Ursprünglich und erst vor zwei Jahren als Einfamilienhaus gebaut hat das Haus Yashidori 16 eine eher unspektakuläre Besiedlungsgeschichte. Dadurch, dass die Familie, die es erbauen ließ nach sage und schreibe 4 Monaten wieder ausgezogen ist und es für einen langen Zeitraum leer stand und kaum genutzt wurde, befindet es sich in einem hervorragenden Zustand. Auf den ersten Blick lässt nichts darauf schließen, dass es wirklich einmal bewohnt war. Gestrichen in hellen Farben strahlt diese Unterkunft schon von Weitem einladende Behaglichkeit aus, die auch nach dem Eintreten über die kleine, durch Stufen zu erreichende Veranda aufrecht erhalten bleibt. Gegenüber der Eingangstüre befindet sich eine große, schwere Schiebetüre, über die man die Garage erreichen kann, die mit einem Fahrzeug von der anderen Seite aus angesteuert wird. Im Erdgeschoss befinden sich hinter edlen Holztüren alle gemeinschaftlich nutzbaren Räumlichkeiten, hierzu zählen die geräumige Wohnküche, das Badezimmer, sowie eine kleine Abstellkammer für Haushaltsgeräte, Putzmittel und ähnliches. Über eine Treppe im Vorraum gelangt man in die Galerie des Obergeschosses, die zugleich Flur und Verbindung zu allen 3 Zimmern ist, die zu Zeiten der ersten Bewohnung allesamt als Schlafzimmer, zwei davon wahrscheinlich als Kinderzimmer für Jugendliche genutzt worden sind.
Julia
Julia Bardera
63 Charakterbogen Aufenthaltsort: Aktuelles Outfit: Violettes Sommerkleid mit einem weißen Zusatz in der Mitte und schwarzen Sandalen (Siehe Signatur)
Alles war erledigt. Die Aufgaben, die Planung, einfach alles. Nicht einen Krümel hatte Julia unbearbeitet gelassen, als sie ihre Verwaltungs – und Administrationsaufgabe im Büro übernommen hatte. Seit halb elf am Morgen war sie am Arbeiten gewesen und hatte sich relativ wenig um das gekümmert, was außerhalb ihres Arbeitsplatzes vor sich ging. Sogar die Nachricht von Mathéo hatte sie sehr halbherzig entgegengenommen. Dabei dauerte lesen und beantworten nicht einmal ganze 60 Sekunden. Die Zeit allerdings, welche die Dämonin benötigt hatte, um sich dazu zu überreden, war um längen höher angesiedelt. Angesichts dieser Fakten war es fast schon einem Wunder gleichzusetzen, als Julia leicht in ihrer Stuhllehne versank und einen genervten und gestressten Seufzer auszustoßen. Leicht drehte sich die Bardera in ihrem Stuhl nach links, dann nach rechts. Dann, was wie eine Ewigkeit wirkte, stand sie auf und lehnte sich mit ihrem Hinterteil an den Schreibtisch an. So gedreht, dass sie durch das Fenster die Abenddämmerung, sowie den sich darin eindeckenden Schulhof betrachten konnte. Ihre saphirblauen Augen verfingen sich kurz an der sich herabsenkenden Sonne, dann holte sie ein kühler Ruck wieder zurück in die Realität. Es war Zeit zu gehen, eindeutig. Kurz und schmerzlos packte Julia alles zusammen. Ihr Laptop, die Unterlagen, alles Wichtige landete in ihrer Tasche, ehe sie sich mit einem strikten aber eleganten Gang zur Tür begab, auf den Flur heraustrat und abschloss. Kurz nachdem Geräusch einer schließenden Tür, waren es nur noch ihre Absätze, welche das leere Gebäude mit ihren Klängen erfüllten. *Klack* *Klack* *Klack* Strikt und dominant hallten sie an den Wänden zurück und wirkten teils unheimlich, teils verherrlichend. Als ob die Akustik allein ausreichen würde, um ihr einen imaginären Teppich vor den Füßen auszurollen, welcher sie bis zum Ausgang begleitete. Viel Zeit jedoch verbrachte Julia nicht mit der Würdigung des Ganzen. Denn kaum war der Eingang verschlossen, setzte sie sich auch schon hinter das Steuer ihres Sportwagens und machte sich auf den Heimweg. Glücklicherweise blieb sie dieses Mal von weiteren Schüttelfrost-Attacken verschont. Stattdessen ließ sich ein Hyänenartiges-Lächeln auf ihren Lippen nieder, bevor sie ihren Wagen dann vom Schulgrundstück bewegte.
Nicht mal die lange Fahrt hatte das Lächeln verschwinden lassen. Überhörbar war der Wagen von Julia auf jeden Fall nicht, als er die letzten Meter in die Garage des Wohnhauses rollte. Seine Motorkulisse war einfach viel zu einzigartig, als dass man das überhören konnte. Oder man nahm eben Julias-Aura war, die durch das Brechen der Barrieren geradezu penetrant ihren Standort markierte. Wo vorher maximal ein Imp spürbar gewesen war, konnte man nun das volle Programm erkennen. Die Haustür öffnete sich nach dem abschalten des Motors relativ schnell und die Blondine trat ein. Das perfekte Lächeln tragend, so wie sie es schon seit langer Zeit beherrschte, stellte sie ihre Schuhe im Eingangsbereich ab und ging zu ihren Haustretern über. Das Jackett blieb vorerst an Ort und Stelle haften. Denn es roch … anders. Gekocht? Misstrauisch und mit einer gewissen Portion an Neugier trat die Bardera in ihr Wohnzimmer ein und legte indes gleich den Weg in die Küche zurück. Die deplatzierte Box, welche ihre Küchenordnung dezent störte, entging ihrem wachsamen Auge dabei keinesfalls. Ebenso wenig wie der unvertraute Geruch, welcher in der Luft lag. „Mhm.“, zeigte sie äußerlich recht wenig Anerkennung für diese freundliche Geste als sie die Nachricht auf dem Stück Papier vernahm und machte sich zuallererst einmal auf ihr Jackett oben in ihrem Zimmer ordnungsgemäß hinzuhängen. Denn, auch wenn sie es nicht zugeben würde, es war verdammt warm. Glücklicherweise war die Bluse nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Der kurze Abstecher ins Bad war demzufolge wohl keine Überraschung, um sich unangenehmer Gerüche zu entledigen. Erst, als ihr weg sie wieder zurück in die Küche führte, kam in ihr eine Frage auf: Wo war der Tristam eigentlich? In eine Katze hatte er sich ja offensichtlich nicht mehr verwandelt, das hätte sie mitbekommen. Mit dem Essen aus der Box in der Mikrowelle und einem Glas Rotwein, für das die „Château Phélan Ségur“-Flasche dran glauben musste, machte sich die Bardera auf Spurensuche. dreizehn Prozent Alkohol waren eben ein gutes Heilmittel für jede Art von Nerven. Das draußen im Garten etwas anders war als sonst, fiel ihr auch erst bei einem kleinen Schluck im Wohnzimmer auf. Unverkennbar hatte sie den Tristam gefunden, auf dessen Aura sie sich nun das erste Mal wirklich fokussierte. Wie eine Raubkatze positionierte sich Julia lässig mit dem Glas in der linken Hand hinter der Scheibe des Wohnzimmers, ohne zu ihm nach draußen durchdringen zu wollen. Ihre saphirblauen Augen wie ein Objektiv mit Fadenkreuz auf der Hängematte ruhend. Nicht wissend, ob sie ihn mit der Hängematte verkaufen oder doch hierbehalten sollte. Sie hörte leichte Töne eines Instruments … das … das sollte sie auch mal wieder machen. Wann hatte sie das letzte Mal mit ihrer Geige gespielt?
