Der große Speisesaal im Parterre des Wohnheims bietet Platz für unzählige hungrige Mägen. Zu Schulzeiten breitet sich hier morgens und abends der Geruch frisch zubereiteter Mahlzeiten im gesamten Erdgeschoss aus, die von der alteingesessenen Sayaka liebevoll zubereitet werden, die den Heimbewohnern schon lange nicht mehr fremd ist. Auch am Morgen kümmert sie sich darum, dass das Frühstücksbuffet immer nachgefüllt wird und am Abend steht sie an der Essensausgabe. Sie schenkt den Schülern nicht nur eine warme Mahlzeit, sondern auch ein wohltuendes Lächeln. An manchen Tagen lässt sie sich allerdings von einer wohlgenährten Frau mittleren Alters vertreten, die nur sehr wortkarg ist und gerne auch zu kleine Mahlzeiten austeilt.
Der Speiseplan
Montag - 20.07.2015
MorgensBuffetfrühstück - versch. Sorten Brot/Brötchen, Getränke und Beläge aller Art, Pancakes, Waffeln, Früchte, Müslis und Joghurts
MittagsTsukune-Don - Hähnchenbällchen-Spieße mit Yakitori Soße auf Reis
AbendsGebratene Nudeln mit Tofu und Gemüse
Dienstag - 21.07.2015
MorgensBuffetfrühstück - versch. Sorten Brot/Brötchen, Getränke und Beläge aller Art, Pancakes, Waffeln, Früchte, Müslis und Joghurts
MittagsGericht - Miso-Suppe, Wok mit Gemüse und Reis
AbendsGericht - Gebratene Weizennudeln mit Rindfleisch und/oder Gemüse
Mittwoch - 22.07.2015
MorgensBuffetfrühstück - versch. Sorten Brot/Brötchen, Getränke und Beläge aller Art, Pancakes, Waffeln, Früchte, Müslis und Joghurts
MittagsGericht - Reis/Kartoffeln mit Tafelspitz und Meerrettich
AbendsGericht - Spaghetti Napoli
Donnerstag - 23.07.2015
MorgensBuffetfrühstück - versch. Sorten Brot/Brötchen, Getränke und Beläge aller Art, Pancakes, Waffeln, Früchte, Müslis und Joghurts
MittagsGericht - Lasagne mit Salat
AbendsGericht - Toast Hawaii
Freitag - 24.07.2015
MorgensBuffetfrühstück - versch. Sorten Brot/Brötchen, Getränke und Beläge aller Art, Pancakes, Waffeln, Früchte, Müslis und Joghurts
MittagsGericht - Hühnersuppe mit Nudeln oder alternativ reine Gemüsebrühe
AbendsGemüsepfanne -
Samstag - 25.07.2015
MorgensBuffetfrühstück - versch. Sorten Brot/Brötchen, Getränke und Beläge aller Art, Pancakes, Waffeln, Früchte, Müslis und Joghurts, nur heute: frische Spiegeleier vom Wachtelhuhn!
MittagsGericht - Hähnchenbällchen-Spieße mit Yakitori Soße auf Reis
Während Oliver auf dem Weg zum Speisesaal war, bekam er eine SMS. Er sah auf sein Handy und sah, dass Ciarán ihm schon geantwortet hatte. Mit so einer schnellen Antwort hatte der Amerikaner eigentlich nicht gerechnet, aber irgendwie freute es ihn, dass der Blonde geantwortet hatte. Er las die Nachricht und war überrascht, dass Ciarán wohl schon um 13 Uhr für die Hausaufgabe Zeit hätte. Er antwortete ihm sofort darauf, danach versorgte er sein Handy wieder und machte sich auf den Weg in den Speisesaal.
Er wusste nicht, ob der Speisesaal noch offen hatte, da es doch schon nach 8 Uhr morgens war, aber er würde es versuchen. Falls er nichts mehr Essbares bekommen würde, dann würde er halt in die Stadt gehen und sich dort etwas zum Essen suchen. Dort würde es notfallshalber sicher auch etwas Gutes zum Frühstück geben. Doch zuerst würde er sich im Speisesaal umsehen.
