Die Yasumi-Klinik ist eines der ältesten Gebäude der Insel, auch wenn sie immer wieder renoviert werden musste, um die Sicherheit der Patienten nach wie vor zu gewährleisten. So kam es auch, dass die Klinik mittlerweile wie ein modernes und großes Stadtkrankenhaus aussieht. Der Standort in der Stadt hätte besser nicht sein können, da man im Yashidori Viertel den Patienten auch viel Ruhe bieten kann. Sowohl den Ärzten, als auch den Krankenpflegern liegt das Wohl der Patienten sehr am Herzen und man kann ihnen vertrauen, vor allem wenn es um operative Eingriffe geht. Niemand weiß, ob hier tatsächlich nur normale Menschen angestellt sind und mit ihren alltäglichen Fähigkeiten den vielen Isolanern helfen oder ob dabei Magie im Spiel ist - auf jeden Fall hat das Krankenhaus einen sehr guten Ruf, und darum geht es wohl auch. Die Klinik an sich ist mit Einzel-, Doppel-, und Dreibettzimmer ausgestattet, verfügt außerdem auch über eine Cafeteria, ein begehbares Dach und ist mir allem ausgestattet, was ein modernes Krankenhaus haben muss. Hygiene hat hier höchste Priorität, worauf der starke Geruch von Desinfektionsmittel und die Desinfektionsstationen auch deutlich hinweisen.
Es dauerte etwa 20 Minuten bis ich an der Klinik ankam, das aber auch nur weil ich mich richtig beeilt habe. Schließlich soll besagte Schülerin nicht direkt eine Schlechte Erfahrung machen. Schon als ich den Weg zum Haupteingang hinaufstieg sah ich eine junge Frau am Eingang stehen. Da ich keine Ahnung hatte wie diese Vivian eigentlich aussah musste ich mich wohl durchfragen, allerdings hatte ich bei der Blonden Frau schon ein gutes Gefühl, schließlich sieht sie schon irgendwie... nunja, wie ein Bewohner des Waisenheimes aus. "Hey, äh, bist du Vivian Edwards?" fragte ich etwas unverblümt und richtete meine Brille instinktiv. Sie ist hübsch, sieht aus wie jemand aus Europa. Eigentlich sieht sie etwas zu alt aus um noch Schülerin zu sein, vielleicht hatte ich mich also doch geirrt?
"Ich bin Shiki Iseya, Erzieher des Wohnheimes.", stellte ich mich kurzerhand vor und reichte ihr meine Hand. Sie erinnerte mich an jemand ganz besonderen. "Tut mir wirklich leid, dass es so lange gedauert hat, anscheinend gab es irgendwelche organisatorischen Schwierigkeiten.", erklärte ich ein wenig peinlich gerührt und schaute verunsichert auf den Boden vor ihren Füßen, obwohl ich ja nicht schuld bin. Dabei erblickte ich ihren kleinen braunen Koffer am Boden und deutete mit dem Finger darauf. "Soll ich dir das abnehmen?"
Eine kleine Brise erfasste uns und riss an meiner dünnen Jacke herum. Mit Wind ist es noch ein wenig frisch und gerade die Klinik scheint Windhosen in der Nähe zu sammeln. Ich weißt das, schließlich war ich auch lange Zeit hier. Zugegeben, ich fühle mich gerade etwas nervös aber das ist glaube ich gar nicht so unnormal. Ich lächelte dem Mädchen abermals ins Gesicht und war bereit auf ihr Kommando los zu gehen. Zum Glück können wir uns jetzt Zeit lassen.
Gefühlt hätte Vivian nur ein paar Minuten an der frischen Luft verbracht. Eigentlich hätte sie dort bis zum Abend so stehen können. Immerhin hatte man ihr selbst keine genaue Uhrzeit genannt. So um die Mittagszeit, hieß es von einem Arzt. Eine ziemlich wage Aussage, aber sie störte sich nicht daran. Es war immerhin besser, als gar nichts gesagt zu bekommen. Außerdem deutete es darauf hin, das man sie nicht vergessen hatte. So blieb sie dort in abholbereiter Stellung stehen und ließ erneut die blauen Irden durch die Baumwipfel streifen. Das Geräusch der Blätter im Wind war schon immer beruhigend für sie gewesen. Es half ihr dabei den Geist etwas herunterzufahren. Auch, wenn sie immer eine gewisse Grundaufmerksamkeit beibehielt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie sie es deklarieren würde. Aber Momentan war sie eigentlich sehr guter Dinge. Das Einzige was ihr noch fehlte war Musik. Damit würde sie sich vielleicht sogar dem gesamten Spektrum an Einflüssen hingeben. Aber so sollte es nicht sein. Ein, die Straße zu Krankenhaus entlangkommender, junger Mann erhaschte die Aufmerksamkeit der Engelin innerhalb eines Augenblicks. Innerhalb weniger Sekunden musterte sie den herannahenden Inselbewohner, noch bevor dieser in Reichweite war um eine Konversation aufzubauen. Konnte das ihre Abholung sein? Sie wartete geduldig ab. Er konnte auch einfach nur jemandem im Krankenhaus besuchen, was wohl einfach wahrscheinlicher wäre. Aber sie wollte hier nichts überstürzen. Noch steuerte er nämlich direkt auf ihre Wenigkeit zu.