Den Hobbymusiker betrachtend, ließ sie sich erst einmal Zeit die ganze Szenerie auf sich wirken zu lassen. Anscheinend hatte … Kopfschmerzen unterbrachen ihre Gedankengänge. Kurz senkte sich ihr Glas und sie rieb sich kurz die Schläfe. Was war das gerade? Und was zur Hölle sollte das für ein Gedankengang werden, wenn er fertig war? Ohne großartig zu zögern – und im absoluten Kontrast zu ihrer Beobachterposition vorhin – öffnete sie die Türe zum Garten und trat heraus auf die Terasse. „Guten Abend, Mathéo“, sprach sie zwar freundlich aber immer noch leicht distanziert. Ihr Gesicht ließ zumindest kein Zweifel daran, dass es schon ein Stückchen näher in Richtung Normalität gegangen war. Die Frage war nur: Wie lange? „Das Essen drinnen ist zur freien Verfügung, habe ich das richtig abgelesen?“, setzte sie nach und nahm einen weiteren Schluck. Der Wein war zwar nicht wirklich kühl, aber Wasser war keine Option. Höchstens nachher, zum Nachspülen.
Während nur vereinzelt das leise Raschen von Motoren an seinem Haus vorbeizog, war es ein ganz besonderes Rauschen, welches nur kam, aber nicht mehr ging. Laut kündigte die Maschinerie den Angriff auf die Seelenruhe des Tristams an. Und wäre das nicht alles, brachte es eine kaum überspürbare Persönlichkeit mit sich. Ohne Zweifel: Das war Julia. Die werte Frau Direktorin hatte sich also endlich zu ihrem Feierabend hinreißen können. Statt wie der Tristam das schöne Wetter zu genießen, hatte sie in ihrem Büro die Frische Luft nur hinter der Fensterbank ausmachen können. Mathéo fragte sich, ob man im Gang ihres Büros die markante Aura der Dämonin so gut spüren konnte, wie er es gerade tat; oder ob es nur an ihm und seinem Feingefühl lag. In der Vergangenheit hatte er immer wieder feststellen dürfen, dass er einer der wenigen war, die für die verschiedenen Rassen dieser Welt ein Näschen besaß; und dabei redete er nicht von einer Schnüffelnase wie jener der Werwolf-Klasse. Gleichzeitig stellte sich Mathéo auch die Frage, warum Julia so offenkundig und eindringlich mit ihrer Aura herumlief. Er erinnerte sich an ihre Erklärungen damals in ihrer alten Wohnung. Wie bei einer Zwiebel hatten sich die schützenden Hüllen um ihren Kern gelegt und wohl Schlimmeres ferngehalten. War das, was er nun spürte, das, was unter diesen Schichten gelegen hatte? Oder hatte Julia schlichtweg verlernt, ihre dämonische Aura zu unterdrücken? Er selbst würde nie so herumlaufen, weil er davon ausging, dass es andere genauso stören würde wie es ihn störte. Vielleicht würde er Julia mal darauf ansprechen und vielleicht würde sie dann Rücksicht nehmen. Als sie aus ihrem Sportwagen ausstieg, verspielte sich der Tristam allerdings sofort im Ton. Und weg ist die Harmonie …
In seiner Matte lag er abgewandt vom Haus und konnte somit nur einen Blick ins Innere erhaschen, wenn er sich mühselig umdrehte - dabei die Gefahr in Kauf nahm, abzustürzen. Um zu erahnen, durch welche Julia höchstwahrscheinlich lief, musste er sich allerdings nicht rühren. Sie war wie eine Fackel in finsterster Nacht. So hell und grell, dass er sie durch die Wände hindurch strahlen sah. So spürte er ebenfalls, dass sie sich irgendwann zu ihm nach draußen machte. Das Brummen der Mikrowelle schaffte es an sein Ohr nur in Form eines zarten Summens. Sie machte sich also die Reste bereits warm. Gut so, dachte er sich. Ein gefüllter Bauch besänftigte oft.
Kaum hatte er seine innere Harmonie zurückerlangt und eierte mit den Fingern auf den Saiten wieder mit taktvollem Glanz, öffnete sich die Tür zum Garten. Ein »Guten Abend, Mathéo« sorgte dafür, dass er erneut innehalten musste. »Guten Abend, Julia«, antwortete er ihr mit selber Wortwahl und möglichst identischem Tonfall, als wolle er ihr als verbaler Spiegel dienen. Sich umzudrehen, plante er immer noch nicht, denn solange er in der Matte hing, wollte er maximal seinen Kopf nach links und rechts drehen. Alles andere barg die Gefahr eines Achterbahnloopings. »Japp, genau, bedien dich ruhig. Ist übrig geblieben vom Mittag und dachte mir, du wirst sicher nichts gegessen haben im Büro«, antwortete er außerdem auf ihre Nachfrage. Für jemanden, der die Mikrowelle bereits am Laufen hatte, kam es etwas zu spät, nach der Richtigkeit der angehefteten Nachricht zu fragen. Aber vermutlich hatte sie nur mehr sagen wollen als einer schlichten Begrüßung. Auch schwang in ihren Worten eine leicht andere Note mit, als es noch am Morgen der Fall war. Vielleicht brauchte diese Frau kein Essen, um sich zu beruhigen; vielleicht war es die Arbeit allein, die ihr Erholung bescherte. Eine seltsame Vorstellung, wie der Tristam befand. »Wie war dein Tag?«, hielt er selbst das Gespräch am Leben, ehe Julia darüber nachdenken konnte, wieder nach drinnen zu gehen. Der übliche Smalltalk zum Feierabend würde ihr vermutlich entgegenkommen.
Julia
Julia Bardera
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Kein Blickkontakt. Also, zumindest nicht richtig. Wie vorher baumelte der Tristam in seinem Stoff-Kokon vor sich hin, als würden die Sorgen der Welt ihn dort nur begrenzt erreichen können. Julia hingegen erreichte ihn dort sehr direkt, über die Klänge ihrer Stimme. Diese mussten sich nicht die Bäume emporwinden und sich dann von oben in seine Koje der Gemütlichkeit fallen lassen. Sie kamen direkt und unbeschwert einfach zur Haustüre hinein. Ob zu seinen Lasten oder nicht, das konnte die Bardera von ihrem aktuellen Standpunkt aus nicht klar feststellen. Seine Stimme bot keinerlei Fundament für eine ungewollte Störung, aber das musste nichts heißen. „Das ist richtig.“, erwiderte sie leicht belustigt und nahm einen kurzen Schluck aus ihrem Weinglas, während ihre Blicke weiter auf der Hängematte ruhten, „Danke sehr, das macht den Abend um einiges angenehmer.“. Natürlich war es nicht das erste Mal, dass Mathéo ihr etwas zurückstellte. Hervorheben tat es die Dämonin trotzdem immer wieder. Einfach, weil es nichts Selbstverständliches war. Sie hatten sich keine ewige Fürsorge versprochen, als sie hier zusammen einziehen mussten. So ließ sie immer mal etwas übrig – oder kochte etwas mehr – und umgekehrt. Der Haushalt der beiden Dämonen hatte generell wenig „Gesetze“, sondern eher einen unausgeschriebenen Kodex; der sich, je nach Personen und Persönlichkeiten, immer an alle Beteiligten anpasste. In naher Zukunft war es also wieder Julia, die das Essen übrigließ und zur späteren Verwendung in eine Box packte. Mit dem Unterschied, dass sie dort keinen Zettel draufklebte.
