Wie so ziemlich jede Schule verfügt auch diese über ein sehr grosszügiges Schuldach, das umzäunt wird. Hier können schlaue Schüler ihre Ruhe finden und sich entspannen. Zwar sieht das Dach sehr trostlos aus, dennoch hat es auch etwas Anziehendes an sich. Seit kurzem befinden sich hier sogar ein paar Bänke und Pflanzen, um den Ort nicht ganz so kahl wirken zu lassen.
Kaum hatte es geschellt, waren sämtliche Schüler aus den Klassen gestürzt, um in die ersehnte Freiheit zu stürzen, wenn man hier überhaupt von Freiheit sprechen konnte. Immerhin saßen wir alles hinter den Mauern der Akademie und des Waisenhauses gefangen, sodass ich mir nicht vorstellen konnte, wie man freiwillig seine Zeit hier fristen konnte. Sicher, hatte man kein anderen zu Hause war dieser Ort so etwas wie ein Glücksgriff, aber wenn man wie ich Freunde und ein Leben hatte, musste man nicht unbedingt verschleppt und auf einer verdammten Insel wieder ausgesetzt werden. Seufzend beschleunigte ich meinen Gang etwas, spielte mit dem Gedanken eine Nachricht an Chloe zu schreiben, und sie zu fragen ob sie Zeit hatte, aber dies wiederum erschien mir als aufdringlich. Immerhin hatten wir uns vor einer Stunde erst kennen gelernt und sie sollte mich nicht für einen Stalker halten oder so. Also kramte ich den Zettel von Slevin heraus, tippte die Nummer in mein Handy ein und speicherte alles in der Kontaktliste. Auch, wenn ich wahrscheinlich niemals freiwillig bei ihm anrufen würde, sollte ich die Nummer zumindest für den Notfall speichern. Der Lehrer war keine große Hilfe, sprach irgendwie in Rätseln und schaffte es mich wütend zu machen, was an sich keine große Leistung war. Ich hatte mir noch nie Mühe damit gemacht, meine Gefühle vor anderen zu verbergen. Wieso sollte ich auch? Nur Heuchler gaben vor jemand zu sein, der sie nicht waren. Beinahe automatisch hatten mich meine Beine zu der Wendeltreppe gebracht, die zum Schuldach hinauf führte. Meine Fäuste waren geballt, der Zettel nun zu einem Papierball geformt. Ich biss die Zähne zusammen und fing an zu rennen, stürmte die Treppe hoch, die bei jedem Schritt einen metallischen Klang von sich gab. »Dumme Schule, dumme Lehrer, dumme Schüler, alles dumm!«, brüllte ich während ich die Tür zum Dach aufriss und geräuschvoll ins Schloss fallen ließ. Verdammt, was machte mich so rasend? Die Tatsache, dass ich nicht wusste was ich hier tat oder die Frage nach mir und meinem Inneren? Eine sanfte Brise wirbelte mein blondes Haar hoch, der dünne Stoff des Hemdes presste sich gegen meinen dünnen Körper. Gereizt fuhr ich mir durch das Haar und atmete tief durch. In mein Blickfeld geriet plötzlich eine Gestalt, welches auf dem Maschendrahtzaun thronte und ihren Kopf gen Himmel reckte.
