Das Büro der Heimleitung. Wenn man den Raum betritt, so findet man vor sich direkt einen Tisch, welcher von einer Sofalandschaft und einem niederen Tisch umringt ist und für Besprechungen aller Art genutzt werden kann. Oft trifft man hier auch auf Eltern, die sich über das Wohnheim und die Schule erkundigen möchten. Dahinter befindet sich der Arbeitsplatz des Heimleiters bestehend aus einem Schreibtisch - welcher einen sehr edlen Stuhl beherbergt, der sicher schon einige Jährchen auf dem Buckel hat - und Regalen welche die Akten der Heimbewohner, sowie deren Zimmernummern beinhalten. Seinen Schlüssel für sein Zimmer kann man hier ebenfalls abholen. Doch Vorsicht! Wer die Hausordnung bricht, könnte hier ganz schnell auch zu weniger angenehmen Dingen sitzen.
Bedächtiges Nicken symbolisierte die schweigende Zustimmung des Briten, dem Weißhaarigen bei seiner Aufgabe behilflich zu sein. „Reden sind auch für mich immer so eine Sache.“, warf er auf dem Weg zum Wagen ein und schaute dabei kurz hinauf in den Himmel. „Ich meine, deswegen habe ich mir offensichtlich den Job gesucht, wo ich keine halten muss…“, ein amüsiertes Hauchen unterbrach den Satz, „…aber ich schätze mich tendenziell nicht so ein, dass ich sie stilvoll und elegant an die Audienz weitergeben kann.“. Hang vermutlich auch mit seiner generellen Einstellung zusammen. Damals bei seinen Eltern musste er nie großartig vor Leuten stehen. Er war kein Politiker, sondern Apotheker gewesen. Selbst als Arzt musste er keine Ansprachen halten, das persönliche Gespräch war immer wichtiger. Kein Doktor behandelte Patienten in einer Sporthalle vor allen anderen, es sei denn es ist ein Notfallcamp. Und im Militär? Naja, die Ansprachen waren nichts für Kinder. Auch, wenn manche es wohl mal gebrauchen könnten, mal so richtig Dampf gemacht zu bekommen. Die Gedankenfabrik des Blondschopfes arbeitete sich kurz die Szenerie aus: Ausbildungscamp Constantin, vom Schlendrian zum Ordnungswahn - So, oder so ähnlich, würde es heißen. Leicht schmunzelnd schüttelte der Brillenträger seinen Kopf. Gut, dass man nicht in den Gedanken anderer Leute herumwuseln konnte. Das hätte ihn vermutlich schon so manches mal den Job gekostet. „Nein, wirklich. Wenn ich helfen kann, dann gerne. Vier Ohren hören besser hin als zwei.“, kam er auf das Thema zurück und folgte Vincent den restlichen Weg zum Wagen.
„Die Karre wird auch nicht jünger, eh?“, scherzte er mit einem prüfenden Blick dem Wagen gegenüber und wurde dabei gleich indirekt daran erinnert, dass sein Auto vermutlich das fahrende Nokia auf dieser Insel war. „Sieht aber noch gut aus, Lob an den Besitzer.“, fügte er anerkennend zum alten Wolf gerichtet an, dann stiegen beide ein. Die fahrt an sich war sehr ereignislos, wenn nicht sogar entspannend still. Nicht, dass dagegen was einzuwenden wäre. Sie würden gleich noch genügen Zeit haben sich zu unterhalten. Nun erwischte sich Riley aber selbst dabei, wie er die Landschaft beim Vorbeifliegen beobachtete. Erst da fiel ihm wirklich auf, wie selten er doch Beifahrer war, selten betrachtete er andere Sachen abseits der Straße. Ein bedächtiges „Mh.“ stützte diesen inneren Monolog, ehe er auch schon wieder in Vergessenheit geriet. Kaum hatte sein Freund den Wagen am Wohnheim zu stehen gebracht, sprang schon die Beifahrertür auf und der Arzt erhob sich aus seinem Beifahrersitz. Wie in einem Actionfilm, nur nicht so episch, fixierte er den Eingang des Gebäudes und überprüfte es auf mögliche Gefahren: Luder, Stachelbomber oder Eiszapfen. „Sieht sicher aus.“, kam das Statement nachdem keiner gefragt hatte und beide begaben sich zum Büro des hiesigen Heimleiters.
Ohne großartige Umschweife, machte es sich der Brite auf dem Sofa vor dem Schreibtisch gemütlich. Mit einem „Uff“ ließ er sich in die Couch fallen und bemühte sich seinen Blick auf dem Heimleiter zu behalten. „Was? Wer mit wem zum Ball geht?“, wiederholte er die Frage und ließ den Kopf kurz bedächtig am alten Wolf vorbei auf die Regale wandern. „Nicht, dass ich wüsste. Ich weiß das deine zwei Pappenheimer zu Zweit aufkreuzen werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber ansonsten…“. Eine kurze Stille trat ein, während Riley angestrengt versuchte die ganzen Tratschereien von seiner Kollegin und den Schülern zu kombinieren. Es war erstaunlich wie viel man mitbekam, wenn man einfach nur mal hinhörte. „Sky und Ryder, nehme ich an, gebe aber keine Garantie. Leviathan und….ne, ist ja nicht mehr da.“, schnell eilte sein Finger in die Höhe, „Luana und Kyril…eh, Ciarán, sowie Helena und Damian. Rosa und Blond, sowie Giotto und Baguette, um es auf den Punkt zu bringen.“. Ein selbstgefälliges zucken mit den Schultern folgte. Das amüsierte Grinsen war auch nicht zu verachten. „Echt erstaunlich, wie viel ich in meinem kleinen Hinterzimmer mitbekomme...“. Was vermutlich dem Stachelbomber, dem Luder und dem Kaffee zu verdanken war. Aber hey, alles musste seine Vorteile haben….irgendwie. „Leviathan wird sich zu einhundert Prozent auch noch was anlachen, da Wette ich drauf! Oder er vergammelt an der Bar, da habe ich ihn aber wenigstens im Auge.“. Und vermutlich auch den Rest der Rasselbande, wenn er denn ein Gefolge mit dorthin verschleppen würde. Es blieb auf alle Fälle spannend, selbst für seine Wenigkeit. „Aber nagel mich jetzt nicht drauf fest. Immerhin sind es nur Gerüchte. Ich habe leider keinen Sohnemann zuhause, der mir die Gerüchteküche aus erster Hand eröffnen kann.“, Riley grinste und hob abwehrend die Hände. Sein Blick jedoch bleib auf den Weißhaarigen fixiert, welcher nun mit einschenken fertig war. Ja, der Alkohol war ihm nicht entgangen. Er rechnete dementsprechend auch jedem Moment damit, dass sich der alte Wolf zu ihm gesellen würde. Außer er stand momentan auf dieses Alpha – Schreibtisch -Gehabe. Der Brillenträger bezweifelte es zwar, aber man wusste ja nie. Stilwechsel oder Midlife Crisis, irgendetwas war immer. „Wie sieht denn deine Informationslage aus, mh?“, hakte der Brite mit fordernder Stimme nun einfach mal nach und hielt seinen Blick auf den beiden Gläsern in den Händen des Wolfes. Vorglühen? Nicht doch! Es war eher ein Glas unter Freunden…gut, vielleicht auch ein paar mehr. Sie mussten nur aufpassen, dass die Rede am Ende nicht hinten runterfiel. Sie waren ja hier, um zu arbeiten, nicht um zu trinken.