„Voller Arbeit, wie immer.“, antwortete sie mit dem wohl offensichtlichen auf Mathéos Frage, während sie sich das paar Gartenschuhe schnappte, damit ihre nackten Füße nicht über das Gras laufen mussten. „Klassenlisten, die fehlen. Schüler mit mehr Abwesenheiten als Anwesenheiten. Widerspenstige Schüler, die nicht wissen, wann es genug ist.“, und die Tatsache, wie beiläufig die Blondine es einfach nur erwähnte, unterstrich ihr anfängliches „wie immer“ nur allzu gut. Mal ganz davon abgesehen, dass der Tristam wohl auch nicht mehr davon hören wollte. Es war ja nicht so als ob Julia hier eine Geschichte aus ihrer Kindheit erzählte. Wobei diese, so ihre Meinung, vermutlich noch langweiliger ausfallen würde. Bestenfalls würde sie für einen Lacher sorgen, wenn sie ihren Werdegang von Imbiss-Essen zu eigens Gekochtem erläuterte. Wobei jeder hauch von Witz, welcher den Mund der Direktorin in dem Punkt verlassen würde, eine astreine Lüge gewesen wäre. „Dementsprechend, ein ganz … normaler … Tag.“, wiederholte sie leicht verspielt und kam im gleichen Zug neben der Hängematte zum Stehen. Ihre saphirblauen Augen von oben auf ihn herabschauend, als wäre er gerade frisch in diesem Kokon eingeliefert worden und das hier ihre eigene Klinik. Das Weinglas ruhte dabei fast schon spielerisch in der linken Hand und ein demonstratives Grinsen zierte nun frech ihre Gesichtszüge. „Und dein Tag? Was macht man denn mit so viel Freizeit und einer solch erdrückenden Hitze?“, warf sie die Frage nun leicht provokant an ihn zurück, sich dabei ein kleines bisschen zu ihm herabneigend und leicht herausfordernd in sein Gesicht blickend. Was, entgegen mancher Vermutungen, nichts Ungewöhnliches für Julia und diesen Haushalt im Allgemeinen war. Sie kam im privaten Raum häufig mit leicht frechen oder provokanten Aussagen um die Ecke. Womit sie nur darauf aus war, ein bisschen Gegenwind zu bekommen und zu spüren, dass der ihr Gegenüber befindliche nicht einfach wie ein Strohhalm im Wind einknickte. Gut, sie war selten so offensiv wie jetzt, was an Julias leicht gebeugter Haltung zu erkennen war, die bewusst auf ihre Optik anspielen sollte. Das, was sie normalerweise eher unterbewusst oder eher unbeholfen tat. Es gab dem Ganzen eine andere Erscheinung, so viel stand fest. Vielleicht war sie auch schon leicht angetrunken und der Wein auf leerem Magen tat sein Übriges, wer wusste das schon? „Liegst du etwa schon den ganzen Tag hier im Garten?“.
Julia und Mathéo schienen denselben Feind bekämpft zu haben, wenn auch von verschiedenen Stellungen aus. Während Mathéo direkt im Graben an der Front gelegen hatte, musste Julia die Schachfiguren hin und her rücken. Während Mathéo nach links schaute und keinen Schüler fand, auf der rechten Seite nur Widerspenstigkeit erntete, rutschten Julia die Schachfiguren förmlich durch die Finger oder liefen davon. Er konnte sich kaum mehr daran erinnern, als er mal einem vollkommen normalen Unterricht beiwohnen durfte. Irgendwer kam immer zu spät; irgendwann verschwanden sie sogar. Neue tauchten auf, gingen, tauchten auf … die alte Leier. Und während es für den Schüler in der Klasse immer mehr zur Routine wurde, konnte die Führung der Schule das Hin und Her nicht unter den Tisch fallen lassen. Ein wenig Mitleid empfand er daher schon. Nicht nur die Lehrer hatten sich ständig anzupassen, auch die allgemeine Planung glich einem Dschungel. So oder so ähnlich stellte es sich Mathéo jedenfalls vor. Gleichzeitig fragte er sich, ob der Job eines Lehrers dann noch Spaß machen konnte. Der Sportunterricht mit Karina war zumindest recht smooth abgelaufen. Keine Krawallmacher oder so … kein Levi. Vielleicht war das ja die Idee hinter der neuen Einteilung. Julia wusste bestimmt mehr … er sollte sie mal fragen.
Doch bevor er das tat, hörte er sich Julias Fragen an. So wollte etwas über seinen verfrühten Feierabend wissen. Anders als sie hatte er nicht im Büro gesessen, sondern durfte den Tag genießen. Sofort tauchte Helenas Gesicht vor seinen Augen auf und er haderte kurz, ob er es erzählen sollte. Am Ende fiel ihm allerdings nichts ein, was dagegen sprach. Außerdem schwirrte ihm Julia durch den Kopf. Das lag daran, dass sie zu ihm an die Hängematte gekommen war und nun auf ihn herabblickte, als wäre er ein offener Koffer mit allerlei Inhalten. In ihrer Hand jonglierte sie ihren besten Freund - das Weinglas. Wie Arthur und Excalibur, wie Thor und Mjölnir, wie Sauron und der eine Ring … so gehörten auch Julia und ihr gefülltes Glas Wein zusammen. Mathéo hatte sich bereits so sehr an diesen Anblick gewöhnt, dass ihm kein Gedanke mehr über einen wohlmöglich übertriebenen Alkoholkonsum einfiel. Er selbst mochte ja auch einen guten Tropfen, doch so häufig, wie Julia sich bekippte, so oft hatte er gar nicht die Gelegenheit, es nur in Betracht zu ziehen. Etwas argwöhnisch blickte er dennoch zu ihr hinauf. Es war nicht das Glas, sondern der Ausdruck in ihrem Gesicht. Hinzu der Klang ihrer Stimmte, der so gar nicht an die Morgenstunden erinnerte. Beinahe fühlte es sich an, als lägen Wochen zwischen den Tageszeiten. Stunden waren heute nicht förmlich dahingeflogen, sie waren gekrochen wie alte, sterbensnahe Krieger nach dem tödlichen Stoß mit der rostigen Klinge.
»Na ja«, Mathéo legte seinen Zweifel vorerst wieder ab und entspannte seine Gesichtszüge. Es würde seltsam wirken, weiterhin so dreinzuschauen, während er sprach. »Früh war Sportunterricht. Der war recht chillig. Klasse war auch gefühlt nur zur Hälfte besetzt, aber das wusstest du sicher bereits schon. Unterricht an sich war auch wenig spektakulär. Und danach war ja schon Schluss. Ziemlich überraschend, muss ich sagen. Entsprechend ratlos war ich erst, was ich heute anfange. Habe mich dann mit Helena zusammengetan. Helena Chevalier - sagt dir sicher auch was.« Mathéo musste einfach davon ausgehen, dass Julia jeden und alles kannte; was anderes erwartete man schließlich nicht von der Direktorin einer Schule. »Wir sind hierher und haben Essen gemacht, gequatscht und danach hab ich mich in die Hängematte geworfen und auf meinem Banjo rumgezupft.« Zum Abschluss klopfte er einmal kurz auf den Bauch seines Instruments, um sein Alibi zu belegen. »Also nein, liege nicht schon den ganzen Tag hier, obwohl ich meinen Hintern kaum noch spüre. Die Hitze ist gar nicht mal so schlimm, wenn man sich zu helfen weiß.« Wie schon so oft zuvor an diesem Tag, wedelte er kurz mit der freien Hand und schon legte sich eine kühle Aura auf ihn. Die Farbe seiner Augen schien an Sättigung zu gewinnen, während er langsam seiner Umgebungsluft die Energie und damit die hohe Temperatur absaugte.
»Sag mal«, ging es direkt weiter mit seiner Stimme, denn er wollte Julia gar keinen Raum geben, um bei Helena nachzuhaken. Warum genau er dieses Bedürfnis verspürte, konnte er nur schwer einschätzen; er nahm sich aber gerade auch keine Zeit zu. »Die Klassen wurden ja neu eingeteilt. Hatte das einen bestimmten Grund? Ich hab das Gefühl, jetzt nur mit Langweilern zusammen zu sein, die sich lieber im Unterricht anstrengen, statt auch mal etwas Spaß zu haben. Fast könnte man meinen, es wäre eine Streberklasse, wenn auch die meisten Streber das meiste noch vor sich haben. So Leute wie Levi haben einfach gefehlt. Steckt der jetzt zusammen mit den anderen Problemkindern in einer Klasse, der ihr einen alten Kriegsveteranen als Klassenlehrer zugeteilt habt?« Scherzhaft klangen seine Worte, wenn auch sie weder gelogen noch maßlos übertrieben waren. Die Sache mit dem Veteranen war zwar aus den Wolken gegriffen, doch alles bis dahin vermutete Mathéo tatsächlich so.
