Die große Terrasse des Yanega-Anwesens ist zum weitläufigen Garten ausgerichtet und bietet einen herrlichen Blick auf diesen und den angrenzenden Wald. Weht eine sanfte Brise, so wird die Terrasse in einen Geruch von Bäumen und vielen, blühenden Blumen gehüllt und wirkt besonders einladend. Der Platz strahlt meist eine wahrlich idyllische Ruhe aus. Er kann allerdings von jedem Bewohner genutzt werden, sei es um Mahlzeiten im Freien zu verspeisen, Hausaufgaben zu erledigen, oder mit Freunden in lauen Sommernächten Karten zu spielen oder sich sonstigen Aktivitäten zu widmen. Durch die Überdachung sind nicht nur die Bewohner, sondern auch die Tische und Stühle, sowie der elegante Holzboden vor Regen geschützt.
So ganz hielt sich die Französin dann doch nicht an ihren Plan, jetzt erst einmal ein Frühstück zu sich zu nehmen. Irgendwie, zog es die hergerichtete junge Dame vielmehr nach draußen. Allerdings nicht um sich nun in einem Marathonlauf um ihre Fitness zu kümmern. Nein, das war es nicht. Vielmehr stand der Blondine gerade der Sinn nach Ruhe und Gelassenheit. Was auch der Grund für ihre kurze Konversation im Bad der Mädchen gewesen war. Aber wahrscheinlich würde sie diese drei auch irgendwann im Wohnheim antreffen. Dann, sollte es dazu kommen, würde sie sich gerne mit ihnen auseinandersetzen. Immerhin war es nie schlecht ein paar Kontakte zu knüpfen, nicht wahr? In der Küche gestern Abend war das immerhin schon einmal in gewisser Weise passiert. Nur die Handynummern hatte sie sich versäumt geben zu lassen. Ärgerlich eigentlich, wenn sie gerade so darüber nachdachte während ihre Beine den Weg die Treppe herunter in Richtung der Terrasse fanden. Sie hatte diesen Teil des Gebäudes schon gestern Abend gesehen, konnte sich aber zu dem Zeitpunkt nicht dazu ermutigen weiter an diesem Ort zu verweilen. Das sollte jetzt eindeutig anders sein. Es war Zeit, den letzten Tag vor dem Unterricht zu genießen.
Mit einem schönen Lächeln auf ihren Lippen liegend stieß sie die Tür zum Außenbereich auf und direkt flog ihr auch die schöne Morgenluft ins Gesicht. Wunderbar! So wunderbar, das die Engelin auch erst einmal stehen blieb um in ein – bis zwei Atemzügen die Frischluft in sich aufzunehmen. Erst dann schaute sich die Französin mit ihren blauen Augen in ihrer Umgebung um. Keine Seele weit und breit. Anscheinend waren noch nicht viele mit der Umgebung so vertraut, als dass sie hier ihren Morgen verbringen wollten. Oder aber sie war einfach nur merkwürdig. Ein kleines Lächeln bildete sich bei ihr, als dieser Gedanke hochkam. Wahrscheinlich war es ein bisschen etwas von beidem. Immerhin kam es unter andere auch auf den Standpunkt an, aus dem man sich selber betrachtete. Einige würden die Blondine sicherlich als hochgestochen bezeichnen, während sie hier mit ihrem Kleid und dem dazugehörigen Hut auf der Terrasse stand. Aber andersherum war es doch schon wieder irgendwie normale Kleidung. Immerhin hatte sie ziemlich wenig mit irgendwelchem Adel gemeinsam. Ein Seufzer entfuhr ihr, Mode war irgendwie doch schon etwas schrecklich. Würde sie sie nicht so mögen. Aber den Gedanken schob sie dann auch gleich wieder zur Seite. Immerhin wollte die junge Dame nicht den ganzen Tag an der Tür herumstehen. Es war also durchaus an der Zeit, sich einen platz zu suchen. Was Helena auch umgehend erledigte, indem sie sich einer der Bänke an einem Tisch aussuchte. Bänke waren immer besser als Stühle. Sie hatten mehr Platz und sie konnte ihre Tasche neben sich abstellen. Aus welcher sie auch sogleich ein Buch zückte. „Psychologie der Aggression“, stand da geschrieben und sie wollte es unbedingt - zumindest einmal - angelesen haben, bevor sie es dann zugunsten ihres anderen Wälzers, welchen sie auch noch beenden wollte, vorerst wieder in den Pariser Seitengassen verschwand.
Gemütlich und ganz ohne Hektik, lehnte sich die Engelin also an die Lehne der Bank an, überschlug ihre Beine und begann auf der ersten Seite schon einmal das Inhaltsverzeichnis zu durchforsten. Sie tat das immer, um herauszufinden auf welche Punkte sie sich, von ihrer Vorstellung her, freuen konnte und von welchen sie sich lieber überraschen ließ, weil sie nicht gerade sehr interessant klangen. Eine alte Angewohnheit von ihr, aber andere machten das sicherlich auch ab und an, da war sich die Französin mehr als nur sicher.
Damian raufte sich die Haare. Lavi hatte es doch tatsächlich geschafft, dass er die Kontrolle verlor. So schnell war das bis jetzt noch niemanden gelungen. Aber der Grünhaarige und seine verkorkste Art war wohl doch ein wenig viel für den Italiener gewesen. Was das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war definitiv noch die Anschuldigung, dass er das Müsli geworfen hatte. Es war doch einfach nicht zu glauben, wie dreist dieser Giftzwerg war. Trotz allem war sein Vorhaben noch nicht ad acta gelegt. Schließlich gab ein Bianchi nicht so schnell auf. Aber jetzt musste er sich einfach einmal abreagieren. Und wenn er nicht die Flucht ergriffen hätte, hätte er vermutlich noch viel schlimmere Dinge mit seinem Zimmergenossen angestellt, als ihn an seiner Waffel ersticken zu lassen. Wobei er davon ausging, dass das Waffelstück bereits den Weg aus seinem Mund gefunden hatte. Schließlich war er ja von Anfang an nicht begeistert von dem Essen hier gewesen und das hatte sich im Laufe der recht kurzen Unterhaltung nur noch bestätigt. Das war wirklich einen Eintrag in sein kleines, dickes Notizbuch wert. Das würde er auf alle Fälle sobald sich die Zeit finden ließ, eintragen. Was man sich als erstes merken konnte, dass Lavi eine Diva war. Eine Diva der extremen Sorte. Eigentlich Menschen mit denen Damian nicht wirklich zurechtkam, aber als Mitbewohner sollte man sich verstehen.