Nach kurzer Zeit kam er auch schon im Speisesaal an. Er nahm sich beim Frühstücksbuffet einige Sachen, die er gerne hatte. Ein Glas Wasser musste auch her. Danach sah er sich im Raum um. Er sah einige Gesichter und gerade als Oli sich einen leeren Tisch zuwenden wollte, sah er im Augenwinkel Ciarán. Er redete schon mit einer Person. Ob der Amerikaner einfach hingehen sollte? Aber einerseits wollte er auch nicht wirklich stören. Was sollte der Braunhaarige jetzt wohl tun? Irgendetwas in ihm sagte, dass er nicht gehen sollte, aber eine andere Stimme in ihm sagte, dass er es versuchen sollte. Ob er dann wieder so fallen gelassen werden würde, wie in seiner Kindheit? Oliver bekam ein wenig Angst, denn er wollte diese Situation nicht mehr erleben. Doch warum sagte eine Stimme in ihm, dass er es doch versuchen sollte? Sollte er sich jetzt wirklich dieser Stimme hingeben, oder wie ein Feigling weglaufen? Oliver wollte es wirklich versuchen, doch er konnte nicht wirklich, deshalb steuerte er einen leeren Tisch an und setzte sich dort hin. Ob ihn vielleicht Ciarán erkennen würde und nachher mit ihm reden würde? Der Amerikaner wusste es zwar nicht, aber er wollte auch darüber nicht mehr nachdenken, weshalb er auch anfing zu essen.
Ein friedliches Frühstück schien ihm nicht gegönnt; der Geruch nach Zigaretten, der sich unbarmherzig und unvermeidlich schon in Haut und Haaren des Irrlichts eingenistet hatte, war wohl nicht genug, um das Leuchten und dessen Anziehung zu übertünchen. Nein, stattdessen tappte, kurz nachdem Whis diesen einen Tisch angepeilt und sich hingesetzt hatte, ein Blondchen auf ihn zu, stellte sein Tablett, als wäre der Platz für ihn reserviert, ab und setzte sich schließlich dahinter. Fast direkt hob Whis den Blick der gelben Augen, wünschte dem Fremden tausend Tode und ließ das durch genervtes Schnauben und offensichtliches Rollen der Augen offensichtlich werden. Noch bevor er jedoch freche Bemerkungen hervorbringen konnte, übernahm das schon der Neuankömmling. Wenig unauffällig kratzte der Leuchtende sich mit dem Mittelfinger über die Wange, verharrte so wenige Momente lang und rümpfte dann angewidert die Nase, als würden die unglaublich kreativen Worte seines Gegenübers mit bestialischem Mundgeruch einher gehen. Was sie nicht taten. Bei dem Aussehen würde es den ehemalig Obdachlosen nicht wundern, würde der andere nach Blümchen und Früchten riechen. "Setz' dich woanders hin." bellte er als Antwort, die Hände an das eigene, vergleichsweise gähnend leere Tablett gelegt, um dieses zwei oder drei Zentimeter näher an sich zu ziehen. Die Geste war klar; er hatte keinen Bock auf Gesellschaft. Schon gar nicht, wenn diese Gesellschaft glaubte, er müsse sich über ihn lustig machen. Wenn er nur wüsste, dass die Abwesenheit eines Power-Buttons (theoretisch hatte jeder einen, man müsste nur fest genug drücken, dann ging jeder irgendwie aus, für immer.) Schuld war, dass er sich überhaupt hierhin gesetzt hatte. Vermutlich. Manche kamen auch aus eigenem Interesse, doch die erste Variante erschien Whis dann doch glaubwürdiger. Abwartend, wobei seine Geduld nicht besonders stark ausgeprägt war, spielte er ein wenig an dem dünnen Silberarmband, das sein Handgelenk zierte, herum, ehe er das mit unterdrücktem Schnauben wieder unterließ. "Ich mein's ernst, verzieh dich, oder ich spuck dir in deinen scheiß Kakao."—vielleicht würde er sich ja mit irgendetwas anstecken. Auch wenn das Irrlicht eigentlich keine Krankheiten hatte (oh Wunder!), unschön wäre es dennoch.
Während ich mein Frühstück in mich reinschaufelte, gesellten sich noch ein paar Schüler in den Speisesaal. Ein rosahaariges Mädchen. Wenn ich mich nicht irrte, dann hatte ich es hier mit Cottoncandy zu tun. Candice, war ihr eigentlicher Name, aber just in diesem Moment musste ich bei den rosa Haaren an Zuckerwatte denken. Ich mochte Zuckerwatte aber zum Frühstück brauchte ich diese reine Zuckerbombe nicht. Da blieb ich lieber bei den Waffeln. Die waren nicht zu verachten. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, dass ich hier frühstücken konnte. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck aß ich weiter meinen Teller leer. Der plötzliche Ausruf von Cottoncandy ließ mich kaum merklich zusammenzucken. Die Erkenntnis, dass heute die FTF's auf den Programm standen, schien wohl erst jetzt durchgesickert zu sein. Manche Kinder hier, waren ein wenig verpeilt aber vielleicht lag das auch an der frühen Stunde. Ich war kein Morgenmuffel, aber wenn es ging, dann schlief ich auch länger. Wozu früher aufstehen, wenn man das Date mit dem Bett auch noch in die Länge ziehen konnte.