Entspannt saß Jinai auf dem Zaun und schaute in den Himmel, schloss langsam die Augen und konzentrierte sich auf ihr Gehör. Das Rauschen des Windes, Blätter die raschelten und zwitschernde Vögel. Manchmal war es schon seltsam, dass es solche Personen gab, die so Momente des Friedens genossen aber genauso gern die gequälten Schreie ihrer Opfer hörten. Und apropos hörten, eine Stimme durchbrach die friedlichen Geräusche der Natur, wagte es doch tatsächlich rumzufluchen! Jin hörte die stapfenden Schritte und das Aufschlagen der Tür, anscheinend war es ein Junge, und er schien garnicht so zufrieden hier zu sein. War es denn so schlimm? Langsam öffnete die Dämonin wieder ihre verschiedenfarbigen Augen und senkte den Kopf. Ihre erste wirkliche Bekanntschaft hier, wie er wohl sein würde? Im Moment wahrscheinlich.. wütend. Mit ihren Beinen holte das Mädchen schwung und glitt elegant mit diesen über den Zaun, sodass sie nun immernoch auf diesem saß, doch nun in die Richtung des Jungen schaute. Sofort erblickte und musterte sie ihn. Er hatte blondes, etwas längeres Haar und sah nicht besonders "männlich" aus, hatte weiche Gesichtszüge. Zudem schlank, ziemlich normal, und die typische Schuluniform trug er, in welche auch Jinai sich vor einigen Minuten hatte zwängen müssen. Zwängen nur deswegen, weil sie kein Fan von solchen Klamotten war, aber leben konnte man damit. "Hey.", sagte sie kurzerhand und musterte den Jungen weiter. Für einen Dämon hatte er sich aber eine schmächtige Gestalt ausgesucht. Sie lächelte nicht, sah eher interessiert aus und schwang sich elegant von dem Zaun herunter. Nun bildete sich langsam ein Lächeln auf den Lippen der jungen Frau, während sie zu dem Fremden hinging, sie kam ihm immer näher, für manche wahrscheinlich unangenehm nah. Mit ihrem Gesicht war sie so nah an dem seinen, dass sie seinen Atem spüren konnte, doch ihr Lächeln wurde nurnoch breiter. Ehe er womöglich in Ohnmacht fallen konnte nahm sie wieder genügend Abstand ein und verschränkte die Finger ihrer Hände hinter ihrem Rücken. "Du scheinst schlechte Laune zu haben. Ist die Schule hier denn so scheiße? Ich bin grade neu hier angekommen, weißt du, da wären ein paar Isider-Informationen ganz nützlich." Hmmm. Ober ihr das wohl einfach so sagen würde. Vielleicht wenn sie etwas nettes hinterherwarf. Sie konnte ja nicht wissen, was für eine Art Dämon er war. "Ich bin jedenfalls Jinai, und du?" Immernoch lächelte sie und schaute dem Jungen mit ihren verschiedenfarbigen Augen in die seinen, während immernoch ein leichter Wind wehte und mit ihren langen Haaren und ihrem Rock spielte.
Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet hier jemanden anzutreffen, vor allem, da viele Schüler gerade im Unterricht saßen oder ihre Freistunde irgendwo außerhalb der Akademie verbrachten. Wohin meine Mitschüler aus der Mondklasse verschwunden waren, wusste ich hingegen nicht und es war mir auch ziemlich egal. Bisher hatte mich keiner von ihnen wirklich interessiert. Entweder Streber, Langweiler oder einfach jemand, der den Eisklotz spielen musste. Gab es hier auch normale Menschen? Mit langsamen Schritten trat ich näher an den Zaun heran, mein Kiefer entspannte sich etwas, ebenso wie meine Hände, welche gerade noch zu Fäusten geballt waren. Ich spürte den Blick der Fremden auf mir, wie er über meinen zierlichen Körper glitt, und konnte mir meinen Teil denken. Vermutlich hielt sie mich entweder für einen ziemlichen Waschlappen oder gar für ein Mädchen. Es wäre ja nicht das erste Mal. Allerdings erwiderte ich ihren Blick, soweit möglich, begutachtete ihr langes Haar, welches sachte vom Wind aufgewirbelt wurde, ihre schmale Figur, und checkte flüchtig ihre Oberweite ab. Nicht, dass mich