Das Büro der Heimleitung. Wenn man den Raum betritt, so findet man vor sich direkt einen Tisch, welcher von einer Sofalandschaft und einem niederen Tisch umringt ist und für Besprechungen aller Art genutzt werden kann. Oft trifft man hier auch auf Eltern, die sich über das Wohnheim und die Schule erkundigen möchten. Dahinter befindet sich der Arbeitsplatz des Heimleiters bestehend aus einem Schreibtisch - welcher einen sehr edlen Stuhl beherbergt, der sicher schon einige Jährchen auf dem Buckel hat - und Regalen welche die Akten der Heimbewohner, sowie deren Zimmernummern beinhalten. Seinen Schlüssel für sein Zimmer kann man hier ebenfalls abholen. Doch Vorsicht! Wer die Hausordnung bricht, könnte hier ganz schnell auch zu weniger angenehmen Dingen sitzen.
Die Einrichtung war sicher nicht jedermanns Sache. Aber was erwartete man von einem alten Herrenhaus? Modernität war hier fehl am Platz und es störte mich nicht sonderlich, zumal ich mich nicht den gesamten Tag über in meinem Büro aufhielt. Für Bürokram oder Besprechungen war das Zimmer ganz gut geeignet und gegen das riesige Ledersofa hatte ich auch nichts einzuwenden. Für den eigenen Gebrauch würde ich es zwar nicht bevorzugen, aber das tat hier nichts zur Sache. Es erfüllte seinen Zweck und das war die Hauptsache. »Die Möbel sind ganz in Ordnung, ja.«, antwortete ich der neuen und einzigen Hausmeisterin.
Nach einem kurzen Zögern schüttelte die Grünhaarige ebenfalls meine Hand, der Generalschlüssel hatte ebenfalls bereits den Besitzer gewechselt. Somit waren die Formalitäten wohl abgeschlossen. Die Frage nach ihrer ersten Arbeit überrumpelte mich ein wenig. Ich hatte absolut keine Ahnung, was als erstes auf dem Programm stand, zumal ich das Anwesen noch gar nicht so genau unter die Lupe genommen hatte. »Vielleicht sollten wir mal einen kleinen Rundgang machen, damit du dich hier schneller und leicht zurecht findest. Was das Technische angeht, wird mir sonst schon etwas einfallen.«, plapperte ich drauflos. Ein wenig kannte ich mich mit technischen Dingen schon aus, aber das lag eher in dem Bereich des Programmierens. Wie man einen Computer zusammenbaute entzog sich meiner Kenntnis. Aber ich würde, sollte der Fall eintreten, schon irgendwie damit fertig werden. Bevor jedoch Wasabi auf meinen Vorschlag eingehen konnte, klopfte es sachte an der Tür. Meine Nase verriet mir, dass sich dahinter Rhea befand. Ein kurzes Grinsen huschte über meine Lippen, anscheinend war ihre Sehnsucht zu groß gewesen oder aber sie hatte Sorge, dass ich Wasabi was antun würde. Frauen. »Herein.«, antwortete ich daher bestimmt und laut genug, dass man es auch von der anderen Seite der Tür hören konnte. Von schalldicht konnte man hier ebenfalls nicht sprechen, es war eben doch ein älteres Haus und man hatte nicht unbedingt so viel Wert darauf gelegt. Aber das störte mich ebenfalls nicht, zumal niemand bei klarem Verstand ein wichtiges Gespräch vor dem Heimleiterbüro bestritt. Meine Ohren waren sowieso besser als andere, daher half Flüstern ebenso wenig.