In seinem Ragemode hatte er gar nicht aufgepasst wohin er ging. Er war einfach den Gängen gefolgt, frei nach dem Motto: Irgendwo wird man schon landen. Es war ihm gerade auch egal wo er rauskommen würde. Schlimmer als im Speisesaal konnte es nicht enden. Ein tiefer Seufzer verließ seine Kehle. Das war alles andere als ein guter Start gewesen und daran war leider nicht nur der Spinatkopf schuld. Einen kurzen Moment hielt der Italiener inne und schloss seine bernsteinfarbenen Irden. Es würden noch bessere Tage kommen, da war er sich absolut sicher und bis es soweit war, würde er auch noch ein paar Rückschläge in Kauf nehmen. Rom wurde schließlich auch nicht in einem Tag erbaut. Die goldenen Augen wurden wieder geöffnet und richteten sich auf seine Umgebung, besser gesagt auf den Ausblick. Er war doch tatsächlich an der frischen Luft gelandet, um genauer zu sein auf der Terrasse ihres neuen Heims. Der perfekte Ort um sich zu beruhigen wie der Bianchi fand. Seinen Blick nicht von der Umgebung abwendend ließ er sich auf einen Stuhl fallen. »Idiot.«, murmelte der Blondschopf vor sich hin, um seinen Ärger noch ein wenig Ausdruck zu verleihen. Mit dem Vorfall hatte er noch nicht abgeschlossen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Wenn es nicht so unglaublich peinlich wäre, würde er hier losschreien. Aber das würde man vermutlich im Anwesen hören und er wollte wirklich niemanden aus den Federn werfen mit seinem Gebrüll. Ein erneuter Seufzer kämpfte sich seine Kehle empor und verließ seinen Mund. Es war doch wirklich zum Haare raufen und zum Verzweifeln. Was hatte er sich nur angetan. Vielleicht würde er in naher Zukunft doch noch von seinem Hirn Gebrauch machen, bevor er irgendwelche abstrusen Hirngespinste in den Raum stellte.
Helena wusste nicht wie viele Minuten sie schon hier saß und sich mit ihren Augen langsam das Papier der Seiten herunterarbeitete, welche immer wieder und wieder mit neuen Informationen aufwarteten, je weiter sie in deren Zahl voranschritt. Psychologie war wahrlich ein sehr vielfältiges Gebiet, das wusste die Französin schon vorher, aber nun wurde es noch einmal umso deutlicher. Wer konnte auch schon erahnen das es in so vielen Abstufungen möglich war, allein das aggressive Verhalten eines Individuums abzustufen um es anschließend langsam und sorgfältig zu analysieren, die Ursachen zu ergründen. Ja, das Buch hatte sie schon jetzt wahrlich mit in den Bann gezogen, aus dem sie immer schwer wieder herauskam. Aber vielleicht war das auch gut so. Immerhin hatte das zum Effekt, das sie ihre Bücher auch immer durchzulesen vermochte. Verwunderlich war es also nicht, das sie den Entschluss fasste diesen Vormittag effektiv dazu zu nutzen, sich mehr mit dieser Lektüre zu beschäftigen.
Doch so einfach wollte ihr das Leben diese Aufgabe wohl nicht machen. Denn kaum war sie nach einer kurzen Pause, in welcher sie mit ihren Blicken einmal mehr über die Natur außerhalb der Terrasse gestreift war, wieder zu ihrem Buch zurückgekehrt, vernahmen ihre zierlichen Ohren Geräusche vom inneren des Anwesens. Es musste also in der Nähe der Tür sein, durch welche sie ebenfalls den Weg nach draußen gefunden hatte. Interessiert wandte sich ihr Blick dorthin. Da sie etwas Abseits saß, konnte man sie selber wohl nicht direkt erkennen, wenn man sich nicht direkt zu seinen Seiten umsah. Deswegen wollte sich Helena den Vorteil des ersten Musterns nicht nehmen lassen. Wer auch immer dort vielleicht gleich durch die Türschwelle treten würde. Erwartungsvoll also beobachtete sie also nun, wie tatsächlich jemand den Weg in ihre Gesellschaft fand und sie schaute nicht schlecht. Damian trat ihr vor das Gesicht. Ein nicht gerade unschöner Anblick, wie sie für sich selbst immer wieder feststellte und auch ohne etwas zu sagen einfach erst einmal weiter mit ihren Augen die Statur des unerwarteten Besuchers abtastete. Eher eine automatische Reaktion. Dennoch, sie ermahnte sich selber, nicht einfach nur dort zu sitzen und zu starren. Das gehörte sich nicht und sie mochte es ebenso wenig bei sich selber, also vermied sie es und fixierte stattdessen das Gesicht des blonden Jungen. Dieser jedoch schien gerade andere Sorgen zu haben. Denn ohne auch nur weiter seine Umgebung zu beobachten, setzte sich dieser einfach an einen Tisch und dann hörte sie ihn nur noch fluchen. Leise, aber hörbar aus ihrer Position heraus.