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Julia Bardera
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Fast schon so, als müsste der Tristam ihr eine Antwort geben, verharrte Julia in ihrer leicht provokanten Pose und wartete das Ende seiner Sätze ab. Nur ab und zu schlich sich ein Schatten der Missgunst über ihre Lippen. Besonders, als an sie herangetragen wurde, dass der Unterricht nur zur Hälfte besetzt gewesen war. War es denn nicht einmal möglich in voller Zahl und pünktlich zum Unterricht zu erscheinen? Wenn sie könnte, hätte sie gerade einen nicht überhörbaren Seufzer in die Welt entlassen, hielt sich aber stattdessen zurück. Stattdessen griff die Dämonin lieber auf das Weinglas in ihrer Hand zurück, um den aufkeimenden Frust gleich im Ansatz zu ersticken. Was sie leider vor ein neues Problem stellte: Den Inhalt. Wenn sie weiter in diesem Tempo ihren Wein in sich hineinschüttete, dann müsste sie gleich zurück in die Küche und sich ein weiteres holen. Alles zur Beruhigung der Nerven und dem Einläuten des Feierabends, versteht sich. Es wäre ja auch nur das zweite Glas am heutigen Abend. Nichts Tragisches, oder? Die weiteren Ereignisse des Tristams holten Julias Gedanken jedoch recht schnell wieder weg von der Küchenzeile hin zu dem Dämon in der Hängematte. Er hatte Besuch? Hier? Einen Moment lang schienen die Augen der Bardera sein Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen einer Lüge abzusuchen, mussten jedoch ohne nachweisbare Erfolge abziehen. Stattdessen entlockte ihr die ganze Sache nur ein leichtes Nicken, während sie sich den Namen des Mädchens noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Wie ein Aktenschrank öffnete sich das kognitive Arbeitszimmer der Bardera und sollte auch nicht lange brauchen, um zwei passende Ergebnisse zu liefern. Sonnenklasse, 17 Jahre alt, Engel; das waren die Stichworte, welche innerhalb einer Sekunde in ihrem Kopf auftauchten. Einen kleinen Moment später wurden sie dann durch einen Geschwisterteil ergänzt: Alexandra Chevalier, ebenfalls 17 Jahre alt, Vampir. Das erklärte zumindest den leicht fremden Geruch, der im Eingangsbereich und der Küche kurzzeitig ihre Nase verwirrt hatte. Bevor er – logischerweise – von dem ihren wieder vertrieben wurde und die Revierstreitigkeiten vorerst beendete. Das Essen in der Mikrowelle war also auch nicht nur mit seinen Händen entstanden. Ob sich diese Besuche häufen würden? Das Revierverhalten der Dämonin setzte schlagartig ein. Doch sie war zu gefasst, als dass dieses Gefühl die Oberhand gewinnen würde. Sie wollte gerade mit einer Frage zu dem Thema ansetzen, da fuhr man ihr – präventiv natürlich – über den Mund.
Die leichte Öffnung ihrer Lippen schlosss sich sogleich wieder und sie hob sich die zurechtgelegten Worte für später auf. Das Lächeln einer wissenden Hyäne wanderte von einem Mundwinkel zum anderen. Dieser schlagartige Themenwechsel war viel zu verdächtig, als dass es dem Tristam stehen würde. Siegessicher folgte ein Schluck aus dem nun beinahe geleerten Weinglas. Als hätte er mit den letzten Aussagen seine Seele verkauft; ohne Hoffnung darauf sie bald wieder zurückzuerlangen. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, kratzte dieses Thema schon leicht verheilte Wunden wieder auf, weswegen Julia so markant an diesem Ereignis hängen blieb. Allem voran natürlich die Ball-Sache, die sie so schnell wie möglich einfach vergessen wollte. Trotz der Umstände schaffte es die Bardera ein leichtes Lachen über ihre Kehle zum Ausdruck zu bringen. Zugegeben: Seine Ausführung war recht amüsant. „Es gab lediglich eine Neuverteilung bezüglich der Fähigkeiten und Hintergründe der Schülerschaft, das ist alles, Mathéo“, erklärte sie fast schon zu leichtfüßig, während sie sich wieder aufrichtete und einen Schritt hin zur Mitte der Hängematte tat. „Und weder sind alle Problemkinder in einer Klasse, noch haben sie einen …“, sie nahm sich Zeit das etwas gehobener zu betonen, „… Kriegsveteranen als Klassenlehrer.“. Eine Aussage mit der sie gleichzeitig den letzten Rest Wein aus ihrem Glas verschwinden ließ und anschließend einen erleichterten, wenn auch sanften, Seufzer ausstieß. Sie brauchte definitiv noch ein Glas, da führte kein anderer Weg dran vorbei. „Vielleicht sind es aber auch nur Langweiler und Streber, weil du sie noch nicht richtig kennst?“, stellte sie zum Abschluss ihre Vermutung in den Raum und warf dabei einen Teil ihrer blonden Mähen zurück über die Schultern. Vielleicht gab es da auch nicht viel zu entdecken, wer wusste das schon. Sie würde sich ja selbst nicht mal als unglaublich Interessant betiteln … und ein Streber war sie auch, irgendwie. Vielleicht sogar die Schlimmste von der Sorte, wenn man ihren Perfektionismus noch mit hineinzählte. Ein Gedankengang der sie augenblicklich mehr in seinen Bann zog, als er eigentlich sollte. „Allerdings kann ich dir dafür natürlich keine Garantie geben. Kontaktprobleme kann ich dir zumindest nicht nachsprechen.“. Aber was wusste sie schon von außerhäuslichen Privatleben des Tristams? Nichts, eigentlich. Auf die Debatte wollte sich Julia auch gar nicht einlassen. Dafür war ihr Glas zu leer und ihr Gemüt zu aufgewühlt. „Ich werde dich deine Ruhe dann mal genießen lassen und nach dem Essen sehen.“, kündigte sie ihren Plan für die nächsten Minuten an und ließ ihre Hand über die Seite der Hängematte streichen und zupfte ein bisschen am Rand. Nicht offenbarend, ob sie ihm gleich die ganze Matte umdrehen wollte, oder nur die Andeutung machte. Interpretativen Spielraum hatte es alle Male. Zum Glück aller Beteiligten passierte allerdings nichts dergleichen. Julias Hand löste sich von besagtem Stoff und sie trat den Weg ins Innere des Hauses an. Bevor sie allerdings das Essen auf einen Teller packen konnte, musste erstmal das Flüssigkeitsbedürfnis gestillt werden. Gut, dass diese Aufgabe nur eine kleine Hürde darstellte.
Irgendwie war dem Tristam schon mulmig zu Mute, als Julia näher an seine Matte trat und ihn bedrohlich von oben herab ansah. Auch wenn er sein Banjo zwischen sich und der Bardera wusste, fühlte es sich nicht ausreichend schützend an. Als sie ihr Glas Wein leerte, musste Mathéo für einen flüchtigen Moment über Vampirfilmklischees und ihresgleichen der heutigen, von jugendlichen Strömen beeinflussten Zeit denken. In so einem Streifen würde Julia wohl ihr leeres Glas unbedacht zur Seite werfen, die Krallen ausfahren und dann auf ihr Opfer einstechen. Als Vampirin könnte sie stattdessen auch die Fangzähne aufblitzen lassen, ehe sie diese in den Hals des Tristams rammte. Sofort reihte sich eine Frage an die fantasievolle Vorstellung: Würde er dann zum Vampir werden? Mathéo konnte sich kaum vorstellen, dass sich sein Dämonenblut unterwerfen lassen würde; vor allem wo er doch ein reinblütiger obendrein war. Am Ende befanden sie sich allerdings nicht in einem Teenager-Vampirfilm. Julia warf ihr Glas nicht weg, denn sie wollte es wieder füllen und Mathéo durfte unberührt in seiner Hängematte verweilen. Wobei unberührt zwar auf ihn selbst zutraf, nicht jedoch auf seine Matte. Zum Abschied zupfte die Bardera hinterhältig daran, woraufhin eine gefährliche Schwingung durch das Konstrukt schoss. Mathéo spürte, wie das Gleichgewicht ins Wanken kam und packte schnell die Seiten links und rechts. Wie in einem Kanu auf hoher See balancierte er mit selektivem Druck sein hängendes Bett, bis die Gefahr wieder gebannt war. Das Banjo hatte sich derweil seelenruhig auf seinem Schoß befunden. Fast hätte er Julia etwas hinterhergerufen, doch als die Matte wieder ruhig war, war die Bardera bereits im Haus verschwunden. Jedes Rufen wäre an dieser Stelle nur noch ein verzweifelter Akt.
