Der Magieraum der Schule ist vermutlich der einzige, der sich nicht in das Gesamtbild des Gebäudes einfügt. Die Wände sind bis zu einem sehr großen Teil mit Holz verkleidet und auch das Mobiliar erinnert an bereits vergangene Zeiten, wurden jedoch all die Jahre über ordentlich gepflegt und wirken insgesamt sehr edel. Das Magiezimmer ist sehr oft abgedunkelt und wenn man gerade nichts von der Tafel abschreiben muss sind einige Kerzen und mysteriös schwebende, leuchtende Kugeln die einzige Lichtquelle. Damit auch wirklich jeder Schüler ein freies Sichtfeld auf das, was vor ihm gezaubert wird hat, sind die Stühle an beiden Seiten nur zu zwei Reihen angeordnet. In der Mitte befindet sich eine Art Gang, an dem man genug Platz für seine kleinen Experimente hat.
Es klingelte laut, weswegen ich aufschrak. Oh, nun ja. Die Stunde war wohl nun zuende. "Vergesst eure Hausaufgaben nicht!", sagte ich zur Klasse durch das Geräume hindurch und fügte hinzu: "Und schade, dass wir keine Demonstration sehen konnten. Das nächste Mal vielleicht!" Schnell sammelte ich meine Sachen auf, die ich während der Stunde auf dem Boden verteilt hatte und trug daraufhin ins Klassenbuch ein - nicht allzulange brauchte ich dafür, weswegen ich auch als erste aus dem Zimmer rauschte, in die Pause. Wo ich jetzt wohl Unterricht hatte? Und ob ich ihn erneut mit dem Handy vorbereiten konnte? Jedenfalls..ich musste meine Geschwindigkeit schon bald wieder eindämpfen, da ich ins Schwitzen kam.
Luca hatte mehr oder, wahrscheinlich eher weniger, dem Unterricht gelauscht, nun ja selbst dass stimmte nicht ganz, gelauscht hatte das Mädchen zwar schon, aber dass sie sich alles gemerkt hatte war eine andere Frage, aber so schlecht hat sie dem Unterricht nun auch nicht gefolgt, den sie hatte immerhin mitgeschrieben, ab und an war sie dennoch mit ihren Gedanken ganz wo anders genau wie ihr Blick, entweder wanderte dieser zum Fenster oder drehte kurz zu Shusei, wobei das wiederum schwieriger war weil sie einfach vor ihm saß und sich umdrehen musste. Eigentlich lauschte sie nur, sagte sich, war in Gedanken und schrieb dennoch mit. Sie konnte irgendwie in der Lage froh sein, dass sie ein Vampir war, den so konnte sie alles recht gut wahrnehmen selbst ohne ganz da zu sein. War das verwirrend, na ja vielleicht ein klein wenig. Erst als Shusei sprach, er muss sich gemeldet haben und seine Aussage verstand Luca aber sie hatte nicht wirklich den faden weswegen sie erst mal auf ihre Notizen sehen musste, aber allein seine Stimme hier im Klassenraum zu hören war wirklich toll. Irgendwo rumbste es und Luca schaute sich um, jemand schien, weggedämmert zu sein, leicht schmunzelte die Vampiresse und drehte sich wieder zurück, sie empfand es als nicht schlimm, sie wollte auch nicht das die Person dachte das sie ihn ausgelacht hatte. Es klingelte zur Pause was soviel hieß alle anderen konnten sich nun wieder rühren, was Luca auch gleich mal machte und sich erst einmal streckte, dann räumet sie erst mal fix alles in ihre Tasche und stand auf und lief langsam zu Shusei’s Platz und stellte sich mit verschränkten armen hinter den Rücken neben ihn. „ Guten Morgen...Shusei“ sagte sie und lächelte schwach, sie wusste gerade wirklich nicht was sie sagen sollte, sie war sogar schneller von ihrem Platz weg als ihre hübsche Lehrerin. „weißt du wie lange wir Pause haben?“ fragte die Vampiresse den hübschen Vampir, vielleicht konnten sie ja was essen gehen oder blieben einfach im Raum.