Ein Rundgang klang aufregend. Die Hausmeisterin hatte noch keine Gelegenheit gehabt, um sich an ihrem neuen Arbeitsplatz umzusehen, deshalb war sie von diesem Vorschlag begeistert. Müsste sie allein losstiefeln, würde sie sich wahrscheinlich nur verlaufen und schließlich wieder beim Heimleiterbüro aufschlagen, ohne viel vom Gebäude mitgenommen zu haben. „Ja, bitte!“ Bevor Wasabi fragen konnte, ob sie den Rundgang jetzt gleich machen könnten, klopfte es an der Tür. Neugierig, wer sich dahinter verbarg, linste die Grünhaarige an Vincent vorbei und wartete darauf, dass die Person, wer immer es war, eintrat. Sie hatte keine Idee, welchen Besuch der Heimleiter erwartete, doch fühlte sie sich so oder so nicht gezwungen zu gehen. Der Gedanke kam ihr nicht einmal in den Sinn. Wenn man sie darum bitten würde das Büro zu verlassen, würde Wasabi dieser Bitte natürlich nachkommen, aber von sich aus schaltete sich keine Stimme ein, die ihr ein Gefühl vom dritten Rad am Wagen vermittelte. „Kriegen Sie Besuch?“, warf sie noch in den Raum, bevor die Person auf der anderen Seite Anstalten machte einzutreten. Abwartend zog Sabi die Beine auf das (vorhin noch gepriesene) Sofa und starrte die Tür an, als könnte sie diese mit ihren nicht vorhandenen telekinetischen Kräften selbst öffnen.
Vincents „Herein“ folgte unmittelbar nachdem Rhea angeklopft hatte. Als ihre schmale Hand nach der Türklinke griff, vernahm sie wieder Sabis Stimme, die sich beim Heimleiter erkundigte, ob Besuch erwartet wurde. Sie fragte sich kurz, wie die Grünhaarige wohl auf ihr Erscheinen reagieren würde und für ein paar Sekunden umspielte wieder ein Lächeln ihre Lippen, das aber mit dem Eintreten ins Büro wieder verschwand. Der übliche unbewegte Gesichtsausdruck war zurückgekehrt, als sie mit halbem Fuss den Raum betreten hatte. „Hallo.“ Etwas mechanisch hob Rhea ihre Hand zur Begrüssung, als sie Wasabi und Vincent erblickte. Während sie dann auf die beiden zuging, wanderten die grauen Augen der Dämonin kurz über den Raum und das Interieur. Es sah zwar ein wenig anders als Vincents altes Büro aus; vom Stil her hatte sich aber nicht viel verändert. Dementsprechend liess sich Rhea auch nicht zu einem Kommentar hinreissen und von ihrer Mimik liess sich ebenso wenig herauslesen, welche Ergebnisse sich aus ihrem kritischen Blick ergeben haben. Viel anzumerken gab es da auch nicht und Small Talk war sowieso noch nie ihre Stärke gewesen. „Ich hoffe, ich habe euch nicht gestört...“, fügte sie dann – mit einer kleinen Verzögerung – ihrem „Hallo“ hinzu. Tatsächlich war sie leicht verunsichert gewesen, ob sie die zwei nicht bei etwas Wichtigem unterbrochen hatte, liess sich aber gegen aussen nichts davon anmerken. Ein wenig war sie wohl auch aufgeregt darüber, wie Wasabi sich hier einleben würde. Nach den Startschwierigkeiten bzw. dem Lykanthropen-Angriff war der erste gute Eindruck wohl dahin und wie Rhea nun einmal war, machte sie sich darum natürlich nur noch mehr Sorgen.
Ihre Augen fingen förmlich an zu strahlen, als ihre Rhea wenig später in der Tür erschien. Der angepriesene Rundgang war (zumindest vorübergehend) von ihrer Festplatte gestrichen worden. All ihre Aufmerksamkeit galt für diesen Moment der Erzieherin. Dass Rhea wenige Emotionen durchscheinen ließ, irritierte Wasabi dabei nicht im Geringsten. Sie war die gefühlskärgliche Aura, die Rhea manchmal an den Tag legte, schon gewohnt. Auch, wenn es oft schön war von der Blauhaarigen umarmt und getätschelt zu werden, fand sie es nicht schlimm, dass Rhea in der Öffentlichkeit meist distanzierter auftrat. So war das eben.