Mit einem sanften und willkommen heißenden Lächeln begrüßte sie den Braunhaarigen bereits symbolisch. Sie war immer freundlich zu ihren Mitmenschen, das würde sich jetzt auch nicht ändern. Außerdem, Menschen spiegeln sich, ist es nicht so? Es war also sehr wahrscheinlich. Das sie ein Lächeln zurückbekommen würde. „Ja, das ist mein Name.“, bestätigte sie die etwas unnormale Begrüßung in einem freundlichen Ton. Ihre blauen Seelenspiegel tasteten dabei sein Gesicht ab. Sie war sich nicht sicher, ob sie den jungen Mann vor sich kannte. Selbst bei seiner Vorstellung klingelte nichts im Kopf von Vivian. „Freut mich ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Iseya.“, erwiderte sie die Begrüßung und verneigte sich kurz, bevor sie nochmals seine Hand ergriff, um diese zu schütteln. Ihr Händedruck war dabei sehr normal, was jedoch nicht über die Härte ihrer Hand hinwegtäuschen würde. Aber auf solche Details achtete man normalerweise eher nicht. Sie lächelte. „Machen Sie sich keine Vorwürfe. Es tut mir leid, dass sie wegen mir den Weg bis hierher nehmen mussten, dafür entschuldige ich mich aufrichtig.“, erwiderte sie und löste ihre aktuelle Haltung um sich schon einmal als abreisebereit zu deklarieren. Immerhin sollte es ja jetzt zum Wohnheim gehen. Ein Erlebnis auf das sie sich wirklich freute. So fröhlich wie der Erzieher nämlich wirkte, war die Stimmung im neuen Zuhause bestimmt nicht schlecht. Sie schlussfolgerte daraus einfach mal, das es allen gut gehen würde.
Ihr Blick wanderte jedoch kurzfristig zu ihrem Koffer herunter, als dieser erwähnt wurde. „Ich möchte ihnen nicht so viele Umstände bereiten. Ich werde ihn selber tragen.“, erwiderte sie und schaute zurück in sein Gesicht. Ein Lächeln zuckte kurz in ihren Mundwinkeln auf. Dann nahm sie ihren Koffer einfach auf und schaute den Erzieher noch einmal kurz an. „Ich danke Ihnen nochmal für die Mühe, mich abzuholen.“. Wieder einmal die ganz einfache Logik: Wäre sie vorsichtiger gewesen, würde er sich die Mühe jetzt nicht machen müssen. „Ich bin dementsprechend bereit, Ihnen zu folgen. Ich weiß nämlich wirklich nicht, wo ich hingehen muss. Außerdem ist es hier doch etwas windig.“, betonte sie mit einer sanften und freundlichen Stimme. Ja, ihr war aufgefallen das die Jacke ihrer Abholung nicht gerade die geeignete Eigenschaft aufwies, zumindest nicht für den Bereich der Klinik. In der Stadt sah das schon wieder ganz anders aus. Dort war der Wind auch nicht so heftig, man fror also nicht zwangsbedingt. Ehrlich gesagt war sogar ihr gerade ein wenig kalt. Mit Kälteempfindlichkeit hatte die Engelin nämlich nichts am Hut. Der Fakt das sie ihn siezte, war dabei ganz normaler Standard für sie. Jeder Lehrer oder Erzieher genoss dieses Privileg. Es war ein Zeichen von Respekt und das war Vivian sehr wichtig. In einer Gemeinschaft sollte es schließlich einen Respektvollen Umgang untereinander geben. Ansonsten funktioniert es nicht.
Sehr höflich. Ich staunte unbemerkt. Ich brauchte ein wenig zu lange um angemessen darauf zu reagieren, von ihr gesiezt zu werden. Erst überlegte ich ob ich ihr das ausreden sollte, aber ich schätze ich bin nun so etwas wie eine Authoritätsperson. Ich werde mich wohl dran gewöhnen irgendwann. Als sie sich schließlich entschuldigte hob ich Kopfschüttelnd meine Hände. "Nicht doch!" Ich lachte leise. "Das gehört zu meinem Job.", erklärte ich. Daran könnte ich mich gewöhnen, auch wenn manche Schüler wohl weitaus weniger angenehm waren als Vivian. Ich stellte mir vor, wie ich Cruel oder Luziel abholte und mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken.