Da schien jemand wohl keinen so tollen Start gehabt zu haben. Eine leicht besorgte Miene machte sich in ihr breit und Spekulationen ebenso. So hatte sie ihren Klassenkameraden und Sitznachbarn selten bis gar nicht erlebt. Na gut, so viel hatten sie bis jetzt auch nicht miteinander zu tun gehabt. Vielleicht ein oder zwei Worte hatten sie miteinander gewechselt, mehr allerdings nicht. Die Begrüßungen jeden Morgen einmal ausgelassen, die gehörten für die Pariserin zum höflichen Standard. Vielleicht kam er ja mit dem Umzug nicht zurecht? Oder die Umstellung generell hatte im einfach zu sehr zugesetzt? Vielleicht hatte er ja auch jemanden verloren der ihm wichtig war? Die Blondine grübelte einen Moment lang, wartete eine vielleicht erneute Reaktion Damians ab, die weitere Spekulationen ermöglichte. Doch nichts dergleichen folgte, er saß nur dort und war still. Am liebsten hätte sie ja geradeaus einfach losgefragt, aber wie kam das denn bitteschön rüber? Außerdem hätte er sich wohl bei der Überraschung, dass er nicht allein war, feindlicher geäußert als es notwendig war. Also wollte es Helena simpel halten. „Ich wusste gar nicht, das du auch so ein Fan von der Terrasse bist Damian. Verlaufen?“, begann sie ihre Begrüßung etwas locker um die Spannung von vornerein aus dem Gespräch zu nehmen. Eine auflockernde Geste war da wie eine wohltuende Salbe für die Französin. In jedem Fall bemühte sie sich auch einer freundlichen Mimik. Wenn er die Engelin nun ansehen würde, so wäre er zumindest von einem allseits bekannten, netten und sympathischen Lächeln begrüßt worden. So wie jeden Schultag auch, wenn sie den Klassenraum betrat und sich auf ihren Platz neben ihm setzte. Natürlich war sie auch am Ende etwas frech, das war ihr selbst sehr gut klar. Aber zu Formell wollte sie auch nicht sein. Außerdem, so der führende Gedanke, wenn Damian nun etwas in den falschen Hals bekommen wollte, bekam er das auch auf die Reihe. Jedes Wesen tat das. Da spielte es keine Rolle wie nett oder harsch man war.
Ganz seinen Gedanken nachhängend, war ihm gar nicht aufgefallen, dass sich noch jemand auf der Terrasse befand. Möglicherweise hätte er sich dann ein wenig mehr im Zaum gehalten. Aber vermutlich nicht. Irgendwie musste er seinem Frust ein wenig Luft machen und er wollte Lavi nun wirklich keine Knochen brechen. Das wäre dann doch zu radikal gewesen und er wollte Alice auch wirklich keinen Ärger machen. Wenn er daran dachte, wie sie abgehen würde, würde sie einen Anruf der Direktorin erhalten. Nein, ganz schlimme Gedanken, die man besser nicht zu Ende denken sollte. Alice würde zur Furie werden und ihm den Hintern versohlen. Und noch viel schlimmere Dinge mit ihm anstellen. Zum Glück konnte man ihm kein Tötungsdelikt vorwerfen. Wobei...hoffentlich hatte sich Lavi nicht wirklich an der Waffel verschluckt und war daran erstickt. Der Bianchi schob diesen Gedanken wieder beiseite, es würde sich sicher eine Person gefunden haben, die ihn davor bewahrte. Schließlich war man hier eine große glückliche Familie und half einander.
Ein zartes Stimmchen drang an sein Ohr und wäre er jemand von der schreckhaften Sorge gewesen, wäre er sicherlich zusammengezuckt. Schließlich kam die Stimme einfach aus dem Nichts. Über die Worte musste er jedoch ein wenig schmunzeln. Da hatte jemand aber sehr gut geraten und mitten ins Schwarze getroffen. Der Blondschopf drehte sich in die Richtung, aus der er die Stimme vermutete. Und prompt strahlte ihm die blondhaarige Helena entgegen. Na das war wohl ein gelungener Tapetenwechsel. Ganz nach dem Geschmack des Bianchis. Endlich wieder ein vertrautes Gesicht. Er konnte nur hoffen, dass Hel nicht ebenfalls eine Klatsche hatte, wie Lavi. Immerhin war man sich meist nur in der Schule über den Weg gelaufen und hatte ein 'Morgen' ausgetauscht. Aber es konnten doch nicht alle Bewohner hier bescheuert sein. Ganz bestimmt nicht. Damian war also guter Dinge. »Fan wäre übertrieben.«, gab der Blondschopf grinsend bekannt, ehe er weitersprach, »Aber so 'ne Terrasse hat schon seine Reize. Und ich hab' mich nicht verlaufen. Ich bin gezielt hierhin gekommen.« Natürlich war das ein wenig geflunkert, was vermutlich auch Helena wusste, aber er wollte nicht bestätigen sich verlaufen zu haben. Ein Mann verlief sich nicht, er fragte auch nicht nach den Weg. Ein Mann wusste sich immer selbst zu helfen und wo er auch herauskam, so war das immer genauestens berechnet. »Was führt dich auf die Terrasse? Das Wetter genießen? Noch ein bisschen Kraft für den morgigen Schultag tanken?«, zählte das Mischwesen mit einem Lächeln auf den Lippen auf. Die Aufzählungen konnte er auch selbst in die Tat umsetzen. Vielleicht würde sich Helena auch für ein Gespräch mit ihm begeistern können. Schließlich hatte sich die Chance dazu eigentlich noch nie angeboten. Wenn er so genau darüber nachdachte, hatte er bislang mit niemanden noch wirklich ein konstruktives Gespräch geführt, mal abgesehen von den Streitgesprächen mit Lavi und ein paar ausgetauschte Sätze mit den anderen beiden Mitbewohnern. Aber das konnte man wohl wirklich nicht als konstruktives Gespräch betiteln. Aber was nicht ist, konnte ja noch werden. Die Jungs mussten einfach noch ein wenig warm miteinander werden. Bei Matthew und Akaya hatte er keine Bedenken, dass es klappen würde. Aber bei der Giftspritze sah die Sache schon wieder anders aus. Warum gab man dem Spinatschädel eigentlich kein Einzelzimmer? Somit konnte man sich sicher eine Menge Ärger ersparen, Lavi wäre sicher glücklich darüber, Dami wäre auch glücklich darüber und einfach jeder wäre glücklich darüber.