der Vorbau eines Mädchens zwingend interessierte, aber ich war eben auch nur ein Junge mit seinen Bedürfnissen. »Tag«, erwiderte ich und hob meine Hand kurz zur Begrüßung. Das hatte ich mir so angewöhnt, und bisher empfand es niemand als lästig. Sie kam immer näher, hielt schließlich kurz vor meinem Gesicht inne, sodass ich ihren warmen Atem auf meinen Wangen spüren konnte. Diese Nähe war mir nicht unangenehm; ich blinzelte nur etwas verdutzt über diese Direktheit. Ihr Lächeln wurde breiter, unwillkürlich tat ich es ihr gleich. Meine Wut verpuffte nicht mit einem Mal, aber für den Augenblick war ich besänftigt. Mit einer fließenden Bewegung fuhr ich mit durch das blonde Haar und beäugte ihr Gesicht. Ungewöhnlicherweise hatten ihre Augen jeweils verschiedene Farben : blau und eine Art grau. Außerdem prägten schwarze Bemalungen - oder waren es Tattoos – ihre linke Gesichtshälfte. »Wenn man unfreiwillig hier ist, und sich gerade durch eine Stunde Alchemie quälen musste, ist jede Schule scheiße, glaub mir«, gab ich schulterzuckend zurück und vergrub meine Hände in den Hosentaschen. »Ich bin Jun, und auch erst vor ein paar Tagen hier angekommen. Insider-Informationen findest du bei mir keine.« Ich ließ meinen Blick über das Dach schweifen, bevor ich grinste. »Doch .. lass dir Finger vom Tempura, sonst verbringst du den restlichen Tag auf dem Klo.«
Sehr gut, er schien schonmal keiner der schüchternen Sorte zu sein. Dafür, dass er doch recht zierlich und ein bisschen weiblich aussah, verhielt er sich ganz anders. Eigentlich nichts, womit das Mädchen gerechnet hatte, aber es war ihr sehr willkommen. Der Junge erwiederte ihr Lächeln und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, ihr war bewusst, dass er sie momentan genauso musterte, wie sie ihn. Wahrscheinlich hatte sie mehr Eyecatcher und wirkte allgemein interessanter, das wusste sie natürlich, manche konnten ihre Blicke garnicht abwenden. Prombt verriet er ihr auch den Grund seiner schlechten Laune und Jinai legte den Kopf leicht schief. "Alchemie?" Hatte sie das nicht eben irgendwo gelesen? Moment mal. Mit ihrer rechten Hand kramte sie in ihrer Umhängetasche, welche lässig auf der Höhe ihrer Hüfte an ihrer rechten Seite herumbaumelte, und zog einen Zettel hinaus. Es war der Stundenplan, welchen sie eben noch studiert hatte, und da stand es. Ihre Klasse hatte momentan eine Freistunde, doch davor hatten sie Alchemie. Ein Grinsen legte sich auf die Lippen der Dämonin, passte es nicht wie die Faust aufs Auge? Wieder stecke Jinai den Zettel zurück und sah dann den Jungen an, welcher wohlbemerkt so groß war wie sie, oder sogar ein wenig kleiner. "Bist du in der Mondklasse?" Für sie war es eigentlich unnötig, diese Frage zu stellen, immerhin war sie sich sogut wie sicher, hier ihr erstes Klassenmitglied kennengelernt zu haben. Nunja, es hätte schlechter ausgehen können. "Und warum bist du unfreiwillig hier? Sieht doch ganz nett aus..." Gut, wie es hier aussah und das er unfreiwillig hier sein sollte hatten zwar nichts miteinander zutun, aber.. es war ein Argument! Allerdings wunderte es sie schon.. warum war ein Dämon denn unfreiwillig hier? Er konnte doch machen, was er wollte! Und wenn er es hier so schlimm fand, warum jagte er nicht einfach die Schule in die Luft? Das verstand Jinai nicht ganz. "Okay, Jun. Tempura nicht anfassen, merk ich mir." Ein leises Lachen entrann ihrer Kehle, als sie seinem Blick über das Dach folgte. Hoffentlich waren nicht alle so drauf wie dieser Kerl hier, sonst hatte sie garkeine Leute zum ärgern. "Und wie alt bist du, Jun?" Natürlich erwartete sie jetzt irgendwas im Hunderterbereich und sah den Blonden wieder an, sie glaubte aber nicht, dass er älter war als sie selbst.
