Ursprünglich und erst vor zwei Jahren als Einfamilienhaus gebaut hat das Haus Yashidori 16 eine eher unspektakuläre Besiedlungsgeschichte. Dadurch, dass die Familie, die es erbauen ließ nach sage und schreibe 4 Monaten wieder ausgezogen ist und es für einen langen Zeitraum leer stand und kaum genutzt wurde, befindet es sich in einem hervorragenden Zustand. Auf den ersten Blick lässt nichts darauf schließen, dass es wirklich einmal bewohnt war. Gestrichen in hellen Farben strahlt diese Unterkunft schon von Weitem einladende Behaglichkeit aus, die auch nach dem Eintreten über die kleine, durch Stufen zu erreichende Veranda aufrecht erhalten bleibt. Gegenüber der Eingangstüre befindet sich eine große, schwere Schiebetüre, über die man die Garage erreichen kann, die mit einem Fahrzeug von der anderen Seite aus angesteuert wird. Im Erdgeschoss befinden sich hinter edlen Holztüren alle gemeinschaftlich nutzbaren Räumlichkeiten, hierzu zählen die geräumige Wohnküche, das Badezimmer, sowie eine kleine Abstellkammer für Haushaltsgeräte, Putzmittel und ähnliches. Über eine Treppe im Vorraum gelangt man in die Galerie des Obergeschosses, die zugleich Flur und Verbindung zu allen 3 Zimmern ist, die zu Zeiten der ersten Bewohnung allesamt als Schlafzimmer, zwei davon wahrscheinlich als Kinderzimmer für Jugendliche genutzt worden sind.
Das Knurren ihrer Bauchregion war nicht nur ein Signal für ihren wachsenden Hunger, es erinnerte die Französin auch wieder an den eigentlichen Grund ihres Besuchs. Immerhin, so schien es, lockerte sich dadurch die Stimmung zwischen den Beiden etwas auf. Es verwunderte also nicht, dass sie sein Schmunzeln als Einstieg zu einem leichten, ihrerseits amüsierten, Lachen nahm. Unnötig zu erwähnen, dass ihr die Aktion trotzdem leicht peinlich war. Sie würde zwar keine roten Wangen bekommen, beschämt auf den Boden schauen oder ihr Gesicht in den Handflächen vergraben, aber trotzdem. Stattdessen spukte ein leichtes Unwohlsein in ihrem Hinterkopf umher und verflüchtigte sich erst, als es nicht weiter thematisiert wurde. „Nein, sollten wir nicht.“, erwiderte sie mit einem amüsierten Kopfschütteln und machte sich daran das eingekaufte Essen schon einmal auf der Arbeitsplatte zu verteilen. Mit ein paar Griffen hier und da ordnete die Chevalier alle Kochzutaten einer gedanklichen Reihenfolge zu. Den ersten Platz belegte das Currypulver mit dem Hühnchen, danach folgten die Dosen mit Cocktailfrüchten und die Kokosmilch. Das sich der ganze Prozess etwas hinzog, war den ständigen Pausen zu verschulden, die Helena zwischendrin einlegte. Selbstverständlich, damit sie ihrem Kochpartner auch die nötige Aufmerksamkeit schenken konnte, die seine Erläuterungen ihrer Meinung nach verdienten. Vereinzelt schlich sich ein Nicken über ihre Nackenmuskulatur, bevor ein interessierter Blick folgte. Innerlich war Helena auf jeden Fall zufrieden damit. Das Anschneiden der Thematik erwies sich auf jeden Fall als interessant. Mehr, als sie es am Anfang vermutet hätte. „Nun, das kann ich dir auch nicht sagen. Familien sind immer sehr … eigen?“, mutmaßte sie mit leicht nachdenklicher Miene und schüttelte den Gedanken allerdings schon im nächsten Moment aus dem Kopf. Die Thematik ging ihr - entgegen ihres eigenen Interesses - selbst viel zu weit, als dass sie die Unterhaltung weiter in diese Richtung lenken wollte. „Deine Art und Weise der Bewältigung des Zusammenlebens scheint auf jeden Fall Früchte zu tragen.“, und sie schaute sich leicht belustigt in der Küche um, „Zumindest deutet nichts auf geworfene Gegenstände hin. Also scheint es gut zu laufen, nehme ich an.“. Was natürlich – und sie hoffte das war klar – ein Scherz war. Das lag vor allem daran, dass sie zu dem Thema gar nicht so viel sagen konnte. Ihr bisheriges Zusammenleben bestand aus ihrem Familienleben. So lange, bis es an einem Punkt einfach weg war. Sie kam nie dazu das „Zusammenleben“ in einer WG, einer Partnerschaft, wirklich am eigenen Leib zu erfahren. Das Leben im Wohnheim zählte sie dabei mit gutem Grund nicht dazu. Es wirkte zu künstlich und irgendwie … ja irgendwie lebte auch jeder so für sich selbst. Das war zumindest ihr eigener Eindruck, der sich über die Monate hinweg manifestiert hatte.
Während diese Unterhaltung ihr Ende fand und Mathéo nun endlich mit einem Reiskocher aufwartete, wollte Helena selbst auch nicht nur untätig herumstehen. Nach ein bisschen Suchen fand sie zumindest die Messer und Pfannen sehr offen in der Küche platziert, was ihr ein durchwühlen der einzelnen Schubladen glücklicherweise ersparte. Auch ein Holzbrett gehörte nach genauerem Umschauen zu ihrer Beute, was ihre anfänglichen Bedürfnisse erstmal abdeckte. Vor Mathéos Aussage schützte sie die Vorbereitung trotzdem nicht. Kurz in ihrer Bewegung verharrend, dachte Helena kurz an ihr vorheriges Leben zurück, bevor sie damit fortfuhr sich ihre Hände in der Spüle zu waschen. „Doch, sehr sogar.“, kommentierte sie im Vergleich zu vorher leicht wortkarg. Natürlich war das eine grandiose Untertreibung von ihrer Seite aus. Sie wäre nirgendswo lieber als zuhause. Selbst wenn sie jetzt nach Hause könnte. Nichts wäre auch nur annähernd so wie früher. Man brauchte kein Experte sein, um das zu erkennen. „Aber manche Dinge lassen sich eben nicht ändern.“, ergänzte sie noch sicherheitshalber als kleinen Wink mit dem Zaunpfahl, ehe sie sich wieder dem Kochen verschrieb.
So präzise wie sie konnte erläuterte Helena das Vorgehen. Erst das Hühnchen in kleine Stücke schneiden und unliebsame Sachen entfernen. Anschließend anbraten und am Ende das Currypulver leicht mit Chilli versetzt drüberstreuen, bis das Fleisch einen gelblichen Ton angenommen hatte. Dann folgte die Kokosmilch, welche zusammen mit dem Fleisch erhitzt wurde, bis das Hühnchen gar war. Der Saft der Coktailfrüchte wurde ebenfalls zusammen mit Kokosmilch und Hühnchen aufgekocht. Erst am Ende kamen sie zusammen mit den kleingeschnittenen Ananasstückchen ebenfalls in die Pfanne. Aus Helenas Sicht eine einfach zu verstehende Anleitung. Wie gesagt, sie wollte nichts unglaublich Kompliziertes machen. Es war ja auch „nur“ ein Mittagessen, wie sie es ausdrücken würde. „Und mehr ist an diesem Rezept nicht dran. Man kann eigentlich gar nicht so viel falsch machen.“, beendete sie ihre Erzählstunde mit einem leichten Schulterzucken und strahlendem Lächeln auf den Lippen. „Quick and dirty, eben.“, wiederholte sie ihren Spruch vom Supermarkt, ehe sie sich an das Hühnchen heranwagte und mit dem ersten Teil der Vorbereitung anfing. Mit äußerster Sorgfalt wurde das Fleisch bearbeitet, während sich der Tristam vermutlich gerade um den Reis kümmerte. „Mir läuft bei Reiskochern immer ein Schauer über den Rücken.“, bemerkte sie leicht amüsiert und dachte dabei an ihre Erfahrungen mit den Dingern. Nein, sie wurde definitiv nicht warm mit den Dingern. „Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass ich so strikt mit dem Topf groß geworden bin, dass ich es nicht anders kenne.“, leicht nachdenklich begutachtete sie erneut das technische Gerät vor sich. „Kann man sowas als altmodisch angehaucht abstempeln?“, war die ernst gemeinte Frage, welche in ihren eigenen Gedanken daraus resultierte. Nicht, dass sie überhaupt eine ernsthafte Antwort erwartete. Sie rechnete sogar eher damit, dass Mathéo die Falle der „Bin ich dick?“-Frage dahinter vermuten könnte. „Keine Sorge, du kannst ehrlich antworten.“, warf sie mit beschwichtigend erhobener Hand sicherheitshalber ein und präsentierte dabei ein freches Grinsen. Auf der anderen Seite … Gut, wem machte sie was vor? Es war eine Falle. Doch welcher Art davon? Nun, vielleicht machte er es ja intuitiv richtig.