„Nein!!“, rief sie aus, bevor Herr Vincent die Gelegenheit hatte, etwas zu sagen. Sabi glaubte aber sowieso nicht, dass er anders geantwortet hätte. Sie hatten ja eigentlich nichts mehr zu besprechen gehabt und hätten nur aufeinander gehockt, wäre Rhea nicht aufgetaucht. Wobei … der Rundgang! Da fiel er ihr wieder ein. Auf den Knien hockte sie sich auf die Armlehne des Sofas und lehnte sich nach vorn in Richtung Tür. „Herr Vincent hat gesagt wir machen einen Rundgang! Kommst du mit?“, fragte sie Rhea, bevor sie eine plumpe Drehung machte und sich an Vincent wandte. „Darf Rhea mitkommen?“ Ihr Herz pochte so schnell vor Freude und Aufregung. Ihre Mutter würde sie wahrscheinlich ermahnen sie solle sich beruhigen und angemessen verhalten. Aber Wasabi konnte ihre gute Laune kaum verbergen. Ihr neuer Chef war wirklich nett, der erste Arbeitstag verlief (bis auf die Verspätung) reibungslos und Rhea war wieder zu ihnen gestoßen. Die Welt war gerade einfach nur schön.
Der Vorschlag einen Rundgang zu machen, traf auf Anklang seitens der Grünhaarigen. Ein kurzes Zucken meiner Mundwinkel konnte ich mir dabei nicht verkneifen. Alles Weitere hatten wir soweit eigentlich auch geklärt. Somit konnten wir den Rundgang meiner Meinung nach gleich beginnen. Doch das Klopfen kam uns da leider dazwischen und die Frage, ob ich noch Besuch bekäme, konnte ich gar nicht beantworten, da war Schlumpfine bereits in den Raum getreten. Somit waren die beiden wohl wieder vereint, was auch Wasabi sehr zu freuen schien. Denn anstatt meiner Stelle antwortete sie ihr bereits, dass sie nicht störte. Anscheinend hatte ich eine Assistentin gefunden. Vielleicht sollte ich ihr vorschlagen den Hausmeisterposten an den Nagel zu hängen und bei mir anzufangen. Aber um ehrlich zu sein, war hier gar nicht so übermäßig viel zu tun, deshalb würde sich Wasabi sicher schnell langweilen, daher verwarf ich den Gedanken und ließ mich auch nicht zu einem blöden Kommentar hinreißen. Trotz allem musste ich wieder Grinsen, als Wasabi unser Vorhaben eröffnete und Rhea gleich einlud ebenfalls den Rundgang zu absolvieren. Erst nach der Einladung kam man auf die Idee auch mich zu fragen, was die Grünhaarige nachholte. Da konnte man wohl unmöglich nein sagen. »Je mehr desto besser und du hast das neue Wohnheim ja auch noch nicht gesehen. Also, Lust?«, wandte ich mich nun an die Erzieherin. Zwar war ich mir ziemlich sicher die Antwort bereits zu wissen, aber ich wollte mir nichts vorwerfen lassen. Daher war nachfragen nur eine Art der Absicherung. Ich hätte Rhea sowieso noch einmal aufgesucht und sie zu einem Rundgang eingeladen, wenn sie sich gerade selbst in mein Büro gekommen wäre. Somit konnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, einmal weniger Gerede. Der Tag konnte nur noch besser werden. »Dann würde ich vorschlagen, dass wir beginnen. Wir können ja gleich hier starten. Also das ist das Büro des Heimleiters, meiner Wenigkeit. Sieht ziemlich altertümlich aus, aber es erfüllt seinen Zweck.«, erklärte ich höchst professionell. Hoffte ich zumindest. »Ich habe immer ein offenes Ohr. Man findet mich meistens hier, aber ansonsten kann man mich auch auf dem Handy erreichen. Meine Telefonnummer hängt am schwarzen Brett.« Ob es nun jemanden interessierte oder nicht, ich wollte es einfach angemerkt haben. Rhea würde meine Nummer zwar nicht mehr brauchen, aber vielleicht war sie schusselig genug, sie irgendwie zu löschen. Konnte durchaus passieren.