Sie schien sehr selbstständig für ihr Alter. So wirklich schätzen konnte ich dies nicht, aber man kann ja immer nachfragen. So wollte sie ihren Koffer selbst tragen und informierte mich, dass sie bereit war. Wir gingen los. "Woher kommst du, wenn ich fragen darf?", fragte ich als Icebreaker demnächst. Sie sah europäisch aus, ziemlich altmodisch und edel. Vielleicht aus England? Mir flogen alle möglichen Dinge durch den Kopf. Vielleicht kommt sie ja wirklich aus edlem Hause! Das zeigt, dass es sich stets lohnt, nett zu neuen Menschen zu sein. Wir kamen an vielen alten Häusern und Läden im Stadtkern vorbei und irgendwie passte sie sehr gut hier hinein. "Ist es nicht schön hier?", fragte ich und lugte in die Läden an denen wir vorbeigingen. "Das Waisenhaus ist übrigens brandneu.", erklärte ich bei der Gelegenheit. "Eine schöne Mischung aus neu und alt und wenn du deine Ruhe möchtest findest du sicher ein schönes Plätzchen dort.", ich lächelte sie an. "Oh, aber es könnte sein, das du dir dein Zimmer mit mehreren Leuten teilen musst." Das ist vielleicht wichtig zu wissen. Sie schien ein besonders ruhiger Mensch zu sein, der zwar mit anderen Leuten zurecht kommt aber auch die Einsamkeit ab und zu zu schätzen weiß. Ein bisschen wie ich.
"Ich werde wohl jeden Tag dort sein, also wenn du etwas brauchst bin ich in der Nähe.", erklärte ich weiter und ich fühlte mich irgendwie... wichtig? Ja, das ist es wohl. Ich habe jetzt Verantwortung zu übernehmen! Ich würde sie zuerst zur Heimleitung bringen, damit sie ihren Schlüssel und alles andere nötige bekommt. Wenn sie das wünscht werde ich sie auch zu ihrem Zimmer bringen. Und dann sollten die anderen Schüler auch schon alle wieder "Zuhause" sein. Bei so schönem Wetter werden vielleicht viele von ihnen unterwegs sein.
Die Begegnung schien ab dem Punkt der Vorstellung, wenn man diese denn so bezeichnen konnte, sehr angenehm zu verlaufen. Auch wenn sie ihren Gegenüber einen Moment lang natürlich sehr aufmerksam beobachtete, so bemerkte sie nicht das anfängliche Erstaunen über die so unerwartet freundliche Begrüßung. Das ihm die Aufgabe, ihre Wenigkeit abzuholen, nicht störte, war dabei ein wirklich angenehmer Nebeneffekt. Allerdings äußerte sich die Engelin nicht mehr dazu, sondern nahm es einfach als finale Aussage hin und bestätigte das nur noch mit einem freundlichen Nicken. Es war sowieso nicht in ihrem Interesse ihn von seiner Einstellung abzubringen, genauer gesagt fand sie diese sogar sehr löblich. Aber nun ging es auch erst einmal darum sich überhaupt auf den Weg zu machen. Dementsprechend nahm sie ihren Koffer endgültig in eine ihrer Hände und folgte ihrer Abholung mit gleichmäßigen Schritten. Ihr Blick war dabei stets auf den Weg vor sich gerichtet.
Für Vivian gab es natürlich eine Menge Fragen, welche sie dem Erzieher jetzt gerne gestellt hätte, aber noch überlegte sie und grübelte innerlich darüber, was sie denn alles konkret wissen wollte. Sie war nie so wirklich das Mädchen für Smalltalk gewesen, weswegen ihr das auch nicht so wirklich in den Sinn kam. Sie versuchte es, aber es war nicht gerade einfach für sie. Da war es wohl als Glücksfall zu werten, dass der Braunhaarige ihr diese Hürde erst einmal abnahm. Ihre blauen Augen wechselten ihren Fokus hinüber auf Herrn Iseya. „Ich bin hier seit meinen ersten Jahren ansässig und Lebe hier seit ich mich erinnern kann.“, führte sie ohne weitere Umschweife aus und schaute einen kurzen Moment wieder nach vorne, bevor ihre Blicke wieder zu ihrer Begleitung zurückkehrten, „Man hat mich hier als kleines Kind wohl abgegeben, ich weiß nichts genaueres. Die Insel ist dementsprechend meine Heimat.“. Das war ihr Kenntnisstand der Dinge. Besonders traurig oder berührt fühlte sie sich dabei nicht. Es war vielmehr ein Fakt für sie als eine negative Begebenheit der man hinterhertrauern musste. Ganz so fies sah sie das zwar auch wieder nicht, aber es war ihre Sicht der Dinge und gleichzeitig eine die nicht jeder teilte, das musste sie auch schon des Öfteren feststellen. Aber einem Erzieher konnte man das sicherlich so sagen....