Vielleicht hätte ich doch auch lieber bei dem Job als Arzt bleiben sollen, wenn man bedachte, dass ich ein wenig Lampenfieber hatte. Riley hatte in dieser Hinsicht wohl mehr richtig gemacht als ich. Wobei ich mich als Heimleiter auch nicht unbedingt beschweren konnte. In beiden Berufen ging es darum auf andere aufzupassen. So versuchte ich es mir wenigstens ein wenig schön zu reden, während ich mich ebenfalls auf die Couch fallen ließ. Ein Glas reichte ich meinem Kumpel als dieser sich bereits daran machte meine Frage zu beantworten. Anscheinend bekam man im Krankenzimmer doch so einiges mit. Oder aber es herrsche rege Tratscherei zwischen den Kollegen. Vermutlich war beides der Fall. Was meine zwei Pappenheimer anging, konnte ich Costa nur zustimmen. Alles andere würde mich doch sehr wundern. »Die siamesischen Zwillinge kann eben nichts trennen.«, grinste ich und hob das Glas zum Anstoßen ehe ich es an die Lippen führte. Beinahe hätte ich zufrieden aufgestöhnt als das Getränk meine Kehle benetzte. Konnte aber noch genügend Contenance aufbringen um gesittet zu bleiben. Sky und Ryder, dem konnte ich auch nur beipflichten. Vielleicht nicht als Paar aber sicher als beste Freunde. Oder vielleicht sogar Freundschaft plus. So genau stieg ich manchmal bei den Beziehungskisten der Teens nicht durch. Luana und der blonde Lulatsch. Konnte auch gut sein, hatte die beiden ebenfalls schon das ein ums andere Mal zusammen gesehen. So auch das Baguette mit dem Giotto. Wobei Giotto für Helena nicht unbedingt die richtige Beschreibung war. »Also von Damian weiß ich, dass er Blümchen besorgt hat. Wird er wohl kaum für sich besorgt haben. Übrigens darf ich die Blumen mit zum Ball bringen. Mein Sohn ist wirklich herzallerliebst. Oder?«, beschwerte ich mich ein wenig über den Umstand, dass ich als Blumenlieferant missbraucht wurde. Eigentlich machte es mir nichts aus, aber hin und wieder musste ich mich ein wenig aufregen. Als Informationsquelle konnte man Cyril gegen Rileys Erwartung jedoch nicht gebrauchen. »Als Informant ist Cyril nicht zu gebrauchen.«, lachte ich. Der Schwarzhaarige hatte nur Augen für seinen Schatz und wanderte beinahe mit Scheuklappen durchs Leben. Hin und wieder pflegte er seine Freundschaften auch ohne Lyall, musste ich ihm doch zugutehalten. »Ich kann deinen Ausführungen eigentlich nichts mehr hinzufügen. Ich lass mich aber gerne überraschen. Vielleicht entspringen dem Ball ja ein paar Pärchen.« Überraschen würde es mich nicht, dafür waren Bälle sehr gut geeignet. Und somit waren wir bereits vom eigentlichen Thema, meiner Rede, abgekommen. Was tat man nicht alles um ein unliebsames Übel zu umgehen. Es machte mir auch gar nichts aus. Das Beste kam meistens sowieso spontan und außerdem wollte niemand eine auswendig gelernte Rede hören. Das wirkte einfach uncool. Und ich war alles andere als uncool. Ich würde mich selbst als die coolste Socke auf Isola bezeichnen. Und dann kam vielleicht Riley. Über die genaue Reihenfolge hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. »Vielleicht trifft man Vivian mit Ophaniel oder Arata.«, kam mir die göttliche Eingebung nach ein paar Minuten. Schließlich hatte ich diese Konstellationen ebenfalls schon häufiger beobachten können. Ich war auf alle Fälle schon gespannt darauf, vor allem welche Garderobe man zu Gesicht bekam. »Aber niemand wird unseren Auftritt toppen können.«, wackelte ich mit den Augenbrauen und genehmigte mir noch einen Schluck. »Also ich weiß ja nicht wie es bei dir aussieht, aber auf die Rede hab ich gerade keine Lust. Mir wird sicher was einfallen. Ansonsten hol ich dich auf die Bühne.«, gab ich bekannt und klopfte mir innerlich, wegen der tollen Idee, auf die Schulter. Bester Plan ever. Es konnte also gar nichts schief gehen.