Matheo
Mathéo Tristam
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Mathéo war nun auch nicht der Mädchenflüsterer par excellence, aber er war sich sicher, dass Helena ihm unterschwellig mitteilte, das Thema Familie und Heimat besser frühzeitig beiseite zu legen. Und da er nicht taktlos rüberkommen wollte, beließ er es auch dabei. Ihre kurze Antwort, ihr Zuhause zu vermissen, war wohl nur deshalb so kurz, weil es unmöglich war, einen langen Satz zu formulieren, der ausdrückte, wie sie sich fühlte. Aber trotzdem machte sie einen so guten Eindruck auf Isola. Entweder war ihre Schauspielkunst perfekt oder die Chevalier war einfach nur gut, sich anzupassen und das Beste aus der Lage zu machen. Ihre Umstände kannte Mathéo nicht. Vermutlich konnte sie im Gegensatz zu ihm nicht einfach mal die Insel verlassen und daheim vorbeischauen. Hat sie nicht auch eine Schwester hier? Mathéo meinte, sich daran zu erinnern, dass Helena jemanden mal erwähnt hätte. Vielleicht irrte er sich aber auch und er hatte es woanders aufgeschnappt. Jedenfalls mussten die Umstände der Geschwister sehr besonders sein. Doch auch hier würde Mathéo sich zurückhalten und vorerst nicht nachbohren. Wenn man sich ein anderes Mal wiedersah und dann meinte, man könne dem anderen mehr vertrauen, ließe es sich eventuell über solch persönliche Themen reden. Bis dahin wollte es Mathéo jedoch auf einem mehr oberflächlichen Level belassen. Immerhin knallte er Helena auch nicht ins Gesicht, dass er mit der Direktorin zusammen wohnte. Eins nach dem anderen … Stück für Stück … kleine Schritte …
Helena ging dazu über, das Rezept zu erklären. Wie bereits von ihr vorgewarnt, war es nichts außergewöhnliches. Trotzdem unterschied es sich davon, wie Mathéo die Zubereitung kannte. Er würde gespannt sein, was bei Helenas Variante am Ende rauskam. Gut schmecken sollte es jedoch schon, denn sie wirkte bei ihren Ausführungen sehr sicher. Es klang nicht nach jemandem, der gestern ein Internetrezept auswendig gelernt hatte. »Well, klingt wirklich einfach. Sollten wir hinbekommen«, bestätigte er die Blondine. Gleichzeitig zögerte er aber auch mit sich, ob er sie nicht auf ihre besondere und wiederholte Wortwahl hinweisen sollte. Spaß hier und da - wenn sie aber dem falschen Klientel ständig was von quick and dirty erzählte und sich dabei sogar noch alleine mit der Person in einem Raum aufhielt, konnte das auch mal falsch rüberkommen. Dann brauchte sie sich nicht wundern, wenn sie selbst plötzlich auf der Arbeitsplatte lag und den Truthahn spielte, während der andere für die Füllung zuständig war. Ach Helena, seufzte er innerlich und schmunzelte er äußerlich. Na hoffentlich hat sie keinen Freund. Der wird sich kaum retten können vor irreführenden Signalen, dachte sich der Tristam zusätzlich.
Abseits der Überlegungen legte Mathéo für sich fest, sich um das Schnippeln der Zutaten kümmern zu wollen. Vorher hatte er sich aber noch vorgenommen, den Reiskocher vorzubereiten. Gänzlich gewöhnt hatte er sich noch nicht an die Gerätschaft, doch neuen Dingen widmete er sich grundsätzlich offen und engagiert. Da traf es ihn recht überraschend, als Helena ihren Unmut dieser Technik gegenüber äußerte. Wieder musste er schmunzeln, lachte sie jedoch nicht aus; denn Mathéo konnte ihren Gedankengang nachvollziehen. Auch für ihn war es eine deftige Umgewöhnung. Er kannte es wie die Chevalier. Ein Topf musste her, um den Reis zuzubereiten. Der Japaner dagegen griff zu einem eigenständigen Gerät, welches sich um die Beilage kümmerte. Großer Vorteil war die Warmhaltefunktion, sodass man gut und gerne den Reis am Morgen vorbereiten und den ganzen Tag über bereit halten konnte. Warum man so was tun sollte, verstand der Tristam zwar nicht, doch dass es sich manche zu Nutzen machten, glaubte er sofort. Helena würde ihm wohl auch mit zusammengedrückten Augenbrauen begegnen, wenn er ihr von so einem Szenario erzählen sollte. »Ach, dont worry«, winkte Mathéo erst mal instinktiv ab, lauschte aber trotzdem aufmerksam der Sorgenbekundigung Helenas. Wieder war er von ihren Worten überrascht, denn mit Altmodisch hätte er es nicht verbunden. Sicherlich war die Topftechnik älter, doch sie war immer noch modern in Europa; zumindest soweit es ihm bewusst war. Dass sie sich damit nicht auf Anhieb anfreunden konnte, war eine Frage der Gesellschaft und der Kultur. Als sie ihn dann aber noch beschwichtigen wollte, ehrlich antworten zu dürfen, fragte er sich: Ob er dem Sachverhalt nicht die nötige Menge an Ernsthaftigkeit und Tiefe entgegenbrachte. Das klang bei der Französin auf einmal wie eine weltbewegende und vor allem private Frage. Als würde er ihr beantworten müssen, ob ihm ihre Frisur gefiel oder so was in der Art. Allerdings ging es doch nur um kulturelle Unterschiede … oder?
Mathéo hatte nochmal kurz nachgedacht, ehe er sich dazu entschied, bei seiner eigenen Auffassung zu bleiben. Vater hatte ihm beigebracht, immer der eigenen Überzeugung treu zu bleiben. Hinterfragen: ja; aber grundsätzlich sich selbst treu sein. »Jaaa, also … dann bin ich mal ehrlich!«, begann er seine schicksalsträchtige Antwort. »Aber mit altmodisch hat das meiner Meinung nach absolut nichts zu tun. Bei uns in Europa nutzt man solche Geräte einfach nicht … oder nur sehr, sehr wenig. Ich kann mich nicht entsinnen, einen Reiskocher daheim gesehen zu haben. In Großküchen bietet der sich sicherlich an, aber allgemeine Mutter und Großmutter macht es sicher nach wie vor auf der herkömmlichen Art. Dass man auf dieser Seite des Globus grundsätzlich zum Reiskocher greift, ist doch voll kulturell geprägt; oder die Gesellschaft ist nunmal so. Die mampfen auch deutlich mehr Reis und da ist es nachvollziehbar, dass sie zu einfacheren Mitteln greifen. Ich hätte auch keine Lust, jeden Tag einen Topf aufzusetzen. Aber mit dem Kocher hier geht das ruckzuck. Also mach dir keinen Kopf. Take it easy.«
Irgendwie war ihm immer noch etwas mulmig zu Mute, weil er das Gefühl hatte, Helena rechnete dem Ganzen mehr Dramatik zu, als er es sich ausmalen konnte. Um sich jedoch wieder auf die ruhige Bahn des Wohlbefindens zu ziehen, wechselte er einfach das Thema. »Ich kümmre mich dann mal ums Schnippeln, okay?« Was er sich vorher schon ausgedacht hatte, kündigte er nun auch an. Helena konnte sich um das Vermengen, Kochen und sonstwas kümmern. Mathéo würde die ganze Vorbereitung machen. Entsprechend nahm er sich Messer und Brett. Zuerst sollte es ja dem Hühnchen an den Kragen und die Sehnen gehen. »Kochst du viel? Nur für dich oder auch für die anderen im Wohnheim?« Und was wäre ein guter Themenwechsel ohne eine neue Frage in eine ganz andere Richtung?