Was mich jedoch mehr erstaunte war der Andrang der jetzt im Speisesaal zu herrschen schien. Ich hatte mir einen wirklich guten Platz ausgesucht und konnte die Prinzessinenaktion mit einer gelupften Augenbraue bewundern. Schien wohl so, als hätte Ruby einen kleinen Unfall gehabt und ihren Fuß in Mitleidenschaft gezogen. Aber darum hatte sich sicher bereits jemand gekümmert, sonst wäre der Fuß möglicherweise bereits ab. Was mich jedoch aufhorchen ließ, war die Tatsache, dass besagter Ritter anscheinend Bekanntschaft mit einem Fußboden in einem der Mädchenzimmer geschlossen hatte. Sogar der Name des besagten Mädchens verriet der Schwerenöter. Ich wusste im Moment nicht ob ich Sky oder den Jungen eine Moralpredigt halten sollte. Die beste Entscheidung würde wahrscheinlich "Beide" sein. Wozu unterschrieben die Bälger überhaupt eine verdammte Hausordnung, wenn man sich nicht daran hielt. Ein Seufzen drang aus meinem Mund. Gedanklich hatte ich mir das Vergehen bereits auf notiert. Zum Glück hatte der Grünschnabel so viele Manieren, dass er sich Ruby vorstellte. Ryder Y. Evans. Dieser Name kam auf meine imaginäre Liste. Diesen Jungen würde ich im Auge behalten. Er roch förmlich nach Ärger. Der Andrang im Speisesaal ging weiter. Noch mehr Gesichter, noch mehr Gerüche. Ich ließ mein Auge über die hier Anwesenden Kinder wandern, während ich mir den letzten Rest meines Frühstücks einverleibte und mit einem Schluck Kaffee nachspülte. Eine Tasse Kaffee am Morgen vertrieb Kummer und Sorgen oder so ähnlich ging ein Sprichwort. Ich blieb auch weiterhin mit meiner noch nicht leeren Tasse Kaffee am Tisch sitzen und beobachtete die jungen Leute. Die Jungend. Bis jetzt war noch niemanden ein Tablett aus der Hand gefallen oder jemand an einem Wurstblatt erstickt. Das war eine sehr gute Bilanz, auch heute war ein solcher Vorfall bislang ausgeblieben. Wobei auch noch niemand erstickt war. Dafür war ich an Ort und Stelle und würde es nicht zulassen, dass eines meiner Schäfchen erstickte. Ich ging auch davon aus, dass die Jugendlichen des Essens mächtig waren ohne einen Erstickungstod zu sterben.
Der Weg ins neue Wohnheim verlief doch nicht so reibungslos, wie die Blauhaarige es geplant hatte. Sie hatte angenommen, dass Wasabi wusste, wo es lang ging. Bis Rhea aber herausgefunden hatte, dass Wasabi sich auf sie verlassen hatte, war es schon zu spät. Die zwei waren nämlich bereits ein Weilchen herumgelaufen – beide in der Annahme, dass die andere den Weg schon wusste. Durch den kleinen Umweg, den die zwei eingelegt hatten, erreichten sie also später, als angenommen, das Wohnheim – hatten aber immerhin eine kleine Stadttour unternommen. Besorgt sah Rhea zu Wasabi. Die Kleine brauchte definitiv mehr auf ihren Rippen und am liebsten hätte sie die Grünhaarige täglich gemästet. Eine Mahlzeit auszulassen, kam absolut nicht in Frage. Doch sie kamen noch rechtzeitig im Speisesaal an. Es war noch nicht zu spät für Frühstück.