Als es zur Pause klingelte, ließ sich Shusei Zeit, seine Sachen zusammen zu packen. Dennoch war er, dank vampirischer Schnelligkeit, schneller fertig als die meisten anderen. Lediglich die Lehrerin war bereits aus dem Raum gestürmt, nachdem sie ihre verstreuten Habseligkeiten wieder eingesammelt hatte. Sie tat ihm schon ein wenig Leid. Da sie nun jedoch weg war und zudem jemand anderes in sein Blickfeld kam, wandte er sich von der Tür ab und sah auf. Luca war ebenfalls von ihrem Platz aufgesprungen und zu ihm gegangen. Lächelnd sah er sie an, stand auf und schulterte den Riemen seiner Tasche. „Guten Morgen. Wie geht es dir heute?“, erkundigte sich der Braunhaarige freundlich und mit ruhiger Stimme. Dass sie kurzzeitig stockte, ehe sie seinen Namen aussprach, nahm er zwar wahr, reagierte aber nicht weiter darauf. Sie kannten sich noch nicht lang, sodass sie sich seinen Namen vielleicht einfach noch nicht gemerkt hatte. Oder ihr war die Situation gestern so unangenehm gewesen, dass sie ihn am liebsten gar nicht angesprochen hätte. Andererseits war sie ja zu ihm gekommen. Obwohl er umgekehrt auch von sich aus zu ihr gekommen wäre. Seine Frage war nämlich durchaus ernst gemeint. Auch wenn er sie bewusst so formuliert hatte, um sie nach Möglichkeit nicht noch weiter in Verlegenheit zu bringen. Er sollte Rücksicht auf sie nehmen und sie nicht an gestern Abend erinnern. Offenbar hatte sie verschlafen und allein daran glaubte er zu sehen, dass sie nur schwer in den Schlaf gefunden hatte. Sonst wäre sie sicher rechtzeitig hier gewesen. Seltsam. Eigentlich kann ich mir da doch gar nicht so sicher sein. Ich kenne sie doch gar nicht, überlegte er, ließ sich das aber nicht anmerken. Sollten Verspätungen bei ihr üblich sein, würde er das in den nächsten Tagen ohnehin herausfinden. Auf ihre Frage hin warf er einen Blick auf die Uhr. „20 Minuten, aber wir müssen ja auch noch den Raum wechseln“, bemerkte er und sah wieder zu Luca. Mit einer Kopfbewegung wies er in Richtung Tür. Sie hatten denselben Weg, da konnten sie doch auch zusammen gehen. Allerdings durfte er nicht vergessen, unterwegs eine Bluttablette einzunehmen. Kurz verengten sich seine Augen, während er nachdenklich an dem Mädchen vorbei auf die nächste Wand hinter ihr sah. Dann erst glitt sein Blick zurück zu ihr. „Gibt es hier in der Nähe eine Jungstoilette?“, fragte er. Das Gebäude war ihm noch zu unbekannt und sie kannte sich schließlich hier aus. Vermutlich konnte sie auch leicht erraten, weshalb er dorthin wollte. Denn wo sonst sollte er jetzt einen Schluck Wasser herbekommen? Trocken wollte er die Tablette nämlich eigentlich eher ungern einnehmen. Zu staubig.