So schnell wie das Rezept zwischen den beiden ausgetauscht war, so schnell ging es weiter. Das sich Helena dabei auf die Reis-Thematik fokussierte, ließ sich sehr leicht an dem Reiskocher selbst begründen. Er faszinierte sie und war im gleichen Moment so etwas wie ein Sakrileg ihres eigenen Küchenverständnisses. Lediglich ihre Offenheit gegenüber neuen Dingen – und die Erkenntnis, dass sowas praktisch sein kann – hielt sie von unqualifizierten Kommentaren ab. Stattdessen ließ sie den Tristam an ihrer Gedankenwelt teilhaben und überließ ihm auch sogleich die Evaluation des ganzen Szenarios. „Ich bitte darum.“, ermutigte sie ihn und wartete nun auf seine ehrliche Erklärung. Würde man Helenas Blick in diesem Moment werten müssen, den sie ihm von der Seite aus zuwarf, so würden selbst hochqualifizierte Menschenkenner wohl ins Schwitzen kommen. Mit dem Lächeln eines Wolfs im Schafspelz, studierte sie die Reaktionen Mathéos und hielt sich mit weiteren Andeutungen dezent zurück. Erst, als er wirklich damit begann eine Antwort zu formulieren, stellte sie kurzzeitig ihre Arbeiten am Essen ein. Jetzt, für diesen Moment, hatte er ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich liegen. Was vor allem daran lag, dass Helena ihn damit auf die Probe stellte. Wie lange brauchte er, um zu antworten? Zögerte er lange, oder kurz? Oder – und diese Frage war sehr wichtig – verbog er sich selbst, um auf Akzeptanz zu stoßen. Letzteres würde sie zwar erst über Zeit herausfinden, aber Lügen deckte man meist immer sehr schnell auf. Besonders, wenn sie vom anderen nicht konstant bedacht wurden und das … war immer der Fehler aller „aalglatten“ Leute. Interessant war für sie, dass er ihre eigens aufgestellte Behauptung über sich selbst negierte und auch noch eine Begründung dafür lieferte. Der Bezug auf Europa und die anders entwickelte Küchenkultur war clever und die Perspektive erstaunlich vielseitig. Innerlich schmunzelte sie darüber. Wie konnte man dort was falsches hineininterpretieren? Eloquenz war manchmal alles, worauf es ankam.
„Na dann werde ich es mal easy nehmen.“, ließ ihn Helena absichtlich über die Qualität seiner Antwort im ungewissen und begann wieder ihre Arbeit in der Küche aufzunehmen. Als wäre nie etwas gewesen, kehrten ihre blauen Augen auf die Arbeitsplatte zurück und sie führte ihre Zubereitung weiter. Lediglich das subtile Zucken ihrer Mundwinkel war am Ende ein leichtes Zeichen der Entspannung für ihn. Das hieß, wenn es ihm auffiel und er es – wer hätte es gedacht – so auffasste. „Ja, tu das. Ich werde derweil den Rest vom Hühnchen vorbereiten und die Pfanne aufsetzen.“, ging sie gleichzeitig mit ihm zum neuen Thema über. Während die Pfanne schon dabei war auf Betriebstemperatur erhitzt zu werden. Den Butterschmalz würde sie erst am Ende hinzugeben, um unnötiges warten zu verhindern, sollte der Tristam nicht so schnell mit dem Fleisch vorankommen. Dementsprechend stand sie nun erstmal dort und wartete auf die Fertigstellung der kleinen und zarten Fleischstückchen.
Langeweile kam trotzdem nicht auf, eher das Gegenteil war der Fall. Die Aussage mit dem Reiskocher – und vermutlich auch die Tätigkeit im Generellen – hatten weitere Fragezeichen hervorgerufen, dessen Wissensdurst unbedingt gestillt werden wollte. Nicht, dass die Französin sich dort verweigerte. Nein, ganz im Gegenteil. „Naja, für alle im Wohnheim koche ich ganz sicher nicht.“, erwiderte sie sichtlich amüsiert über die Arbeitsbereitschaft, welche der Tristam ihr da gerade unterstellte. „Eher für meine Schwester und mich, oder ich trommle die Mädels zusammen und wir machen was.“, führte sie das Ganze weiter aus und ließ den Klotz Butterschmalz in die Pfanne sinken. Das ihre Mädels-Abende dann damit endeten das sie kochte und die anderen nur halfen, störte sie dabei herzlich wenig. Immerhin hatte Alix es auch nie anders gemacht, aber das musste sie auch nicht. Es ging darum etwas gemeinsam zu tun, was mit sowas einfach wunderbar klappte. Außerdem lud es zu Späßen und Unsinn ein … naja, meistens zumindest. „Aber so wirklich oft mache ich es im Vergleich zu vorher auch nicht mehr. Obwohl ich stolz behaupte, dass ich mich wieder auf zwei Mal pro Woche gesteigert habe.“. Was die Blondine auch dazu veranlasste mit ihrer freien Hand zwei Finger auszustrecken und in seine Richtung zu halten. „Ansonsten mach ich nur ein paar kleine Leckereien für zwischendurch, wenn mich die spontane Lust packt. Der Fakt für sowas jedes Mal in diese große Küche dort zu gehen ist allerdings ein richtiger Abturner … und die Preise.“, sie zuckte mit den Schultern, „Vermutlich ist es deswegen ein bisschen ruhiger um das Thema geworden.“, ein ausgelassenes Lachen folgte, „Rumgesprochen hat sich die Kochkunst auf jeden Fall nicht.“. Aber ob das gut oder schlecht war, musste man hier dem Betrachter überlassen. Eine Lobpreisung für die aus dem Gourmet-Land stammende junge Dame wäre es alle Male. „Wieso? Hast du das Gefühl eine Essenssensation verpasst zu haben?“, grinste sie leicht frech zu ihm rüber und gab der Pfanne vor sich einen kleinen Rüttler. Das er ihr darauf nicht wirklich antworten musste, machte sie deutlich indem sie direkt weiter das Redezepter bei sich behielt. „Was ist mit dir, Mathéo?“, kam sie zur eigentlichen Frage und deutete auf den Reiskocher. „Man holt sich sicherlich keinen Reiskocher, um ihn am Ende nicht zu nutzen. Außerdem…“, sie schaute symbolisch in der Küche herum, „… ist die Küche viel zu nett, um sie nur ab und zu mal anzuwerfen.“. Ob sie damit nun recht hatte, sie wusste es nicht. Vielleicht kochte er auch nur um jemanden zu beeindrucken? Wer wusste das schon. Alles, was Helena tat, war lediglich Vermutungen in den Raum zu werfen, um ihn an ihren Gedanken teilhaben zu lassen. Keineswegs aber, um den Tristam in irgendeiner Weise zu verurteilen. Falsch liegen war ja nicht schlimm, er konnte sie ja im Notfall berichtigen.
Matheo
Mathéo Tristam
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Schnipp, schnapp, Köpfchen ab, hätte Mathéo trällern können, wenn das Hühnchen vor ihm noch in einem Stück wäre. Doch unter seinen Händen glitschten nur die vollen Brüste und verlangten danach, von Sehnen befreit und in mundgerechte Stücken geschnitten zu werden. Dies ging dem Tristam mit größter Leichtigkeit von der Hand, denn er zückte sein hochwertiges Santoku aus Damaszenerstahl. Jemand mit seiner Herkunft kannte sich natürlich bestens mit weltweiten Schmiedekünsten aus. Zusammen mit seinem Vater hatte er japanische Meister besucht, um von ihnen zu lernen oder sie sogar für die eigene Firma anzuwerben. Mathéo konnte also die Qualität eines Messers haargenau bestimmen. Gleichzeitig legte er großen Wert bei der Wahl seines eigenen Sortiments. Entsprechend hatte er seine persönlichen Schmuckstücke in den gemeinsamen Haushalt mit Julia einfließen lassen. Höchste Qualität lag in diesem Moment in seiner Hand und wartete nur darauf, durch das Fleisch zu gleiten, als wäre es nur warme Butter. Selbstverständlich hatte das Messer auch sein Sümmchen gekostet und nicht weniger verwunderlich war, dass er Julia zu Beginn eine Extra-Einweisung im Umgang damit spendiert hatte. Das Wichtigste war zuerst, die Messer nicht plump in der Schublade aufzubewahren. Da gehörte das einfache Buttermesser hin. Ein gutes Damastmesser jedoch musste alleine gelagert werden: In Mathéos Fall in einem Messerblock. Dort konnte es nicht mit anderen Gegenständen zusammenstoßen und über lange Zeit Schaden nehmen. Zweite Regel besagte, dass als Schneidebrett nur solche aus Holz gekauft wurden. Alles andere schadete der Klinge wiederum. Kunststoff wäre zwar auch noch möglich, doch bestand hierbei die Gefahr, kleine Partikel vom Brett ins Essen zu befördern. Und drittens …
Mathéo hatte beinahe vergessen, dass Helena auch noch da war. Sein gutes Messer in der Hand zu halten, hatte seine Gedanken sofort meilenweit entfernt in eine rosarote Traumwelt befördert. Dort würde er Helena jedoch nicht hören können und sie würde umsonst auf seine Frage antworten. Schnell holte ihn die gute Stimme in seinem Kopf daher zurück in die Realität und zog ihm seine Löffel lang, damit er seine Aufmerksamkeit der Französin wieder widmete. »Hm«, murmelte er kurz, um den Eindruck zu erwecken, er würde ihr konzentriert folgen. Stattdessen versuchte er in seinem Unterbewusstsein herauszukramen, as er bereits verpasst hatte. Unterm Strich nahm er mit, dass sie gerne häufiger kochen würde, die Möglichkeiten im Wohnheim sie jedoch davon abhielten bzw. sie sogar verschreckten. Mathéo vermutete daher, dass sie, wenn sie hier bei ihm wohnen würde, jeden Tag in der Küche stehen würde. Vielleicht müsste man sogar die Brechstange holen, um sie überhaupt wieder von diesem Raum zu trennen. Was sie wohl am liebsten kocht?, fragte er sich nebenher. Es waren sicher nur bewusst gesunde Sachen. Mädchen ihrer Art legten oft Wert auf ihre Ernährung, damit es mit der Figur und dem Wohlbefinden passte. Helena machte den Eindruck, dass es bei ihr nicht anders war. Mathéo würde sogar so weit gehen, dass sie sich hin und wieder ihren Obstsalat machte, einen knackigen Salat, einen frischen Smoothie. Hühnchen war nun auch nicht wirklich das Männerfleisch. Mathéo konnte sich dagegen sehr für Wild und Rind begeistern. Je nach Kontinent war die Fleischzucht eine Wissenschaft für sich geworden. Allein der Gedanke an ein gutes argentinisches Steak ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen … Der Blick hinab auf das zerstückelte Hühnchen relativierte seine Ekstase sofort wieder.