Mathéo wollte die Ruhe in seinen Gliedern zurückfinden; drum lehnte er sich bewusst zurück und entspannte die Muskeln. Sein Kopf nahm derweil die letzten Worte Julias wieder auf. Grundsätzlich konnte er ihrer Behauptung, was die Streber und Langweiler anging, nicht widersprechen. So viel musste er eingestehen, dass er seine Mitschüler meist nur oberflächlich oder mangelhaft kannte. Nur wenige, wie beispielsweise Helena, kannte er darüber hinaus. Levi würde noch in die Kategorie fallen, wobei Mathéo das Gefühl hatte, dass die beiden Knaben sich zunehmend voneinander entfernten. Diese Insel schien größer, als sie Eindruck machte. Drum tauchten auch immer wieder neue, unbekannte Gesichter auf, die jedoch von sich behaupteten, schon lange auf Isola zu sein. Auch wenn Julia ihm keine Kontaktprobleme zutraute, fehlte dem Tristam dagegen - höchstwahrscheinlich - ein Antrieb oder eine Motivation, sein Kontaktbuch zu erweitern. Je mehr sein Vater sich damals in seine Arbeit, seine Forschung und seine Hobbys gekniet hatte, desto weniger hatte er noch Kontakt zu Außenstehenden gepflegt. Und dabei war es - wie bei Mathéo - nicht einer inneren Abneigung geschuldet. Bei seinem Vater konnte man es als Vergessen beschreiben. Er vergaß die Zeit, vergaß die Umgebung. Nur wer im engsten Dunstkreise des Mannes lebte, der musste sich keine Sorgen machen - so auch Mathéo. Der Rotschopf selbst widmete sich auf Isola allerdings nicht demselben Metier. Stattdessen glaubte Mathéo, dass ihn die Ruhe und Gelassenheit, die Lust nach Harmonie und … - Lethargie? - an die Hängematte fesselte. Wirkliche Aufregung hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Da kamen sogar die Unterhaltung mit Helena und das gemeinsame Kochen einem kleinen Abenteuer gleich. Aber gut, wer wenige Leute kannte, der konnte nur mit sich selbst etwas unternehmen. Was ist eigentlich mit Viv?, fragte er sich, als er weiter darüber nachdachte, was er zuletzt alles getrieben hatte. Mancher Moment im tiefen Wald kam ihm dabei wieder in den Sinn. Apropos Wald: Ein großes Abenteuer hatte der Tristam tatsächlich erlebt: Ein Leben als Katze. Scheinbar hatte er es bereits verdrängt und obwohl es am heutigen Morgen erst geendet hatte, fiel es ihm jetzt erst wieder ein. Als Katze hatte er eine ganz andere Welt betreten, die ihn sogar stückweit begeistert hatte. Kaum war er aber wieder in menschlicher Form, kehrte er zu seinen alten Lastern zurück. Vielleicht hätte er eine Katze bleiben sollen. Sich mit den Straßenkatzen von Isola anzufreunden, war ihm jedenfalls nicht schwergefallen.
Er seufzte. Wieder an den Saiten seines Instruments zupfen brauchte er nun auch nicht mehr. Julia war da, also dachte er sich, leistete er ihr Gesellschaft. Bei einem einfachen Plausch würde er vielleicht auch etwas darüber erfahren oder dazu erkennen, was momentan mit ihr los war. Ganz normal fühlte sich ihre Aura auch Minuten später noch nicht an. Solange sie aber ihr gesteigertes Verlangen nach Alkohol nicht verlor, brauchte er sich kaum Sorgen machen. Also warf sich der Tristam aus seiner Hängematte heraus, was für das Laienauge sogar gefährlich aussah, in Mathéos Kopf jedoch eine schwungvolle Bewegung darstellte. Das Banjo in der einen Hand und sein leeres Glas in der anderen, schlenderte er über die Terrasse zurück ins Haus, wo er Julia beim Essen erwischte. »Na, schmeckt’s«, kündigte er quasi seine Rückkehr an. Zeitgleich fiel sein Blick auf das gefüllte Glas Wein. Kurz fragte er sich, ob er sich etwas davon nehmen durfte, doch dann entschied er einfach stumm und holte sich ein eigenes Glas aus dem Schrank.
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Julia Bardera
63 Charakterbogen Aufenthaltsort: Aktuelles Outfit: Violettes Sommerkleid mit einem weißen Zusatz in der Mitte und schwarzen Sandalen (Siehe Signatur)
Mit einem weiteren Glas voll mit Wein, hatte es sich die Bardera am Essenstisch gemütlich gemacht. Beinahe schon penibel platzierte sie das gewärmte Essen, den Teller, sowie das Besteck auf der vor sich dargebotenen Plattform; bevor auch sie sich an die reichlich gedeckte Tafel setzte. Perfektion in den Details, so hatte es Julia immer gerne in ihrem Leben gehabt. Wenn irgendetwas in ihren eigenen Räumen nicht dort war, wo es sein sollte, machte sie das einfach verrückt. Wohlgemerkt sprachen wir hier aber nur von wirklich wichtigen Dingen. Die Fernseh-Fernbedienung – oder eine Dose mit kleinen Snacks, die noch nicht aufgegessen waren – zählten da nicht zu. Die größte Katastrophe, wenn man es denn so nennen konnte, wäre das Abhandenkommen ihres Autoschlüssels. Glücklicherweise musste man Julia maximal töten, um den ohne ihre Zustimmung in die Hände zu bekommen. Man setzte im Leben eben Prioritäten. Doch nun ging es erst einmal darum besagtes Gericht zu testen. Bereits nach dem Erhitzen hatte sich eine leichte Dunstschwade von Curry wie ein stiller Jäger in der Küche breitgemacht und sich in ihre Nase geschlichen. Die Augen hingegen waren derweil abgelenkt von der ungewöhnlichen Kombination, die sich da vor ihr aufbaute. Vorsichtig, als würde die Dämonin ein Gefahrgut auf dem Löffle balancieren, verteilte sie die gewürzte Verlockung auf dem Teller, bevor ein kleiner Test erfolgte. Wirklich davon ausgehen, dass es ein schlechtes Essen war, tat sie nicht. Immerhin ging ihr Verstand davon aus, dass Mathéo sich einem unwürdigen Gericht schon längst entledigt und dabei vermutlich alle Spuren auf eventuelle Partizipanten vernichtet hätte. Wenn nämlich eines klar war, dann, dass beide Dämonen gutes Essen liebten. Sie probierte also und … es war nicht schlecht. Ungewöhnlich, aber nicht unbedingt schlecht. Ohne Umschweife wurde also der Rest des übriggebliebenen Gerichts auf den Teller verfrachtet, bevor eine leicht gefräßige Stille den Raum heimsuchte. Arbeit machte eben unweigerlich hungrig. Wäre die Direktorin weiter draußen geblieben, hätte sie vermutlich wirklich angefangen kannibalistische Züge zu entwickeln.