Der Übergang in die Stadt erfolgte vom Krankenhaus aus sehr schnell und flüssig. Ein Gefühl von Heimat überkam Vivian, als sei zusammen mit Shiki die Läden entlangwanderte und ebenfalls mal den ein oder anderen Blick durch die Schaufenster hindurch wagte. Noch vor einer Woche herrschte hier absolutes Chaos, Verzweiflung, Leid. Jetzt hingegen war fast alles wieder normal. Zumindest an der Oberfläche. Es gab sicherlich noch viele Leute, die mit den Folgen zu kämpfen hatten, da war sich die Engelin sicher. Ein Nicken und ein Lächeln benetzten ihre Mundwinkel. „Ja, die Innenstadt ist ein schönes Areal. Es ist sehr angenehm zu sehen, dass alles hier wieder in einem reparierten Zustand ist. Das Chaos scheint überwunden zu sein, was mich sehr freut.“, erläuterte sie ruhig und bedachten Tones, während sie weiter an der Seite ihrer Führung einen Schritt nach dem anderen Vollführte und ihre Mimik sehr gelassen und fröhlich die Umgebung – sowie die Menschen musterte. Ein paar Leuten nickte sie beim Vorbeigehen sogar zu. Sie wollte gerade noch etwas nachsetzen, da erhaschte man mit einer wirklich interessanten Aussage ihre Aufmerksamkeit. Sie freute sich ohnehin schon auf das neue Wohnheim, aber jetzt schon einmal mehr darüber zu erfahren, war doch eine gute Sache. Zumal er dabei nicht sehr negativ dreinblickte und einen fröhlichen Ton in seiner Stimme mit sich trug. „Das klingt in der Tat sehr vielversprechend, muss ich sagen. Ich freue mich schon dort anzukommen.“, erwiderte sie mit einem Lächeln auf den Mundwinkeln und stellte sich in ihren Gedanken bereits das Wohnheim als einen weitaus angenehmeren Ort vor. Auch wenn der Schmerz beim Gedanken an das alte Zuhause noch einigermaßen tief saß, selbst für ihre Wenigkeit. „Und ich teile mir gerne das Zimmer mit anderen. Ich freue mich schon auf die Zimmergemeinschaft und die damit verbundenen Begegnungen.“. Auch, weil sie unbedingt wissen wollte, wer noch alles da war. Sie hatte ja schon gehört, dass es einige gab, welche sich nach dem zweiten Vorfall dieser Art dazu entschlossen hatten die Insel zu verlassen. Eine Aktion die Vivian zwar nicht vollends nachvollziehen konnte, aber respektierte. Was sie zurück zu Herrn Iseya brachte und wie sie ihn eigentlich nicht so wirklich wiedererkannt hatte. Sie mochte ihn in jedem Falle, wenn man das so bezeichnen konnte. Sein letztes Angebot bestätigte sie mit einem höflichen nicken. „Wenn Sie ebenfalls Hilfe brauchen, stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung.“, bot sie in einem dankbaren und fröhlichen Ton an und richtete ihren Blick nach vorne auf den Weg. Der Koffer, ohne ein Anzeichen von Ermüdung, in ihrer Hand haltend. Stille trat ein. Einziges Geräusch waren die Absätze ihrer Stiefel, welche mit jedem Schritt ein *klack* in die Umgebung entsendeten.
„Dürfte ich Sie ebenfalls fragen, wie lange sie hier auf der Insel sind?“, warf sie die Frage von vorhin nun zurück und versuchte so schon einmal etwas mehr an ihrer Art der Kommunikation zu arbeiten, „Ich kann mich bedauerlicherweise nicht an einen Erzieher mit Ihrem Antlitz erinnern. Sind Sie neu in diesem Beruf?“. Ihre Seelenspiegel ruhten dabei wieder auf der Seite seines Kopfes. Wenn er sie nun anschaute, so würde sie ihm auch jetzt direkt ins Gesicht sehen. Es interessierte sie wirklich, jeder interessierte sie. In einer Gemeinschaft sollte man immerhin auch jeden zumindest ein wenig kennenlernen. Er war bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und sie wollte dem in nichts nachstehen.Trotzdem war sie noch lange nicht auf ihrer Höchstform der Kommunikation angelangt. Sie hatte im Krankenhaus viel nachgedacht und nicht sehr viel Kontakt mit Leuten gepflegt. Jetzt konnte sich das endlich ändern!
„Miss Dubois, der Arzt hat doch gesagt...“ Es war Rhea egal, was der Arzt gesagt hatte. Sie hatte sich den hässlichen Patientenkittel vom Leib gerissen und kramte in der Tasche, die man ihr gebracht hatte, nach Umziehsachen. Ein wenig tat es ihr leid, dass sie die Krankenschwester nun womöglich in Schwierigkeiten brachte, doch die Halbdämonin hielt es hier keine Sekunde länger aus. Die Wunde am Hals pochte, aber sie ignorierte den Schmerz. Noch war er erträglich und mit ein bisschen Schmerzmittel würde sich das Problem bestimmt beheben lassen. „Miss Dubois! Ich bitte Sie, seien Sie doch...“ Die Krankenschwester hatte versucht, Rhea am Arm zu greifen, doch da hatte sich die Blauhaarige auch schon umgedreht. Erleichtert, dass die Patientin endlich Ruhe gab, wollte sie diese schon zu ihrem Bett zurücklotsen. Doch Rhea blieb stehen und nahm sanft, aber bestimmt das Gesicht der Krankenschwester in die Hände. „Miss Dubois...?“ Röte stieg ihr ins Gesicht, was nicht zuletzt daran lag, dass Rhea praktisch nackt vor ihr stand. Ehe die Krankenschwester realisieren konnte, was passieren würde, hatte die Dämonin sich auch schon nach vorne gelehnt und berührte mit den kühlen Lippen die Stirn der Pflegerin. Wankend taumelte sie nun nach hinten und wurde von Rhea zum Bett geführt. „Was... Was haben Sie.... ge....“ Ihre Augenlider wurden nach und nach schwerer und auch das Reden bereitete ihr Mühe. „Tut mir Leid...“ ...und binnen Sekunden fiel die Krankenschwester in einen ruhigen Tiefschlaf.