Relativ desinteressiert, beobachtete ich sie dabei, wie sie in ihrer Tasche kramte und irgendetwas auf einem Zettel überprüfte. Offenbar handelte es sich um den Stundenplan, denn sie steckte das Papier wieder ein und fragte mich, ob ich zufälligerweise in die Mondklasse ging. Grinsend schüttelte ich mein Haar zurecht und nickte. »Jop. Ich weiß ehrlich nicht, wie sie hier die Klasseneinteilung vornehmen. Irgendwie passe ich gar nicht in diese Klasse .. nur Verrückte da«, erklärte ich und legte die Stirn in Falten, musterte flüchtig ihre Tattoos. Ein interessantes Äußeren besaß dieses Mädchen schon einmal, so viel konnte man sagen. Sie wirkte etwas älter und reifer als ich, vielleicht um die achtzehn Jahre. Ein großer Altersunterschied war dies zwar nicht, aber durchaus nennenswert. Ihr Argument erschien mir zwar sehr fragwürdig, aber irgendwo hatte sie Recht. Diese Schule hatte mich bisher ziemlich positiv überrascht, wenn man vom Unterricht, den Mitschülern und dem Tempura einmal absah. Die Schlafräume waren deutlich hübscher als meine alte Wohnung, das Essen war in Ordnung und kostenlos. Jedoch konnte ich diesen 'Luxus' nicht genießen, wenn ich den wahren Grund meiner Anwesenheit hier nicht kannte. Slevin wollte offenbar auch nicht mit der Wahrheit heraus rücken, so blieb mir nichts anderes übrig als vor mich hin zu leben, und eventuell andere Lehrer nach meiner Akte zu fragen. Irgendwer würde sich schon erbarmen. »Wenn ich das wüsste, wäre ich schon einen Schritt weiter. Aber niemand scheint es für nötig zu halten mir zu sagen, warum ich auf dieser Insel gelandet bin.« Ich deutete ein schiefes Grinsen an und fuhr mir erneut durchs Haar. Dieser Wind konnte ziemlich nervig sein. Einige Bänke standen auf dem Dach, sodass ich kurzerhand einige Schritte hinter das Mädchen trat und mich seufzend auf einer der Bänke nieder ließ. Mit den Händen stützte ich mich ab und musterte sie mit schräg gelegtem Kopf. »Erzählt man nicht erst etwas über sich, und fragt dann erst nach?« Ich lachte auf, entschloss mich aber dazu ihr zu antworten. »Ich bin sechzehn, und du?« Mit der rechten Handfläche klopfte ich auf den freien Platz neben mir, bedeutete Jinai sich zu setzen.
Wenn er ein bisschen logisch denken konnte, musste Jun doch darauf kommen, dass Jinai ebenfalls in der Mondklasse war. Oder war es garnicht so offensichtlich, wie sie dachte? Dennoch verfinsterte sich ihre Miene ein klein wenig und das Lächeln verschwand, wenn er es sich nun doch dachte, dann wollte er sie beleidigen. Vielleicht aber auch nicht. Doch das spielte für die Frau gerade keine Rolle, sie war not amused. "Ich bin auch in der Mondklasse, danke für's Kompliment.", zischte sie mit hochgezogener Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. Aus einem Impuls heraus hätte sie ihm gern irgendwas an den Kopf gepfeffert, oder ihn über das Geländer fliegen und runterfallen lassen, doch hielt sie sich zurück. Vielleicht hatte er wirklich nicht so weit kombiniert. Sie wollte es darauf ankommen lassen, sogesehen hatte er noch eine Chance, denn eigentlich war Jinai momentan garnicht schlecht drauf. Ihr gefiel die Schule ganz gut und sie war sich ziemlich sicher, hier viel Spaß haben zu werden. Sein nächster Satz