Kurz bevor sie das Buffet erreicht hatten, wandte sich Rhea an Wasabi. „Ich weiss nicht, ob es hier...“, sie versuchte sich an den Namen von Sabis Lieblingsfrühstück zu erinnern, „Rogen... Soya – ? – gibt, aber vielleicht findest du ja etwas anderes, das dir schmeckt.“ Ein leicht fragender Unterton schwang in Rheas Stimme mit, als sie den Namen des Gerichts zu reproduzieren versuchte und irgendwo war auch Zweifel auszumachen, ob die Ainu-Spezialität hier tatsächlich zu finden war. Die Halbdämonin nahm sich vor, Monashir beizeiten nach dem Rezept zu fragen, damit sie Sabi mal zum Frühstück überraschen konnte. Die Grünhaarige strahlte zwar ohnehin schon die ganze Zeit, aber es nahm Rhea Wunder, was für ein Gesicht Wasabi wohl machen würde, wenn sie ihr das traditionelle Gericht servieren würde. Der Gedanke daran entlockte der Erzieherin wieder ein kleines Lächeln.
„Lass dir Zeit...“, sagte sie dann und holte sich selbst eine Tasse Kaffee. Die Halbdämonin hatte heute Morgen zwar selbst noch nicht gefrühstückt, aber sie verspürte auch keinen Hunger. Das Einzige was sie sättigen und nähren konnte, waren ohnehin Träume. Aus Gewohnheit nahm Rhea normalerweise aber trotzdem zwei Mahlzeiten am Tag zu sich (wobei sie im Krankenhaus meistens auf das fade Essen verzichtet hatte). Einerseits, weil sie es gerne tat und andererseits, weil sie auch leidenschaftlich gerne kochte. Heute war ihr jedoch nicht nach Essen. Sie war viel zu aufgeregt, die neuen Schäfchen zu sehen und freute sich natürlich darüber, endlich wieder ‚Zuhause’ zu sein – auch wenn es nun etwas anders aussah.
Während Sabi sich ihr Frühstück zusammensuchte, scannte Rhea den Raum nach dem Heimleiter ab, warf aber immer wieder einen Blick nach Sabi, um diese nicht aus den Augen zu verlieren. Sie hatte unterwegs seine Nachricht erhalten und hoffte, dass Vincent den Speisesaal nicht bereits wieder verlassen hatte. Ihre Augen hingen jedoch schon bald an den Schülern fest, die noch hier herumtummelten. Unter den bekannten Gesichtern befanden sich auch einige Kinder, die Rhea noch nicht kannte. Unwillkürlich begann sie an ihren Bandagen zu zupfen, die sie am liebsten alle entfernt hätte. Doch sie wollte den Schülern den eher unschönen Anblick ihrer Wunden ersparen. Auch das weisse Nachthemd liess die Erzieherin eher fehl am Platz wirken, doch ändern liess sich an ihrer momentanen Erscheinung wohl nichts.
Ein kleines Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen, als mir als Antwort der Mittelfinger gezeigt wurde. Überrascht war ich davon nicht, immerhin hatte ich ihn nicht gerade charmant begrüßt. Seine offensichtlich ablehnende Antwort bekam eine hochgezogene Braue, während er sein Tablett an sich zog, als befürchte er, ich würde es ihm wegnehmen. "Dein Essen kannst du behalten.", merkte ich an, "Ich hab genug." Schließlich zog ich die Brauen zusammen und legte den Kopf seufzend etwas schräg, während ich versuchte mich von den fremden Emotionen der anderen zu trennen ohne zu wirken, als sei ich geistig abwesend. "Wenn du von da aus in meinen Kakao spucken kannst, ohne dir die Tasse zu greifen, kriegst du fünf Zen von mir." War ja nicht so, als stünde die Tasse direkt vor mir. Und um noch deutlich zu machen, dass das sicher kein Kinderspiel wäre, schnappte ich mir demonstrativ die Tasse und trank einen Schluck davon. "Aber mal ernst, wie kommt's, dass du leuchtest? Hat man dich als Kind in radioaktivem Wasser gebadet?" Irgendwo in meinem Kopf schrillten Alarmglocken, die mir klar machen wollten, dass ich mich zu sehr von fremden Emotionen beeinflussen ließ. Ich fühlte mich eigentlich nicht gerade wohl bei dem Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit auf etwas einfaches - das Brötchen -, um etwas mehr Konzentration dafür aufwenden zu können die fremden Emotionen von meinen eigenen zu trennen. "'tschuldige, wenn ich gerade keine nette Gesellschaft bin.", murmelte ich nebenbei, "Hab nicht lang geschlafen."