Auf ihren Kommentar hin, folgte auch prompt die Reaktion. Etwas unbeholfen, wenn auch kontrolliert, drehte ihr Sitznachbar aus der Schule seinen Kopf um letzten Endes in ihre Richtung zu schauen. Sie nahm das gleich als Bestätigung den Blickkontakt aufrecht zu erhalten. Besonders, weil Damian nicht dreinschaute als wolle er sie gleich enthaupten. Demzufolge hatte ihre Aussage wohl den Zweck erfüllt. Oder aber der Blonde war sowieso nicht auf Konfrontation aus gewesen. Das Grinsen welches ihr der unerwartete Besucher zuwarf, wirkte in jedem Fall sehr ansteckend. Aber es bleib bei einem amüsierten schmunzeln über die Verneinung des Faktes, das er wohl kein Terrassenfreund war. Gleichzeitig verschränkte Helena die Arme auf dem Tisch vor sich und legte somit ihr Buch erst einmal auf die Seite. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihr Buch interessanter war als das nun aufkommende Gespräch. Wenn es danach ging, hätte sie ihn auch nicht ansprechen müssen. Außerdem, wenn sie schon einmal die Möglichkeit hatte, wieso nicht mehr über ihren Klassenkameraden herausfinden? Dementsprechend aufmerksam schauten ihre Augen unter dem Sommerhut hervor.
Damian ging es allerdings wohl erst einmal darum, den Fakt mit dem Verlaufen aus dem Weg zu räumen. Ein Statement welches sichtlich zur Belustigung der Engelin beitrug. Wenn man so darauf einging, musste da doch was dran sein. Sie hatte doch nicht etwa einen Teil seines Stolzes angekratzt? Äußerliche Anzeichen gab es in jedem Fall nicht. Was bedeutete, wenn es so wäre, dass der Blonde es in jedem Falle sehr gut verbergen konnte. Andererseits ließ er der Blondine auch nicht großartig Zeit, an diesem Punkt nachzuhaken. Direkt und ohne Gnade wechselte er den Fokus des Gesprächs. Was das Schmunzeln auf den Lippen der Pariserin wieder zu einem wohlgeformten Lächeln werden ließ. Ob es geplant war? Wer wusste das schon? Sie konnte ja nicht in seinen Kopf schauen. Außer bei Lisanna, da war das immer sehr gut möglich. Aber auch nur, weil sie meistens auch das sagte, was ihr im Kopf herumschwirrte. Doch zwischen Damian und Lis waren wahrscheinlich Äonen. Innerlich sowie äußerlich. Was auch gut so war.
„Ach! Meine Gründe sind viel primitiver.“, merkte Helena fröhlich an und führte dabei eine leichte, abwinkende Geste mit ihrer linken Hand aus, „Man kann sagen, dass das Essen von gestern Abend noch eindeutig nachhaltiger war als gedacht. Dementsprechend habe ich mich erstmal für eine Lesepause entschieden, anstatt im Speisesaal das Essen zu vernichten.“. Bei letzterer Aussage zeigten ihre grazilen Finger auf das Buch, welches nun zugeklappt neben ihr auf dem Tisch lag. Außerdem konnte sie sich ihr essen ja auch selber machen. Das kam ja auch noch hinzu. Der gestrige Abend hatte ihr perfekt bewiesen, dass sie eigentlich gar nicht auf die Essenszeiten angewiesen war. Während der Schulzeit würde sie das Angebot zwar trotzdem in Anspruch nehmen. Aber am Wochenende konnte sie sich sowas in jedem Falle immer erlauben. Vorausgesetzt es kamen keine Schulprojekte oder Klausuren dazwischen. „Aber um es in deine Worte zu packen: Ich denke es ist etwas von beidem. Das Wetter genießen und Kraft tanken.“, erklärte sie sich noch einmal präziser, ehe sie ihre Hände auf dem Tisch vor sich zusammenfaltete und mit ihren blauen Augen eine kleine Tour über das Panorama machten. Nur wenige Augenblicke später landeten ihre Seelenspiegel wieder auf dem Gesicht von Damian.
Dennoch, es wäre gelogen, wenn die Französin nicht doch ein kleines Bisschen Hunger haben würde. Der Tag begann immerhin mit einem guten Frühstück, aber leider bezweifelte sie, dass das Wohnheim hier diesem Wunsch wohl nachkommen würde. Die Pariserin hatte eben einen Anspruchsvollen Gaumen. Was natürlich nicht im Sinne von teurem Essen zu verstehen war, sondern sich eher auf die Zubereitung bezog. „Du weißt nicht zufällig, was gerade im Speisesaal angeboten wird?“, fragte sie einfach geradewegs hinaus und wartete gar nicht ab um noch etwas dahinter zu hängen, „Außerdem kannst du dich auch gerne hierhin setzen. Das tut doch mit der Zeit weh sich die Ganze Zeit so umzudrehen.“. Unterstützen tat sie das mit eine Geste auf einen Bankplatz neben sich, oder auf die Bank gegenüber des Tisches. Am Ende tat ihm noch der Nacken den ganzen Tag weh und das war das letzte was Helena bezwecken wollte. Sie hätte sich zwar auch zu ihm gesetzt um dieses Schicksal von seiner Wenigkeit abzuwenden. Aber ihre Bank war so gemütlich, da war sie in diesem Moment etwas eigennützig veranlagt. Natürlich rügte sie sich ein wenig für diesen Gedanken. Aber nur ein ganz kleines bisschen.
Damians Augen folgten den Handbewegungen der Blondine. Fein säuberlich wurde das Buch, in welchem sie bis vor kurzem noch geschmökert hatte, auf den Tisch gelegt. Ihre Hände fanden gefaltet Platz daneben. Wirkte beinahe so, als wolle sie zum Gebet ansetzen. Über diesen Gedanken musste das Mischwesen ein wenig schmunzeln. Er war wirklich niemand der Witze über gläubige Lebewesen machte. Es hieß doch schließlich: leben und leben lassen. Ein wenig verstohlen versuchte er das Buchcover zu betrachten, um herauszufinden, was Helena als Lektüre mit auf die Terrasse genommen hatte. Doch von dieser Entfernung war es ihm unmöglich einen genauen Blick darauf zu werfen. Somit blieb das Rätsel vorerst ungeklärt. Natürlich könnte Damian auch danach fragen, aber das wäre einfach zu plump. Und als zu neugierig wollte er ebenfalls nicht abgestempelt werden, wobei er schon zu den neugierigen Leuten gehörte. Man musste auch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Ab und an war es ihm möglich, seine Klappe im Zaum zu halten.