„Ophaniel oder Arata mit Vivian?“, die Frage verließ den Mund des Arztes ziemlich verwirrt. Stimmt! Die Engelin hatte er ja völlig vergessen. Lag bestimmt nicht daran, dass Rox sich die meiste Zeit um die medizinischen Belange der Blondine kümmerte. Sie konnte das einfach besser. Zwar hatte er bei der OP mit den Armen seine Finger im Spiel gehabt, aber mehr auch nicht. Die normalen Untersuchungen, ob mit ihr alles in Ordnung war, teilte er sich immer mit Rox. Ein schöner Wechsel, damit auch der Engelin nicht langweilig wurde. Frischer Wind und so, er wollte selbst auch nicht immer das gleiche Gesicht als Patient sehen. War doch irgendwo verständlich, oder? „Naja, ich weiß ja nicht.“, sinnierte der Arzt mit einem kleinen Schluck im Anschluss. „Ich muss ja sagen…“, und er richtete sich auf dem Sofa zurecht, „Keiner der Drei wird auf die Idee kommen zu fragen. Ich meine, wenn ich eine Sache über Arata weiß: Dann das er sich immer mal wieder verhaspelt oder nicht dran denkt. Ophaniel das gleiche. Der wird sich vermutlich nur auf den Ball als Feier freuen, sieht dem kleinen Rabauken ähnlich.“. Kurz machte der Blondschopf eine Gedankliche Pause. Würde Vivian jemanden Fragen? Nein, wohl nicht. Sie war, man möge ihm die Generalisierung verzeihen, genauso stumpf wie die anderen beiden. Zumindest was das organisieren von Feiern anging. „Und Vivian wird vermutlich nicht mal daran denken. Würde mich wundern, wenn es so wäre.“. Und damit war das Thema auch für den Briten zu den Akten gelegt. Es wurde ja im Endeffekt schon gesagt: Sie würden es sehen, wenn es soweit ist.
„Darauf kannst du einen lassen.“, kam es dem Brillenträger herzlich amüsiert über die Lippen, „Wenn die Gang auftritt, sind wir die Blickfänger.“. Zugegeben: Die Vorstellung eines beeindruckten Raumes, voll mit Leuten die sie anschauen würden, hob das Ego schon ein bisschen an. War ja auch nicht so als ob die drei großartige Konkurrenz hätten. Die anderen Kerle auf der Insel ließen sich ja kaum Blicken. Konkurrenz würde auf dem Ball also nicht auftauchen. Also, übertragen gesprochen. Er hatte nicht vor sich an dem Abend großartig jemanden anzulachen. Wie es mit den anderen Beiden aussah, dass wusste er nicht. Er könnte sich ja denken das…WAS? Völlig unvorbereitet und aus seiner inneren Ruhe gerissen, lehnte sich der Arzt in Richtung des weißen Wolfes. Ein Glück, dass er gerade nichts getrunken hatte. Das wäre echt kritisch geworden. „Halt Stopp!“, warf er wie aus der Pistole geschossen ein und zeigte mit dem Finger seiner freien Hand in seiner Richtung. „Ich würde dir empfehlen diese Idee noch einmal zu überdenken!“. Was im Grunde genommen nichts weiter als ein Apell an seine Vernunft war. Dumm nur, dass sein Kopf die Situation mal wieder so gut darstellte, dass er dabei unweigerlich Grinsen musste. Ließ die Aufforderung nicht ganz so ernst wirken, wie sie vielleicht sein sollte. „Ich meine, wird bestimmt den Improvisationsfaktor erhöhen, versteh‘ mich nicht falsch. Aber ich denke, wir würden mit unserem Leben spielen.“. Auch wenn die Konsequenzen dafür nicht so tragisch werden würden. Einzig und allein die Lehrkräfte würden sich als Spaßbremsen entpuppen. Den Jugendlichen war das - da konnte man sich sicher sein – wohl relativ egal. Wer hörte schon gerne Erwachsenen zu? Vielleicht würden sie ja zuhören, wenn die Rede nicht so Stocksteif vorbereitet durch Mikro gerattert werden würde, konnte natürlich sein. „Obwohl wir die Kinder vielleicht mit so einem Schauspiel zumindest Aufmerksamkeitstechnisch binden könnten.“, grübelte er schon indirekt weiter. „Aber lassen wir das erstmal.“, beendete er den Prozess, bevor er noch auf richtiges Fundament traf. „Trag mir doch erstmal deine Rede vor, dann sehen wir weiter. Ich will wenigstens wissen, weswegen ich mich blamieren muss.“. War doch nur fair. oder? Wenn er sich zum Gespött machen sollte, dann wollte er wenigstens vorher was zum Lachen haben.