Doch die Ruhe an sich war ein nur allzu fragiles Konstrukt, dass sich schon bald in Luft auflöste. Zuerst ein Telefonat mit anschließender SMS und dann auch noch das eintreten des Tristams, der sich mit einer lockeren Floskel in Reichweite der Bardera anmeldete. „Ungewöhnlich, aber mundend.“, fixierte sie einen kurzen Moment das Gesicht des Tristams, ehe sie mit ihrem Blick wieder zum Teller zurückkehrte. „Es ist eine ungewohnte Mischung, wenn auch nicht so würzig, wie ich sie erwartet hätte. Die gelbe Farbgebung spielt ein bisschen mit den Erwartungen.“, ergänzte sie das Urteil mit einer leichten Prise von Skepsis in ihrer Stimme. Das lag natürlich nicht an dem Geschmack, sondern vielmehr an der Art der Anrichtung. Das die Dämonin ihr Essen gerne selbst so attraktiv wie möglich gestaltete, sollte in diesem Haushalt keine überraschende Neuigkeit mehr sein. Kein Gericht kam ohne eine visuelle Gestaltung aus. Es war so etwas wie ihr Markenzeichen, wenn sie sich hinter den Herd bewegte. Bei warmgemachten Essen – das noch dazu vorher in eine Box gepackt wurde – stellten sich einem jedoch ein paar Barrieren in den Weg. Ein Mehraufwand, den die Direktorin jetzt nicht auf sich nehmen wollte. Aber vielleicht ging es Mathéo ja gar nicht darum? „Hätte ich dir etwas übriglassen sollen?“, hakte sie einen Moment später leicht spitzbübisch nach und richtete ihre saphirblauen Augen erneut auf den Tristam aus. Eine weitere leichte Provokation, die in seine Richtung geworfen wurde. Ähnlich der Hängemattenaktion, über die der rothaarige Dämon keinerlei Wort verlor. Was sie ein bisschen Verwirrte … aber vielleicht war der junge Mann auch einfach nur vorsichtig geworden. Wer konnte es ihm verübeln? Eventuell war es also besser ein anderes Thema anzuschlagen, als sich lange bei diesen kleinen Plänkeleien aufzuhalten. Am Ende – so Julias Eindruck – würden die sogar eher hinderlich für die Atmosphäre im Haus sein. Obwohl der Gedanke im ersten Moment durchaus verlockend erschien ein bisschen damit zu spielen.
„Ach … ehe ich es vergesse: Ich werde heute Abend übrigens außer Haus sein.“, kam sie ihrem Gedanken auch sogleich nach und pausierte ihre Essensbemühungen einen Moment. Im Anschluss schob sie ihr Telefon ein kleines Stückchen weiter in Richtung der Mitte des Tisches, weit weg von ihrem Teller. Flecken wollte sie nicht auf dem Ding haben, das würde ihr gerade noch fehlen. „Es gibt einen Begrüßungsfeier für einen neuen Kollegen, die relativ spontan hochgezogen wurde. Nur, damit du dich darauf einstellen kannst. Ich werde wohl erst wieder entgegen Mitternacht zuhause sein.“, fuhr sie relativ gelassen fort und legte ihre linke Hand bereits um das erneut gefüllte Weinglas. Vielleicht würde es auch später werden … wieso hatte man sie eigentlich eingeladen? Nachdenklich kaute die Dämonin auf dem nächsten Löffel ihres Essens herum. Ihres Wissens nach stand sie bei den anderen nicht gerade sehr hoch im Kurs. Mh. Naja, egal. Sie sollte das letzte Glas Wein genießen, mehr würde es heute wohl nicht werden. Betrunken oder mit einer leichten Fahne versehen brauchte man nicht bei so einem Treffen auftauchen, das wirbelte nur einen schlechten Eindruck herum und heizte die Gerüchteküche an. Dementsprechend würde hiernach wohl das gute alte Wasser herhalten müssen.
Es war halb acht, als der Wecker fröhlich seinen Alarm durch den Raum warf und das Schlafzimmer der Dämonin mit seinen schrillen Tönen durchflutete. Damit unweigerlich für Regung im sonst so ruhigen Schlafzimmer des Hauses Nr.16 im Yashidori-Viertel sorgend, die sich schon kurz danach in ein halbwegs koordiniertes Tasten nach dem Wecker entpuppte. Zwei Mal haute eine schmale Hand, die ihren Ursprung irgendwo unter der Decke hatte, daneben. Dann, beim dritten Mal, traf sie den Schalter des schmalen Geräts auf dem Nachttisch und brachte es damit endgültig zum Schweigen. Wer jetzt etwas weiter nach oben ging und an die Spitze des Kopfkissens schaute, der erkannte dort zwei blaue Augen, die sichtlich verschlafen das Ziffernblatt anschauten und bei der Uhrzeit einen wahren Sprung machten. Ebenso wie der Rest des Körpers kerzengerade im Bett stand. „Halb Acht!?“, packte Julia der Schock, als sie direkt geradeaus an ihre Schlafzimmerwand schaute und die Realität des heutigen Tages wie eine entfernte Erinnerung an ihr Erinnerungsvermögen klopfte. „Achja … es ist Samstag.“, meckerte sie über ihr eigenes Versäumnis und ließ ihre Schultern wieder leicht deprimiert hängen, bevor sie ihre Decke zur Seite umschlug und das erste Mal am heutigen Tag mit ihren Füßen den Boden berührte. Ungewöhnlich war daran nur, dass sich die Blondine keinerlei großartigen Stress machte. Den hatte sie – allem voran durch ihren ungewollten Barrierenbruch – schon genug gehabt. Jetzt allerdings, wo sich ihre beiden Seiten in einem noch nie dagewesenen Einklang befanden … ging es ihr eigentlich ganz gut. Es hatte sie über die letzten Wochen nicht nur kontaktfreudiger, sondern auch lockerer werden lassen. So hatte sich Julia dazu hinreißen lassen ein bisschen mehr Varianz in ihren Kleiderschrank einziehen zu lassen. Sommerkleider, um genau zu sein. Eines davon bereits in einem legeren dunklen Violet an der Vorderseite ihres Schrankes hängend. Perfekt, wie sie fand. Kleider hatten bei den momentanen Temperauren einfach den simplen Vorteil, dass sie einfach nicht stark anliegend waren. Die Luft konnte zirkulieren und der Körper blieb ausgeglichen. Bei normalen Menschen vermutlich auch noch einmal mehr bedeutsam als bei einer Vollblut-Dämonin wie sie eine war.
Aber Dämon hin oder her, ihr Weg führte sie erst einmal ganz unbeschwert in die Dusche. Jetzt, wo sie das Haus die letzten Wochen sowieso für sich alleine gehabt hatte, stellte sich auch in ihrem eigenen Verhalten einiges um. Zum Beispiel, dass sie nicht mehr pingelig darauf achten musste verhüllt zum Bad zu laufen, was sie in diesem Fall auch gleich so erledigte. Die morgendliche Routine dort hinter sich gebracht und den typischen Duft von Rosen hinter sich herziehend, folgte ein schneller Gang zum eigenen Schrank zurück, wo sie sich schnell ihre Unterwäsche anzog und das besagte Kleid seinen rechtmäßigen Platz an ihrem Körper annahm. Zusammen mit den schwarz gehaltenen Sandalen unten am Eingang hätte sie dann auch noch das passende Schuhwerk für draußen. Doch Eines nach dem Anderen. Die nächste Station: Frühstück. Bacon and Eggs war im Moment zwar nicht ihre absolut erste Wahl gewesen, aber sie fühlte sich gerade auch einfach nicht danach einen großartigen Aufwand an einem Wochenende zu betreiben. Insbesondere nur für sich selbst. Die gute Laune beim Zubereiten ließ sie sich dadurch trotzdem nicht nehmen. Leicht Lächelnd – und mit dem so dringend benötigten Kaffee auf der Küchenzeile stehend – landete ein Ei nach dem nächsten in der Pfanne, bevor die Dämonin in einer anderen den dünn geschnittenen Fleischscheiben den Kampf ansagte. Ein paar Handgriffe später hatte sich dann auch das Thema erledigt, bevor sich die Direktorin schließlich dazu bewegen konnte am Tisch Platz zu nehmen … und dann wieder aufzustehen. Zeitung, hieß das nächste Stichwort und diese holte sich Julia auch sogleich aus dem Briefkasten vor dem Haus, bevor sie sich dann doch endlich drinnen an die erste Mahlzeit des Tages machen konnte und bei den ersten Zeilen leicht grübelte, was am heutigen Tag noch anstand. Den Garten hatte sie in der Abwesenheit ihres Mitbewohners zwar nicht schleifen lassen … allerdings auch nicht weiter ausgebaut; Pflanzen waren eben nicht ihr Ding. Aber sie bezweifelte sowieso, dass hier in naher Zukunft jemand ankommen und diese begutachten würde. Immerhin war der Rotschopf so notgedrungen aufgebrochen, da würde es nach vier Wochen noch lange nicht vorbei sein. Mh … wo war er gleich nochmal hin?