„Ein Problem weniger...“, dachte sich die geborene Dubois und wandte sich wieder der Tasche zu. Ausser pyjamaähnlichen Klamotten und Unterwäsche hatte man ihr nichts mitgebracht. Wahrscheinlich weil niemand damit gerechnet hatte, dass Rhea sich heute selbst aus dem Krankenhaus entlassen würde. ‚Bettruhe’. Der Gedanke an die Verordnung des Arztes liess die Blauhaarige verächtlich schnauben. Klar würde sie sich im Bett ausruhen, wenn potentiell Schüler das Heim auseinandernahmen. Es war nicht so, dass sie ihren Arbeitskollegen den Job nicht zutraute. Ganz im Gegenteil. Doch sie konnte nicht hier stillsitzen und Däumchen drehen. Der Lykanthropen-Angriff war noch nicht lange her und auch wenn die Schüler die jüngsten Ereignisse vielleicht bereits überwunden hatten, so konnte man ja nie sicher sein, was für Unsinn sie wieder im Kopf hatten. Irgendeinen Grund zum Prügeln fanden die Kinder ja immer. Rhea entschied sich für ein schlichtes Kleid, das eher nach einem weissen Schlafkleid aussah. Aber im Vergleich zum Rest war es wohl immer noch das Unauffälligste. Gerade als sie das Kleid über ihren Blauschopf gestülpt hatte, klopfte es an der Tür. „Verdammt...“, zischte Rhea leise.
Nur für Rhea … und nur für Rhea betrat Wasabi freiwillig ein Krankenhaus, in dem es vor Ärzten, Nadeln und gruseligen Instrumenten nur so wimmelte! Sie mochte es hier nicht. Genau genommen, hasste Sabi es hier, aber es war ihre Schuld, dass Rhea überhaupt erst ins Krankenhaus gemusst hatte. Wäre sie nicht gewesen, wäre Rhea nicht verletzt worden. So war das. Und deshalb musste sie jetzt hier durch. Das war das Mindeste. Sabi schluckte, als sie das Treppenhaus hinter sich ließ und den Flur betrat. Hier roch es noch steriler, als in der Eingangshalle. Pfui! Aufmerksam las sie die Schildchen, auf denen die Zimmernummern standen, um Rheas Zimmer nicht zu verpassen. „134 … 135 … 136“, zählte sie laut mit, den lackierten Zeigefinger dabei in der Luft haltend, wie eine Wünschelrute, die sie hoffentlich zum Ziel navigieren würde. Ihr Gesicht verdüsterte sich etwas, als sie vor Rheas Raum einen Kittelträger erblickte. Abrupt senkte Sabi ihre Hand und vergrub die Finger im Stoff ihres orangefarbenen Overalls. Der Arzt musterte sie skeptisch, als würde er tatsächlich abwägen, ob das sonderbare Persönchen aus der psychiatrischen Abteilung abgehauen sein könnte. Schließlich wandte er sich wieder seiner Visite zu und klopfte zweimal an der Tür. Wieso musste der Mann ausgerechnet jetzt hier sein? Wasabi tippelte von einem Fuß auf den anderen, nahm dann einen tiefen Atemzug und huschte mit gesenktem Kopf am Arzt vorbei, durch die halbgeöffnete Tür hindurch und ein „´tschuligung“ murmelnd. Sichtlich irritiert trat der Mann einen Schritt zurück, fing die beinahe ins Schloss fallende Tür jedoch mit einer Hand auf und betrat ebenfalls das Zimmer.
Sabi warf keinen Blick zurück. Sollte er doch kommen. Sie hatte keine Angst, solange Rhea auch hier war! Überglücklich lief sie auf die Blauhaarige zu. Weder der etwas merkwürdige Aufzug noch die schlafende Krankenschwester kümmerten sie. Letztere würdigte Sabi nicht einmal eines einzigen Blickes. „Rhea!!“, rief sie lachend, missachtend, dass sie sich immer noch in einem Krankenhaus befand und ihre Stimme vermutlich nicht in dieser Art und Weise heben sollte. „Ich hab dich so doll vermisst! Du hast mir wirklich echt gefehlt!“ Sie hatten sich nur ein paar Tage nicht gesehen, aber Sabi kam es vor wie Wochen, wenn nicht Monate. Breit lächelnd legte sie die Arme um Rheas zierlichen Körper und drückte sich an sie. Den Arzt, der die Situation noch nicht zu begreifen schien, blendete sie aus. „Geht’s dir schon wieder gut?“, fragte sie nach einigen Sekunden. Die Umarmung beendete sie nicht. Man müsste sie schon mit Gewalt entfernen, denn sie klebte an der Erzieherin, wie Kaugummi am Bürgersteig.