Kurz versank ich in meiner Denkerpose, nachdem ich den Ausführungen Rileys gelauscht hatte. Was er sagte, war nicht falsch. »Vielleicht braucht es auch keine Frage zwischen Vivian und Ophaniel. Landen vermutlich eh zusammen, spätestens am Ball, wenn sie wirklich aufkreuzen.«, gab ich zum Besten ob es nun stimmte und nicht. Arata konnte ich mir auch noch gut mit Levi zusammen vorstellen, so als Bros. Aber bevor ich mir weiter mein Hirn darüber zermarterte, ließ ich es einfach auf mich zukommen. Ich musste mich auf das Wesentliche konzentrieren. Der Ball würde in Kürze beginnen und ich war am Anfang eines Nervenzusammenbruchs. Äußerlich wirkte ich vielleicht ruhig, aber innerlich sah die Sachlage ein wenig anders aus. Um meine Nerven zu beruhigen spülte ich mit meinem Whiskey nach. Alkohol war für ein solches Unterfangen sehr gut geeignet, daher schenkte ich mir bereits mein zweites Glas ein. Für manch nicht so trinkfesten Kandidaten konnte mein Alkoholkonsum allerdings zum Verhängnis werden. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich später meine Rede zu 100 Prozent lallfrei vortragen konnte.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass der Blondschopf mit Trinken einverstanden war, anstatt an der Rede zu feilen. Tja, das war ein Irrtum. Er wollte allen Ernstes meinen bisherigen Dünnschiss hören. Just in dem Moment bereute ich es, dass ich doch so viel Ehrgeiz und Anstand besaß um meine Sache gut machen zu wollen. Ich seufzte tief als ich mich zu räuspern begann und meine gefalteten Zettel aus meiner Umhängetasche kramte. Was eine ganze Menge an Zeit beanspruchte. »Ich glaube, wir wären ein super Team was Improvisation angeht. Und außerdem spiele ich gerne mit dem Leben. Ein bisschen Nervenkitzel muss sein.«, grinste ich, während ich die Zettel glatt strich und mich seelisch auf das Bevorstehende vorbereitete. Meine Lust hielt sich wie immer in Grenzen, wenn es um solche Auftritte ging. Ich räusperte mich abermals, ehe ich noch einen letzten Schluck trank und mein Augenmerk auf die Zettel konzentrierte. »Liebe Hosenscheißer und Kollegen, wir feiern heute, zum ersten Mal seit langem wieder, den Mittsommerball. Der Mittsommerball dient in diesem Jahr nicht nur der Freude und dem Vergnügen, sondern ist auch als kleine Triumphfeier der jüngsten Ereignisse mit den Lykantrophen zu betrachten. Der Kampf hat nicht nur die gesamte Insel in Mitleidenschaft gezogen sondern auch Opfer gefordert.«, las ich meine Ergüsse vor. »Ich hatte mir gedacht, dass man an dieser Stelle vielleicht eine kleine Schweigeminute der Gefallen einfließen lassen könnte. Oder sollte man das doch eher am Ende der Rede machen?«, stellte ich Costa die Frage. Ich war mir dabei recht unsicher. Zumal das Thema nicht unbedingt erfreulich war. Ich bedeutete Riley, dass er mir nicht gleich die Antwort liefern musste, nach der Proberrede reichte auch. »Nun weiter im Text...Letztendlich haben wir den Kampf für uns entschieden. Die wohl größte Veränderung stellte der Umzug ins neue Heim dar. Ich hoffe, dass es für die meisten von euch bereits wirklich zum neuen Zuhause geworden ist. Ja ich weiß, es ist nicht der modernste Bau, aber immerhin haben wir somit ein Dach über dem Kopf. Und der Partykeller ist ja nun wirklich nicht zu verachten.«, sprudelten die Worte weiter aus mir heraus und irgendwie konnte ich mir ein Grinsen gerade nicht verkneifen. Entweder es folgte Gelächter oder die Kids würden bereits mit den Buh-Rufen beginnen. »Und dann eben noch kurz der Ablauf des Abends .. bla bla bla Tombola, Feuer, Spaß und Verhütung. So hab' ich mir das Ganze vorgestellt.«, beendete ich meine Rede. Ließ das Gesagte noch ein wenig nachwirken, bevor ich einen Kugelschreiber aus meiner Tasche kramte und bereit war Verbesserungsvorschläge anzunehmen.
Ein leichtes Nicken arbeitete sich den Hals des Briten entlang, als er seinem guten Freund in der Angelegenheit zustimmte. „Vermutlich, ja.“, setzte er noch einmal verbal nach und ließ sich selbst nicht von einem kleinen Grinsen abhalten. Sie hatten sich schon vorhin indirekt darauf geeinigt, dass sie die Tatsächlichen Konstellationen spätestens auf dem Ball sehen würden. Da war er natürlich noch nicht auf die spontane Idee des Weißhaarigen gestoßen worden, ihn einfach mit auf die Bühne zu holen. Aber die Empörung des Blondschopfes hatte wohl keinen großartigen Einfluss auf den Heimleiter gehabt. Die indirekte Androhung eines spontanen Bühnenbesuchs blieb also weiterhin im Raum stehen. Um ehrlich zu sein, der Brite fühlte sich nicht ganz wohl dabei das Thema so im raum stehen zu lassen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Im Nachhinein konnte er immer noch eine saftige Entschädigung verlangen. „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“, seufzte der Brillenträger etwas müde. Der Gedanke der Entschädigung sollte auf jeden Fall weiter ausgearbeitet werden. Geiles Grillfleisch, zum Beispiel. Ja, das hörte sich in der tat nicht schlecht an. Er würde darauf zurückkommen, sollte sich die Gelegenheit bieten.
Doch nun ging es erst einmal ans Eingemachte. Eine Vorstellung der Rede wollte der Arzt haben, eine Vorstellung sollte er bekommen. All seine Aufmerksamkeit lenkte Riley auf den alten Wolf vor sich, welcher mit seinem Räuspern durchaus einen ganzen Saal auf sich aufmerksam machen konnte. Ob er das in einer Bar auch so machen konnte? Lustig wäre es ja schon…irgendwie. Aber zurück zum eigentlichen Thema! Die Begrüßung allein reichte schon, um den Arzt leicht grinsend aus der Fassung zu bringen. Das würde Vincent nie im Leben genau so sagen. Völlig ausgeschlossen! Vor allem aber bezweifelte er, dass die Schülerschaft sowas auf sich sitzen lassen würde. Vielleicht sein Schützling, aber auch nur, weil dieser es vermutlich gewohnt war. Die Überleitung zum großen Unglück war dann aber eher sehr plötzlich. Nun, manchmal war es sicher gut mit der Tür ins Haus zu fallen, aber so direkt? Riley grübelte mit seiner eindringlichen Denkerpose. In seinem Falle war das immer zwei Finger, die langsam die Konturen seines Kiefers bis zum Kinn hinabrutschten. Nur, um dann wieder oben anzusetzen. Aber Vincent hängte mittendrin sowieso eine Frage mit dran. „Erzähle ich dir am Ende…“, kam es abwehrend nachdenklich zwischen seinen Lippen hervor. Sein Getränk hatte er in der Zeit nicht mehr angerührt. Eigentlich wollte er es noch trinken, aber sein Kopf war gerade mit anderen Sachen beschäftigt. Es verblieb also regungslos in der anderen Hand des Doktors. Letzten Endes aber musste auch er lachen, als die Tombola und das Thema der Verhütung noch beiläufig erwähnt wurden. Klang fast so, als wolle es der Heimleiter auf neue Einwohner anlegen. Wer weiß, vielleicht sah er ja seinen Job in Gefahr? Konnte sein, waren ja fast alles ausgewachsene Lebewesen. Der Weißhaarige ließ in seinem Gesicht auf jeden Fall keine Zweifel daran aufkommen, ob das nun seine wahre Intention war. Vielleicht hielt ihn aber auch die Vorahnung, das Riley ein paar Verbesserungsvorschläge hatte, von seinem selbstsicheren Grinsen ab. Wer wusste das schon? Einen Stift für Korrekturen hatte der Heimleiter ja bereits in seinen Händen.