jedoch änderte schon wieder alles. Keine finstere Miene lag mehr auf Jins Gesicht, denn diese machte eher einem überraschten Ausdruck platz. Unfreiwillig war ja das eine, doch er wusste garnicht warum er überhaupt hier war? Konnte es sein, dass... ? Nein, das war zu komisch, das konnte nicht sein. Er musste doch wissen, was dies für eine Schule war, oder? Irgendwie tat er ihr ja schon fast Leid, wenn sie sich das so vorstellte... naja, fast. Eigentlich hätte sie ihm direkt sagen können, warum er hier war, doch vielleicht wollte er sie auch nur verarschen? Jin kannte genug Dämonen und andere Wesen die's faustdick hinter den Ohren hatten. Als er zu einer der Bänke hinschlenderte drehte sie sich so, dass sie ihn immer im Blickfeld hatte, und folgte ihm schließlich. Hinsetzten tat sie sich so wie er direkt, ohne darauf zu warten, dass er ihr den Platz neben sich anbot. Warum auch? Man erzählte also zuerst was über sich. Aha. Bei Jinai war es eben nicht so, die Leute konnten sie fragen was sie wollten, sie würde antworten, also sollten es die anderen auch so bei ihr machen. Schnell fischte sich die Grauhaarige eine Flasche aus ihrer Tasche und schraubte den Deckel auf. Heute war Fanta dran, leider Gottes war sie schon jetzt nichtmehr ganz voll. Sie legte die Öffnung an ihre Lippen und trank einen Schluck, exakt in dem Moment, in welchem Jun ihr antwortete. Sofort verstreute sich die ganze Fanta in der Luft, welche eben noch in Jinais Mund war, als sie diese ausprustete. "Sechzehn?!", keuchte sie und sah den Blonden an, als hätte er gerade irgendetwas absolut furchtbares gesagt. "Ich fasse es nicht..""So jung?" Eine Weile starrte sie den Jungen an, bis sie sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. Gut, es war kein Weltuntergang, nur irgendwie etwas womit sie absolut garnicht gerechnet hatte. Aber irgendwie fügte sich doch alles zusammen. "Du hast also keine Ahnung, warum du hier bist...", wiederholte Jin nocheinmal, während sie ihre Flasche wieder verschloss und wieder in ihre Tasche packte. Dann sah sie Jun wieder an und ein leichtes Grinsen zierte ihre Lippen. "Du hast wirklich keine Ahnung? Du weißt nicht, was das für eine Schule ist?" Oh wow, jetzt kam ein toller Augenblick. Mit einem Räuspern erhob sich Jinai und stellte sich genau vor Jun, beugte sich mit dem Oberkörper runter und legte ihre Hände auf seine Schultern. Wieder war sie seinem Gesicht viel näher, als es bei normalen Gesprächspartnern üblich war, ihr Gesichtsausdruck war inzwischen wieder ernst geworden. Sie wollte ganz genau wissen, wie jemand reagierte, der wahrscheinlich glaubte ein Mensch zu sein, wenn er erfuhr, dass er es nicht war. Ziemlich sicher würde er es garnicht glauben. Dennoch würde er nun die Wahrheit erfahren. "Mein lieber Jun wieauchimmerdumitNachnamenheißt, du bist kein Mensch. Und das ist keine normale Schule. Sie ist für besondere Wesen, und du mein lieber bist ein Dämon." Nun bildete sich langsam wieder ein Lächeln auf ihren Lippen und sie nahm wieder Abstand, so viel, dass der Blonde auch nicht so hoch schauen musste, um ihr ins Gesicht zu sehen. "Oh und um auf die Frage von eben zurückzukommen, ich bin um die 500 Jahre alt, hab irgendwann aufgehört genau zu zählen."