Durch die halbgeöffnete Tür erkannte Rhea den – ihr inzwischen nur allzu bekannten – weissen Arztkittel. Sie fluchte innerlich und zog rasch den Vorhang um ihr Bett zu. Für ein paar Sekunden zog sie es in Betracht, aus dem Fenster zu hüpfen. Doch das Risiko, sich etwas zu brechen und noch länger hierbleiben zu müssen, wollte sie nicht eingehen. Die Verzweiflung war jedoch gross. Wie sollte sie dem Arzt die schlafende Krankenschwester im Bett erklären, wenn er den Vorhang zurückziehen sollte? Ihn auch zum Schlafen bringen wäre eine Option, die sie eher vermeiden möchte. Was, wenn er einen wichtigen Termin hat und diesen verschläft? Mist. Ehe sich Rhea eine Ausrede zurechtlegen konnte, wuschelte etwas am Doktor vorbei und platzte ins Zimmer rein. Den grünen Haarschopf würde Rhea überall erkennen. Es überraschte sie jedoch Wasabi hier zu sehen.
„Wasabi!“ Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Der goldige (oder wohl eher grüne) Sonnenschein kam fröhlich lachend hineingeplatzt und umarmte sie, als hätten sich die zwei schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Um Rheas Herz wurde es etwas wärmer und sie drückte ihr Gesicht in Sabis giftgrünes Haar, während sie die herzliche Umarmung erwiderte. „Du hättest dich doch nicht hierher quälen müssen! Aber gefehlt hast du mir auch, Kleines...“ Klein war Wasabi eigentlich nicht – zumindest war sie von der Grösse her sogar um ein paar Zentimeter grösser als Rhea – aber es hielt die Halbdämonin dennoch nicht davon ab, ihr niedliche Kosenamen zu verpassen. Für sie würde Sabi immer das kleine 14-jährige Mädchen bleiben, das sie damals in Hokkaido kennengelernt hatte.
Der Arzt vor ihr räusperte sich, um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Doch die Blauhaarige ignorierte ihn. „Mir geht es wunderbar! Ich weiss auch nicht, warum ich noch hier bin“, sagte sie und blickte nun zum Doktor, der sein Klemmbrett studierte. Dieser kratzte skeptisch seinen Kopf und meinte: „Nun, so wie ich das sehe, sind Ihre Verle...“ Rhea verengte ihre Augen und machte ihre Arme frei, um Sabi die Ohren zuzuhalten. Wenn Blicke töten könnten, wäre der Arzt jetzt wohl ein Häufchen Asche. Wie konnte er es wagen, in Sabis Anwesenheit von ihren Verletzungen zu sprechen? Die Kleine machte sich wohl schon genug Vorwürfe und hatte sich ausserdem überwunden ins Krankenhaus zu kommen. Das letzte was sie brauchte, war ein Arzt, der ihr genau sagte, wo Rhea überall verletzt war und warum sie hierbleiben musste. Scheinbar wäre ihr Kopf nämlich fast vom Hals abgetrennt worden und nur dank moderner Magie und schnellem Handeln, konnte man ihn (zum Glück) noch retten. Zurück blieb bloss eine frischverheilte, wenn auch etwas grosse, Narbe, die scheinbar noch nicht ganz abgeheilt war. Glück im Unglück. Doch das war es ihr Wert gewesen. Hauptsache an Wasabi war noch alles dran.
Rhea rückte nun ihren Mund etwas näher an Sabis Ohren ran. „Sabi, es ist jetzt ganz wichtig, dass du mir zuhörst und keine Fragen stellst, ja? Ich erklär’ dir später den Grund. Du musst mir nämlich einen Gefallen tun: Meinst du, du kannst den Arzt an die Wand festkleben? Wäre auch gut, wenn du gleich noch seinen Mund irgendwie mit deinem Schleim zukleben könntest“, flüsterte sie ihrem Schützling ins Ohr. Der Arzt konnte sie nicht hören, da er in einem Höflichkeitsabstand zu den beiden stand – beäugte das Geflüstere jedoch mit misstrausichen Augen.