»Na ja, das Haus ist auch ein wenig zu groß für eine kleine Küche, eh?«, um erst mal auf ihre Aussage zu der netten Küche einzugehen. Dann aber schwenkte er zurück zu seinem eigenen Kochverhalten und stellte es Helenas gegenüber. »Vermutlich würde ich auch gerne mehr kochen, als ich es momentan mache. Aber keine Ahnung, warum. Vielleicht liegt es an einer Sommerkochdepression oder so.« Er lachte leicht auf und ging hinüber zum Waschbecken, um das Messer abzuwaschen. »Den Reiskocher gibt’s übrigens nur, weil das in der Region einfach so üblich ist; und ich probiere gerne lokale Spezialitäten aus - will ich es mal nennen. Aber eigentlich bin ich mehr der Grillmeister. Früher bin ich mit Vater manchmal zur Jagd oder zum Angeln; und was wir dann erwischt haben, das wurde später anständig zubereitet. Wir haben da mehr Wissenschaft draus gemacht, als es der einfache Koch wohl machen würde.« Kurz schossen ihm die Erinnerungen in Form von aufblitzenden Bildern durch den Kopf. Er wäre damals am liebsten viel öfter mit seinem Vater in der Natur gewesen und dem menschenähnlichen Jagdhobby nachgegangen. Nicht nur konnten sie dabei ihren Faible für Schusswaffen ausleben, sie konnten auch ihre Gier nach gutem Fleisch stillen. »Hier auf die Jagd zu gehen, ist ziemlich … schwer … Aber angeln könnte ich mal wieder. Jetzt wo ich so drüber nachdenke, wäre das keine schlechte Idee.« Und das meinte er todernst. Warum war er bisher nicht darauf gekommen?
Das Messer verschwand wieder im Messerblock. Als nächstes waren die Dosen mit den Cocktailfrüchten dran. Außerdem mussten die Ananasringe in kleinere Stücken geschnitten werden, wofür er zu einem einfacheren Messer griff. »Aber wie es scheint, haben wir ein paar Sachen gemeinsam. Alleine kocht wohl keiner von uns gerne.« Er grinste breit. »Also mir persönlich macht es alleine zumindest keinen Spaß. Zwar schmeckt’s mir auch, wenn keiner lobt, doch irgendwie … ist es trotzdem etwas anderes, wenn keiner auf der anderen Seite sitzt, dem man am Gesicht ablesen kann, ob es ihm schmeckt. Zwei positive Meinungen sind überzeugender als eine einzelne, eh?« Mathéo würde sich niemals als die soziale Art von Dämon beschreiben, der sich darüber freute, für andere kochen zu dürfen. Viel mehr freute er sich, wenn er wusste, dass er sein Essen hervorragend zubereitet hatte; und das auf ganz spezielle Art. Spaghetti machen oder Suppe rühren war was für die Küchenmagd. Er aber wollte am liebsten richtige Männergerichte zubereiten, wo er während der Zubereitung schon emotional abging.
»Done!«, kündigte er schließlich das Ende seiner Schnippelarbeit an. Alle Vorbereitungen waren von seiner Seite aus erledigt. Der Rest lag nur noch an Helena. Was ihm an der Stelle jedoch plötzlich einfiel: »Ach, ganz vergessen: Willst du was zu trinken? Wasser? Saft? Limo? Irgendwas?«
„Eine Sommerdepression beim Kochen, ernsthaft?“, fragte sie sichtlich ungläubig in seine Pause und lachte sichtlich amüsiert. Das man beim Lesen oder Sport machen in lange Phasen des Nichtstuns stürzte, das war der Engelin sehr wohl bekannt. Aber beim Kochen? Wirklich? Sie würde gerne mal wissen welcher Koch das bei ihm ausgelöst hatte, musste ja grauenhaft gewesen sein. So wie die eine Pizzeria bei ihrem Klassenausflug damals, einfach nur schrecklich war das. Mathéo musste ihr darauf aber auch nicht antworten. Man konnte das einfach so stehen lassen. Nicht alles musste unbedingt immer Kommentiert werden. Genauso wie der immer wiederkehrende Reiskocher. Die Geschichte aus seiner Vergangenheit war sowieso viel interessanter, als es ein simples Kochinstrument jemals sein konnte. Interessiert lauschte sie der für sie ungewöhnlichen Freizeitbeschäftigung und kam um das sonderbare nicht herum. Jagen und Angeln war auf jeden Fall nicht das was die Engelin ansprach, aber es war neu. Noch nie hatte sie jemanden getroffen, der so begeistert von seinen Ausflügen in die Natur sprach. Für einen kurzen Moment versuchte sie sich den Tristam beim Jagen mit seinem Vater vorzustellen. Ein rothaariger alter Mann und sein kleinerer Sprössling daneben. Beide mit Blattwerk übersäht, oder in einem dieser Jagdstände. Jederzeit bereit ihr heutiges Abendessen zu erlegen, damit sie triumphant nach Hause zurückkehren konnten. Sie schmunzelte leicht bei dem kleinen Kopfkino. Musste echt toll gewesen sein. Vielleicht war es das sogar noch? Ein kurzer fragender Blick tauchte in ihrem Gesicht auf, während sie versuchte aus dem wohl leicht nostalgischen Gesicht ihres Gegenübers eine Antwort zu ergattern. Am Ende jedoch blieb ihr nur das Schätzen übrig und darauf verließ sich Helena immer sehr ungern. Was sie aber mit Sicherheit sagen konnte war, dass Jagen eindeutig nicht ihr Stil war. Zelten und Wandern war ja noch in Ordnung, aber damit konnte sie sich selbst beim zweiten darüber nachdenken nicht anfreunden. Das war in ihren Augen eine Sache, wo sie den Jungs bereitwillig den Vortritt einräumte. Sie war ein Mädchen der Großstadt, mit allem was dazugehörte. Ihr Mitleid bezüglich fehlender Jagdgelegenheiten hielt sich dementsprechend in Grenzen. Lediglich beim Angeln konnte sie den Dämon zumindest Ansatzweise verstehen. „Klingt auf jeden Fall cool.“, würdigte sie den Einblick in sein Leben mit einem demonstrativen Nicken und selbstsicherer Stimme, musste dann aber belustigt den Kopf schütteln. „Außer das mit dem Grillmeister. Das haben mir schon so viele gesagt und es war bis jetzt immer.“, sie hob verdeutlichend ihren Zeigefinger, „Wirklich immer zwischen Holzkohle und Trockenfleisch. Das glaube ich also erst nach Beweisvorlage.“. Und sie ließ da auch nicht mit sich diskutieren. Es gab immerhin Gründe, warum sie bei den meisten Feiern immer zum Salat gegriffen hatte. Lag vermutlich wohl auch daran, dass man in ihrer Altersklasse gerne mal ein bisschen Bier über’s Fleisch kippte und sich toll fühlte. Nun, Frankreichs Gourmetsinn war eben nicht in allen Köpfen präsent, dagegen konnte man nichts machen.