Irgendwie hatten sie sich auf dem Rückweg ein wenig verlaufen … oder kam es Wasabi nur so vor? Weil sie Rhea vertraute, hatte sie nichts gesagt, aber es war ihr so erschienen, als wären sie zweimal an derselben Straßenkreuzung vorbeigekommen. Vielleicht auch nicht. Diese Stadt war ihr nach wie vor fremd, sodass sie nicht hatte sagen können, ob sie sich vom Wohnheim entfernt oder sich ihm genähert hatten. Die Schilder gaben zwar eine vage Auskunft, aber die Kilometerangaben auf ihnen ließen die Grünhaarige nur träge blinzeln. Rhea würde sie schon ans Ziel bringen! Die Erzieherin schaffte es immer irgendwie, sodass am Ende alles gut war, also bestimmt auch diesmal.
Gedacht, getan. Es hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet und wahrscheinlich hatte Wasabi jetzt schon eine unansehnliche Verspätung im Protokoll, aber sie erreichten rechtzeitig den Speisesaal, bevor das Buffet abgeräumt werden konnte. Und das war die Hauptsache. Lachend korrigierte sie Rheas Versprecher. „Sayo! Aber ich finde schon was. Keine Sorge!“ Sie erwartete nicht, dass Normalo-Japaner (oder gar Ausländer) wussten, worum es sich dabei handelte. Wäre Sabi nicht in einem Ainu-Haushalt aufgewachsen, würde sie heute wahrscheinlich auch eher Ausschau nach Reisbällchen oder schlicht weg Rührei halten. Der Geruch des reichlich gedeckten Buffets stieg ihr in die Nase. Es war das erste Mal, dass sie ein Frühstücksbuffet besuchte. Die kunterbunte Auswahl überforderte nicht nur ihren Geruchsinn. „Hier gibt es ja … alles! Rhea, guck mal. Pfannkuchen!“, staunte sie lautstark. Das Essen nahm ihre Aufmerksamkeit vollkommen ein. Die Schüler, die sich an den Tischen und um das Buffet scharrten, nahm sie kaum als lebendige Wesen war. Eher als Objekte, die ihrem nahrhaften Frühstücksmenü im Weg standen! Während Rhea sich entfernte, um sich Kaffee einzuschenken, stürmte Wasabi das Buffet. Zwar wanderte gelegentlich ein unruhiger Blick in Rheas Richtung, um sicherzugehen, dass die Frau im weißen Nachtkleid nicht gegangen war, doch ihr Fokus lag auf den süßen Früchten, Pfannkuchen und fluffigen Waffeln, die sie auf ihrem Teller drapierte. Ohne ein Tablett oder Besteck genommen zu haben, manövrierte Wasabi sich durch einige Schülergrüppchen, um schließlich wieder bei Rhea zu landen. „Hab alles! Ich hab von allem etwas genommen, guck.“ Stolz präsentierte sie ihren vollgepackten Teller. Dass der Saft der Erdbeeren bereits dafür sorgte, dass die Waffeln matschig wurden, fiel ihr nicht auf. „Nur Kaffee? Du kannst was von mir abhaben. Ich kann dir auch noch was holen.“ Sie glaubte nicht, dass Rhea auf die Angebote eingehen würde, aber sie standen.
Dann folgte sie der Blauhaarigen zu einem Tisch, an dem ansonsten nur ein großer, weißhaariger Mann mit Augenklappe saß. War das nicht der Heimleiter? Wasabi hatte ihn noch nicht persönlich kennengelernt. Um ihre Bewerbung hatte ihre Adoptivmutter sich gekümmert und ein Vorstellungsgespräch hatte sie mit jemand anderem geführt. Etwas verunsichert setzte sie sich dennoch an den Tisch, gegenüber des Mannes und dicht (vielleicht etwas zu dicht) neben Rhea, die offenbar ein gutes Verhältnis zu dem Weißhaarigen pflegte. Sabi nahm eine Erdbeere zwischen die Finger und schob sie sich in den Mund. Erst dann, vermutlich nachdem Rhea sich zu Wort gemeldet hatte, grüßte Wasabi den Mann mit einem verhaltenen „Hallo“ und deutete auf ihr rechtes, einbandagiertes Auge. „Haben Sie da auch kein Auge mehr?“ Ungeduldig riss sie daraufhin ihre Waffel in der Mitte durch, faltete eine Hälfte nochmal mittig und stopfte sie sich in den Mund. Mit der anderen Hand strich sie sich die grünen Strähnen aus dem Gesicht, die drohten in ihrem Teller zu landen.