Ihren Namen, nach so einer (gefühlt) langen Zeit, wieder aus Rheas Mund zu hören, war Musik in den Ohren der Grünhaarigen. Und noch viel schöner waren die darauffolgenden Worte, nämlich, dass sie Rhea ebenfalls gefehlt hatte. Ein kleines Stimmchen in ihrem Hinterkopf hatte immer wieder behauptet, dass Rhea vielleicht böse auf sie sein könnte. Sie vielleicht gar nicht mehr sehen wollte, wegen der jüngsten Ereignisse. „Hab mich nicht gequält“, nuschelte sie in Rheas Schulter hinein, in welcher sie ihr Gesicht vergraben hatte. Natürlich ganz vorsichtig, um der Blauhaarigen nicht wehzutun! Das Strahlen in ihrem Gesicht wurde noch breiter, als Rhea versicherte, dass es ihr wunderbar gehen würde. Das waren doch tolle Nachrichten! Also wurde sie vielleicht doch nicht so schlimm verletzt, wie es im ersten Moment ausgesehen hatte. „Super! Kannst du dann gehen? Zurück nach Hause?“ Das zu Hause war wohl in dem Fall das Wohnheim oder aber Sabis Wohnung, die wohl sowieso eine Art zweiter Wohnsitz am Strand für Rhea war. Am liebsten hätte sie ihre zweite große Schwester den lieben langen Tag bei sich im Apartment, aber es gab da irgendwelche Regeln für Erzieher, sodass sie im Wohnheim wohnen mussten. Unfair! Verwirrt, weil Rhea ihr plötzlich die Ohren zuhielt, hob Sabi den Kopf von der Schulter der etwas Kleineren und blinzelte diese fragend an. Das Rauschen dämpfte die Stimme des Arztes und sie verstand kein Wort von dem was er sagte. „Rhea?“ Ihr Auge wanderte über Rheas zorniges Gesicht und flüchtig über die Bandagen, die um ihren Hals lagen. Ob es noch wehtat? Wasabis Narben pochten manchmal immer noch unangenehm, obwohl sie schon längst verheilt waren. Schon seit Jahren. Manchmal hatte sie auch noch Schmerzen in ihrer rechten Augenhöhle. Monashir hatte einmal etwas von Phantomschmerzen gesagt. Hoffentlich bekam Rhea die nicht auch …
Sie sollte den Arzt an der Wand festkleben? Das war kein Problem. Sie entfernte sich (nur widerwillig) von Rhea und krempelte die Ärmel ihres Overalls etwas hoch. „Klar! Kann ich machen“, bestätigte sie lächelnd und wandte sich sogleich dem Arzt zu, der sichtlich irritiert wirkte. Verständlicherweise. Wahrscheinlich hatte er nicht oft mit schlafenden Krankenschwestern, ausreißerischen Patienten und handgreiflichen Besuchern zu tun. Sabi war sich auch nicht sicher, wieso sie tun sollte, was sie tun sollte, aber wenn Rhea sie dazu aufforderte zu springen, fragte sie nicht weshalb, sondern wie hoch. Sabi lief auf den Kittelträger zu und packte das Handgelenk des Mannes, um ihn wenige Schritte zurück und gegen eine Wand zu drängen. Zum Glück hatte sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Der Arzt ließ das Klemmbrett fallen und fragte fluchend, was hier los wäre. Ehe er sich der Situation bewusst werden konnte, hatte Wasabi eine Handvoll blauen Glibbers produziert, mit dem sie die Hand des Arztes bombenfest an der Wand fixierte. Sofort nahm sie einige Schritte Sicherheitsabstand zu ihm ein, da er mit der freien Hand versuchte sie zu packen. Sein hochrotes Tomatengesicht brachte Sabi kurz zum Schmunzeln, aber sie hatte gleichzeitig Angst sich ihm noch einmal zu nähern. Vielleicht würde er ja beißen! Sie sah bittend zu Rhea. „Ich mag nicht“, schmollte sie und verschränkte ihre Arme hinter sich. Sie wollte Rhea nicht enttäuschen, aber der wütende Doktor machte ihr wirklich Angst. Sie wollte hier nicht mehr sein.
Der Erzieherin war Sabis Blick über ihre Bandagen nicht entgangen. Zum Glück hatte das Plappermaul von Arzt nicht noch mehr ausgeplaudert. Die Situation zerrte etwas an Rheas Nerven und sie versuchte den Schmerz hinten am Nacken zu ignorieren. Doch zum Glück fragte Wasabi nicht nach, sondern befolgte brav Rheas Bitte. Ein bisschen fühlte sich die Blauhaarige schlecht. Es kam ihr schon fast vor, als ob sie Sabi für sich ausnutzen würde. Aber es schadete ihr ja nicht und im Endeffekt konnten sie dann schneller von hier weg – eine Win-win-Situation. Der grünhaarige Sonnenschein war sogar erstaunlich flink in ihrer Ausführung. Zack hatte sie den Arzt am Handgelenk gepackt und zack, war die Hand auch schon angeleimt. Eigentlich hatte sie gehofft, dass Sabi ihn etwas mehr... fixieren würde. Aber das tat es auch. So schnell würde er den Schleim nicht losbekommen und Hauptsache war, dass er sie nicht aufhielt. „Das hast du sehr gut gemacht, Liebes!“, lobte sie die eigentlich bereits 23-jährige und tätschelte ihren Kopf.