Zum Glück jedoch konnten sich beide hier wieder auf das Kochen im Allgemeinen einigen. Das breite Lächeln wich der Französin dennoch nicht von den Lippen. Vielmehr hatte es sich dort festgesetzt und wollte einfach nicht verschwinden. Da wirkte es durchaus etwas sadistisch von ihr in diesem Moment das Hühnchen in die Pfanne zu kippen. Wenn sie also der Küchenteufel war, dann musste man den spritzigen Klang von bratendem Fleisch als Hymne der Hölle betrachten. Alles, was fehlte, war die wahnsinnige Lache. „Nun, klar. Eine Rückmeldung ist immer gut. Man will ja auch wissen, ob man es gut gemacht hat. Kann ich also nur verstehen.“, stimmte Helena zu, während sie schon damit begann den Fruchtsaft und die Kokosmilch neben der Pfanne bereitzustellen. Zugegeben: Ein Feedback war beim Kochen immer wichtig. Aber der Tristam ließ es irgendwie so klingen als ob es nur darum ging. Besonders die positiven Rückmeldungen ließen ihre Spinnensinne leicht ausschlagen. Alles was er sagte zielte irgendwie auf Erfolg ab. Aber ob es nur darum ging? Für sie nicht. Wenn sie sich daran zurückerinnerte wie oft ihre Wenigkeit etwas verpatzt hatte und dann jeder am Tisch eine Grimasse zog. Oder das eine Mal, wo sie ihren ersten Reis so versalzen hatte, dass ihr Gesicht in die Fotogeschichte des Kühlschranks einging, weil Alix im richtigen Moment eine Kamera zur Hand hatte. Oder die kleine aber feine Puddingschlacht, einfach, weil man Lust darauf hatte. Als stolze Französin musste sie natürlich ihrem Selbstverständnis einer guten Köchin früher oder später gerecht werden, aber der Weg war in ihren Augen trotzdem das Ziel. Es ging um die Zeit, die man miteinander verbrachte. Aber erstmal fehlten ihr die richtigen Worte, um wirklich eine gute Antwort zu liefern.
Insbesondere als alles vorbereitet war und nur noch zusammengesetzt werden musste, blieben die Gespräche sowieso erstmal auf der Strecke. Bis auf ein, „Ich nehme eine Wasser, wenn’s dir nichts ausmacht.“, flossen nun eher weniger Worte zwischen ihnen hin und her, bis schließlich die fertige Speise bereit zum Servieren war und die letzten Vorbereitungen am Tisch abgeschlossen waren. „So, ich bringe es gleich rüber. Nimm du doch bitte den Reis, ja?“, kündigte die Pariserin nach einem kleinen Testlöffel an und freute sich schon darauf endlich etwas zu essen zu bekommen. Am Tisch angekommen und zu allem bereit, nutzte sie die Chance, um das Ganze von vorhin nochmal aufzugreifen. „Was das mit dem Kochen angeht … da gibt es noch mehr.“, und Helena machte bewusst eine kleine Pause, um sich seiner Aufmerksamkeit zu vergewissern. Ob er die Aussage richtig deutete, war wiederrum eine andere Sache. „Ich finde da ist mehr als nur gutes oder schlechtes zubereiten. Es ist für mich ein Unterschied, ob ich jemanden zum Kochen, oder zum Essen einlade.“, vollendete sie ihre kryptische Antwort mit einem charmanten Grinsen. Das Kochen hier eine eindeutig sozialere und bessere Art des Umgangs bei ihr war, musste sie ihm sicherlich nicht erzählen. Man lernte sich besser kennen. Das Thema mit ihrer Familie hätte Helena nie im Leben bei einem bloßen Essen angeschnitten. So hatte er eine leichte Facette von ihr kennengelernt, sowie umgekehrt. Allerdings … vielleicht machte Mann da keine großartige Differenzierung. Sie hingegen hatte auf jeden Fall schon den einen oder anderen „Anwärter“ auf diese Weise aussortiert. Klang drastisch, war aber so.
Matheo
Mathéo Tristam
309 Charakterbogen Aufenthaltsort: Aktuelles Outfit: grüne Haremshose mit orientalischem Muster, schwarzes Leinenhemd, kein Stirnband, Augenklappe
»Wenn sich die Gelegenheit bietet«, bot Mathéo ihr sofort an, als sie nach einem Beweis für sein Grillmeister-Dasein verlangte. Ihren Zweifel konnte er gut verstehen. Grillen war ein weit verbreiteter Sport, was nicht unbedingt dafür sorgte, dass die Qualität der Ergebnisse auch in der Breite hoch veranlagt war. Gerade weil es so viele gab, stieg auch der Anteil der Möchtegernmeister. Im Durchschnitt war alles essbar, also immer noch außerhalb von Holzkohle und Trockenfleisch; trotzdem gab es viele, die es übertrieben. Vielleicht stieg auch einfach nur der Anspruch des Gaumens, wenn man immer dieselbe Grillqualität aß. Dann reichte irgendwann das Fleisch nicht mehr, welches vor zwei Jahren noch geschmeckt hatte. Mathéo konnte an der Stelle nur von sich sprechen: Und er hatte es sein gesamtes Leben noch nicht geschafft, seinen Gefallen an Grillfleisch zu verlieren. Gleichzeitig gab er auch zu, dass seine Anfänge nicht die besten waren und er sich stetig verbessern konnte. Meister fielen nunmal nicht vom Himmel, sondern mussten erst wachsen und sprießen. Harte Arbeit steckte in der Pflege seiner Fähigkeiten. Da half Talent nur als Basis, ersetzte jedoch nie den eigentlichen Aufwand. Früher unter Freunden wurde er immer als Multitalent bezeichnet, der sich nicht anstrengen musste, um etwas zu erreichen. Dabei sahen sie immer nur die Ergebnisse und nie den Weg, den der Tristam zu diesem Punkt hatte beschreiten müssen. Doch deshalb nahm er ihnen ihre Aussagen nicht übel. Woher hätten sie es auch besser wissen sollen?
Doch zurück zur Gegenwart. Helena war gut dabei, das Essen zu finalisieren. Nebenher wurde der Küchentisch gedeckt und das bestellte Wasser geliefert. Für letzteres ging Mathéo zum Kühlschrank hinüber und holte eine bauchige Karaffe heraus, in deren Hals ein Korken steckte. Diesen musste er nur entstöpseln und schon konnte er Helena ein Glas mit klarem, gefilterten Wasser einschenken. Als Europäer besaß er einen anderen Anspruch an das Leitungswasser, als es bei den Japanern der Fall war. Tatsächlich könnte er das Wasser hier auch ungefiltert trinken, doch störte ihn der Beigeschmack, der durch das Chlor existierte. In dieser Region der Welt wollte man so für einen gesunden Tropfen im Hahn sorgen. Das war auch in Ordnung. Aber es schmeckte eben nicht wie daheim in good ol’ Europe - zumindest in den besseren Regionen des Kontinents. »Ich stell’s dir direkt auf den Tisch«, sprach er zu Helena und platzierte das Glas neben Teller und Besteck.
Danach ging es auch schon recht flott mit dem Servieren. Helena kümmerte sich um das Curry und Mathéo füllte einen Batzen Reis aus dem Kocher in eine Schale, die er ebenfalls auf den Tisch stellte. Auf diese Weise war alles im Nu erledigt. Einzig das Kochthema war noch nicht vom Tisch. Mathéo schaute aufmerksam hinüber zur Chevalier und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Scheinbar wollte sie sicher sein, dass er sie im Blick hatte. »Hm«, murmelte er zuerst nur nachdenklich hinsichtlich ihrer Aussage. Parallel dazu nahm er schon mal Platz und auch Helena machte es sich bequem. Nacheinander füllten sie ihre Teller, wobei Mathéo ihr zuerst den Reis reichte, ehe er sich selbst bedienen wollte. An der Stelle kam wieder der kleine Gentleman durch, welcher Wert darauf legte, dass die Dame zuerst Speis und Trank erhielt. Apropos Trank: Mathéo stand nochmal auf, um sich ebenfalls ein Glas mit Wasser zu füllen. Angenehm kühl war es dank der Lagerung. »Willst du darauf hinaus, dass man daheim im Vertrauten kocht und meist auswärts auf neutralem Boden essen geht? Also ich stimme dir voll und ganz zu, dass es da einen Unterschied gibt. Aber das hatte ich vorhin eher außen vor gelassen. Wenn du das aber explizit ansprichst: Japp. Man nimmt ja jemanden beim ersten Date beispielsweise auch nicht direkt zu sich nach Hause. Zuerst der neutrale Boden. Aber je nach Vertrauen und Interesse, wechselt man zu einer vertrauteren Umgebung, die auch mehr über dich selbst aussagt.« Mathéo wedelte zur Unterstützung etwas mit der Gabel und deutete dabei auf Helena. »Schmeckt übrigens sehr gut.« »Ich glaub’, ich hätte früher nie zugelassen, dass jemand meinen Vater und mich bei unseren Grillsessions stört. Ich wäre vermutlich voll das bockige Kind gewesen und hätte darauf bestanden, dass jeder andere verschwinden soll. Wenn ich es wirklich zugelassen hätte, dass jemand anderes dabei sein darf, wäre das ein super enormer Vertrauensbeweis gewesen; und es wäre ein Zeichen gewesen, dass ich etwas sehr, sehr wichtiges in meinem Leben teilen möchte.« Einen kurzen Moment dachte er nochmal über seine Worte nach und nahm dabei einen Happen. Erst danach sprach er weiter. »Also wie gesagt: Kann dich da voll verstehen. Wenn mich jemand zum Kochen einlädt, würde ich mich geehrter fühlen als wenn ich nur zum Essen eingeladen werde.« Zum Glück für den Tristam plauderte er mehr unüberlegt statt überlegt drauf los, ansonsten würde er sich nun wohl Gedanken darüber machen, was er im Detail von sich gegeben hatte. Zwar schätzte er die Zweisamkeit gerade nicht als Date ein, doch wer wollte, konnte es missinterpretieren; und dann wären seine Aussagen zum ersten Date vielleicht sogar irreführend. Nur für Mathéo war es das nicht, denn er trennte seine Worte von seinen Taten klar.