Ich war mir gar nicht sicher, wie viel Zeit nach meiner SMS bereits vergangen war, schließlich musste ich mich mit anderen Dingen beschäftigen. Eine Liste von unartigen Kindern zu führen, erforderte eine Menge Aufmerksamkeit. Erst nachdem ich den vertrauten Geruch von Schlumpfine wahrgenommen hatte, schenkte ich der Umgebung wieder mehr Aufmerksamkeit. Mein Blick wanderte durch den Raum ehe er auf Rhea fiel, die irgendwie sehr gewöhnungsbedürftig bekleidet war. Kurz stutze ich. Die Entlassung aus dem Krankenhaus schien wohl nicht so freiwillig seitens der Ärzte ausgefallen zu sein. So zumindest konnte ich mir ihren Aufzug erklären. Ich würde sie wohl einmal danach fragen. Aber durch den gesamten Speisesaal zu schreien, fand ich wenig angebracht, zumal ich mir sicher war, dass sich die Blauhaarige an meinen Tisch setzen würde. Nur leider machte sie nicht den Anschein, als würde das so schnell passieren. Ich nahm einen erneuten Schluck meines noch vorhandenen Kaffees. Nur langsam neigte sich das Gebräu ebenfalls dem Ende zu und somit wäre meine Frühstückszeit auch beendet. Das hieß dann wohl, dass ich meiner Arbeit als Heimleiter nachgehen musste. Tja, fürs Nichtstun wurde ich leider auch nicht bezahlt.
Anders als erwartet, gesellte sich nicht nur Rhea zu mir, sondern auch noch ein weiteres Fräulein. Sehr spezielle Haarfarbe. Da klingelte etwas in meinem Oberstübchen. Hausmeister. Genau. Sie war die neue Hausmeisterin. Wasabi. Ein sehr interessanter Name, kam wohl von der Haarfarbe. So zumindest meine Vermutung. Die Grünhaarige setzte sich äußerst eng zu Rhea. Schien wohl bis jetzt ihre einzige Bezugsperson zu sein. Wobei der Großteil überhaupt keine Bezugsperson auf der Insel hatte. Vielleicht reimte ich mir auch nur Blödsinn zusammen. Egal. »Guten Morgen.«, grüßte ich nun ebenfalls. Es war jedenfalls etwas neues, auf meine Augenklappe angesprochen zu werden, ein verdutzter Gesichtsausdruck folgte. Da ich ihren Worten entnehmen konnte, dass sich hinter ihrer Bandage kein Auge mehr befand, war meine Gegenfrage wohl überflüssig. »Doch, doch. Da ist schon noch ein Auge, nur kann man damit nicht mehr sehen.«, antwortete ich auf die Frage, während ich dabei zusah, wie die halbe Waffel in ihrem Mund verschwand. Manche konnten eben ein sehr großes Mundwerk aufweisen, was mich kurz Schmunzeln ließ. Ob das Mundwerk ebenso groß beim Reden war, würde sich wohl noch herausstellen. »Schmeckt's?«, wandte ich mich an die Grünhaarige. Schließlich wäre es ziemlich blöd, wenn ihr das Essen hier nicht schmecken würde. Wobei beim Frühstück gab es genügend Auswahl, damit jeder etwas Passendes finden konnte. Ich trank den letzten Schluck meines Kaffees und sah ein wenig wehmütig auf den Grund meiner Tasse. Vielleicht würde ich mir noch eine Tasse einschenken, wenn ich den Speisesaal verließ um in mein Büro zu gehen.