Ihren vorherigen Kommentar tat ich mit einer unwirschen Handbewegung ab. Immerhin hielt ich alle Schüler dieser Akademie für verrückt, da war sie keine Ausnahme, und das durfte sie ruhig wissen. Ich stand zu meiner persönlichen Meinung, und ließ mir da von niemandem dazwischen reden. Desinteressiert beobachtete ich Jinai, wie sie ihre Fanta zückte und einige Schlücke nahm, bevor sie ihren sämtlichen Mundinhalt auf dem Boden verteilte. Überrascht rutschte ich aus Reflex ein Stück zur Seite und presste die Handfläche auf meinen Mund, um nicht los zu prusten. Klischeehafter ging es gar nicht mehr; außerdem erfreute ich mich gerade an dieser Situation. Doch ihre darauf folgenden Worte gaben mir zu denken. Verwirrt legte ich die Stirn in Falten und senkte meine Hand. Nun lag ein ernster und nachdenklicher Ausdruck auf meinen Gesichtszüge, mein Gehirn ratterte. »Was meinst du denn damit? Ich bin zwar sicher jünger als du, aber nichts desto trotz ..«, rechtfertigte ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Für wen hielt sie sich eigentlich, dass sie mich als jung bezeichnen durfte – etwa meine Großmutter? Leicht verstimmt hob ich das Kinn an und musterte ihre verschiedenfarbigen Augen, die im Sonnenlicht auf eine interessante Art und Weise glänzten. Mich faszinierte ihr Äußeren zugegebenermaßen sehr, aber momentan konzentrierte ich mich auf ihre Worte. »Wie gesagt ..«, murmelte ich und blickte abwesend zu Boden. Meine Güte; was sollte das werden? Sie erhob sich von der Bank und legte ihre Hände auf meine Schultern. Keine Berührung, die mir zuwider war oder mich sonst irgendwie belästigte. Im Augenblick war ich nur etwas verwirrt über ihre Reaktion und ihr Verhalten. Jinai war also fünfhundert Jahre alt, ich war ein Dämon und diese Schule für besondere Wesen. Unwillkürlich musste ich anfangen zu lachen. Das klang alles so furchtbar lächerlich, dass ich mich gar nicht mehr ein kriegen konnte und am liebsten auf dem Boden herum gerollt wäre. Grinsend wischte ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln, versuchte wieder ernster zu schauen, was mir jedoch gründlich misslang. »Natürlich, Jinai-chan. Du und ich, wir sind beide Dämonen, und unser Alchemie Lehrer Slevin ist ein Magier«, sagte ich und schüttelte mich immer noch vor Lachen. Sie war auch zu komisch. Wie kam man eigentlich auf solch eine absurde Idee? Plötzlich hörte ich den Klingelton meines Handys, griff kurzerhand in meine Hosentasche, um die Nachricht abzurufen. Wenn man vom Teufel sprach : Slevin. Schnell tippte ich einige Zeilen, und widmete mich wieder dem Mädchen. Ich würde mich später um meine Akte kümmern, denn diese Situation war zu köstlich.