Sehr enthusiastisch und vielleicht ein paar Dezibel zu laut für eine gewöhnliche Unterhaltung dieser Art, hatte Wasabi der Erzieherin versichert, dass sie die beiden keineswegs mit ihrer Anwesenheit stören würde. Rhea war inzwischen neben Wasabi herangetreten und streichelte ihr kurz über den grünen Wuschelkopf. Ruhig hörte sie zu, wie die neue Hausmeisterin sie ohne weiteres zum Rundgang miteinlud. Etwas fragend wandte sich die Blauhaarige, deren Aufmerksamkeit eben noch ganz Sabi gewidmet war, dem Heimleiter zu. Vincent schien wohl ebenfalls nicht dagegen zu haben und stimmte dem Vorschlag der Neuen zu. Rhea konnte also gar nicht anders. „In Ordnung. Sehr gerne sogar“, antwortete sie und sah abwechselnd von Vincent zu Wasabi.
Es traf sich eigentlich gut, dass sie nun am Rundgang teilnahm. Schliesslich kannte sie das Gebäude noch gar nicht und hatte bisher bis auf den Speisesaal und ihre neue Wohnung kaum etwas gesehen. Dass sie sich eben verlaufen hatte, war eigentlich Bestätigung genug, wie sehr sie eine Führung durch das Gebäude nötig hatte. Den unbeabsichtigten Spaziergang liess Rhea jedoch unerwähnt. Einerseits wollte sie nicht, dass Wasabi sie für eine unzuverlässige Erzieherin hielt und andererseits war da irgendwo die Befürchtung, dass der Kartoffelpirat sie vielleicht dafür aufziehen würde... oder noch schlimmer: Er hielt sie nicht für gesund genug und würde sie zurück ins Bett schicken. Bei diesem Gedanken rümpfte Rhea leicht die Nase und konzentrierte sich dann wieder ganz auf Vincents Stimme. Er erklärte gerade wie und wo er erreichbar war und die Dämonin machte sich eine kurze Gedankennotiz. Sie gab sich zwar Mühe, mit der heutigen Jugend standzuhalten, aber ein einfaches Unterfangen war das nicht. Mit dem Smartphone kommt sie gerade noch so zurecht, aber sie war lieber für jeden (Not)Fall vorbereitet. Dem viereckigen, dünnen Stück Metall gegenüber war sie immer noch ein wenig skeptisch eingestellt. Ihr Blick wanderte nochmals kurz über das Interieur, ehe sie sich wieder Wasabi und Vinny zuwandte. Auf einen mündlichen Kommentar ihrerseits verzichtete sie vorerst noch und zog es vor, den beiden weiter zuzuhören.