Wasabi wandte ihren Blick nicht eine Sekunde von der Augenklappe des Heimleiters ab, während sie die Waffel hastig kaute und herunterschluckte, um möglichst schnell einen weiteren Happen hinterherzuschieben. Er hatte also noch ein linkes Auge, konnte es aber nicht mehr benutzen, weil es kaputt war. Sie verstand nicht, warum er sein Auge dann bedecken musste. Der Grünhaarigen wurde von ihrer Mutter eingetrichtert, dass sie einen Verband tragen müsste, um andere Leute nicht zu erschrecken. Sollte sie den Mann fragen? Erstmals, seitdem Sabi ihre Frage gestellt hatte, schielte sie unsicher zu Rhea. Die Erzieherin schlürfte ihren Kaffee und schien gedanklich etwas abseits der Unterhaltung zu weilen, weshalb Wasabi sich einige Wimpernschläge später wieder musternd dem Heimleiter zuwandte. „Das ist schade. Mit Ihrem Auge“, sagte sie schließlich, den letzten Bissen der Waffel noch im Mund kurz darauf herunterschluckend. Empathie versuchte man in ihrer Stimmlage vergeblich herauszuhören, aber komplett kalt ließ sie es auch nicht. Immerhin konnte sie nachempfinden, wie es war auf sein halbes Augenlicht verzichten zu müssen. Wieder glitt ihr Blick flüchtig zu Rhea, als der Weißhaarige ihr eine Frage stellte. Es war ein automatischer Reflex, als müsste sie sich erst versichern, dass Rhea ihr erlaubte zu antworten. Wann sie sich das angewöhnt hatte, wusste sie gar nicht mehr. „Mmh … Mamas Essen schmeckt besser. Aber das hier schmeckt auch gut“, erwiderte sie und aß lächelnd die Früchte, die auf ihrem Tellerrand drapiert waren. Kaum hatte Wasabi die Hälfte ihres Frühstücks vernichtet, kündigte Rhea plötzlich an sie würde ihre Wohnung aufsuchen, um sich neu einzukleiden. So könnte sie ihren Schäfchen nicht gegenübertreten, sagte sie. Schockiert klammerte Sabi sich an Rheas Arm, kurz davor ihren klebrigen Schleim ein weiteres Mal an diesem Tag zu benutzen, um die Erzieherin vom Gehen abzuhalten. Erst nach einer guten Weile und einer Menge guten Zuredens erklärte Wasabi sich bereit sich vorerst von Rhea zu verabschieden. „Du schreibst mir später eine SMS, ja? Ja?“ Mit glasigen Augen richtete sie ihren Blick wieder auf ihren Teller. Den Appetit hatte es ihr nicht verschlagen, aber die Enttäuschung über den frühen (wenn auch vorübergehenden) Abschied war ihr anzusehen. Demotiviert stocherte sie in ihrem Essen. „Herr Heimleiter? Bekomm ich Ärger, weil ich heute zu spät war?“, fragte sie den Mann nach einer Weile. Dass er vermutlich gar nicht Wind von ihrer Verspätung bekommen hatte, kam Sabi nicht in den Sinn. Irgendwie ging sie davon aus, dass er es einfach wusste. „Können Sie mir noch den Schlüssel für alle Zimmer geben?“ Hoffentlich verstand er, dass sie den Generalschlüssel meinte. Ohne den könnte sie nicht mit ihrer Arbeit beginnen. Während sich der Saal so langsam leerte, spachtelte auch sie die Reste ihres Frühstücks in sich hinein.
Ich beobachtete die Grünhaarige, als sie weiter ihre Waffel verschlang. Das mit meinem Auge war wirklich nicht weiter schlimm, zumal ich bereits genügend Zeit gehabt hatte, um mich daran zu gewöhnen. Es war auch ziemlich früh passiert, daher war alles in Butter, ich winkte ihre Aussage einfach ab. Meine Mundwinkel zogen sich auch für einen kurzen Augenblick nach oben. Es war auch ein wenig erfrischend, mal nach meiner Augenklappe gefragt zu werden, immerhin kannte man mich hier gar nicht anders. Die Story um mein Auge war zwar weniger glorreich, aber danach wurde ich zum Glück auch nicht gefragt. Möglicherweise kam irgendwann mal eine Anfrage und ich würde die Geschichte preisgeben, aber bis dahin verging sicher noch eine Weile. Wasabi schien mir auch niemand zu sein, der auf Stories sonderlich viel Wert legte.