Er lachte. Gut, das war auch eine Möglichkeit zu reagieren. Jinai beobachtete den Jungen, wie er dort lachte und lehnte sich währenddessen mit dem Rücken an den Zaun, die Arme verschränkte sie vor der Brust. Vorerst sagte sie nichts und ließ sich auch nicht anmerken, dass sich der Kleine auf gefährlich dünnem Eis bewegte. Nein, eigentlich war er schon ins eiskalte Wasser gefallen. Aber gut, das würde er auch noch merken. Mit seinem nächsten Satz zog er sie weiter ins Lächerliche und stempelte sie damit als geisteskrank ab, die Dämonin allerdings rollte nur mit den Augen. Sie wusste nicht genau, ob er lachte, weil er das alles urkomisch fand, oder vielleicht weil er sonst nicht wusste, wie er reagieren sollte. Immer diese Menschen. Oder Wesen, die glaubten Menschen zu sein. Wozu gab es sie überhaupt? Total unnütz und dumm. Auch als er anscheinend eine Nachricht auf seinem Handy bekam und eine Antwort eintippte, beobachtete Jinai ihn nur - allerdings musste sie dafür inzwischen ziemlich hoch schauen. Jun saß noch genauso auf der Bank, wie vorher, ja, aber diese hatte Jinai gekonnt vom Boden gelöst und nun schwebte diese mit Jun darauf immer höher in den Himmel. Inzwischen trennten ihn und das Dach der Schule schon ganze 5 Meter, also beschloss die Dämonin, ihm liebenswürdigerweise Gesellschaft zu leisten, sprang vom Boden ab und flog zu ihm. Wieder setzte sie sich neben ihn und schaute in die Ferne. "Schöne Aussicht, oder?" Mit einem Grinsen wandte sie sich an ihn, damit er von seinem Handy hochschaute und bemerkte, in was für eine miese Lage er sich drangsaliert hatte. Jun nämlich würde einfach runterfallen, wenn er die Bank verließ, vielleicht würde Jinai ihn sogar so schwer machen, dass er einfach auf dem Dach aufkommend zermatschen würde. Sie rutschte dicht an den Jungen heran, legte ihre Hand an seinen Hals und bewegte ihren Mund dicht an sein Ohr. Ihre Fingernägel bohrte sie leicht in seinen Hals, während sie ihm etwas ins Ohr flüsterte. "Ich kann es garnicht leiden, wenn solche Babies wie du meinen, mir nicht glauben zu müssen, oder mich ins Lächerliche ziehen zu können. Du hast keine Ahnung mit wem du dich anlegst. Also ich an deiner Stelle würde mir sehr gut überlegen, was ich als nächstes mache oder sage, sonst bist du schneller tot, als du gucken kannst." Mit einem diabolischen Grinsen rutschte Jinai wieder etwas von Jun weg, nahm auch ihre Hand wieder zu sich. Wieder schaute sie in die Ferne, es war wirklich eine schöne Aussicht. "Also nochmal, ich bin Jinai, Dämon und 500 Jahre alt."
Sie schien sich gar nicht erst zu meinem Lachanfall äußern zu wollen; auch gut. Auf dämliche Kommentare reagierte ich äußerst allergisch. Im Austeilen war ich klasse, aber wenn es zum Einstecken ging, reagierte ich oft ein geschnappt. Eine anstrengende Schwäche von mir, welche sich hauptsächlich auf meine Mitmenschen auswirkte. Ich verstaute mein Handy wieder in der Hosentasche, spürte einen sanften Ruck unter mir, und hätte das Mobiltelefon beinahe fallen lassen, bevor es überhaupt in der Tasche gelandet war. Ungläubig riss ich die Augen auf, mein Gelächter verstummte momentan, und meine Gesichtszüge nahmen etwas panisches an. Was zur Hölle ging hier vor sich? Diese Bank, welche eben noch auf dem Boden stand, schwebte nun gute fünf Meter über diesem in der Luft. Entweder ich träumte – dann musste es ein ziemlich lebhafter Traum sein – oder dieses Mädchen hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt. Aber das konnte doch nicht sein, niemals. Bisher hatte ich nie an Übernatürliches geglaubt und lebte ein geregeltes, vergleichsweise friedliches Leben in Japan. Diese Situation sprengte wirklich alle Grenzen und stellte meine Weltanschauung auf den Kopf. »Lass mich wieder runter, zur Hölle!«, brüllte ich sie an, während meine Finger sich fest an die Kante der Bank klammerten. Ich musste mich wirklich konzentrieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Bevor ich einen Schwall böse Flüche ausstoßen konnte, umschloss sie mit ihren Fingern meinen Hals, bohrte ihre Fingernägel in meine Kehle und kam mir bedrohlich nah. Dies war das erste Mal, dass ich wirklich an Dämonen und übermenschliche Wesen glaubte. Zumindest im Schock, und während das Adrenalin in meinen Adern pulsierte. Man flog immerhin nicht täglich fünf Meter hoch auf einer Bank über einer Akademie, während man von einem vermeintlichen Dämon bedroht wurde. Meine Handknöchel traten inzwischen weiß hervor, so sehr presste ich die Hände gegen die Bank. Mit einem tiefen Knurren blickte ich Jinai an, die offenbar so fasziniert von der Mittagssonne war. Wut stieg in mir auf, arbeitete sich hoch bis in mein Gesicht, welches sich zartrosa färbte. Sie wagte es so mit mir zu sprechen? Hielt sie sich für etwas besseres, nur weil sie älter war und hier einen auf den Profi schlechthin machte? Mit einer geschmeidigen Bewegung holte ich aus, ballte meine Hand zur Faust und schlug damit Jinai ins Gesicht. Meine Hand pochte, während mein gesamter Arm zu kribbeln begann. Erneut knurrte ich – bedrohlicher als zuvor.