Noch immer waren die Haare etwas zerzaust. Der Koffer ratterte hinter ihm, während Mathéo ihn den Fußgängerweg entlangzog. Nach dem langen Flug hatte er darauf bestanden, den Rest zu Fuß zurückzulegen. Die Maschine war außerhalb der Stadt gelandet, hatte ihn kurz rausgeworfen und war dann wieder verschwunden. Und trotzdem hatte man sich zu der Zeitverschwendung hinreißen lassen, noch ein letztes Mal den jungen Herrn des Hauses Tristam danach zu fragen, ob er sich sicher war, keinen Chauffeur nutzen zu wollen. Es gab sogar einen Tag in der letzten Woche, an dem er sich darüber Gedanken gemacht hatte, mit einem Fallschirm aus dem Flieger zu springen. An sich sicher nicht übel und ein gerngesehenes Erlebnis. Nun aber, wo er in seinem Anzug die Straße entlang schritt, stellte er es sich ziemlich unangenehm vor. Doch selbst wenn er sich hätte umziehen können, wäre er bestimmt mit dem Schirm in einem der Bäume im Garten hängen geblieben. Und die Straße vor dem Haus war so eng, dass es sich ebenfalls nicht empfahl. Also hieß es, außerhalb zu landen. Das war immer noch schneller und umstandsloser, als mit einer zivilen Maschine über den Globus zu stolpern und dann mit der Kleckerfähre Isolas Hafen anzusteuern. Irgendwo musste ihm ja das Leben als Firmenerbe zu Gute kommen, wenn er schon sonst auf den ganzen möglichen Luxus verzichtete. Hier auf Isola schätzte er erstaunlicherweise die Einfachheit eines jeden Tages. Zurückversetzt als Schüler in einer Masse aus extraordinären Dummköpfen war es immer wieder ein erfrischendes Unterfangen, seinen eigenen Hintergrund beiseite schieben zu können.
Die Spitze des Daches seines Hauses war bereits zu erkennen. Der Treppenaufstieg und der Briefkasten reihten sich hinter mehreren ihrer Art an. Ein paar Schritte hätte Mathéo noch zu gehen. Ein paar Anwesen müssten ihn noch begrüßen und verabschieden. Zeit genug, kurz den Gedanken zurückzuwerfen und darüber zu sinnieren, dass er gut einen Monat nun weg war - zumindest gemäß natürlicher Erdumdrehung und Zeitrechnung. Daheim bei seiner Familie waren die Körner der Uhr mitunter sehr verschieden gefallen. Keine Verwunderung, wenn man darüber nachdachte, mit welchen Fähigkeiten die Tristams ausgestattet waren. Raum wie Zeit waren Geißel der physikalischen Gesetze dieser Welt. Und emotional betrachtet fühlte es sich nochmal länger an. Einzig zum Studieren und Lehren hatte man ihn nach Hause geholt. Jeden Tag nur die schlichte Schulbank zu drücken, war seiner Familie dann doch nicht genug. Selbst sein überraschend zurückgekehrter Großvater, der gerne etwas für Entspannung und Gemächlichkeit übrig hatte, war mit auf den Zug der anderen Älteren aufgesprungen. Dies war auch Grund dafür, warum Mathéo im Anzug durch Isola watschelte. Sofort nach seiner Freilassung hatte er sich auf den Weg gemacht. Der Koffer war bereits verpackt und hatte hinterm Portalrahmen auf ihn gewartet. Und jetzt, wo er hier war, fragte er sich vielleicht zum ersten Mal, warum er überhaupt auf Transportmittel setzte. Eigentlich könnte man es noch einfacher angehen. Allerdings … und da kamen ihm Vater und Großvater wieder in den Sinn, sollte man immer etwas Menschlichkeit bewahren - auch als Dämon. Die Unfähigkeit und der Mangel an Möglichkeiten hatten den Menschen zu dem gemacht, was er heute war: ein deutlich stärkeres Wesen, als es ihm jemals jemand zugetraut hätte. Geboren ohne jegliche Vorteil, hatten sie das bisschen, was ihnen geblieben war, so intensiv genutzt, um das Maximum herauszuholen. Sie konnten beispielsweise nicht fliegen, nicht aus eigener Kraft, doch trotzdem reisten sie heute durch die Lüfte der Erde. Sie können nicht tauchen, nicht tief bis in die tiefsten Spalten der Ozeane; doch trotzdem erforschen sie diese und nähern sich ihren Gründen immer weiter an. Wenn es eine Rasse gibt, die gezeigt hat, dass alles erreichbar ist, dann jene der Menschen. Und ein Dämon sollte sich ein Beispiel daran nehmen, sich immer wieder mit Grenzen zu beschäftigen, wenn auch künstlich geschaffen, um das eigene Streben und auch das Erlebnis von Frust nicht zu verlernen. Wer immer nur auf seiner Couch lag mit einem Schluck Wein und tausend Dienern, die einem jeden Wunsch erfüllten, der hatte weder Streben, weder Willen, weder Geistesstärke noch irgendwas sonst. Man war eine Statue, die ohne fremde Hilfe in der Witterung zu Bröckeln begann. Also Koffer nehmen und packen, statt alles in einem Mikrouniversum zu verstauen und hinterm Ohr mitzunehmen. Warum einfach, wenn’s auch schwer ging? - war die Devise.
Aufgrund des viel zu lang gelebten Monats fühlte sich der Blick auf das heimische Anwesen viel sehnsüchtiger an, als es sich Mathéo hätte ausmalen können. Wenn auch das Leben in dessen vier Wänden sehr speziell waren, so stand sein Name auf dem Briefkasten. Das hier war sein Rückzugsort auf einer Insel, die selbst auch ein Rückzugsort war. Wie eine mittelgroße Ewigkeit fühlte es sich an, einen Blick in den Briefkasten zu werfen. »Werbung«, sprach er leise aus, während er amüsiert die bunten Blätter herausnahm. Instinktiv kramte er in seiner Hosentasche nach einem Schlüssel, um die Tür zu öffnen. Allerdings hatte er diesen tief in den Koffer geworfen bei seiner Abreise; und anstatt nun danach zu kramen in aller Öffentlichkeit, verstieß er für einen kurzen Moment gegen die Weisheiten seiner väterlichen Ahnen und huschte durch die Tür wie ein Lachs durchs Wasser. Der Koffer folgte ihm natürlich. Das Holz spritzte etwas, doch die Tropfen waren schnell wieder eingefangen und schwebten zurück an ihren angestammten Platz.