Wasabi grinste breit und zufrieden als Rhea ihren Kopf tätschelte. Man könnte beinahe denken, sie musste in ihrem früheren Leben ein Welpe gewesen sein. Oder ein Tierwesen vielleicht. Im Gegensatz zu den meisten Hunden genoss sie diese Art der körperlichen Zuneigung aber nicht bei jedem. Würde Vincent ihr einfach so über den Haarschopf streicheln, wäre es eher irritierend für die Grünhaarige. Nein, solche Gesten akzeptierte sie nur von wenigen und Rhea war eine der Auserwählten. Das kurze Gespräch zwischen Rhea und Vincent verfolgte Sabi schweigend und abwartend. Rhea stimmte dem Vorhaben zu und der Heimleiter gab sein Okay. Damit war die Planung beendet und es konnte losgehen, oder? Etwas unruhig rutschte sie auf dem Sofa herum, während Herr Vincent noch einige erläuternde Worte über sich selbst in den Raum warf. Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen, um das Wohnheim zu erkunden, doch die guten Manieren, die man ihr mühsam eingetrichtert hatten, verbaten es ihr. Ein Seitenblick zu Rhea, die schweigend dastand und den Worten des Mannes lauschte, überzeugte Wasabi schließlich vollends, Vincent nicht zu unterbrechen. Aktiv hörte sie ihm allerdings auch nicht zu. Die Tatsache, dass seine Handynummer an einem schwarzen Brett hing beispielsweise, würde Wasabi innerhalb der nächsten Stunden wieder vergessen haben. Trotzdem konnte sie sich die Frage, die ihr spontan in den Sinn kam, nicht verkneifen. „Warum hängt Ihre Telefonnummer an einem schwarzen Brett?“, wunderte sie sich verdutzt. Warum ausgerechnet an einem schwarzen und nicht an einem weißen Brett? Und sicherlich gab es viele Bretter in diesem Gebäude. Wie sollte sie das richtige finden? Ahnungslos schaute sie zwischen Rhea und Vincent hin und her, wobei ihr Blick bei letzterem hängen blieb. Wasabi wollte den Beginn des Rundgangs nicht weiter verzögern, indem sie zu viele Fragen stellte. Aber hatte die Neugier sie einmal gepackt, konnte sie sich nur schwer aus ihren Fängen befreien. Da Vincent ihr die Frage doch mit Sicherheit auch im Stehen oder gar Gehen beantworten konnte, rutschte sie schon einmal von der Couch und reihte sich neben Rhea ein. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen blinzelte sie Vincent erwartungsvoll sowie etwas fragend an.
Wie nicht anders zu erwarten, stimmte auch Rhea einem Rundgang zu. Es kam ihr wohl ebenfalls sehr gelegen und wenn ich ehrlich war, dann hatte ich auf eine anspruchsvollere Aufgabe auch keine Lust. Wobei mir Wasabi ein wenig so vorkam als hätte sie Hummeln im Hintern. Es war eben alles sehr spannend und aufregend, wenn man einen neuen Job antrat. Darum wollte ich ihr den Einstieg auch nicht unnötig schwer machen. Ein gewisses Maß an Hirn und den damit verbundenen Hausverstand setzte ich voraus, daher war ein langes Aufzählen der Regeln und Vorschriften wohl nicht von Nöten. Bei Zweifelsfragen war ich gerne bereit Rede und Antwort zu stehen. Insofern es in meinem Ermessen lag, diese Fragen auch zu beantworten. Schließlich war ich nicht Allwissend, zwar nah dran, aber eben nur nah.
Als ich bereits meinen ersten Schritt tun wollte, hielt mich die Stimme der Grünhaarigen davon ab und verharrte in meiner Position. Warum meine Telefonnummer auf einem schwarzen Brett hing, war ihre Frage, die mich doch ein wenig aus dem Gleichgewicht brachte. Irgendwie kam mir diese Situation merkwürdig bekannt vor. Isalija war auch so ein Mädchen gewesen, was sich in der heutigen Zeit anscheinend noch nicht wirklich zurecht fand. Ob es bei der Grünhaarigen ebenfalls so war? Ich hatte mir ihre Akte nur flüchtig durchgesehen. Das wurde mir jetzt wohl zum Verhängnis. »Nun, das schwarze Brett ist nicht wirklich ein schwarzes Brett. Es dient lediglich zum Informationsaustausch und um wichtige Nachrichten für jedermann zugänglich zu machen. Daher erschien es mir als eine gute Idee meine Telefonnummer dort zu hinterlassen, sollte man mich einmal ganz dringend erreichen wollen.«, beantwortete ich ihre Frage. Hoffentlich zufriedenstellend. Aber bevor es noch weiter ausartete, setzte ich meinen Weg in Richtung Tür fort. Immerhin mussten wir ein Wohnheim erkunden und das ließ sich nicht einfach in 10 Minuten bewerkstellig. Das Gebäude war schließlich riesig. »Folgt mir unauffällig. Die Führung beginnt jetzt.«, gab ich mit fester Stimme von mir. Ein wenig kam ich mir wie ein Fremdenführer vor, es fehlte nur noch ein Stock, den man in die Luft halten konnte, damit niemand die Gruppe verlor. Aber da ich nur zwei Interessenten vorzuweisen hatte, konnte ich getrost auf so ein Mittel verzichten.
