Die Yasumi-Klinik ist eines der ältesten Gebäude der Insel, auch wenn sie immer wieder renoviert werden musste, um die Sicherheit der Patienten nach wie vor zu gewährleisten. So kam es auch, dass die Klinik mittlerweile wie ein modernes und großes Stadtkrankenhaus aussieht. Der Standort in der Stadt hätte besser nicht sein können, da man im Yashidori Viertel den Patienten auch viel Ruhe bieten kann. Sowohl den Ärzten, als auch den Krankenpflegern liegt das Wohl der Patienten sehr am Herzen und man kann ihnen vertrauen, vor allem wenn es um operative Eingriffe geht. Niemand weiß, ob hier tatsächlich nur normale Menschen angestellt sind und mit ihren alltäglichen Fähigkeiten den vielen Isolanern helfen oder ob dabei Magie im Spiel ist - auf jeden Fall hat das Krankenhaus einen sehr guten Ruf, und darum geht es wohl auch. Die Klinik an sich ist mit Einzel-, Doppel-, und Dreibettzimmer ausgestattet, verfügt außerdem auch über eine Cafeteria, ein begehbares Dach und ist mir allem ausgestattet, was ein modernes Krankenhaus haben muss. Hygiene hat hier höchste Priorität, worauf der starke Geruch von Desinfektionsmittel und die Desinfektionsstationen auch deutlich hinweisen.
Der Weg aus dem Gebäude verlief ohne weitere Zwischenfälle. Unterwegs hatte sie dem Heimleiter noch kurz eine Nachricht geschickt, damit er über ihre Rückkehr Bescheid wusste. Sich selbst aus dem Krankenhaus zu entlassen, war in Rheas Augen korrekt gewesen. Selbst wenn ihr behandelnder Arzt nicht glücklich darüber war. Als sie draussen waren, wurde sie dann auch gleich wieder mit einer weiteren Umarmung von Wasabi überrascht. Sie hatte den liebevollen Umgang mit dem grünhaarigen Welpchen vermisst und drückte Sabi ebenfalls an sich, ehe diese abliess und wieder ihre Hand nahm. Es beruhigte die Erzieherin, als sie sah, dass Wasabi – bis auf die üblichen Bandagen – keine schlimmeren Verletzungen vom Lykanthropen-Angriff davontrug und auch an ihrem fröhlich-unbeschwerten Gemüt hatte sich zum Glück nichts geändert. Die Anspannung, die Rhea während ihres ganzen Aufenthalts im Krankenhaus verspürt hatte, verflog allmählich. Dennoch blieb ein mulmiges Gefühl zurück. Sie machte sich immer noch Sorgen um das Heim, die Schäfchen und ihre Arbeitskollegen. Ja, das Personal war kompetent, aber sie konnte dieses komische Gefühl einfach nicht abschütteln. Eine Art dunkle Vorahnung... oder war es Mutterinstinkt? Aber vielleicht war sie auch einfach nur paranoid... Nun, sie würde es wohl bald herausfinden.
Sanft fuhr Rhea ihrer unerwarteten Besucherin durch das giftgrüne Haar und ihre Mundwinkel hoben sich leicht, als sie Wasabis erwartungsvollen Blick begegnete. Sie wollte schon zur nächsten Frage ansetzen, als Sabis plötzliches Magenknurren das Lächeln aus ihrem Gesicht wischte. Stattdessen nahm ein Blick voller mütterlicher Besorgnis Platz. „Hast du noch nichts gegessen? Frühstück ist doch wichtig, Sabi! So, wir gehen jetzt schnell zurück ins Heim, damit du was in den Magen bekommst. Vielleicht schaffen wir es noch, bevor das Essen im Speisesaal abgeräumt wird...“ Rhea hatte eigentlich vorgehabt, sich zuerst im Heim umzuziehen. Es weckte wohl keinen allzu guten Eindruck, wenn die Erzieherin im Nachthemd herumwanderte. Doch bis sie die Schlüssel für ihre neue Wohnung bezogen und die Schachteln nach Kleidung durchwühlt hatte, wäre Wasabi bestimmt schon verhungert. Zumindest wollte Rhea nicht, dass die Grünhaarige wegen ihr das Frühstück verpasste. Mit einem Lächeln hing sich Rhea dann bei der Grünhaarigen ein und Arm in Arm, setzte sie mit Wasabi die Rückkehr ins neue Wohnheim fort.
Wasabi hatte nur am Rande mitbekommen, dass Rhea ihr Handy gezückt und eine Nachricht an jemanden verfasst hatte. Sie war kein übermäßig neugieriges und schon gar kein eifersüchtiges Persönchen. Solange sie trotzdem den Großteil von Rheas Aufmerksamkeit genoss, während sie zusammen waren, war sie glücklich. Da war die Grünhaarige glücklicherweise pflegeleicht und unkompliziert!
Als sie schließlich draußen waren und ihr Magen auf sich aufmerksam machte, erinnerte Rhea sie ziemlich stark an ihre Adoptivmutter. Die war auch stets besorgt um Sabis Ernährung und kümmerte sich darum, dass sie keine Mahlzeit ausfallen ließ. Vermutlich, weil sie Wasabi unterernährt im Kinderheim vorgefunden hatte und sie selbst heute kaum genug Fleisch auf den Rippen hatte. Im Gegensatz zu Monashir tadelte Rhea sie jedoch nicht so sehr und sprach zumindest keine unheilvollen Drohungen — Hausarrest, wenn das Gemüse nicht gegessen wurde — aus. Da war Monashir eindeutig strenger mit der Grünhaarigen. „Nein. Bin direkt los, nach dem Aufstehen“, klärte sie Rhea wahrheitsgemäß auf. Lügen hatten bekanntlich kurze Beine und ihr Magenknurren äußerte sich sowieso erneut verräterisch. „Ich hoffe es gibt dort Rogen Sayo. Mama macht das ganz oft zum Frühstück. Das ist so lecker, das glaubst du nicht, Rhea“, schwärmte sie über ein traditionelles Haferbrei-Gericht, das es ganz bestimmt nicht am Buffet einer Schule gab. Aber mit Früchten und Cornflakes würde Sabi sich auch zufrieden geben! Sie war nicht wählerisch, was Essen anging und vertilgte so gut wie alles. So wurde sie erzogen, sowohl von ihrer leiblichen Mutter als auch von Monashir. Sie ließ natürlich zu, dass Rhea sich einharkte und ließ sich von der Erzieherin zurück ins Wohnheim führen. Den Rückweg hatte Sabi nämlich, ehrlich gesagt, nicht mehr auf dem Schirm, obwohl sie vor kaum einer halben Stunde erst zum Krankenhaus gelaufen war.