Helena zögerte kein bisschen, als ihr der Reis hinübergereicht wurde. Sie hatte im Verlauf des Nachmittags einfach nur eine ungeheure Menge an Hunger angehäuft. Da waren selbst bei ihr jegliche Manieren bezüglich irgendeiner Reihenfolge erstmal nebensächlich. Es war ihrer guten Schauspielkunst zu verdanken, dass sie nicht wie ein Wolf wirkte, der gerade seine Beute vor sich liegen hatte. Erst als Curry sowie Reis auf dem Teller waren, beruhigte sich das Gemüt der Französin etwas. Gerade genug, um Mathéo die Zeit zum eigenen Befüllen des Tellers einzuräumen. Die Erziehung der Chevalier tat dann ihr übriges, um eine vorzeitige Kostprobe zu verhindern. Man fing schließlich erst an zu essen, wenn jeder am Tisch etwas hatte. Die Etikette gebot es so und sie selbst würde einen Teufel tun und das nun so einfach unter den Tisch fallen lassen. Auch – das musste man in diesem Fall leider sagen – wenn es ihr extrem schwer fiel. Dann jedoch war es endlich soweit. Mit einem „Guten Appetit!“ eröffnete sie die Tafel und hielt im gleichen Moment schon wieder inne, weil ihr Kochgefährte erneut vom Stuhl aufgestanden war. Etwas verwirrt schaute sie ihm nach und verstand nicht so wirklich, was jetzt noch fehlte. Wollte er nachwürzen, bevor er überhaupt etwas probiert hatte? Eine Frage die ihre Wenigkeit mehr beschäftigte, als sie es wohl eigentlich sollte. Umso erleichterter war sie, als er nur mit einem Glas wieder in ihr Blickfeld trat. Gut, falscher Alarm! Erleichtert und zu einem kleinen Teil auch glücklich lehnte sich Helena entspannt zurück. Als auch der Dämon endlich ein Getränk sein eigen nennen konnte, hob sie leicht ihr Glas in die Höhe, nickte ihm zu und genehmigte sich sofort einen Schluck. Ihr Hals würde es der Französin im Angesicht der heißen Speise danken, keine Frage.
Was ihre letzten Gedanken bezüglich des Unterschiedes zwischen Kochen und Essen gehen betraf, musste sich die Blondine selbst etwas berichtigen. Sie hatte nicht damit gerechnet eine wirklich differenzierte Antwort zu dem Thema zu bekommen. Noch dazu, weil sie das nicht unbedingt von Jungs gewohnt war. Ein Vorurteil, dass in ihrem Kopf an vielen Stellen präsent war, wenn auch nicht so stark ausgeprägt. Verwunderlich war es also nicht, dass man die Chevalier mehrmals beim Nicken erwischte. Eigentlich hatte sie zu der Erklärung nichts mehr hinzuzufügen. Beinahe schon etwas erschreckend, wenn man es so betiteln wollte. Man könnte gerade meinen das der Tristam ein Meister im Gedankenlesen war. Auf der anderen Seite, wenn sie so an seine vergangenen Verhaltensweisen und Gesten dachte, konnte es auch einfach an Erfahrung und Erziehung liegen. Auf jeden Fall nichts, was man an einfach so an jeder Straßenecke fand. Allein das Gespräch an sich war für einen simplen Nachmittag schon echt speziell. Das Einzige, was das noch zu toppen vermochte, war das Essen. Helena selbst schmeckte es unglaublich gut. Ihr Gegenüber schien das ähnlich zu sehen. „Lob an die Köche.“, sprach sie zwischen nach dem letzten Happen kurz ein Kompliment an das hier anwesende Küchenpersonal aus und ließ ein kurzes Kichern folgen. Zu wirklich vielmehr kam sie auch nicht. Auch, wenn die Blondine gerne etwas dazu eingeworfen hätte. Anscheinend hatte sie den rothaarigen Piraten ein bisschen in Redelaune versetzt. Was aus ihrer Sicht ein glatter Erfolg war, wenn man betrachtete wie distanziert ihr Mitschüler in den Tagen und Wochen davor auf sie gewirkt hatte.
„Dann bin ich vielleicht doch nicht so undurchsichtig, wenn du das verstehst.“, erwiderte sie leicht belustigt über die finale Zustimmung des Tristams, während sie sich seine Worte von vorhin nochmal ordentlich durch den Kopf gehen ließ. Es war für sie klar ersichtlich, dass sein Vater eine wirklich größere Rolle in seinem Leben eingenommen haben musste, als es bei anderen der Fall gewesen war. Nicht nur, weil er es selbst sagte. Seine Mutter kam nur bei einem Beispiel vor … und das war auch noch ein Negatives. Insbesondere seine Art zu reden, wie seine Mimik und Gestik miteinander arbeiteten … Helena erkannte ohne Probleme, wie viel in Realität dahintersteckte. Mathéo machte seinen Standpunkt mehr als klar: Er bedeutete ihm wirklich, wirklich viel. „Aber klar. Jemanden zuhause einzuladen ist zum einen wirklich ein Vertrauensbeweis, aber auf der anderen Seite auch ein heikles Thema, wo es ohne Vertrauen auch einfach nicht geht.“, ging sie trotzdem erstmal auf das als letztes gesagte ein, um Verwirrung zu verhindern. Eine Aussage, die gerade sie selbst mehr als nur unterstreichen konnte. Man kannte ja gerne einmal das Klischee, dass Eltern immer sehr genau hinsahen, wenn die Tochter etwas mit nach Hause schleppte. Nun, ihre Familie war nicht anders. Besonders beim Kochen sah ihre Mutter schon mehr oder weniger Hochzeitsglocken läuten. Aber was war eine Familie ohne ihre Macken? Eigentlich, wenn man es genau nahm, waren es sogar drei Beobachter gewesen. Mutter, Vater und Alix, hieß die Jury im Hause Chevalier. Drei kritische Augenpaare, welche nur das Beste für die gesträhnte Köchin des Haushalts wollten. Ein Problem, von dem sich die Jungs immer gut distanzieren konnten. Die Engelin hatte zumindest noch nie Probleme gehabt, wenn sie bei irgendjemandem im Haus zu Gast war. „Auf jeden Fall stellt sich mir die Frage, ob du dich jetzt geehrt fühlst. Oder ob ich mich geehrt fühlen sollte.“, grinste sie keck zu ihm hinüber und legte im gleichen Zug das Besteck auf ihren leeren Teller. Die Vater-Thematik wurde aufgeschoben. Vor allem, weil Frau auch wusste, wann gewisse Themen angebracht waren und wann nicht. Sie wollte ihn nicht mit wissbegierigen Fragen und Aussagen wieder zurückweisen, damit er sich am Ende doch wieder verschloss. Außerdem würde es auf Themen hinauslaufen, zu denen sie selbst keine Auskunft geben wollte. Aber das nur ganz am Rande. „Ich würde sagen …“, und sie ließ ihren Blick kurz ein wenig durch den Raum wandern, ehe sie mit den blauen Augen wieder bei seinem Gesicht zum Stehen kam, „… das ich mich geehrt fühle hier einen gechillten Nachmittag verbracht zu haben. Es hat mir auf jeden Fall echt Spaß gemacht.“, und das meinte sie wirklich ernst. Die Blondine vergab Komplimente zwar immer sehr breitflächig, aber wenn ihr etwas nicht gefiel, äußerte sie das auch so. „Du bist in Ordnung, Mathéo.“, und ihre helle Stimme schwang in einen eher frechen Ton um, „Deswegen helfe ich dir auch beim Abwasch.“. Und man soll ja bekanntlich auch aufhören, wenn es am Schönsten ist. Sie hatte heute Abend ja auch noch etwas vor. Einen Aquapark-Besucher ausquetschen, oder mit Lu ein bisschen in ihrem Zimmer rumsitzen und Musik hören. Bei der Hitze blieb ihnen ja auch nichts anderes übrig.