„Also…ich würde es ein bisschen lebendiger gestalten…“, setzte er nachdenklich an und sparte sich das Aufstehen. War sowieso eine Sache, die er nicht nötig hatte. Aber jeder so, wie er sich am Sichersten fühlte, eh? „Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was für ein Jahr das doch war, oder? Der Schnee am Anfang des Jahres, welcher uns ziemlich kalt erwischt hat. Die vielen Personalwechsel. Schüler die uns beigetreten sind, und welche die uns verlassen haben.“, nun legte er ein bisschen mehr Kraft in seine Stimme, hatte er sich damals so von seinem Truppführer im Irak abgeschaut. Die Kunst war ja das ganze heroischer darzustellen als es im Endeffekt war, so die Theorie dahinter. Nur dumm, dass der Doktor kein Lügner war. Er gab sich trotzdem Mühe. „Ganz besonders der März dieses Jahrs, rüttelte diese Insel so kräftig durch, dass die Folgen vielen noch in den Knochen sitzen. Es gab Opfer, jeder von uns hat etwas verloren. Familie, Freunde, Klassenkameraden. Das Waisenhaus, die Heimat vieler von uns, wurde so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass wir sie am Ende verlassen mussten.“, eine kleine Pause setzte ein, Riley fand sogar die Zeit dafür das Glas auf dem kleinen Tisch vor sich abzustellen. Jetzt würde der Part kommen, an dem das ganze negative umgedreht werden würde. Als Symbol der Stärke, des Zusammenhalts. Dafür musste er aber erst noch einmal alle in einem Bereich zusammenziehen. So, dass sie vermutlich auch davon mitgerissen wurden. „Es ist eine unsichtbare Narbe, die sich über jeden unserer Körper zieht und uns einmal mehr gezeigt hat, wie verletzlich wir sind. Aber es hat uns auch klar gemacht, wie stark wir sind, wenn wir gemeinsam auftreten und unser Möglichstes tun und unsere Hoffnung nicht aufgeben. Schüler, sowie Erzieher und Lehrkräfte schlugen die Aggressoren zurück! Zusammen machten wir uns ein neues Zuhause. Innerhalb von wenigen Tagen schafften wir das, wofür andere mehrere Monate brauchen. Wir holten uns auf unsere Füße zurück und gingen stärker aus diesem Chaos heraus, als wir es am Anfang gewesen sind. Genau deswegen ist es wichtig, dass wir uns alle hier zusammenfinden und gemeinsam feiern. Denn nur wir als Gemeinschaft können wirklich etwas erreichen. Wenn jeder mit am gleichen Strang zieht, ist die Last nur noch halb so schwer.“, der Blondschopf schaute kurz zu seinem Kollegen rüber. „Hier würde ich dann einfach die Witze einfließen lassen.“, kommentierte er und lieferte dafür auch wieder ein Beispiel. „Natürlich, viele hätten sich vielleicht ein moderneres Zuhause gewünscht. Aber hey, wir haben einen Partykeller! Und den Fernseher dort unten muss auch erst einmal jemand Paroli bieten. Aber genug davon! Dieser Abend heute geht an euch! Genießt ihn! Feiert ihn! Und denkt immer daran: Gemeinsam schaffen wir alles was vor uns liegt und noch mehr. Deswegen sage ich, wir gehen mit guten Vorsätzen nach vorne und machen etwas draus! Auf Euch!“, und symbolisch hob er dabei die Hand, als würde er mit irgendjemanden Anstoßen wollen. „Ist vielleicht nicht die Berichtigung, welche du erwartet hast, aber ich würde neben dem ganzen negativen halt alles in einen positiven Rahmen rücken. Ich habe immer das Gefühl, dass Witze allein noch lange keine gute Atmosphäre aufbauen. Dann kann man ja das organisatorische dranhängen.“, ein Zucken mit den Schultern folgte. „Sind alle nicht dumm, die Kinder. Ich bin sicher, sie werden es verstehen.“. und damit war die Sache an sich auch schon erledigt. Ein Blick auf die Uhr verriet dem Arzt auch, dass es allmählich Zeit war aufzubrechen. Der Ball sollte in weniger als einer Stunde losgehen. War ja nicht schlimm, aber auch die Beiden mussten sich noch zurechtmachen und dann dort pünktlich aufkreuzen. „Ich sehe gerade, es ist bald Zeit zum Aufbruch, Vincent. Der Ball geht gleich los.“, ein Grinsen huschte über sein Gesicht, „Und als Notfallplan, wenn du keine anderen Überleitungen hast, hol dir einfach unsere Direktorin auf die Bühne, lenk von dir ab.“. War es ein teuflischer Plan? Vermutlich. Würde er damit sein eigenes Bühnenschicksal umgehen? Wahrscheinlich. Wäre doch super, oder?