Der Rundgang war ein voller Erfolg gewesen, auch nach den unzähligen Fragen und Räumen später. Es hatte doch deutlich länger gedauert, als vorher angenommen. Aber das gehörte eben auch zu meinem Job, neuem Personal das Wohnheim zeigen. Klar, hätte ich es auch einen meiner Erzieher machen lasse können, aber die sollten sich lieber um die Quälgeister kümmern, damit ich meine Ruhe hatte. Das nannte man Prioritäten setzen, darin war ich ein unschlagbarer Meister. Man sollte meine Aufgabenverteilung auch nicht in Frage stellen, wenn man den vollen Gehalt auf sein Konto überwiesen haben wollte.
Als wir wieder bei meinem Büro - der Ort wo alles anfing - zurückgekehrt war, wandte ich mich an meine beiden Damen. »Alles klar soweit?« Eigentlich konnte es jetzt keine Fragen mehr geben, die würden sich wohl erst im Laufe der nächsten Tage einstellen. Aber wir würden schon eine gemeinsame Antwort finden, auf welche Fragen auch immer. Vielleicht sollte ich mir die Fragen und Antworten auch aufschreiben, damit ich ein Handbuch für Neuankömmlinge erstellen konnte. Diese Idee würde ich auf alle Fälle im Hinterkopf behalten. Da alle Fragen beantwortet waren und ich noch ein bisschen etwas an Arbeit zu tun hatte, setzte ich die beiden Namen manierlich vor die Tür. Rhea würde sicher nichts dagegen haben noch ein wenig alleine mit der Grünhaarigen zu plaudern. Sie waren ja beinahe wie ein Herz und eine Seele.
Nachdem ich meine Arbeit für den restlichen Tag erledigt hatte, es gab zum Glück keine Beschwerden oder andere Vorkommnisse. Das hieß für mich: Zeit für Feierabend. Ich freute mich schon auf meine Wohnung, auf das Kochen gerade nicht, aber was tat man nicht alles um kein Fett anzusetzen. Mit meinem Hab und Gut machte ich mich also auf den Weg in meine eigenen vier Wände.
Extrem viel von der Führung hatte die Grünhaarige nicht behalten. Ihr Auge war rastlos über Türschilder und Pinnwände gewandert, sodass sie sich die eigentlichen Wege von einem Ort zum anderen nicht gemerkt hatte. Doch selbst wenn sie das Hauptaugenmerk auf die Vernetzung der einzelnen Flure gelegt hätte, wäre wahrscheinlich nicht viel kleben geblieben. Nach der beendeten Tour fühlte sie sich jedenfalls nach wie vor etwas verloren im großen, wuseligen Heim, allerdings irgendwie auch willkommener als zuvor. Lag wohl an Herr Vincents freundlichen Erklärungen und Hinweisen zu allen möglichen Dingen. Seine Stimme hallte immer noch in Wasabis Kopf nach, nachdem sie sich von dem Heimleiter und Rhea verabschiedet und ihren ersten eigenständigen Streifzug durch das Wohnheim unternommen hatte. An ihrem ersten Tag gab es nicht allzu viel zu tun, sodass Sabi die meiste Zeit nutzte, um sich noch einmal mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen. Nicht, ohne Rhea dabei den ein oder anderen Besuch abzustatten. Es hätte ja vielleicht sein können, dass zufällig ein Rohr in ihrer Wohnung gebrochen war. Nach stundenlangem, eher unproduktivem Hin und Herlaufen trat Wasabi ihren Rückzug in die Stadt an. Am liebsten hätte sie bei Rhea übernachtet oder die Erzieherin in ihr Apartment verschleppt, doch es nutzte nichts. Hier musste sie ausnahmsweise Selbstständigkeit beweisen. Daheim schlüpfte sie sofort in gemütliche Schlafkleider, führte ein kurzes Telefonat mit ihrer Familie auf dem Festland und schlief schließlich ein.