Mathéo ließ seine Gedanken durch das Haus schweifen. Es war so ruhig, so wie es eigentlich auch früher schon war. Doch er spürte ihre Präsenz, sie musste in der Küche sein - vielleicht beim Frühstücken. Aber hörte sie dabei kein Radio? Daheim war es ein unbewusstes Muss, dass früh am Morgen das Radio im Hintergrund lief. Nachrichten wurden erstmals aufgesaugt und ein angenehmes Morgenlied schlich durch die Ohren. Wieder hier zu sein und die Stille zu erkennen, kam einer schockierenden Erkenntnis nahe. Wenn er den letzten Monat nicht weggewesen wäre, es wäre ihm wohl heute selbst nicht aufgefallen. »Julia?«, rief er durch den Flur. »Ich bin wieder da«, kündigte er sich an - und das mit einer Einfachheit in seinem Tonfall, als wäre er nur eben im Supermarkt gewesen, um Karotten und Eis zu kaufen. Seinen Koffer stellte er neben der Treppe ab. Die Schuhe hatte er längst aus und die Pantoffeln saßen unter seinen Füßen. Mit zwei griffen zur Krawatte lockerte er den Sitz am Hals und entfernte zusätzlich die Nadel, welche für zusätzlichen Halt gesorgt hatte. In diesem Moment umkurvte er auch den Türrahmen zur Küche, zum Esszimmer. Am Tisch saß Julia, wie erwartet. Bei ihr die Zeitung sowie Teller und Tasse. »Ah, am Zeitung lesen«, quittierte er seine Aufklärung. Als nächstes hatte er erwähnen wollen, dass sie wenigstens auch die Werbung hätte mitnehmen können, wenn sie bereits am Briefkasten war, doch er erinnerte sie an die Lehrstunden zum Thema Kommunikation und Rhetorik. Jetzt direkt mit einer kritischen Aussage zu starten, war alles andere als empfehlenswert. Stattdessen legte er also die bunten Blätter beiseite und wünschte erst mal nur einen guten Appetit. Ein paar Krümel waren immerhin noch zu sehen. »Wie geht’s dir?«, war dann die abschließende Frage für einen sanften Einstieg in ihr - mindestens für Julia - überraschendes Wiedersehen.
Julia
Julia Bardera
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Neben allen Dingen, die Julia heute auf ihrem inneren Plan geschrieben hatte, waren die folgenden Ereignisse nicht einmal ansatzweise aufgelistet gewesen. Sie hatte absolut nicht damit gerechnet, dass Mathéo nach einem Monat einfach wieder durch die Tür marschiert kam, nachdem er sich wegen irgendwelchen familiären Dingen abgemeldet hatte. Was genau ihn dazu verleitet hatte schnell das Weite zu suchen, das wusste die Direktorin nicht und hatte sich auch weitestgehend von irgendwelchen gewagten Spekulationen ferngehalten. Ihre professionelle Ader untersagte es ihr schlichtweg in irgendwelchen absurden Konklusionen zu versinken, ohne über eine objektive Grundlage zu verfügen. Erstaunt schaute sie trotzdem von ihrer Zeitung auf, als neben dem Namen auch extra noch eine Ankunftskundgebung ihr Ohr erreichte. Ein leichtes Schmunzeln – aber keinen Ton auf ihren Lippen bildend. Er hatte sicherlich schon ausgemacht, wo sie sich im Haus befand. Immerhin war er ein fähiger Dämon und ihre Aura nun mal keine kleine Lappalie, die man mal eben übersehen konnte. Selbst wenn sie ihre Kraft – so wie jetzt – hinter ihren Barrieren versiegelte, war sie keinesfalls mit einem Schüler zu verwechseln. Allerdings konnte man das Gleiche auch von Mathéo sagen, der soeben im Anzug um die Ecke gewatschelt kam und dabei eine seltsame Kombination aus Geschäfts- und Hausmann darstelle. Julia ein amüsiertes Lächeln entlockend, während sie ihn mit einem kurz von der Zeitung abschweifenden Blick musterte.
„Natürlich bin ich am Zeitung lesen …“, erwiderte sie im ersten Moment sehr verhalten und ließ sich ihre innere Überraschung über sein plötzliches Erscheinen nicht anmerken. Die Zeitung ließ sie derweil elegant zurück auf den Tisch sinken, ihre saphirblauen Augen nun vollständig auf sein Antlitz richtend, ehe sie einmal kurz an seinem Antlitz hinabwanderten. Als würde sie innerlich gerade darüber nachdenken seinen Dresscode als Kündigungsgrund nutzen zu wollen. Am Ende jedoch von seiner Höflichkeit davon abgehalten wurde. „Danke sehr.~“, erwiderte die Blondine leicht verspielt, während sie dabei demonstrativ einen genüsslichen Schluck aus ihrer Kaffeetasse nahm und den Rothaarigen immer noch weiter musterte. Er wirkte ein bisschen steif, wenn sie es nicht besser wüsste. Fast so als hätte man ihn auf der Hinreise in ein Gefrierfach gesteckt und seine Rückenmuskulatur unzureichend aufgetaut. Mh … konnte aber auch am Boot liegen. Es war immerhin nicht die bequemste Reisemöglichkeit. Naja, egal. „Oh? Nun, mir geht es gut.“, gab sie eine relativ lockere Antwort und stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab. Wer auch immer von Julia einen emotionalen Ausbruch nach einer langen Zeit der Abstinenz erwartete, der kannte sie nicht gut genug. Ihre freudige Reaktion musste reichen, obgleich es ein ebenso starkes Alarmsignal sein konnte. „Jetzt sogar noch besser, wo ich dich hier so sehe. Ich bin mehr als nur überrascht dich hier zu sehen. So früh, vor allem.“, woraufhin ein prüfender Blick auf die Uhr folgte, als ob dort die bereits verstrichenen Tage seit seiner Abreise draufstehen würden. „Ich war der tiefen Überzeugung, dass Familienangelegenheiten etwas länger dauern. Allerdings scheint es mir als hättest du das souverän in kürzester Zeit gelöst.“, und ebenso souverän wie sie das meinte, erhob sie sich auch von ihrem Stuhl und wanderte zu dem wieder heimgekehrten jungen Mann hinüber, ihm den leicht verrutschten Kragen richtend und das gewohnte Grinsen einer wissenden Hyäne auf ihren Lippen tragend, bevor sie ihm ungefragt mit einem gekonnten Griff den kleinen Makel aus dem Outfit terminierte. Der Streit, den sie mit ihm vor seiner Abreise hatte, war ebenfalls wie weggefegt. Anscheinend brauchte Julia einen ganzen Monat, bevor ihr innerlicher Vergebungsprozess bei sensiblen Themen abgeschlossen war. Zumindest wenn man beschloss auf ihrem Liebesleben herumzuhacken; an dem sich aber nach wie vor nicht viel geändert hatte. „Was mich nicht weniger besorgt um deine Verfassung macht. Allerdings ... warum setzt du dich nicht erstmal? Du bist bestimmt ausgelaugt nach so einer langen Reise. Isola ist immerhin nicht sehr zentral gelegen.“, bot sie an und deutete auf die Stühle im Esszimmer, während sie sich einen rebellischen Teil ihrer blonden Mähne zurück hinter die Schulter führte. Innerlich darüber sinnierend, warum er überhaupt gleich mit einem Anzug hier aufgetaucht war und sich nicht vorher umgezogen hatte. Das letzte Mal hatte sie ihn in einem Anzug gesehen da … mh, nein, schlechte Erinnerung. Umso wichtiger, dass sie sich nicht daran aufhing. Sie wollte nicht schon am Anfang irgendeine sinnlose Auseinandersetzung lostreten. „Außerdem siehst du aus, als wärst du noch vor einer Stunde auf einer Hochzeit gewesen.“, wurde sein Outfit nun das erste Mal öffentlich von ihr angesprochen, während sie sich mit ein paar Schritten zur Küche begab und noch einmal schwungvoll umdrehte: „Also? Frühstück? Kaffee? Du hast die Wahl.“. Wäre es keines davon, konnte sie auch schon gleich dazu übergehen ihn nach seinem werten befinden zu fragen, obgleich sie das schon indirekt getan hatte. Es stand ihm immerhin frei ihre bisherigen Vermutungen zu bestätigen, oder einfach offen im Raum stehen zu lassen. Er würde schon – wie meistens – die richtige Wahl treffen.