Auf seine Fragen hin, wieso sie denn auf der Terrasse war, gab das blondhaarige Mädchen eine ausführliche Antwort. Damit hatte Damian irgendwie nicht gerechnet. Zwar konnte er an ihren Beweggründen nichts Primitives entdecken. Lag vermutlich im Auge des Betrachters. Und er wollte Helenas Meinung nun wirklich nicht untergraben. Es schien wohl so, als hätte sie gestern am Abend ordentlich zugelangt beim Essen. Oder es lag ihr einfach ein wenig schwer im Magen. Es konnte auf alle Fälle beides der Fall sein. Darum hielt sie eine Lesepause für angemessen. »Beim Lesen verbrennst du aber sicher nicht so viele Kalorien. Wohl eher die Gehirnzellen.«, und tippte sich damit gegen den Kopf, um ein wenig zu verdeutlichen. Erst ein paar Sekunden später wurde ihm klar, dass seine Sitznachbarin diese Aussage auch falsch verstehen konnte. Er würde sich hier sicher noch Feinde machen, wenn er weiterhin solchen Blödsinn von sich gab. »Also, wenn du...ich meine das jetzt natürlich nicht negativ oder impliziere damit, dass du blöd bist.«, versuchte der Bianchi mit einem entschuldigenden Grinsen alles wieder ins Lot zu rücken. Aber auch diese Aussage war nicht minder charmant, wie er feststellen konnte. Oh Gott, die Peinlichkeiten nahmen kein Ende. Er war wirklich ein hoffnungsloser Fall. Irgendwie mochten ihm einfach nicht die passenden Worte einfallen. Vermutlich waren die alle bereits bei den Streitgesprächen mit Lavi verbraucht. Somit war wohl dieser blöde Giftzwerg schuld daran, nur leider half ihm das jetzt auch nicht weiter. »Tut mir Leid. Das war so auch nicht richtig. Ich hoffe du verstehst was ich sagen will.«, versuchte Damian es erneut und hoffte wirklich inständig, dass die Blondine ihm keinen Strick daraus drehte. Er konnte sich auch wirklich dämlich anstellen. Ein wenig verlegen kratzte sich der Italiener am Hinterkopf. Es war doch wirklich zum Mäuse melken. Der Tag konnte nur noch katastrophaler Enden. Da führte gar kein Weg daran vorbei.
Na zum Glück fing die Blondine ein unverfänglicheres Thema an. Wobei Damian ja auch ein verfängliches Thema daraus gemacht hatte. Immerhin war er so zuvorkommend gewesen, nicht auch noch ihr Gewicht zu kritisieren, wenn er schon versehentlich ihre Intelligenz in Frage stellte. »Meiner Meinung nach ist beim Frühstück für jeden was dabei. Brötchen, Croissants, Semmeln, Brot, Müsli, Obst, Aufstriche und Marmeladen. Natürlich auch Käse und Wurst, Schinken. So ziemlich alles was das Herz begehrt. Außer man steht auf ungewöhnliche Dinge zum Essen. Heuschrecken hab' ich keine gesehen.«, antwortete der Bianchi auf Helenas Frage. Irgendwie war die Vorstellung Heuschrecken zu essen nicht so der Burner. Aber in anderen Kulturen gehörte das einfach dazu. Die Einladung sich neben sie zu setzen, fasste der Bianchi mit Erstaunen auf. Helena zeigte sogar neben sich auf die Bank. Na, wenn das mal keine Fehlentscheidung war. Vielleicht sollte er ihr doch lieber ein wenig Freiraum einräumen und sich ihr gegenüber hinsetzen. Wobei, konnte man einem hübschen Mädchen etwas abschlagen? Geschmeidig stand Dami vom Stuhl auf, stellte diesen wieder an Ort und Stelle und begab sich die wenigen Schritte zu Helena. Anscheinend hing sie an der Bank, da sie keine Anstalten gemacht hatte, sich zu dem Bianchi zu bequemen. Das war nicht weiter tragisch. Bei der Blondine angekommen, zögerte er jedoch noch kurz, setzte sich dann aber doch mit ein wenig Abstand neben Helena auf die Bank. »Den steifen Nacken hätte ich schon noch irgendwie verkraftet. Danke trotzdem. Sehr aufmerksam von dir.«, grinste er seine Sitznachbarin an. Das Buch, welches sie vorhin noch gelesen hatte, war nun ebenfalls in seiner Reichweite. Die bernsteinfarbenen Irden hefteten sich auf den Titel des Covers "Psychologie der Aggression". Über diesen Zufall musste das Mischwesen nun wirklich zum Lachen anfangen. War auch gar nicht gestört oder so. Aber dieser Zufall war wirklich lustig, auch wenn Helena den Grund höchstwahrscheinlich nicht erahnen konnte. Damian hielt sich bereits den Bauch, bis sein Lachen abgeklungen war. »Sorry. Das Buch würde ich auch mal dringend benötigen.«, sprach er nun und deutete damit auf das Exemplar am Tisch.
Nun, es war nicht die kürzeste Antwort auf die Frage Damians gewesen, aber das musste sie auch nicht. Je eher man in einen ausgeprägten Redefluss kam, umso besser war das meistens um ein Gespräch zu fördern. Eine simple Methode die beinahe immer funktionierte. Es sei denn, die Gegenseite hatte absolut kein Interesse daran, in so einem Falle sollte man sich lieber zurückziehen und es bei dem Versuch belassen. Auch wenn ihr Klassenkamerad so etwas wohl kaum Notwendig gehabt hätte. Er machte einen sehr gesprächigen Eindruck auf die Französin. Eine Vermutung die sich auch sogleich bestätigte, als seine Lippen sich zum ersten Mal wieder für eine Antwort öffneten und die Blondine amüsiert zurückließen. Wahre Worte waren das. Fett würde sie beim Lesen wohl nicht verbrennen und es war fraglich ob es jemals jemanden geben würde, der so etwas bewerkstelligen könnte. Der Blondschopf allerdings hatte wohl durch ihre leicht nachdenkliche Position, während ihre Wenigkeit darüber sinnierte, ganz andere Sachen daraus interpretiert. Erneut fokussierten sich ihre Augen auf den noch etwas entfernt Sitzenden Konversationspartner und sie betrachtete mit abgöttischem Vergnügen wie er sich versuchte aus einer Situation herauszureden, die eigentlich nie in Kraft getreten war. Es war also nur selbstverständlich, das Helena auf dem Tisch nun ihre Arme verschränkte um sich der Entschuldigung annehmen zu können. Sie wusste auch nicht warum, aber dieser Versuch hatte schon was Niedliches. Nicht, dass sie deswegen gleich an die Decke springen und es laut ausrufen würde, aber dennoch. Es hatte seinen Charme, konnte man sagen. „Verstehe ich das?“, fragte sie etwas neckisch danach und blieb dabei mit einer möglichst kritischen Mimik auf seinem Gesicht hängen und tat dabei so, als würde sie sehr scharf nachdenken. Nur, um kurz danach wieder zu einem Lächeln zurückzukehren und kurz zu lachen. „Keine Sorge, ich denke ich habe es gerade noch so verstanden.“, setzte sie noch einmal nach und ließ dieses Thema dann auch unter dem Teppich verschwinden.