Während ich immernoch verunsichert zur Lehrerin schielte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel heraus, wie ein braunhaariger Junge, seine Hand hob und das Gedicht kommentierte. Puh. Wieder hielt die peinliche Stille nicht allzulange an und schloss kurz erleichtert die Augen. Frau Butterblume lobte mich nocheinmal und klatschte zur gleichen Zeit die Mäppchen vom Tisch. Huh, sie schien wohl sehr nervös zu sein? Mit einem mitleidigen Blick blinzelte ich zu ihr nach vorn und hätte ihr am liebsten geholfen. Sie schien wohl neu in diesem Beruf zu sein und es war sicher nicht einfach einer solchen Menge von Menschen gegenüberzustehen. Obwohl wir eigentlich alle recht brav waren. Interessiert hörte ich der Lehrerin zu und schrieb die Stichworte auf, welche sie auf die schwarze Tafel geschrieben hatte. Man verbrannte Menschen, die eigentlich gar nicht zaubern konnten? Bei dem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken runter. Wie diese Menschen nur leiden mussten.. und dabei konnten sie nichts dafür! Das war gemein.. Noch bevor ich eine Frage darüber stellen konnte, erklärte uns Frau Butterblume, dass wir nur noch 10 Minuten hätten und das wir nun gehen konnte. Ochh.. Ich hatte glaub bis jetzt noch nie so gut aufgepasst im Unterricht.. weshalb ich sehr stolz auf mich war. Langsam packte ich meinen Block in meine Umhängetasche und blinzelte nochmal aufs Handy im Falle, dass mir Naomi geschrieben hätte. Aber leider war im SMS Eingang keine neue Nachricht, also zog ich den Reissverschluss der Tasche zu und lauschte der Lehrerin. Sie wollte, dass wir darüber nachforschten, wie es speziell mit der Magie in unserem Land aussah. Wenn sie das nur wüsste.. Irgendwo in der Unterwelt wohlmöglich.. Ich kratzte mir den Kopf und hörte schon die Schulglocke. Pause! Das hiess auch, dass niemand seine Künste vorzeigen konnte, was ein trauriges Gesicht meinerseits zu Folge hatte. Vielleicht beim nächsten Mal.., dachte ich mir, während die Lehrerin schon davoneilte. Die hatte es ja eilig! Schulternzuckend drehte ich mich sogleich zu Takeru um. "Heey, hast du Lust etwas vom Kiosk zu kaufen?", fragte ich ihn lächelnd und stubste seinen Tisch an~
Genau so rasch wie Luca war auch Shusei mit dem einpacken seiner Untenseilen fertig und hatte diese auch in einer schwungvollen dennoch eleganten Bewegung geschultert und schaute zu Luca, fragte auch gleich sehr höflich und fürsorglich wie es ihr ginge, darüber dachte das Mädchen etwas nach und schaute dabei kurz an die Zimmerdecke und kaute sich kurz auf der Unterlippe rum, ehe sie wieder zu dem Vampir schaute. „Mir geht es besser, danke der nachfrage Shusei“ meinte Luca noch immer sehr höflich und zurückhaltend. Vor ihrem Inneren Augen sah sie das ganze was vor einigen Tagen passiert war, sie war Shusei begegnet und beide hatten etwas Zeit miteinander verbracht, leider hatte der ärmste, die Vampiresse in einer Stunde der Trauer erlebt, ja Luca war wirklich Deprimiert und traurig gerade zu zurück gezogen wollte sie sein, na ja wer konnte ihr das auch verübeln. Immer hin hatte sie einen lieben Menschen…oh Verzeihung einen netten Vampir verloren, aber wie hieß es so schon ein verloren und eins gefunden, oder war es eins gefunden und eins verloren, wie dem auch sei, es war doch allgemein Bekannt, dass man Bekanntschaften verlor und immer wieder neue knüpfen konnte, und wieso auch nicht hier, nein gerade hier in einer Akademie. In Gedanken versunken kaute Luca weiterhin leicht auf ihrer Unterlippe rum und schaute Ausdruckslos auf den Tisch wo Shusei gesessen hatte. Erst als Shusei wieder sprach, wie lange die Pause ging, kam Luca mehr oder weniger wieder zu sich und nickte, „Dankeschön…hm ist aber nicht alt so lang…dann sollten wir…öh sollte man sich beeilen meinst du nicht auch Shusei?!“ meinte na ja vielleicht fragte Luca auch, wobei es ihr komisch vor kam 'Wir' zu sagen. Irgendwie war es ihr, na ja nicht Peinlich aber doch etwas unangenehm immerhin kannte man sich noch nicht lange und…wieso machte sie sich wegen solcher Lappalien eigentlich solche Gedanken, dass war doch sonst nicht ihre Art. Shusei fragte wo die Jungentoilette sein und Luca nickte, „Jap, soweit mir bekannt ist gibt es im Unteren Geschoß eine Mädchen und Jungs Toilette“ meinte sie und nahm ihre Tasche und legte sich diese über die Schulter, strich ihre Haare aus dem Tragegurt und pustete ihr Pony nach oben weil es ihr wieder in die Augen hing. Also schien es nun nach unten zu gehen, und Luca würde natürlich warten, auch wenn es sicher auf eine merkwürdige Art und weiße komisch aussah, wenn sie vor der Herren Toilette wartete. Es waren noch immer Schüler im Unterrichtsraum und deswegen sprach Luca auch recht leise. „wir können dann oder?“ meinte sie und machte sich gemeinsam mit Shusei auf den Weg.
