auf jeden Fall nicht. Die Sucherei hätte sie dementsprechend auch beinahe ihren Termin gekostet. Welchen Termin? Nun, dass würde sie wohl ganz ehrlich nur den wenigstens beantworten. Aber drei Wochen nach ihrer spontanen Ankunft, welche man durchaus als solche bezeichnen konnte, entschied sie die junge Dame etwas gegen ihren so zerrütteten Zustand zu unternehmen. Sie war niemand welcher sich lange herunterziehen lässt. So kam es im Endeffekt dazu, dass sich die gesträhnte Engelin eine Therapie besorgte. Zwar hielt sie noch nie viel von Seelenklempnern, aber was hatte sie zu verlieren?
Am Ende half es ihr sogar viel besser als erwartet. Ein Grund, warum sie es gerne noch weiter fortführen wollte. Roxanne, die Ärztin, machte das wirklich gut. Sie hatte absolut nichts zu beanstanden. „Hallooo!“, grüßte sie dementsprechend freundlich langgezogen, als ihre Beine die ersten Schritte auf die Terrasse setzten. Sie winkte sogar leicht dabei. Die Ärztin hatte immerhin schon am vereinbarten Ort Platz genommen. Ein kleiner Blick auf die Uhr sagte ihr trotzdem eine kleine Verspätung voraus. „Tut mir leid für die Verspätung.“, erklärte sie sich und ließ das Handy im Lautlos-Modus in ihrer Handtasche verschwinden. Sie hatte keine Lust durch einen plötzlichen Anruf großartig gestört zu werden. „Ich hab‘ einfach die Zeit vergessen, ging gestern etwas drunter und drüber.“, ein entschuldigendes Lächeln sollte hier die Kompensation darstellen. Was ja auch nicht gelogen war. Ankunft der Schwester und so. „Aber nun bin ich ja da.“, grinste sie leicht und setzte sich mit überschlagenen Beinen auf den freien Stuhl, das Kleid vor dem Kontakt mit der Sitzfläche nach unten ziehend. Die Handtasche wurde in ihrem Schoß platziert. Kleine Angewohnheit aus der Großstadt. Wenn du dein Hab und Gut in Paris so leichtsinnig über die Stuhllehne hängen würdest, dann hattest du die längste Zeit eine Brieftasche…oder generell eine Handtasche. In diesem Punkt war ihre Lieblingsstadt echt lästig. Aber welche Großstadt war das nicht? Überall da, wo Leute in der Masse verschwinden konnten, sollte es schließlich Taschendiebe geben. Es war ganz logisch. Lediglich die Intensität war da ein Kriterium, in welchen sie sich unterscheiden sollten und Paris war…ja, anderes Thema. Kaffee! Stand da auf dem Tisch. Und angenehm roch er noch dazu! Würde man die Schlieren des Geruchs visualisieren, so könnte man sie nun in der Nase der Engelin verschwinden sehen, welche daraufhin ein ziemlich zufriedenes Gesicht formte. Aber erstmal wartete Helena auf eine vielleicht eventuelle Ansage. Zu erzählen hatte sie definitiv etwas, so war es nicht.
Etwas in Gedanken vertieft bekam Roxanne gar nicht mit, dass die Französin einige Minuten zu spät war. Doch war dies auch etwas, was sie nicht sonderlich störte - es konnte immer mal etwas dazwischen kommen, man vergass die Zeit oder ähnliches. Zudem, ein paar Minuten waren wirklich nicht schlimm, nach fünfzehn Minuten hätte sie sich allmählich gewundert und bei Helena angerufen, aber sonst. Nichts, was man mit einer heißen Tasse Kaffee erträglich überbrücken konnte. Aber sie bemerkte dies ja gerade sowieso nicht, war sie in Gedanken erst kurz bei Cyril und Lyall, ob es dem Knöchel vom schwarzen Wolf inzwischen besser ging. Sollte eigentlich, doch konnte immer etwas dazukommen, durch eine Fehlbelastung oder sonstigem. Aber groß Sorgen machte sie sich eigentlich nicht, beide Jungs waren ja immerhin nicht dumm und sollte doch etwas sein, würden sie sicherlich erneut das Krankenzimmer aufsuchen, also von daher. Und dann dachte sie an ihren neuen Kollegen, Jacob. Dieser ja ziemlich betrunken gewesen war, letzte Nacht. Ob er sich an das Schauspiel überhaupt erinnern würde, was er veranstaltet hatte oder durfte sie sich beim nächsten Treffen neu vorstellen? Na, letzterer Gedanke war doch schon ziemlich amüsant, weshalb sie sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Wenn dem so war, wäre sie nichtmal böse, immerhin wusste sie, was Alkohol bei einigen für Rückstände hinterließ. Bei ihr bei ihr persönlich ja nicht, sie war ziemlich trinkfest. Stattdessen war Roxanne mehr jemand, der sich dann mit jenen einen Spaß erlaubte, die einen Filmriss hatten - ja, sie war ein prima Vorbild.
Ihre Gedankenwelt entwisch aber dann und ihre Aufmerksamkeit galt etwas anderen. Der Laut der Tür ließ sie aufsehen, wo sie dann auch ein bekanntes und freudiges Gesicht erblickte, welches sie auch freundlich begrüßte. Dies entgegnete sie lächelnd, mit einem: ,,Guten Tag, Helena." Ihre Sitzposition richtend, dass sie gemütlich saß, winkte sie leicht ab, wo sich die Blondine entschuldigte. ,,Schon gut, ist mir gar nicht aufgefallen", zwinkerte sie aufmunternd - was ja auch wahr war, also war alles gut. Sie ließ Helena auch erstmal einen Moment, um sich zu richten, in der Zeit stellte sie auch schonmal beide Tassen, samt Untertassen zurecht. ,,Achso?", fragte die Ärztin interessiert nach, als sie erfuhr, dass am vorigen Tag einiges bei Helena geschehen war. Es schien etwas sehr wichtiges gewesen zu sein, wenn sich die Ereignisse davon bis heute hineingezogen waren, Roxanne hoffte nur, dass es etwas positives war - aber da war sie recht zuversichtlich, sonst wäre die Stimmung garantiert anders. ,,Magst Du mir dann bei einer Tasse Kaffee erzählen, was denn gestern so passiert ist?", nach der Frage schüttete sie in beide Tassen dann auch den himmlisch duftenden Kaffee, ehe sie die French Press wieder beiseite Stellte. ,,Anscheinend etwas gutes, heute strahlst Du ja richtig, meine liebe Helena", merkte sie dann noch lächelnd an. Das meinte sie auch wirklich. In den letzten Wochen hat sie gemerkt, dass ihre regelmäßige Zusammenkunft der Schülerin sehr gut tat. Schien sie von mal zu mal offener und glücklicher zu werden, was Roxanne sehr freute, dem Mädchen so helfen zu können. Dies war etwas, was sie an ihrem Beruf liebte, anderen zu helfen. Beste Ambition, um Ärztin zu werden, nicht wahr? Heute jedoch schien Helena wirklich bei bester Laune, was ihr direkt aufgefallen war, schon wo die Französin die Terrasse betreten hatte. Das machte doch enorm neugierig. Mit einem ruhigen, aber dennoch aufmerksamen Blick sah sie in das Gesicht der Blonden, während sie sich mit ihrer Kaffeetasse in der Hand zurücklehnte.