Eine Entscheidung die ihrem Gesprächspartner wohl auch sehr entgegen kam. Es brachte auch nichts weiter bei dieser, für sie doch recht lustigen, Situation hängen zu bleiben. Damian das jetzt empört vorzuhalten war auch nicht ihr Interesse. Das taten in ihren Augen eh nur Zicken. Die gab es hier zwar auch, aber ihre Wenigkeit war keine davon. Andererseits…ob er sich wohl wieder verplappern würde? Innerlich grinste die Engelin bei dem Gedanken. Ein bisschen Schadenfreude würde doch auch ihr einmal vergönnt sein. So einfach wollte der Blonde es ihr allerdings wohl nicht machen. Nein, geradezu perfekt folgte eine Aufzählung aller Speisen die wohl im Moment zum Frühstück bereitstanden und die Blondine lauschte gespannt, ob sich vielleicht etwas Exquisites dahinter versteckt hatte. „Ich weiß gar nicht was du hast. Heuschrecken sind doch die Delikatesse! Schade das die nicht dabei sind.“, betonte die junge Dame mit einem sarkastischen Unterton und einer entsprechenden Geste um dabei ebenfalls ihre Abneigung dagegen auszusprechen, während sie im Nachhinein ein kleiner Schauer durchfuhr. So ein Gourmet sie auch war. Es gab auf dieser Welt Speisen, die mussten einfach nicht sein. Heuschrecken wahren eine davon. Allein bei dem Gedanken rollte sich bei ihr die Zunge im Mund zu einer Iso-Matte zusammen. „Aber wenn man es unbedingt auf Proteine anlegt…“, ein Schaudern durchfuhr sie erneut und sie beendete ihren Satz nicht mehr. Nein! Sie wollte da nicht mehr drüber nachdenken und versuchte sich einfach selbst wieder mit dem Gedanken an Schinken oder irgendetwas anderem zu beruhigen. Zur Beruhigung gehörte eben auch das Sitzangebot.
Ein Angebot welches wohl auch auf Zustimmung stieß. Immerhin bewegte sich Damian erst einmal in die Höhe um von seinem Stuhl aufzustehen und marschierte letzten Endes zu ihr herüber. Sie hatte ihm zwar jeden Platz am Tisch angeboten, außer ihren natürlich. Aber irgendwie zog es ihren Sitznachbarn wohl auf ihre Bank, wo er kurz zögernd stehen blieb. Die Augen der Französin die ganze Zeit auf ihm liegend. Es störte sie nicht, wenn er sich dort hinsetzte. Sie war jetzt niemand der unbedingt darauf beharrte links und rechts neben sich immer einen Platz frei zu haben. Immerhin hatte sie ihn an diesen Tisch eingeladen. Selbst wenn er sich direkt neben sie setzen würde, es war jetzt nicht so, als ob das schrecklich wäre. Er setzte sich ja nicht auf ihren Schoß und hielt direkt Händchen oder irgendetwas anderes. Außerdem, we schon einmal richtig feiern war wusste: Abstand ist eine Lüge. So nahm der Blondschopf halt etwas entfernt von ihr auf der Bank Platz. „Kein Problem, ist ja nicht so als ob diese Bank mein Privatbesitz wäre. Außerdem müssen wir jetzt nicht mehr schreien. Also nichts zu Danken.“, gab sie freundlich bekannt und ließ sich nach hinten in die Lehne der Bank fallen um den Blick besser auf Damian konzentrieren zu können…welcher plötzlich einfach zu lachen Anfing.
Total verwirrt versucht die Französin seinem Blick zu folgen und schaute sogar an sich selbst herunter, weil sie befürchtete das dort etwas Peinliches zu sehen war. Helena hoffte alles, nur nicht das. Auch wenn es ein kleiner Ausgleich zum verplappern ihre Klassenkameraden vorher gewesen wäre. Damit würde sie sich wohl wieder ganz nach vorne Schießen. Zwei schnelle Blicke negierten diese Befürchtung allerdings wieder, weswegen die Blondine fragend Damian beäugte. Welcher dann auch mit der Erklärung aufwartete. „Was? Wie? Das Buch?“, fragte sie etwas irritiert und schaute zwischen dem Objekt und seinem Gesicht hin – und her. „Wieso? Werden da etwa Erinnerungen wach?“, hackte sie gleich nach und schob ihm das Buch einfach mal herüber, während sie ihren Kopf mit einer ihrer Hände auf dem Tisch abstütze um Schräg zu ihm herüberschauen zu können. Nun war sie interessiert und eine interessierte Helena wollte zufriedengestellt werden. Wenn auch kleine Antworten ausreichen würden. „Oder erhoffst du dir von dem Buch die Ratschläge anderen Intelligent auf den Zahn fühlen zu wollen?“. Vielleicht war er ja so ein Schelm? Wer wusste das schon? Sie selbst tippte aber auf ersteres. Erinnerungen werden es wohl eher sein. Denn, so ihre Einschätzung, hatte Psychologie nun nicht wirklich etwas Lustiges. Es sei denn man begnügte sich aus Sadistischer Ader heraus mit irgendwelchen Affen-Experimenten. Was allein, wo sie so darüber nachdachte, echt krank war und deswegen auch gleich wieder in ihrem Hinterkopf verschwand.