Auf meine Frage hin, ob es schmeckte, konnte ich ein Lachen nicht unterdrücken. Ich versuchte es allerdings möglichst kurz zu halten. Gegen Ende hin folgte ein leises Räuspern. Mit Mamas Essen konnte ich dieses Essen hier wohl nicht wirklich vergleichen. »Na zum Glück schmeckt es so halbwegs. Ums Verhungern muss ich mir also keine Sorgen machen.«, gab ich meinen Senf dazu. Wenn jemanden das Essen nicht schmeckte, war er herzlich dazu eingeladen selbst zu kochen. Oder irgendwoher etwas Essbares zu besorgen was mundete. Nicht immer konnte der Geschmack eines jeden Einzelnen getroffen werden. Ein paar Abstriche musste man schon verkraften. So zumindest war meine Denkweise. Schlumpfine, die bislang eher unbeteiligt gewirkt hatte, wollte sich bereits auf den Weg in ihre Wohnung machen. Tja, das beste Outfit hatte sie ganz bestimmt nicht an. Bevor sie jedoch die Flucht ergreifen konnte, zog ich einen Schlüssel aus meiner Hosentasche. Als ich die SMS von ihr erhalten hatte, war ich doch recht froh gewesen, ihren Schlüssel bereits eingesteckt zu haben. Somit ersparte ich mir den Weg ins Heimleiterbüro. Die Grünhaarige schien allerdings nicht unbedingt begeistert darüber zu sein, dass Rhea sich umziehen ging. Bei dieser kleinen Szene musste ich ebenfalls kurz Grinsen. »Zieh' dir was weniger aufreizendes an.«, gab ich der Blauhaarigen noch mit auf dem Weg, als auch schon die zukünftige Hausmeisterin meine Aufmerksamkeit forderte. Die Anrede ließ mich grübeln. Anscheinend kannte sie meinen Namen gar nicht, war mir bis eben gar nicht aufgefallen. »Vincent reicht. Heute lass ich das noch mal unter den Tisch fallen.«, scherzte ich ein wenig. Sie musste mir auf gar keinen Fall jede Minute berichten, wo sie sich gerade herumtrieb. Ich war auch kein Kontrollfreak. Bei der Arbeit sollte man doch ein wenig freie Hand bekommen. Und ohne Generalschlüssel konnte man sicher einige Arbeiten nicht erledigen. Das war ein äußerst wichtiger Punkt. »Die Generalschlüssel sind in meinem Büro. Sobald das Frühstück beendet ist, können wir gern die Übergabe in meinem Büro machen.«
In das Lachen des Heimleiters stimmte Wasabi zwar nicht mit ein — dafür war es zu schnell wieder abgebrochen —, doch dafür grinste sie in sich hinein. Er schien ihr eine sehr nette Person zu sein. Meistens waren Menschen, die aufmerksame Fragen stellten und viel lachten, immer nett. Diese Erfahrung hatte sie zumindest bisher so gemacht. Anschließend schüttelte die Grünhaarige, auf seine Aussage hin, den Kopf. „Ich esse alles“, gab sie schmatzend und stolz von sich. Da hatten ihre Adoptiveltern sie gut erzogen, sodass sich hier wirklich niemand darum sorgen musste die neue Hausmeisterin würde vom Fleisch fallen. Eher müsste man befürchten, dass sie dem Wohnheim das Buffet leer aß, bevor die ersten Schüler aus den Betten kriechen konnten. Da Vincent so gesehen ihr Boss war, ließ sie die Vorstellung ihn beim Vornamen zu nennen, einen Moment grübeln. Manieren hatte man ihr ebenfalls beigebracht, auch wenn sie die meisten davon unabsichtlich missachtete. „Also … Herr Vincent?“, fragte sie daher und zupfte unsicher an einer Haarsträhne herum. Wasabi wollte es sich nicht mit dem Heimleiter verscherzen, schon gar nicht zu Beginn und bevor sie überhaupt eine Stunde gearbeitet hatte. Ihre Mutter — und Rhea wahrscheinlich ebenso — wäre furchtbar enttäuscht, würde Sabi hier gefeuert werden. Zum Glück ließ er ihre Verspätung noch durchgehen, ohne ihr eine Standpauke zu halten. Ja, er war definitiv ein netter Mensch, daran ließ sich nicht rütteln. „Dankeschön. Sie sind wirklich nett“, strahlte sie und vergaß beinahe, dass Rhea nicht mehr da war, um ihr Rückendeckung zu geben. Vielleicht würde Wasabi es doch schaffen allein auf dieser Insel zurecht zu kommen, wenn sich alle Bewohner als so freundlich herausstellten. Ihr Optimismus war jedenfalls, trotz der jüngsten Ereignisse, so ziemlich wiederhergestellt. Etwas nervös war sie nun doch ohne Rhea den Raum zu wechseln, rief sich aber in Erinnerung, dass die Erzieherin ihre Handynummer hatte und sie sich im Notfall erreichen konnten. „Ich bin fertig. Danke“, sagte sie und beendete damit ihr Frühstück, ohne einen Krümel auf dem Teller liegen gelassen zu haben. Da sie nicht wusste, was sie mit dem Geschirr machen sollte, orientierte sie sich an Vincent, dem sie letztlich auch aus dem Speisesaal hinaus und ins Büro hinterhertapste.