Die Zeit mit den Jungs verging immer viel zu schnell. Aber das war auch gut so, so kam keine Langweile auf und Langweile konnte ja bekanntlich tödlich sein. Als Riley und ich uns von der Blaubeere verabschiedet hatten, schlenderten wir gemächlichen Schrittes zu meinem Wagen. Wie Costa bereits angemerkt hatte, hasste nicht nur er es zur Arbeit zu joggen und außerdem wäre es doch ein ganz schönes Stück. Das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, die bereits jetzt schon sehr knapp war. »Um auf das Thema Arbeit zurückzukommen, eigentlich brauch ich Hilfe bei meiner Rede. Du weißt schon die Ansprache beim Ball. Ich hab' sowas von keine Lust drauf.«, verzog ich beim Reden mein Gesicht. Vielleicht lagen doch noch ein paar Papiere auf meinem Schreibtisch rum, die ich zuerst bearbeiten musste, damit ich beruhigt schlafen konnte. Meine Unlust betreffend der Rede lag nicht nur an der Tatsache, dass ich solche Förmlichkeiten nicht leiden konnte, sondern auch, dass die Rede vor allen Schülern und Lehrern stattfand. Mein Lampenfieber hatte sich bislang leider noch immer nicht gelegt. Ich bekam beinahe das Kotzen wenn ich daran dachte, den kalten Schweiß der sich bereits auf meiner Stirn bildete, wischte ich mir elegant mit einem aus der Hose gefischten Taschentuch weg. »Mein Wagen sollte gleich in Sicht kommen.«, gab ich Costa bekannt. Immer noch musste ich über Rileys Bemerkung mit dem Rollator Wettbewerb grinsen. Hieß also, dass mich der Blondschopf auch in diesen Zeiten zu seinen Freunden zählte. Ich hatte mir bislang noch keine Gedanken darüber gemacht. Wozu auch? Es lag doch klar auf der Hand, dass wir auch noch bis ins Rentneralter und darüber hinaus eine tolle Freundschaft pflegten. Alles andere kam mir absurd vor.
Mit dem Wagen verlief die Ankunft bis zum Wohnheim beinahe wie im Flug. Solange kein Verkehr herrschte, aber hier auf Isola gehörte Stau nicht zu einem normalen Tag. Gott sei Dank, sonst würde ich regelmäßig Wutausbrüche bekommen. Meine Haare würden sicher auch schnell grau werden, wenn sie nicht bereits schon grau wären. Das war der einzige Vorteil daran, ich konnte mich nicht an grauem Haar stören. Als wir am Wohnheim angekommen waren, parkte ich meinen Wagen wie üblich und stieg elegant aus meinem fahrbaren Untersatz. Nun konnte die Arbeit losgehen. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in mein Büro, hin und wieder nickte ich den vorbeilaufenden Kindern zu. Alles aufgescheuchte Hühner wenn man mich fragte, wobei ich bereits gespannt war, wer mit wem auf den Ball ging. Da war nun endlich das eigentliche Ziel erreicht hatten, holte ich ungefragt zwei Gläser und Whiskey zum Vorschein, so ließ es sich doch gleich viel produktiver arbeiten. »Hast du eigentlich schon eine Vermutung wer mit wem zum Ball geht?«, stellte ich Riley die Frage, die ich mir bereits mehr als einmal gestellt hatte, während ich unsere Gläser füllte. Ich war mir sicher, dass nichts gegen ein wenig Vorglühen einzuwenden war.