Den Rest der Stunde hatte Joyce aufmerksam mitverfolgt; mit dem Gedicht war sein Interesse vollständig geweckt worden. Gedichte waren seine Welt, sie waren seine Freunde, durch sie konnte er sich ausdrücken und er konnte durch sie seine Gedanken ordnen. Er war als Autist eigentlich ein kleiner Fanat, wenn es um Ordnung ging, manche würden es regelrecht als Zwangsstörung beschreiben, wenn er wieder seinen Wahn bekam und alles ordnen musste. Aber es war weniger eine Zwangsstörung, er konnte es ausschalten und einfach mal das Chaos Chaos sein lassen. Wie auch immer, in seinem Kopf herrschte nur an zwei Punkten Ordnung: wenn er malte und wenn er dichtete. Ansonsten war da drin ein Chaos vom feinsten. So war es ja auch hier gewesen, bis das Thema auf das Gedicht gekommen war. Da erst hatte er seinen Verstand fokussieren können. Und so hatte er auch mitbekommen was zum einen seine Klassenkameraden über diesen Kinderreim gesagt hatten und was zum zweiten seine Banknachbarin getan hatte: Sie hatte ihn mit Papierkügelchen beworfen und sich anscheinend über seine sehr kurze Analyse mokiert. Vorerst sagte Joyce nichts zu ihrem Verhalten, er war das fast schon gewohnt. Er dachte nach; er dachte gern nach, wenn er eine Antwort brauchte, die auch etwas bringen sollte. Über den Kinderreim war er immer noch etwas angesäuert. Das man ihnen so etwas vorsetzte! Und die anderen stiegen in dieses Unterniveau noch ein! Und natürlich mit den offensichtlichsten Interpretationen - dabei war im momentanen Kontext so viel mehr möglich. Besonders wenn man den Unterschied zwischen den Sichtweisen auf Magie herausheben wollte, da war so unheimlich viel gegeben. Joyce hätte selbst ein Gedicht über dieses Thema verfassen können. Und prompt tat er das auch, er schrieb, sogar als der Gong zum Stundende erklungen war, immer noch weiter, bis er ein annehmbares kleines Gedicht auf den Unterschied zwischen den Sichtweisen auf die Magie geschrieben hatte. Mit einer deutlichen Tendenz zur Naturmagie, wie er sie selbst als Selkie und Fischmensch kannte. Als er sein Gedicht fertig verfasst hatte, sah er schließlich auf, als würde er aus einem Tagtraum aufwachen, und wandte sich langsam seiner Sitznachbarin zu. Der hochgewachsene Ire stand auf, Hände in den Hosentaschen und leicht vornübergebeugt, mit dem für ihn typischen krummen Kreuz. Er stellte sich direkt vor ihren (Misus) Tisch und beugte sich ganz zu ihr runter, bis sie auf Augenhöhe waren. "Eigentlich tangiert mich dein infantiles Benehmen nur peripher. Hast du dich bisher für was anderes als die Menschen gehalten? Für moralisch rechtschaffen? Deine Artikulation ist zu komparieren mit der eines kognitiv degenerierten Subjekts der präsentären Kultursituation der adoleszenten Generation. Du kannst sehr verletzend sein und dein cortisches Denkvermögen wird von deinem hypothalamischen Verhalten überschattet, wenn nicht völlig außer Gefecht gesetzt. Mit einem Querulanten bist du gleich zu stellen auf der Stufe der sozialen Evolution" Ja, seine Sprache konnte sehr ungelenk und hochtrabend sein. Seine schwarzen Augen starrten direkt auf sie, mit einem Ausdruck, den man als blank und ernst einstufen konnte.