Das sein Versprecher nicht ungestraft bleiben wurde, war irgendwie klar gewesen. Wobei er die Blondine nicht in diese Richtung eingeordnet hätte. Es war eine erfreuliche Überraschung. Da es so schien, als würde Helena nicht alles was gesprochen wurde auf die Waagschale legen. Sehr zur Erleichterung Damians. Bei anderen Mädels hätte er spätestens nach diesen Aussagen eine kassiert oder vielleicht auch zwei und die Damen wären bereits außerhalb seiner Sichtweite. Doch Hel war noch immer an Ort und Stelle, schien sogar ein wenig amüsiert über seine Peinlichkeit zu sein. Wenn er nicht ein dickes Fell hätte, dann wäre er spätestens jetzt rot angelaufen. Was diese Rotfärbung anbelangte, meinte es Mutter Natur recht gut mit ihm. Sie war so gut wie nicht vorhanden, wenn ihm wieder mal ein Fettnäpfchen vor die Füße lief. Im Inneren schalte und wütete er zwar aufgrund dieser Peinlichkeit, aber nach außen hin war er vollkommen relaxed. Beinahe schon gleichgültig, aber eben nur, wenn er nicht versuchte die Situation zu erklären. Helena gab sich auch ein wenig schelmisch. Und stellte seine Hoffnung in Frage. Doch die Frage beantwortete sie bereits selbst, um vermutlich Damian nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Mit einem Grinsen hatte er ihre Antwort quittiert und war bereits auf dem Weg ihrer Einladung an den Tisch nachzukommen.
Während er also den Weg zu ihr angetreten war, wurde die Essensthematik besprochen. Die Heuschrecken schienen es dem Mädchen angetan zu haben. Denn sie fand diese äußerst exquisit. Über ihre Essgewohnheiten wollte Damian nicht richten, wenn es ihr denn Freude bereiten würde Heuschrecken zu essen, dann konnte sie das gerne machen. Doch der sarkastische Unterton war nicht zu überhören. Er hätte seine Sitznachbarin auch wirklich nicht so eingeschätzt, dass sie solche Leckerbissen freiwillig verspeisen würde. Das Thema Proteine ließ ihn auch in eine ganz andere nicht jugendfrei Richtung denken. In diesem Moment war Damian jedoch schlau genug, solche Dinge in Gegenwart eines Mädchens nicht anzusprechen. Darum blieb er lieber bei dem unverfänglicheren Thema der Proteine. »Wenn wir schon beim Thema Proteine sind, dann könntest du statt Heuschrecken ja auch Engerlinge essen.«, bei diesem laut ausgesprochenen Gedanken schüttelte es den jetzt auf der Bank sitzenden Italiener. Bevor er diese ekligen Dinger auch nur angreifen würde, würde er noch lieber eine Heuschrecke essen. Dieses Thema sollte so schnell wie möglich beendet werden, bevor er die zwei Brötchen vom Frühstück wieder zum Besten gab. »Bevor hier noch ein Unglück in deine Richtung passiert, sollten wir uns lieber einem anderen Thema zuwenden. Wobei wir auch gerne beim Essen bleiben können.«, gab der Bianchi mit einem seichten Lächeln von sich. Das Thema Essen konnte sicher ein super Gesprächsthema sein. Man konnte sehr viel über eine andere Person erfahren und wusste zudem auch schon, was nichts auf dem Speiseplan zu suchen hatte. Voraussetzung war natürlich, dass die Gesprächsperson auch Essen zu sich nahm. Bei Vampiren vielleicht eher suboptimal.
Helena tat seinen Dank einfach ab. Zwar wusste der Blondschopf, dass die Bank sich höchstwahrscheinlich nicht in Helenas Privatbesitz befand, aber es war wahnsinnig nett, dass sie ihm dies auch noch einmal bestätigte. Vielleicht wäre er sonst wieder mit Anlauf in ein Fettnäpfchen getreten. Und es war wirklich besser als sich zu verrenken und sich anzuschreien. Wobei er in keiner Sekunde das Gefühl hatte von ihr angeschrien zu werden. Er konnte sich die Blondine auch nicht als überaus laute Person vorstellen. Damian wollte ihr aber nicht unterstellen, dass sie nicht auch anders konnte. Er war eher davon überzeugt, dass Helena um ihre Meinung kundzutun nicht ihre Stimme erheben musste. Ihre Stimme war klar, melodisch und rein. Das Mädchen war einfach eine angenehme Gesellschaft, auch als Sitznachbarin war sie bis dato noch niemals negativ aufgefallen. Da wäre Damian schon eher der Typ dafür.
Natürlich wusste Damian als er seinen Lachflash hatte, dass Helena verwirrt sein musste. Es war schließlich einfach so über ihn hereingebrochen ohne dass er noch eine Vorwarnung aussprechen konnte. Ein wenig tat es ihm schon leid, sie einfach so in den Seilen hängen zu lassen. Da ihr Blick an sich herunterwanderte und sie anscheinend vermutete, dass er über sie lachte. Aber dem war nicht so, wie er ihr auch wenig später erklären konnte. Trotzdem war sie noch immer ein wenig perplex, was auch weiterhin verständlich war. Noch bevor er genauer ins Detail gehen konnte, war Hel ihm zuvorgekommen und hatte nachgefragt. Sie konnte es sich auch nicht nehmen lassen, ein wenig zu sticheln. Als würde sich der Italiener wirklich die Mühe machen und den Inhalt eines Buches - und zwar eines Fachbuches - zu überprüfen. Ein Lachen war schon wieder von ihm zu hören. Das Mädchen schien seine Lachmuskeln fördern zu wollen und dabei wollte er so früh noch gar keine Lachfältchen züchten. »Wohl eher deine erste Vermutung. Hatte eine kleine Auseinandersetzung mit einem meiner Mitbewohner. Ich bin mir aber noch nicht sicher ob ich dieses Buch lesen sollte oder ob mein Mitbewohner es dringender bräuchte.«, erklärte der Blondschopf und strich über den Einband des ihm zugeschobenen Buches. Mit einem letzten Blick auf Helena klappte er das Buch auf und las sich die Inhaltsangabe durch. Er würde jetzt hier sicher nicht damit beginnen das Buch zu lesen, schließlich war es die Lektüre seiner Sitznachbarin. »Es wäre aber super von dir, wenn du es mir ausborgen könntest, sobald du damit durch bist. Mein Mitbewohner würde sich sicher freuen, wenn ich ihm das Buch vorlesen würde, dann hätten wir schließlich beide was davon.«, grinste der Römer und konnte sich Lavis Wutsalven bereits bildlich vorstellen. Der Grünhaarige würde ihn für noch gestörter halten als er es ohnehin schon tat. Natürlich würde Damian es nur zum Eigennutz der Belustigung vorlesen, um Lavi auf die Palme zu bringen. Vielleicht sollte er sein Vorhaben mit ihm befreundet zu sein doch lieber im Sande verlaufen lassen. Ihn zu ärgern schien wesentlich amüsanter zu sein. Wobei man sich unter guten Freunden sowieso immer ein wenig ärgerte. Damian gab nicht so schnell auf und es war auch erst der erste Tag an dem er dieses Vorhaben überhaupt in seinem Kopf manifestiert hatte.