Matheo
Mathéo Tristam
309 Charakterbogen Aufenthaltsort: Aktuelles Outfit: grüne Haremshose mit orientalischem Muster, schwarzes Leinenhemd, kein Stirnband, Augenklappe
Zugegeben: Mathéo wusste gar nicht, wie es war, jemanden zu sich zum Kochen einzuladen. Nicht mal zum Essen hatte er jemanden eingeladen - maximal auswärts. Sein Familienhaus war damals kein Ort gewesen, an dem sich einfache Menschen herumtreiben sollten. Spätestens in Mutters Augen wäre es eine Untat gewesen; und niemand hätte gewährleisten können, dass seine Freunde wieder in einem Stück und unbeirrt das Haus verlassen durften. Warum er also Helenas Sichtweise verstehen konnte, das wurde ihm erst jetzt bewusst. Früher hatte er anders darüber gedacht. Damals hätte er Leute nur eingeladen, wenn er sie loswerden wollte oder wenn sie rein von der Natur her etwas besonderes waren. Niemals wäre er auf den Gedanken gekommen, eine Schnecke mitzubringen, um mit ihr die heimische Küche unsicher zu machen; und ihr damit zu zeigen, dass sie ihm etwas bedeutete. Niemals. Erst mit einem frischeren Blick zurück in die Vergangenheit wurde ihm dies bewusst. Außerdem wurde ihm klar, wie sehr er die Zeit mit seinem Vater damals schon geschätzt hatte. Man behauptete so was oft nur aus dem Affekt heraus und setzte sich viel zu selten hin, um diese tiefsitzenden Gefühle wirklich und bewusst zu reflektieren. Umso schmerzhafter sollten sie sich nun aber anfühlen, da Mathéo wusste, sie niemals mehr ergänzen zu können. Ihm blieben nur jene, die er einst machen durfte.
Von dem kurzen Gedankengang in die Vergangenheit und den damit verbundenen Erkenntnissen ließ sich der Tristam jedoch nicht aus der Bahn werfen. Sein Gemüt blieb unverändert - wie auch sein Appetit. Gleichwohl wie Helena genoss er das Mahl, welches ursprünglich am Mittag hatte stattfinden sollen, sich mittlerweile jedoch über den Nachmittag erstreckte. Das Abendessen würde entsprechend spät angesetzt werden. Einziges Hindernis könnte Julia sein, die nach einem langen Arbeitstag ein Zwischending aus Mittag- und Abendessen bevorzugte. Das würde sie jedoch ohne den Tristam angehen müssen. Wobei … Mathéo schaute auf die Uhr an der Wand und fragte sich, wann seine Mitbewohnerin wohl daheim aufschlagen wollte. Bisher war nichts von ihr zu vernehmen und in ihrer knappen SMS hatte sie ebenfalls nichts erwähnt. Die Chance war also groß, dass sich die beiden Blondinen - die junge und die … alte … - verpassten. Interessant, wie Mathéo in dem Moment befand, dass er sich bisher noch gar keine Gedanken über ein solches Schreckensszenario gemacht hatte. Was hätte er gesagt, wenn sich beide plötzlich gegenüberstünden? Nichts natürlich. Er hätte es Julia überlassen, sich darum zu kümmern. Innerlich grinsend nahm er den nächsten Happen und näherte sich schnell dem Ende. Vom Curry wie vom Reis war noch etwas übrig. An den Resten könnte er sich später nochmal erfreuen, insofern sich Julia diese nicht schnappen würde. Vielleicht war es sogar die sozialere Tat, es ihr direkt anzubieten.
Helenas verwirrende Frage, wer sich von den beiden nun geehrt fühlen durfte, war - wie sie bereits näher beschrieben wurde - verwirrend. Mathéo entschied jedoch sofort für sich, nicht nachzufragen, sondern nur ein schwaches Lächeln aufzusetzen, als würde er sich ebenso darüber amüsieren. Manchmal, so dachte er, war es besser, keine Fragen zu stellen. Wann er darauf verzichtete, überließ er seinem Bauchgefühl. In den meisten Fällen hatte es ihn bisher nicht enttäuscht. Außerdem ergänzte sich Helena noch im Anschluss und sprach sehr positiv über den gemeinsamen Nachmittag. Fast schon zu formell klang das Lob, weshalb Mathéo nun ehrlich schmunzeln musste. Erst bei ihrem »Du bist in Ordnung, Mathéo«, schaute er wieder perplex drein. Das war eine sehr zurückhaltende Aussage, die entweder positiv klingen sollte, weil einem sonst nichts einfiel oder klarmachen sollte, dass es mehr halt nicht war. Wer sich also haufenweise Gedanken über den tieferen Sinn des Lobs machen wollte, der war für den Rest des Tages sicherlich beschäftigt. Nicht so der Tristam. Er schaute zwar verwirrt drein, hakte aber auch hier besser nicht weiter nach. Das Abwaschangebot nahm er dagegen dankend an, wenn auch er Helenas gute Absicht direkt enttäuschen musste. »Danke für das Angebot und ja, du bist auch in Ordnung, Helena.« Es fühlte sich super seltsam an, so was zu sagen. »Allerdings muss ich dich direkt enttäuschen. Der Geschirrspüler erledigt die Arbeit. Du kannst mir maximal beim Einräumen helfen.« Der Tag war ja noch nicht vorbei. Auf der Suche nach einer guten Tat würde ihr ausreichend Zeit bleiben. »Und ebenfalls ja: War ein sehr angenehmer Nachmittag. So was sollte ich häufiger machen, bis ich hier meine eigene Kantine aufmachen kann.« Er scherzte natürlich nur. Niemals würde er so einen Tumult veranstalten und sich hinterher mit dem entstandenen Chaos im Haus beschäftigen wollen. Einziger Ansporn wäre seine Neugier, wie Julia wohl dreinschauen würde, wenn sie nach Hause kam und ihre gesamte Schülerschaft bei ihr auf der Couch hockte; der Couch, nach der sie sich den ganzen Tag schon gesehnt hatte. Alte Couchpotato, lästerte er scherzhaft in Gedanken.
Zusammen räumten sie schließlich den Tisch wieder ab und Mathéo verstaute die Reste des Essens, um sie später nochmal warmmachen zu können. Einzig der Reis konnte im Kocher bleiben, denn das Gerät hielt seinen Inhalt bekanntlicherweise über Stunden hinweg warm. In einer kleinen, braunen Tüte sammelte er den Bioabfall. In einer Plastiktüte die leeren Verpackungen und Dosen. Wenn Helena gleich gehen würde, würde er ihr noch bis zum Tor folgen, um dann neben dem Haus den Müll in die Tonnen zu befördern.
Innerlich grinste die Französin recht amüsiert vor sich hin, als sie den etwas aus der Bahn geworfenen Blick Mathéos registrierte. Ob ihn das Lob wirklich so aus der Bahn geworfen hatte? Eigentlich ja nicht, wenn es nach ihr ging. Eigentlich machte er einen viel zu gefassten Eindruck, als das so ein kleiner Satz so massive Auswirkungen haben sollte. Dennoch … es fühlte sich ein bisschen merkwürdig an, als der gleiche Satzbau an sie zurückadressiert wurde. Ein leicht hinterfragender Blick, der einer Musterung durchaus ähnlich war, wanderte noch einmal über seine Gesichtsmuskeln. Die Tonlage und Wortwahl noch einmal innerlich wiederholend. Alles in der Hoffnung ein Indiz für ihre eigene Theorie zu finden und den Redner seiner wahren Absicht zu überführen. Doch egal wie angestrengt ihre weibliche Intuition versuchte sich einen Nenner daraus zu machen, es funktionierte nicht. Viel zu dünn war die Präsenz an Hinweisen gewesen und anstatt mit einer voreiligen Meinung aus der Sache herauszugehen, schob es die Chevalier für spätere Begegnungen auf. Man lernte andere Leute schließlich nicht innerhalb eines Tages – oder in ein paar Stunden – kennen. Final mündete die kleine Kompliment-Situation in einem anerkennenden und durchaus amüsierten Lachen ihrerseits. „Nun, dann helfe ich dir eben maximal beim Einräumen.“, korrigierte sie sich mit einem leichten Zucken ihrer Schultern selbst. Abwaschen. Einräumen. War doch alles gleich. Es war einfach die Arbeit, welche nach dem Essen unweigerlich anstand. Außer man bestellte sich etwas oder ging auswärts essen, dann war der Aufwand gleich Null. „Eine Kantine eröffnen?“, wiederholte sie seinen Vorschlag etwas ungläubig und packte schon einmal ihre Sachen zusammen. „Da musst du echt vorsichtig sein. Wenn es zu gut wird, kommen vielleicht irgendwann alle hier vorbei.“, was natürlich genau so scherzhaft betont war, wie die Grundidee selbst. Vermutlich würde selbst das beste Essen der Welt gegen die Faulheit der Leute nicht ankommen. Aber mal ganz ehrlich: Sie hatte auch keinen Bock jeden Tag von der Schule in die Stadt zu laufen. Nur, um dann eine bessere Magenfüllung zu erhalten. „Vielleicht tut’s auch die Übernahme der Küche im Wohnheim?“, betonte sie leicht frech und machte sich schon daran die ersten Dinge in Richtung Küche zu transportieren. Der Tristam folgte etwas versetzt mit dem Rest des heutigen Equipments. Das Einräumen selbst gestaltete sich als recht unkompliziert. Spülmaschine auf. Alles einordnen. Tür zu. Da keiner der Beiden eine Spülmaschine als Alien-Technologie abstempelte, traten auch keine Komplikationen auf. Mit einem leichten abklatschen ihrer Hände verkündete Helena leicht zufrieden das Ende ihrer aktuellen Aufgabe, wagte es jedoch noch einmal einen Blick zum Tisch zu werfen. Man musste ja auch überprüfen ob auch alles weg war. Dem schien so und dementsprechend folgte die nun letzte Reise der Chevalier: Die zur Haustüre.