Eigentlich war ich mit meiner Rede gar nicht so unzufrieden gewesen, dafür, dass ich sie in ein paar Minuten zu Papier gebracht hatte. Aber man musste Riley schon recht geben, dass man mit dem Kampf vielleicht nicht gleich so ins Haus fallen sollte. Lebendiger. Positiver. Konnte er so unterschreiben. Während der Blondschopf also seine improvisierte Rede zum Besten gab, machte ich mir bereits ein paar Notizen. Als Heimleiter hatte man zwar eine Vorbildfunktion aber wie ein alter Opa mit seinen Weisheiten wollte ich auch nicht rüberkommen. Wobei die Haarfarbe da schon ihren Teil dazu beitrug, aber wir hielten hier ja nichts von Klischees. Hin und wieder nickte ich an manchen Stellen und kritzelte fleißig auf meinem Blatt Papier herum. Zuhause würde ich mir die Zeit wohl noch nehmen müssen, um es nochmal ein wenig schöner auf Papier zu bringen. Die Frage war jedoch, würde ich diesen Schmierzettel überhaupt mit auf die Bühne bringen? Schließlich war ich noch nicht so senil um mir die wichtigsten Eckpunkte der Rede nicht merken zu können. Aber das Lampenfieber würde mir sicher einen Strich durch die Rechnung machen. Hach, es war zum Mäuse melken. Ich war Repräsentant des Wohnheims und machte mir ins Höschen, wenn ich auf einer Bühne stand. Peinlich. Ich sah es bereits vor mir, wie ich ins Stottern kam, mir einen abschwitze und dann doch nichts auf die Reihe brachte. Schon alleine der Gedanke brachte meinen Whiskey beinahe wieder dort raus, wo er reingekommen war. Daher war es nun an mir, diese negativen Gedanken beiseite zu schieben. Immerhin musste ich wirklich was Vernünftiges sagen und nicht nur Scherze reißen. Die Hilfe von Riley kam also wie gerufen, auch wenn er sogar spontan eine bessere Rede parat hatte. Irgendwie doch ein wenig traurig, was ich mir natürlich nicht anmerken ließ, sondern mit einem Schluck nachspülte. Mein Stolz wurde geradewegs in den Magen gespült um von der Magensäure zersetzt zu werden. Geiles Leben. »Danke für deine Zeit und deine Muse.«, grinste ich und klopfte meinen Kollegen auf die Schulter. "Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät." - Genau dieser Satz ging mir durch den Kopf, natürlich mit der richtigen musikalischen Untermalung. Das hieß jetzt wohl getrennte Wege zu gehen. Diese Stunde würde ich überleben, so ohne meine Gang. Zwar schwer, aber man konnte es nicht ändern. »Natürlich würde ich Jul die Schuld geben. Ganz klar, egal ob sie mit auf der Bühne ist oder nicht.«, gab ich noch schnell einen blöden Kommentar von mir, bevor ich mich von Costa verabschiedete. »Wir sehen und später, Buttercup.« Diesen Spitznamen wollte ich schon immer mal bringen.
Ich war noch immer ein wenig skeptisch, als ich meine Wohnung verließ, ob Cyril wirklich in die Schule ging. Immerhin war er nicht mehr mit Lyall in einer Klasse, da konnte man schon eine Trotzreaktion von ihm erwarten. Aber was wäre ich für ein Dad, wenn ich meinen Sohn überwachen würde? Er musste selbst dafür gerade stehen, wenn es Konsequenzen für sein Verhalten gab. Ich schüttelte diese Gedanken wieder ab und stieg in mein Auto, um zum Wohnheim zu fahren.
Am Wohnheim angekommen, parkte ich meinen Wagen an dem üblichen Platz. Ich war gerade am Überlegen welcher der Ärzte heute Dienst im Wohnheim hatte, aber ich kam leider nicht drauf. Müsste ich wohl in meinem Büro noch einmal nachschauen, immerhin war es immer gut zu wissen, wo wer zu finden war. Vielleicht sollte ich auch gleich mal mein Telefon checken, ob ich auch wirklich alle relevanten Nummern eingespeichert hatte. Ich wusste auch gar nicht, wann ich zuletzt einen neuen Kontakt hinzugefügt hatte. In letzter Zeit war ich wohl doch ein wenig nachlässig geworden, darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Da mich meine Nase beim Betreten des Wohnheims an das Frühstücksbuffet erinnerte, steuerte ich zuerst den Speisesaal an. Eine weitere Tasse Kaffee - für später - konnte nicht schaden. Kaltem Kaffee sagte man schließlich nach, dass es die Schönheit förderte. War bei mir zwar nicht mehr nötig, denn attraktiver ging gar nicht mehr, aber ich mochte auch kalten Kaffee ganz gerne. Heiß war er trotzdem noch mein Favorit. Mit meiner vollen Tasse Kaffee bewaffnet, schlenderte ich den Flur weiter bis zu meinem Büro. Schwungvoll öffnete ich die Bürotür, ehe ich sie mit meinem Fuß wieder zu kickte. Der Grund, wieso mich Jake, aber allen voran Wasabi sprechen wollten, erschloss sich mir noch immer nicht. Vielleicht wollte sie ja ihren Job kündigen, wobei ich immer der Meinung war, dass sie ihren Job gerne machte. Es mochte mir einfach kein geeigneter Grund einfallen. Aber ich würde sicher in den nächsten Minuten aufgeklärt werden. Lange musste ich garantiert nicht mehr lange auf eine Erklärung warten. Daher widmete ich mich vorerst meinem Kaffee und scrollte meine Handykontakte durch. So viele waren es nun doch nicht, dass hieß wohl, dass ich ein paar Akten durcharbeiten musste.