Eine Vorliebe für Tierexperimente war es schon einmal nicht. Das stellte ihr der Blondschopf mit seiner ersten Antwort schon einmal klar und negierte sogleich ein mögliches Vorurteil, welches ihm Kopf der Französin gerade gestallt anzunehmen versuchte. Außerdem war es auch kein Fleck auf ihrer Kleidung oder einem anderen Kleidungsstück, welches sich gerade an ihrem Körper befand. Nein, eine Auseinandersetzung mit seinem Zimmerkollegen war es. Die Blondine rätselte ein wenig. Kaum einen Abend hier und schon den ersten Streit hinter sich? Klang echt so als wäre das nicht nur eine Kleinigkeit gewesen. Anderseits konnte es auch gerade das gewesen sein. Man wunderte sich oft über was für Kleinigkeiten manche stritten. Sie selbst konnte das sicher auch gut, kein Zweifel. Außerdem: Da wo verschiedene Leute aufeinandertreffen, gerade nach so einem Umzug, war es wohl nicht ganz unvermeidbar sich auch mal in die Wolle zu bekommen. Aus seiner Darlegung konnte sie zumindest einiges herausinterpretieren. Aber das waren auch nur Spekulationen und ussten somit auch nicht der Wahrheit entsprechen. Außerdem wollte sie Damian nicht gleich in irgendeine Schublade von Stereotypen stecken. Machte sie sowieso selten, aber sowas konnte manchmal einfach passieren als man denkt. „Klingt als wäre der erste Tag hier für dich mit ein bisschen Stress gesegnet worden zu sein.“, äußerte sie sich etwas nachdenklich während ihre Augen nur dabei zusahen, wie Damian sich wohl die Inhaltsangabe des Buches durchzulesen schien. Schmunzelte jedoch nachträglich ein bisschen über die Aussage, dass sein Zimmernachbar das Buch wohl eher lesen sollte. Vielleicht, so dachte sich die junge Dame, sollten sie auch einfach beide lesen. Aber mit sowas hielt sich Helena gerade wirklich zurück. Nur kein Fass aufmachen! Die Lebensweisheit einer Pariserin die in so manchen Situationen Gold wert war.
Überraschend kam für die Blondine nun nur, das er sich das Buch auch wirklich ausleihen wollte. Kurz etwas erstaunt Blickte sie ihrem Klassenkameraden ins Gesicht, ehe sie wieder zu einem normalen Lächeln zurückkehrte. Was natürlich auch der Erklärung des Blondschopfs zu verdanken war. „Sowas wie eine Lehrstunde für euch beide?“, kam es etwas ungläubig fragend zwischen ihren Lippen hervor und sie korrigierte ihre Sitzpostion ein weiteres mal, ihre Hände wieder auf dem Tisch ineinander gefaltet. Auch wenn sie sich nicht sicher war, ob hinter dieser Anfrage nicht doch eine Racheaktion steckte. Sein Grinsen war charmant, keine Frage. Aber diese Interpretation konnte auch einfach an den Hormonen der Französin liegen. Abwarten Helena, abwarten! Objektiv bleiben! „Wenn du meinst das funktioniert, kein Problem. Ich habe heute sowieso nur einmal anlesen wollen. Ich habe leider noch ein paar andere Wälzer, die sich wohl in meinem Nachtschrank gerade sehr ungeliebt fühlen. Und sowas darf ja nicht sein.“, erklärte sie etwas schelmisch angehaucht, während ihre Hand noch einmal verstärkend auf das Buch, welches nun auf Damians Seite lag, zeigte. „Das setzt natürlich voraus, das ich es auch in einem Stück wiederbekomme.“, setzte sie zusätzlich noch einmal spaßeshalber nach und schaute dabei gespielt kritisch in seine Augen. Fast so, als wäre der Blondschopf gerade im Verhörraum der Parise Polizei gelandet. Sollte das nicht der Fall sein, so würde ihm sicherlich der Zorn der Chevalier auf dem Fuße folgen. Es war immerhin nicht so, als würden diese Bücher auf Bäumen wachsen und von der Bücherei ausleihen wollte sie die auch nicht. Das hatte dieses Ungute Gefühl das Buch wieder zurückgeben zu müssen. Geschah das Verleihen aber von ihrer Seite, so war das schon wieder gar nicht so schlimm. „Aber vielleicht braucht ihr das Buch ja auch gar nicht. Schließlich ist noch kein Streit mit Büchern beendet worden. Außer es ist ein Krimi und das Buch wurde geworfen.“. Diese Ermahnung, war sie auch noch so lustig angehaucht, wollte die Französin auf jeden Fall noch loswerden. Eine Art verstärktes darauf hinweisen, dass sie ihr Buch wirklich wiederhaben wollte. Man konnte solche Sachen natürlich schnell ersetzen, aber hier ging es um Zuverlässigkeit. Nicht mehr und nicht weniger. Letzten Endes schob sie den Wälzer vollständig zu ihm herüber.