Für den Rest der Stunde hatte ich es geschafft, einzuschlafen - aber immerhin war das kein großes Kunstwerk, wenn man seit 7 Uhr eine Stunde geschlafen hatte. Ich hatte kaum mehr verstanden, was die anderen eigentlich mit ihren Unterrichtsbeiträgen sagten, hatte darum meinen Kopf auf den Tisch gelegt und war innerhalb ein paar Sekunden eingepennt. Entweder konnte die winzige Frau Butterblume nicht weiter als über ihr Lehrerpult schauen, oder ihr war es egal, denn ich wachte erst auf, als zwei schwarze Augen aus einem dunklen Schatten über mir auftauchten und ich vom Schlaf in den Wach in den Schockzustand verfiel. "Heiliges Seegras, was..", fing ich an, überrascht zu fluchen und fragte mich, wer das überhaupt war, bis die Erinnerung an den Unterricht zurückkam. Achja, mein werter Banknachbar! Ich wollte ihn freudig begrüßen mit einem High Five Richtung Gesicht (immerhin war er unerträglich nahe), da begann er zu reden.
Ich starrte ihn entrüstet an. Was er mir da sagte...ergab entweder keinen Sinn oder ich verstand es nur nicht - wie quasi alles, was er sagte. Ja, ich konnte das schon so verallgemeinern, auch nach erst zwei Beiträgen von ihm, die ich mitbekommen hatte. Ich suchte nach den passenden Worten, um darauf zu reagieren, wusste aber weder, ob er nun böse, beleidigend, fröhlich oder verängstigend war. Also entschied ich mich für eine möglichst neutrale Haltung. "Hey, man, du bist ja vielleicht eine Labertasche.", lächelte ich. Aber nachdem ich sah, dass auch er nicht lächelte, fiel mir das Grinsen schon wieder aus dem Gesicht. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er nicht einfach nur blöffte und Unsinn redete, und überlegte weiter. Was hatte er genau gesagt? Irgendwas mit Moralen und ob ich anders als ein Mensch war. Ich runzelte darüber im Nachhinein die Stirn. "Ja, jedenfalls, äh, deine Meinung, sehr interessant. Wie stehst du denn zum Nah-Ost-Konflikt?", fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Wenn er auch darauf was unglaublich Schlaues antworten konnte, war es wohl an der Zeit, zu verschwinden. Oder sich zumindest was zu Essen holen - so konnte ich immerhin freundlich zuhören und dabei essen.
Hm. Aber ich hatte kein Geld - also sehr wenig zumindest mal. "Du hast nicht zufällig was zu Essen dabei, mein gefiederter Freund? Oder nen Geldschein? Du würdest auch ne Umarmung dafür bekommen!" Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er von vielen umarmt wurde. Vielleicht von Blinden, die keine Angst vor seinem Leichengesicht hatten. Ohgott, ich hatte gerade versucht, meinen Körper zu verkaufen...! "Vergiss was ich gesagt hab. Red weiter." Ich legte meinen Kopf auf meine Hand auf und versuchte das monströse Knurren zu ignorieren.