Bereits wie am Abend zuvor hatte sich der Vampir wie selbstverständlich den Koffer geschnappt und ging voran, zum Büro seines Chefs. Ob dieser mittlerweile da war? Bestimmt. Also sollten sie ihn nicht länger warten lassen, als nötig. Mit einem kurzen Blick hinter sich vergewisserte er sich, dass Wasabi auch wirklich folgte. Vielleicht hätte er ihr Vorhaben doch mit in die SMS packen sollen. Doch dafür war es jetzt auch zu spät. Klärten sie das eben vor Ort, auch, wenn er es selbst machen musste. Auf er anderen Seite – es würde Wasabi nicht schaden, bereits jetzt selbst Verantwortung übernehmen zu müssen. Hatte sie bis hier hin ja auch tun müssen. Schließlich war sie Hausmeisterin gewesen, da musste man schon sehr gewissenhaft arbeiten. Zumindest stelle er sich diese Tätigkeit so vor. Nicht, dass er wirklich viel über die Arbeit eines Hausmeisters wusste… doch das tat aktuell ja auch nichts zur Sache. „Bereit?“, fragte er mit einem aufmunternden Lächeln gen Wasabi und klopfte im nächsten Augenblick an die Tür. Es dauerte nicht lange, da wurden sie hereingebeten. Er legte die Hand auf die Klinke, drückte diese herunter und betrat als erster den Raum. Allerdings nur, um der jungen Frau die Tür aufzuhalten. Danach schloss er diese wieder, stellte den Koffer daneben ab und drehte sich mit einem Lächeln zu seinem Chef. „Guten Morgen, Vincent. Hoffentlich habe ich deine Pläne heute nicht durchkreuzt.“ Und das hoffte er wirklich. Nicht, dass es wirklich schlimm war. Schließlich war es der Job des Heimleiters, sich um solche Angelegenheiten zu kümmern. Aber dennoch… seit dem Ball machte er sich vermutlich viel zu viele unnötige Gedanken. Naja. Die goldfarbenen Augen wanderten kurz zu Wasabi, dieser noch einmal einen aufmunternden Blick zuwerfend. Er würde sich erst einmal zurückhalten, schließlich war es ihr Anliegen. Nur, wenn von der baldigen Schülerin nichts kam, würde er sich selbst einschalten. So hatte er alle Zeit der Welt, seinen Blick durch das Büro schweifen zu lassen und – zumindest halbwegs – in seinen Gedanken zu versinken. So oft war er ja nun nicht hier. Großartig etwas verändert hatte sich allerdings nicht, es herrschte noch immer das gleiche Aktenchaos, wie immer. Ob er selbst das besser handeln konnte, stand allerdings außer Frage. Er beneidete den Werwolf keinesfalls um seine Position. Das war ja praktisch wie Erzieherdasein mit Extraaufgaben. Mit sehr vielen Extraaufgaben. Schließlich musste er alles organisieren und an besonderen Ereignissen, wie dem Ball, eine Rede halten. Nein, nichts, wozu sich der Vampir in der Lage sah. Natürlich hatte er es noch nicht ausprobiert. Doch das würde hoffentlich auch so bleiben. Schließlich wurden Werwölfe seines Wissens nach alt, sehr alt sogar, sodass an eine Ablösung so bald nicht zu denken war. Während seines kleinen Gedankenspiels hatte es sich der Vampir in einem der Sessel bequem gemacht und lehnte sich – vorerst noch – entspannt zurück, bis sein Typ verlangt wurde.
Vincent, Mittwoch 24.06.2015 mit Jakob und [Wasabi]
Bevor ich mich jedoch meiner Vervollständigung der Handykontakte widmen konnte, studierte ich das Blatt Papier auf meinen Schreibtisch. Eine kurze Zusammenfassung weshalb die neuen Klasseneinteilung nötig gewesen war. Mein Auge überflog grob was dort stand, im Grunde genau das, was ich mir bereits bei dem Ausbruch meines Sohnes zusammengereimt hatte. Es machte auch Sinn, die Klassen so einzuteilen, dass der Wissensstand in etwa gleich war. Befürwortete ich daher, auch wenn es Cyril nicht gefiel. Doch weitere Gedanken musste ich mir nicht machen, da ein Klopfen meine Aufmerksamkeit forderte. Mit einem "Herein" gab ich den Außenstehenden zu verstehen, einzutreten. Ich war auch nicht verwundert Jake und Wasabi in meinem Büro begrüßen zu dürfen, immerhin hatte mich der schwarzhaarige Erzieher bereits darüber informiert, dass man mit mir sprechen wollte. Ich winkte mit einer Handbewegung ab, immerhin zählte es ja zu meinen Aufgaben für meine Erzieher, für anderes Personal und für meine Schäfchen da zu sein. »Guten Morgen ihr zwei. Alles gut.«, versicherte ich den Beiden und bedeutete ihnen sich zu setzen. Stehend musste man das Anliegen ja nicht vortragen. Damit man auch nicht schreiend sein Anliegen vortragen musste, nahm ich gegenüber von den beiden Sesseln auf der Couch Platz. So ließ es sich - meiner Meinung nach - besser sprechen. Außer ich hielt eine Standpauke und verhängte Strafen an die Kids, dann mussten sie vor meinem Schreibtisch stehen und sich meine Rede anhören. Gerne zog ich während meiner Rede auch ein paar Kreise im Zimmer, manchmal auch um den Scherzbold. Wie es mir beliebte.