„Also dann …“, begann sie nach dem Umhängen ihrer Handtasche die wohl nun fällige Abschiedsrede. Es gehörte wohl zur Veranlagung ihrer Art, den letzten Moment immer noch etwas hinauszuzögern. Wobei verschiedene Signale auch verschiedene Reaktionen hervorrufen sollten. Wer glaubte, dass sie vor ihrer Tür aus Tollpatschigkeit heraus so lange nach dem Schlüssel suchte, der war weitab der Realität. Aber das war ein anderes Thema. Hier ging es ihr mitunter auch darum ein bisschen die gute Erziehung durchscheinen zu lassen. Es verging immerhin noch nie eine Begegnung wo Helena sich nicht gebührend verabschiedet hatte. „Hat mir echt Spaß gemacht, heute. Danke nochmal für die Einladung und deine Hilfe.“, betonte sie mit einem charmanten Lächeln ihrer Lippen und blickte zufrieden drein. „Sollte mich irgendwann mal wieder der Hunger packen, weiß ich unter Umständen ja, wen ich anrufen kann, um mir zu helfen. Dir auf jeden Fall noch einen angenehmen Abend! Und Grüße deine Mitbewohnerin von mir.“. Eine von der sie mittlerweile Fest der Überzeugung war, dass es sich nicht nur um eine simple WG handelte. Doch diese Gedanken würde sie auf dem Heimweg weiter mit sich ausdiskutieren. Ein ausgiebiges Winken ließ sich die Französin trotzdem nicht verwehren, dann trat sie munter dem Heimweg an. Ein bisschen schlendern half sicherlich auch der Verdauung...
Nachdem der Müll in der Tonne verschwunden war, hatte Mathéo noch kurz Helena nachgeschaut, bis sie nicht mehr zu erkennen war. Doch statt ins Haus zurückzukehren, wollte er sich noch etwas Zeit nehmen, die dämmernde Atmosphäre aufzusaugen. Die Luft roch zwar kaum anders, doch der Geräuschpegel hatte sich etwas verändert. Im Durchschnitt gab es in seiner Straße nicht viel Verkehr, doch die Rush Hour merkte man auch hier. Frühs, wenn alle zur Arbeit fuhren, und abends, wenn alle nach Hause kamen, zählte man verhältnismäßig mehr Autos und Fußgänger. Nur leider waren Mathéo die vielen Fratzen nicht geläufig. Er kannte niemanden in der Nachbarschaft und fragte sich sogar, ob er jemals die Leute gesehen hatte, die um ihn herum wohnten. Von den ganzen Fußgängern hatte es nie einen in das Haus nebenan verschlagen. Leben musste dort jedoch jemand, denn der Briefkasten war bestückt, Gardinen hingen hinter den Fenstern … alles deutete darauf hin. Vielleicht sollte er sich am Wochenende mal auf die Lauer legen mit einem Fernglas und die Nachbar ausspionieren. Gut möglich, dass er dabei kriminelle Machenschaften aufdeckte, so wie man es aus bekannten Blockbustern kannte. Der Nachbar, der seine Frau im Garten vergrub … Mathéo runzelte die Stirn. Wie groß musste das Loch sein, wenn er Julia dort vergraben wollte? Welche Stelle eignete sich am besten? Vor einem der Bäume könnten ihm die Wurzeln Probleme bereiten. Andererseits wäre ein Versteck unter dem Wurzelwerk optimal, da dort die Suchkräfte der Polizei auch kein leichtes Spiel hatten. Das perfekte Verbrechen könnte so aussehen. Aber noch hatte er ja nicht vor, Julia zu begraben. Noch, murmelte er in Gedanken. Eigentlich sollte hier die Rede von nie sein.
Die potentiellen Mordgedanken ließ er lieber draußen bei den Mülltonnen, denn dort gehörten sie hin. Körperlich und geistig zurück im Haus, wollte er sich anderen Gedanken hingeben. Die Küche brauchte er nun nicht mehr aufräumen. Der Geschirrspüler war gefüllt und der Tisch abgeräumt. Die Reste standen in einer Box auf der Arbeitsplatte. Er hatte sogar ein Post-it drangeklebt mit einer unmissverständlichen Aufschrift, dass gerne zugegriffen werden durfte. Mathéo war gespannt, ob Julia es ignorieren, ob sie nachfragen oder ob sie ohne ein Wort zur Tat schreiten würde. Gerade die neue Julia stellte ihn dabei vor ein Rätsel. Während Mathéo über die Box nachdachte, kam ihm wieder seine jüngste Erfahrung mit der Direktorin in den Sinn. Seit seinem - teils ungewollten, teils gewollten - Ausflug als Kater hatte sich etwas bei der Bardera geändert. Dass er sie auf dem Ball quasi stehen gelassen hatte, hatte damit hoffentlich nichts zu tun. Eine Frau verhielt sich sicher anders, wenn sie wegen so einer Geschichte sauer war. Wobei … wer war Mathéo schon, dass er denken konnte, so etwas einschätzen zu können. Mann hangelte sich an jahrelangen Erfahrungen entlang und fiel dann trotzdem in unvorhergesehene Löcher. Dabei verfügte der Rotschopf nicht mal über ausreichende Erfahrung, um sich seiner Sache wirklich sicher sein zu können. Mädels … ja, mit der üblichen Beute konnte er selbstbewusst umgehen; doch bei einer richtigen Frau … da erkannte er sofort ein ganz anderes Schlachtfeld. Überzogen mit milchigem Nebel lauerten die Gefahren gerne mal direkt vor seiner Nase. Doch die Suppe war so dick, dass er die ausgestreckte Hand vor Augen nicht erkannte. Wo er dann mit seinen Fingern hinlangte, wusste er erst, wenn es zu spät war.
Aber auch von diesen Sorgen wollte sich Mathéo wieder entfernen. Das Beste, was er im Zusammenhang mit Julia machen konnte, war, auf ihre Rückkehr zu warten. Irgendwann musste sie ja nach Hause kommen, dachte er sich zumindest. Bis dahin wollte er sich nochmal der dämmernden Atmosphäre zuwenden. Helena hatte ihn ja auf die Idee mit der Hängematte gebracht. Zwei passende Bäume standen dafür im Garten; und mit etwas Magie schwang sich in Windeseile eine Matte um die Stämme. Aufgespannt wie in einem Bilderbuch, lag auch Mathéo schnell wie aus einem Katalog geschnitten in der Matte. Sie schaukelte leicht von links nach rechts, was sicherlich nicht an der leichten Brise lag. Nur sein Haar wippte deshalb und fiel ihm gerne mal ins Gesicht, denn er hatte sein Stirnband ab- und ins Gras gelegt. Der neue und viel lässigere Look passte zu dem Bild eines Banjo-Spielers. Als solcher hatte er es sich bequem gemacht und begann zu allererst damit, seine Fingerfertigkeiten aufzuwärmen. Mit ein paar einfachen Abfolgen kehrte die Vertrautheit allmählich zurück. Danach ging es weiter mit Rocky Hill, Shady Grove, Sail Away Ladies und anderen bis es mehr und mehr zu einer Medley wurde, bei der er nach Lust und Laune die Lieder aneinanderreihte.