Jinai mochte es, Jun so zu sehen. Hilflos, panisch, an die Bank klammernd. Ja, so sollte es sein. Dieser Junge konnte immerhin nicht machen was er wollte, und dann glauben, damit durchzukommen, oh nein. Aber noch hatte sie ja garnichts bösartiges vor. Die Dämonin hatte schon so viele Leute kennengelernt, Menschen, andere Wesen aller erdenklichen Arten, und dennoch traf sie immer wieder Personen, sie doch anders waren, als die anderen. Irgendwie war die Art des Lebens schon faszinierend. Nunja, aber momentan war keine Zeit, vor sich hin zu philosophieren, da Jun wohl auch anders konnte. Gerade schaute Jinai noch in die Ferne, da spürte sie seine Faust an ihrer Wange und ihr Kopf ruckte durch den Aufschlag zur Seite. Ihre Haare verdeckten ihr Gesicht und einige Momente verharrte die Dämonin in dieser Position, dann aber setzte sie sich langsam wieder gerade hin, strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht und grinste Jun an. Ein wenig Blut war an ihrer Unterlippe zu sehen, doch als sie dieses mit dem Daumen wegwischte, war nichtsmehr von einer Verletzung zu sehen, die eigentlich dort sein sollte. Ihr Körper übernahm das mit der Selbstheilung von alleine, und das auch noch in Sekundenschnelle. Ein Grinsen zierte ihre Lippen, während sie den Blonden wieder anschaute. Er war wütend. Sehr gut. "Na, wen haben wir denn da?" Der Dämon in Jun war inzwischen viel deutlicher spürbar, als vorher. Wahrscheinlich weil er langsam wütend wurde. Auch der blonde Junge sollte inzwischen etwas spüren, wenn er nur mal ein wenig in sich hinein horchen würde. Mit einem Mal jedoch fiel die Bank wieder zu Boden. Allerdings war sie vorher schon wieder langsam hinuntergeschwebt, sodass sie nur den letzten halben Meter fiel, und niemand sich etwas tun sollte. Jinai war recht amüsiert, sie mochte irgendwie, wohin dieses Gespräch führte. Also wandte sie sich an Jun, hoffte einfach, dass er nicht weiter auf sie einschlagen würde, und ihr dafür mal zuhörte. "Ich wollte dir nur zeigen, dass ich die Wahrheit spreche. Den Rest hast du gerade getan.", sagte sie ruhig und lächelte den Blonden an. Langsam hob sie ihre linke Hand und tippte mit ihrem Zeigefinger an seine Brust. "Spürst du es nicht? Du bist wütend, ich glaube das weckt das Wesen in dir, welches du wirklich bist. Wenn du dich auf dein Innerstes konzentrierst, müsstest du eine Veränderung bemerken." Sie nahm die Hand wieder zurück und kratzte sich an der Wange. "Außerdem - überleg doch mal. Du hast keine Ahnung warum du hier bist, oder was das für eine Schule ist. Mit den Informationen die ich dir gegeben habe, passt doch alles mehr zusammen, oder nicht? Und grade hab' ich dir bewiesen, dass es "Übernatürliches" gibt."