Es brauchte eine Weile, bis Wasabi schlussendlich mit ihrem Anliegen rausrückte. Anscheinend war ihr die Entscheidung nicht leicht gefallen. Wasabi wollte nicht mehr als Hausmeisterin tätig sein, sondern ebenfalls die Shima no Koji Oberschule besuchen. Woher der plötzliche Sinneswandel kam, konnte ich mir jetzt nicht erklären. Aber sie hatte sicher ihre Gründe. Immerhin wimmelte es hier nur so von andersartigen Personen, daher wollte ich ihrem Anliegen auch nicht im Wege stehen. Ob man für Avon einen Ersatz suchen musste? Da würde ich mich wohl direkt mit meiner Blaubeere unterhalten müssen. Zum Glück hatte ich mir die Info betreffend der Klassen vorher angeschaut, und da ich ihre Akte kannte, konnte ich es mir erlauben eine Zuordnung zu treffen. Natürlich würde ich auch noch mit Julia Rücksprache halten, ob das auch in ihrem Intermessen lag. »Da du ja jetzt Schülerin sein wirst, werde ich dir auch gleich ein Zimmer zuordnen.«, gab ich der Grünhaarigen zu verstehen, ehe ich mir kurz meine Liste der Zimmereinteilungen schnappte. Serah war bislang alleine in einem Viererzimmer, zwar auch noch nicht sonderlich lange auf der Insel, aber es konnte der Beginn einer Freundschaft werden. Zwei Mädchen die gemeinsam die Insel erkundeten, sich abends in ihren Betten unterhielten und Geheimnisse austauschten. Ich war mit meiner Wahl zufrieden. »Du kannst deine Sachen gerne noch ins Zimmer 107 bringen. Deine Mitbewohnerin ist Serah. Ich denke, ihr werdet euch verstehen. Die Uniform bringe ich dir im Laufe des Tages ins Zimmer. Sollte man dich deswegen in der Schule anhalten, kann man sich gerne an mich wenden.«, wandte ich mich lächelnd an Wasabi. Mit einem Nicken und ein paar weiteren ausgetauschten Worten war die Sache somit erledigt. »Ich wünsche dir, einen angenehmen Schulstart und vorallem viel Spaß.«, kurz knuffte ich ihre Schulter, bevor sich sie entließ, damit sie ihre Sachen noch verstauen konnte und pünktlich zum Unterricht in der Sternenklasse erschien, den Stundenplan hatte ich ihr auch ausgehändigt und ihr die wichtigsten Details genannt, wie Wahlfächer und Fähigkeitstrainingsfächer.
»Du hast aber auch keine ruhige Minute, was?«, grinste ich den schwarzhaarigen Erzieher an, ehe ich mich wieder ihm gegenüber auf der Couch platzierte. Was solche Dinge betraf, war meistens Jakob involviert oder wenn man mir was beichten musste. Irgendwie war der Erzieher immer zur falschen Zeit am falschen Ort. Für mich war es zwar gut, dass er seinen Job gewissenhaft erledigte, aber für Jakob ebenfalls mit einer Menge Arbeit verbunden. Ein kurzes Grinsen huschte über meine Lippen. »Was steht bei dir jetzt an?«, richtete ich mein Wort abermals an den Wuschelkopf.
Wie erwartet, hatte der Heimleiter bereits auf die beiden gewartet. Man konnte also von Glück sprechen, dass Jacob gegen Ende doch etwas Druck gemacht hatte, damit sie ihn nicht zu lange im Regen stehen lassen. Wasabi brauchte etwas, setzte sich dann aber neben ihm in den freien Sessel, Vincent machte es sich ihnen gegenüber bequem. Wie versprochen hielt sich der Vampir im Gespräch der beiden zurück, da von dem Mädchen allerdings keinerlei hilfesuchende Blicke kamen, schien das auch gar nicht nötig zu sein. Umso besser. Nachdem alle Formalitäten geklärt waren, schenkte er ihr beim Gehen noch ein aufmunterndes Lächeln und widmete seine Aufmerksamkeit schließlich seinem Chef. „Tja, ruhig ist doch langweilig“, erwiderte er mit einem sanften Schmunzeln auf den Lippen. Wobei, so ganz vertrat er diese Meinung im Moment gar nicht. Und vielleicht… kaum sichtbar musterte er den Weißhaarigen und versuchte, seine Laune einzuschätzen. Aber warum sollte er damit noch warten? Zumal ihm die folgende Frage den perfekten Anhaltspunkt lieferte. „Weißt du, Vincent… ich habe beim Ball doch diese Kreuzfahrt gewonnen“, begann er und ließ seinem Gegenüber einen kleinen Zeitraum für Spekulationen. Zu gern wüsste er jetzt, was in seinem Kopf vor sich ging. Aber Gedankenlesen zählte leider nicht zu seinen Fähigkeiten, so musste er wohl oder übel auf ausformulierte Gedanken warten. „Roxanne hat sich noch immer nicht gemeldet, aber so langsam könnte ich vielleicht etwas Urlaub gebrauchen.“ Urlaub von den Kindern, der Arbeit. Aber allem voran wohl Urlaub von seinen Gedanken, die sich noch immer die Hoffnung machen, dass das zwischen der hübschen Ärztin und ihm noch etwas geben würde. Doch wer bei einem – zumindest aus seiner Sicht – gut laufendem Date ohne ein Wort verschwand, tja, das war vielleicht eindeutig genug. Auch, wenn er sich ursprünglich noch mit Karina treffen wollte, um von ihr einige Tipps zu bekommen, wie er das Ganze doch noch retten konnte. Was im Nachhinein doch ziemlich dämlich klang. Würde Roxanne wirklich etwas von ihm wollen, hätte sie sich in der Zwischenzeit garantiert gemeldet. Da das aber nun mal nicht der Fall war, musste Jacob sich die Abfuhr wohl endlich eingestehen. „Ich denke nicht, dass das noch einen Sinn hat… also, weiter auf sie zu warten.“ Es war kaum zu überhören, wie sehr ihn diese Tatsache traf. Da war alle Mühe, es irgendwie zu verschleiern ohnehin vergebens. Und hey, sicherlich konnte Vincent das gut nachvollziehen. „Deshalb habe ich mir überlegt, einfach alleine zu fahren. Das zweite Ticket lasse ich hier, du kannst es gern für dich nehmen. Oder jemand anderem geben, der mal aufs Meer möchte.“ Es einfach so verfallen zu lassen war definitiv zu schade. „Wir sehen uns dann in ein paar Wochen wieder.“ Lächelnd stand der Erzieher auf und ging hinüber zur Tür. „Ruf mich an, falls dir hier alles auf den Kopf fällt. Und wenn Roxanne doch noch nachfragt… du weißt ja, was los ist.“ Schließlich hob er zum Abschied noch einmal die Hand und verließ das Büro des Direktors, auf dem Weg zu seinem Zimmer, um alles für die kleine Reise zu packen. Auf dem Weg dahin schrieb er noch ein paar Nachrichten, aktualisierte den Zettel an seiner Zimmertür – damit die Kinder auch wussten, dass er zurzeit nicht da war – und machte sich auf, zu seinem wohlverdienten Urlaub.