Erschrocken schaute ich auf als es zur Pause klingelte. Ich muss kurz eingeschlafen sein denn vom Rest des Unterrichts hatte ich kaum noch etwas mitbekommen. Schnell schrieb ich alles ab was an der Tafel stand und packte dann meine Sachen ein. Am liebsten hätte ich mich ja noch meinen Klassenkameraden vorgestellt doch von irgendwoher stieg mir ein bekannter Geruch in die Nase. "Jona ist hier irgendwo." murmelte ich leise vor mich hin und verließ das Klassenzimmer.
Leute in Schubladen zu stecken war eigentlich etwas, das jemandem wie Joyce zuwider sein müsste. Der Autist mochte es selbst nicht, wenn man ihn nur in einen Stereotyp einordnete. Allerdings hatten seine geistigen Krankheiten einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Es interessierte ihn in den allermeisten Fällen nicht, was die Leute von ihm dachten. Twoface lebte sein Leben, wie er es für richtig hielt, ohne sich um gesellschaftliche Konventionen zu scheren. Aber eins machte der Ire wie viele andere Leute: Wenn er jemanden traf und auch mal zuließ, dass dieser Jemand mit ihm Konversation führte, dann steckte er diesen Jemand innerhalb weniger Momente in Schubladen. Es hatte sich schon mit Iffy so verhalten; der Halbelf wurde bei Joyce unter 'interessant und sympathisch' geführt. Er mochte den kleinen Blonden, der auf Joyce eingegangen war, ohne ihm zu sehr auf die Ketten zu fallen und ihn zu verspotten. Das Mädchen war anders. Sie versuchte nicht, ihn zu verstehen. Sie bezeichnete ihn als Labertasche und gab ihm eine völlig irrationale Antwort auf seine kleine Rede. Nah-Ost-Konflikt... Ja, er hatte davon gelesen und ein paar Mal hatte er auch in den Nachrichten einige Beiträge darüber gesehen. Er richtete sich ein Stück auf und dachte tatsächlich darüber nach, ob er antworten sollte oder nicht. Und er rezitierte eines seiner Lieblingsshakespearstücke - nebenbei auch eins der bekanntesten: "To be or not to be, that is the question: whether 'tis nobler in the mind to suffer the slings and arrows of outrageous fortune, or to take arms against a sea of troubles, and by opposing, end them? To die: to sleep..." Eigentlich war das, metaphorisch betrachtet, seine Meinung zum Nah-Ost-Konflikt. Und damit hatte er fast zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er nickte. "Ja. Wenn's edler ist, zu sterben, dann ist's das, was man darüber zu meinen hat" Er vermutete mal, dass das Mädchen damit nicht sehr viel anzufangen wusste. Sie kam ihm geistig einfach nicht auf seinem Niveau vor. Nicht, dass er sie dumm nennen wollte oder sonst etwas; aber sie hatte nicht sein kreatives oder linguistisches Niveau, so kam es ihm vor. Sie fragte ihn auch gleich, ob er was zu essen oder Geld dabei hätte, bot ihm eine Umarmung an dafür. Er legte den Kopf schief. "Warum sollte ich von dir als Gegenleistung eine Umarmung wollen, das ergibt keinen Sinn, weder stehen wir in so engem Verhältnis zueinander, noch halte ich viel von dem übertragenen Sinne deines Angebots. Und..." Er zog die Augenbrauen tief in die Stirn, als sie ihn unterbrach und dann auch noch meinte, er solle weiterreden. "Twoface just don't like this... Wenn du Hunger hast, solltest du was essen" Er begann wieder, die Daumenkuppe zwischen die Vorderzähne zu nehmen. So richtig mochte er das Mädchen nicht, aber irgendwas an ihr kam ihr vertraut vor. "Mathair, sie hat das, was in deinen Augen schon war, nur nicht so schön und so sanft. Aber sieh doch, mathair, sie hat dasselbe in den Augen wie du" Wieder beugte er sich vor und starrte ihr direkt in die Augen, um sich zu vergewissern, dass es auch so war, wie er dachte. Er merkte, dass er langsam das Zimmer wechseln sollte... also machte er sich auf die metaphorischen Socken.