Schnell hatte Rhea dann ihre sieben Sachen geschnappt, die sie schon vor langem zusammengepackt hatte und ignorierte abermals den – inzwischen wütenden – Arzt, der auf sie einzureden versuchte. „Komm Sabi, lass uns schnell gehen...“ Mit diesen Worten griff sie Sabis Hand und zog sie aus dem Zimmer raus – die Tür hinter sich natürlich schnell zumachend. Die Stimme des rufenden Arztes war zwar zu hören, aber durch die Zimmertür hindurch, dürfte es wohl einige Minuten dauern, bis jemand aufmerksam auf ihn werden würde... hoffte Rhea zumindest und ging mit Sabi im Schlepptau den Flur hinab – zügig, aber auch nicht zu schnell, damit sie nicht auffielen.
„Entschuldige Sabi“, sagte Rhea dann, als sie sich durch die Korridore, auf den Ausgang, zubewegten. „Eigentlich war das nicht geplant gewesen. Geht es dir gut? Hast du dich gut von dem Angriff erholt? Warst du schwer verletzt?“ Besorgt drückte sie die Hand der neuen Hausmeisterin leicht und scannte Wasabi von der Seite mit ihren Augen nach Verletzungen ab. „Es tut mir so Leid, dass du das alles erleben musstest...“, fügte sie dann hinzu. Schliesslich hatte Rhea Monashir versprochen, auf Wasabi aufzupassen und ihr hier zu helfen. Schuldgefühle kamen wieder in der Blauhaarigen hoch und sie schluckte schwer bei dem Gedanken daran, dass Sabi sich so kurz nach ihrer Ankunft in Lebensgefahr befand.
Rheas Lob, das sie trotz der Verweigerung den Mund des Arztes zuzukleben, bekam, ließ Sabi freudig strahlen. Es fehlte nur noch das treudoofe Hecheln und das Bild des Welpen, der zum ersten Mal selbstständig Sitz gemacht hatte, wäre komplett. „Danke.“ Auch, wenn es nicht so aussah, würde der Doktor diesen Raum nicht mehr so schnell verlassen. Zumindest nicht, ohne fremde Hilfe und das Wissen, dass man den Schleim mit Wasser auflösen musste. Ziehen und Zerren war total zwecklos, aber das würde der Mann wohl selbst bald herausfinden. Die Grünhaarige nickte nur, als Rhea sagte sie müssten schnell gehen. Wieso denn die Eile? Wusste Sabi nicht. Aber sie wollte hier sowieso nicht bleiben. Die Hand, mit der sie den Arzt an die Wand gepappt hatte, klebte noch ein klein wenig. Zum Glück nahm Rhea ihre andere, in Verbandszeug gewickelte, Hand. So müssten sie keinen Zwischenstopp an einem Waschbecken einlegen. „Tschü“, verabschiedete Sabi sich flüchtig winkend von dem Arzt, bevor die Tür hinter ihnen auch schon zufiel und das wütende Fluchen hinter sich einschloss.
Die Flure lief Wasabi hinab, als würde sie Scheuklappen tragen. Die vielen Ärzte und Pfleger versuchte sie auszublenden und sich einzig und allein auf Rheas Schritte zu konzentrieren. Den Blick hielt sie gesenkt, um wegen ihrer Bandagen keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Wobei ihre wilde, grüne Mähne trotzdem Blicke auf sich zog. Als der Ausgang endlich in Sicht lag, atmete sie tief durch, als hätte sie die ganze Zeit über die Luft angehalten, und schüttelte schließlich den Kopf, als Rhea sich entschuldigte. „Macht nichts“, gab sie fröhlich zurück. „Ich bin froh. Weil wir schnell wieder draußen sind.“ Als hätte sie diese Worte absichtlich perfekt getimed, schob sich die automatisierte Tür auf und entließ die beiden Flüchtigen in die Freiheit.
Kaum hatten sie einen Fuß nach draußen gesetzt, fiel Wasabi wieder in Rheas Arme und drückte die Erzieherin noch etwas fester an sich, als vorhin im Zimmer. Sie war noch nie gut mit Worten gewesen, besonders wenn es um die Gefühle anderer Leute und Entschuldigungen ging. Außerdem waren die Ereignisse noch so frisch, dass sie nicht gut darüber sprechen konnte. Wahrscheinlich würde es etwas dauern, bis sie voll und ganz verdaut hatte, was (wegen ihr) passiert war. „Alles gut. Mir geht’s gut. Hauptsache dir geht’s auch wieder gut.“ Wasabi hatte ja kaum einen Kratzer abbekommen, dank Rheas Eingreifen. Sie ließ nach einige Sekunden wieder von Rhea ab, nahm deren Hand jedoch wieder in ihre und schaute erst zur Stadt, dann erwartungsvoll zu Rhea. Sie sollten jetzt wohl am besten ins Wohnheim gehen, oder? Sabis leerer Magen grummelte nun auch wieder, nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatten.