Teilnehmer: Ivy Rhodes, Mikhail Wolkov Startort: Die große Wiese im Park Zeitpunkt: 10. Mai 2015, später Nachmittag bis Abend Beschreibung: Nach einigen zufälligen Begegnungen, die in beidseitiger Sympathie endeten, begeben sich Ivy und Mike auf ein geplantes Rendezvous im Park. Die Stimmung ist heiter und es fliegen sogar einige Fünkchen, bevor die Lage eine unerwartete böse Wendung nimmt. Der Konflikt schaukelt sich hoch, bis die vermeintlichen Turbeltauben sich als Werwolf und Drache gegenüber stehen und der Topf endgültig überkocht.
Ivy hatte gar nicht gemerkt, dass Mike näher kam und sogar etwas Sorge um sie hatte, zumindest schien es so. Natürlich änderte sich das direkt, als er merkte, was denn gerade passierte. Mike konnte das natürlich nicht wissen, doch normalerweise war sie in Drachengestalt strahlend weiß und wenn sie ihre Verwandlung kontrollieren konnte, war sie selbst in Drachengestalt noch der freundlichste Drache, der jemandem je über den Weg laufen konnte. Doch nun war alles anders. Die Wut hatte sich in ihr breit gemacht und übernahm die Kontrolle. Sie war nicht strahlend weiß, sondern eher gräulich, als hätte der Schatten mit Wut sie verfärbt. Auch der Gesichtsausdruck war nicht gerade freundlich, im Gegenteil, sie starrte ihn hasserfüllt und mit Wut in den Augen an. Die so liebevolle, freundlich Ivy war nur ganz tief in diesem Drachen wie in ein schwarzes Loch gefallen und dort gefangen, während nur Hass gerade ihren Körper beherrschte. Die einzige Hoffnung war, dass sie es absolut nicht mehr gewohnt war in Drachengestalt zu sein, sodass es sicherlich nicht sehr lange halten würde. Aber lange genug, damit Mike sich verteidigen konnte? Sie hoffte es. Nun war auch Mike verwandelt und Ivys Drachengestalt sah ihn drohend an. Alle Werwölfe sollten bestraft werden. Sagte sie mit unglaublich lauter, tiefer, hallender und hasserfüllter Stimme. Nicht in hundert Jahren hätte die normale Ivy so etwas gesagt, sie hätte es noch nicht einmal gedacht, doch diese Ivy war gerade absolut nicht erreichbar. Sie lehnte sich auf die Hinterbeine und mit kräftigen Flügelschlägen versuchte sie einfach Mike von den Füßen zu holen, denn der Windstoß, den Mike zu erwarten hatte war nicht ohne.
Rein körperlich war Mike der Drachengestalt vermutlich unterlegen. Er konnte in seiner momentan aufgekratzten und aggressiven Verfassung zwar nicht ganz korrekt einschätzen, wie viel größer der Drache war, doch insgesamt musste er den Werwolf um ein gutes Stück überragen. Allein die Flügelspannweite übertraf die Gesamtlänge des Wolfs um einiges. Doch würde ihn diese Tatsache davon abhalten in den Angriff überzugehen? In der Gefühlslage, in der er sich gerade befand, ganz bestimmt nicht. Als würde die Wut nicht ohnehin schon in ihm brodeln wie heißes Magma, schütteten die Worte des grauen Drachens mehr Öl ins Feuer. Da Mike in seiner tierischen Gestalt nicht sprechen konnte — und wahrscheinlich eh zu aufgebracht wäre, um sich zu artikulieren — brachte er dem Drachen nur ein donnerndes Knurren entgegen. Nach wie vor konnte und wollte er einfach nicht verstehen, dass es sich bei diesem geflügelten Wesen um Ivy handelte. Mike sah das blauhaarige Mädchen und den Drachen als von einander getrennte Wesen an… zumindest wollte er das gern so sehen. Einen Moment später zog ein starker Wind auf, der von dem Flügelschlag des Drachens verursacht wurde. Nur am Rande merkte Mike, wie das ruinierte Picknickset mehrere Meter weit über die Wiese flog. Er war zu sehr damit beschäftigt, nicht von dem Wind ergriffen zu werden und ebenfalls davon geweht zu werden. Er stemmte seine Beine kräftig auf den Erdboden und hielt sein gesamtes Körpergewicht gegen den stürmischen Wind. Als Mensch wäre er wahrscheinlich schon in die Luft gewirbelt worden, doch als Werwolf drängte ihn der Windstoß lediglich einen halben Meter zurück. Seine Pfoten hinterließen tiefe Schleifspuren in dem ansonsten makellosen Gras. Wieder gab er ein tiefes Knurren von sich und er fletschte die Zähne. In seinen Augen war keine Spur noch Verständnis oder Reue. Sein Verstand hatte sich verabschiedet und vor ihm hätte genauso gut sein eigener Vater stehen können. Mike hätte ihn trotzdem attackiert. Das einzige, was jetzt noch half, war eine Portion Prügel, um ihn wieder bei Sinnen werden zu lassen. Nachdem der Wind abgeklungen war, rannte der Werwolf mit großen Sprüngen auf Ivy zu und stieß sich kurz vor ihr vom Boden ab. Mit seinen scharfen Krallen sprang er geradewegs auf den Drachen zu, mit der Intention ihm die Zähne in den geschuppten Körper zu rammen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde kam der Zweifel in ihm durch. Was tat er da? Griff er gerade allen ernstes ein anderes Wesen an, hinter dem sich ein Mensch verbarg? Ivy? Der kurze Augenblick der Realisation reichte jedoch nicht aus, um den Angriff abzubrechen. Er musste darauf hoffen, dass sie sich verteidigen konnte.
Ivy starrte mit wütenden Drachenaugen ihr Ziel an. Es war absolut keine Spur mehr von dem zierlichen, hübschen Mädchen in diesem Drachen zu erkennen. Die Wut beherrschte sie und ihren Verstand. Natürlich hatten ihre Worte dazu geführt, dass Mike nun sauer wurde und er sogar zum Angriff überging. Ivy hätte genug Zeit gehabt, während der Wolf auf sie zurannte, einfach einmal ihn mit Eisatem zu befeuern, doch für einen kurzen Augenblick zögerte sie. Würde sie Mike angreifen wollen? Doch schnell verdrängte sie wieder diesen Gedanken, denn vor ihr war schließlich kein Mike mehr, sondern ein wütender Wolf, so einer, der ihren Freund umgebracht hatte. Bei diesem Gedanken wuchs ihre Wut wieder und sie brüllte ihn sauer an, während er zum Angriff überging. Sollte er sich doch seine Zähne an ihren harten Drachenschuppen ausbeißen. Zwar war der Drache deutlich größer und sicherlich auch stärker, doch genauso groß wie er war, genauso langsam war er auch. Mit einem Arm griff sie nach dem Werwolf und wenn sie ihn erst einmal im Griff hatte, würde er sicherlich nicht so schnell entkommen und so eine Ladung Eisatem voll ins Gesicht zu bekommen wäre für die Gesundheit sicherlich nicht gerade vorteilhaft. Ganz tief im Unterbewusstsein hoffte Ivy einfach, dass sie die Drachengestalt nicht so lange halten konnte und sich schnell wieder zurückverwandeln würde. Niemals würde sie Mike verletzen wollen, auch wenn die Drachengestalt das Gegenteil zeigte.
Kaum befand sich der Werwolf in der Luft, kam ihm auch schon der nächste Angriff des Drachens entgegen. Dieses Mal war es nicht nur ein Windstoß, sondern eiskalter Atem, der sein Fell mit einer dünnen Eisschicht überzog. Während ihm die Kälte am ganzen Körper nicht so viel ausmachte, wie wahrscheinlich einem gewöhnlichen Wolf, brachte die eisige Kälte seine Augen zum Tränen, sodass er einige Male heftig blinzeln musste. Beinahe hätte er dabei verpasst, wie sich der Arm des Drachens langsam auf ihn zubewegte, um den Wolf offenbar packen zu wollen. Zumindest einen kleinen Vorteil hatte Mike in dieser Situation: Er war deutlich schneller und wendiger als der vergleichsweise träge Drache. Daher schaffte er es noch, eine Kehrtwende hinzulegen, bevor er von den Klauen gepackt werden konnte. Wahrscheinlich hätte er sich nicht herauswinden können, wäre er erwischt worden und es hätte übel ausgehen können. Wieder mit festem Boden unter den Pfoten, schüttelte er sich, um die Eiskristalle aus seinem Fell zu entfernen. Seine empfindliche Schnauze brannte immer noch ein wenig wegen des kalten Atems, was ihn dazu veranlasste ein lautes Heulen von sich zu geben. Noch einmal wollte er diesen Angriff nicht kassieren. Aber was sollte er tun? Für ein rationales Vorgehen und das Planen einer Strategie war er nicht klar genug im Kopf. Doch sein Verstand reichte noch aus, um ihm zu sagen, dass stumpfes drauflospreschen nicht funktionierte. Während er den Drachen nicht aus den Augen ließ, begann er um diesen herumzulaufen. Dabei lief Mike im Zickzack, um es dem Drachen zu erschweren, ihn zu fassen. Ob das überhaupt nötig war, konnte er nicht sagen. Vermutlich war der Drache zu langsam, um mit der Geschwindigkeit des Wolfs mithalten zu können. Er umrundete Ivy zweimal, bevor er gezielt hinter ihrem Rücken bremste. Mit einem wachsamen Blick beobachtete er ihren Schwanz und die Flügel, um keine unangenehme Überraschung zu erhalten. Dann stürmte er auf sie zu. Sein Plan: An ihrem Rücken entlang kraxeln und bis zu ihrem Hals zu gelangen, um sie an einer Stelle zu erwischen, die bei den meisten Wesen am empfindlichsten war.
Der Wolf war dem Griff entkommen und den danach folgenden Versuchen auch. Es war halt nicht immer von Vorteil, wenn man so groß war. Zu flink und schnell war Mike gewesen. Im Augenwinkel konnte Ivy den Wolf laufen sehen und zwar auf dem Weg zu ihrem Rücken. Einen Moment lang blieb Ivy einfach stehen, denn sie hätte ihn eh nicht zu fassen gekriegt. Sie wartete, bis Mike hinter ihr war und holte dann mit dem Schweif aus. Sicherlich würde Mike den Angriff kommen sehen und versuchen wollen über den Schweif zu springen, um ihm auszuweichen, doch dann würde er merken, dass Ivy sich komplett umgedreht hatte und mit der Hand wieder nach dem Wolf griff. Wenn ihr Plan aufging, dann könnte der Wolf im besten Fall in der Luft ihrer Hand einfach nicht mehr ausweichen. Im Kopf hörte sich der Plan gut an, aber ob es auch funktionieren würde, würde sie dann sehen. Also holte sie mit dem Schweif aus und schleuderte ihn nach Mike und im gleichem Zug drehte sie sich dabei mit um. Würde sie den Wolf nun endlich in die Finger bekommen? Wütend knurrte sie und in ihrem Maul bereitete sich schon mal der nächste Eisatemangriff vor, sodass aus ihrem Maul ein blaues Licht schien. Sie würde es Mike bestimmt nicht einfach machen, auch wenn sie so langsam war.
Wahrscheinlich unterschätzte Mike den Drachen und überschätzte andersherum seine eigene Geschwindigkeit. Die Bewegungen des Drachens waren zwar langsam, doch dafür hatte er einen viel größeren Radius und einen Schweif, mit dem er zuschlagen konnte. Den hatte der Werwolf zwar im Blick, um rechtzeitig reagieren zu können, allerdings war er schließlich doch etwas überfordert, als der Schweif auf ihn zu schnellte. Er hatte nur Sekunden, um zu entscheiden, was er tun sollte. Da war es nicht hilfreich, dass sein Verstand außerdem durch Wut vernebelt war. Sein erster Reflex war, zu springen, um dem Schweif auszuweichen, sodass er tatsächlich auch zum Sprung ansetzte. Noch im selben Augenblick bemerkte er, dass sich nicht nur der Schwanz des Drachens auf ihn zubewegte. Das ganze Wesen drehte sich und versuchte ihn offenbar erneut packen zu wollen. Mike konnte nicht sagen, ob er einfach nur zu langsam war, um dem Hieb auszuweichen oder ob er einen Plan verfolgte. Letztlich war es wohl eine Kombination aus beidem. Statt zu springen und sich dadurch angreifbar zu machen, ließ er sich von dem Schweif treffen. Die harten Schuppen schürften seine Haut auf und die Wucht des Schlages schleuderte ihn ein gutes Stück von Ivy weg. Unwillkürlich jaulte er vor Schmerz, als er auf dem Boden aufschlug. Dank des Adrenalins in seinem Körper, rappelte er sich direkt wieder auf. Seine Flanke schmerzte, doch das Brennen stachelte ihn noch mehr an. Etwas hinkend startete er einen erneuten Frontalangriff. Es mochte sein, dass er für den Drachen nur eine lästige Fliege war, doch Werwölfe gewannen nicht selten durch ihre Beharrlichkeit… zumindest in der Theorie. Er merkte, dass er zunehmend hechelnd atmete und seine Bewegungen wegen der Schürfwunden steifer waren. Lange würde er das nicht mehr aushalten, daher legte er alles an Kraft und Energie in diesen Ansturm. Vielleicht würde er es diesmal schaffen ihren Hals zu erreichen, während sie ihre nächste Attacke vorbereitete. Zähnefletschend sprang er also abermals auf Ivy zu… während sich sein Bewusstsein dabei langsam aber sicher verabschiedete und die Erschöpfung Überhand nahm.
Ivy war tatsächlich ein wenig überrascht gewesen, dass sie Mike mit ihrem Schweif traf. Sie hatte gedacht, dass er viel zu schnell wäre und sie nur mit Mühe an ihn heran kommen würde. Mike wurde weggeschleudert und bei seinem Aufheulen zuckte Ivy zusammen. Was war das? Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als ob das graue auf ihren Schuppen einfach wie Staub weggeweht wurde, zumindest im Kopfbereich, und sie mit klaren Augen auf den kleinen Werwolf starrte. Die dunkle Aura schien zu pausieren oder langsam zu verschwinden, denn Ivy fühlte sich klar und die Wut verringerte sich immer weiter, stattdessen kroch ein anderes Gefühl ganz stark in ihr auf. Schuldgefühle. Hatte sie gerade Mike verletzt? Warum sollte sie das tun? Das blaue bedrohliche Licht, welches ganz klar einen Eisatemangriff ankündigte, erlosch sofort und sie schaute einen Moment lang nur Mike an. Verwirrt sah sie ihn an, denn er schien nun noch wütender zu sein, verständlicher Weise und raste bereits wieder auf sie zu. Warum hatten sie gekämpft? Wofür? Total überfordert stand sie einfach nur da und sah Mike an. Sie würde sich nicht wehren, wenn er sie jetzt angreifen wollte, warum auch? Sie wollte nicht mehr kämpfen, im Gegenteil sie wollte, dass das hier endet und sie wieder dumme Späße miteinander machen würden, doch wie sollte das nun noch gehen? Sie hatte Mike verletzt und diese Erkenntnis fühlte sich an, als wurde sie von einem Laster erschlagen. Dieses Schuldgefühl drohte sie zu erdrücken. Mittlerweile waren alle grauen Schuppen wieder weiß geworden und der vorher so gefährlich wütende Drache sah nun aus, wie ein freundlicher harmloser Drache, der einfach nur verwirrt in der Gegend herumstand. Ohne die Wut fiel es Ivy noch schwerer die Drachengestalt aufrecht zu erhalten. Sie war aus der Übung gewesen und hatte gerade auch noch gekämpft. Ihre Kräfte waren somit vollständig aufgebraucht. Mike sprang ab und auf sie zu und sie spürte, wie sie bedrohlich schnell immer kleiner wurde. Mike war zähnefletschend auf den großen Drachen gesprungen, der unter seinen Pfoten nun rasant schnell die Größe verlor und im nächsten Augenblick lag Ivy unter einem, nun für sie, riesigem Werwolf. Ängstlich drehte sie den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. Sie würde sich nicht wehren, doch sie konnte nicht verneinen, dass Mike ihr grade Angst machte. Aber sie hatte es schließlich verdient.
Jetzt war er komplett verwirrt. Was war los? Warum schrumpfte der riesige Drache plötzlich in seiner Größe, bis schließlich nur noch eine verängstigte menschliche Gestalt unter seinen Pfoten lag? Eine Pfote stemmte der Werwolf neben das Mädchen, die andere Pfote drückte er auf ihre Schulter, um sie am Boden zu halten. Doch sie machte keine Anstalten, sich zu wehren. Erst einige Sekunde später, legte sich der Schalter in seinem Kopf um und der Nebel lichtete sich: Es war Ivy, die da mit zusammengekniffenen Augen und weggedrehtem Kopf lag. Sie war der Drache gewesen, gegen den er eben gekämpft hatte. Natürlich. Eigentlich hatte er all das die ganze Zeit über gewusst, doch erst jetzt drang es wirklich wieder in seinen Verstand. Mike stellte das Zähnefletschen ein und hob seinen Kopf, um Ivy nicht mehr mit seinem Atem und Speichel zu belästigen. Je näher er hinsah, desto ängstlicher wirkten ihre Gesichtszüge. Sie musste sich so sehr vor ihm fürchten. Er winselte leise — was wohl so etwas, wie eine Entschuldigung an Ivy darstellen sollte — und wich prompt von ihr zurück. Scham und Selbsthass brodelten in ihm und drohten überzukochen. Was hatte er getan? Er musste genau, was er getan hatte, obwohl einige Erinnerungen der letzten Minuten nur schwammig waren. Ihm wäre es lieber, könnte er sich gar nicht erinnern. Es wäre weniger schmerzhaft und würde ihn jetzt nicht von innen kaputt machen. Mike spürte, dass er bald zurück in seine menschliche Gestalt wechseln würde. Es war, als hätte jemand ein Ventil geöffnet, durch das die Luft langsam entwich. Würde er sich zurückverwandeln, müsste er sich Ivy gegenüber erklären. Sie müssten miteinander reden, was passiert war. Das konnte er nicht. Zumindest nicht jetzt sofort. Der Werwolf machte auf dem Absatz kehrt und rannte, ohne irgendeine Form des Abschieds, über die Wiese in Richtung ihres durcheinander geworfenen Picknicks. Dort sammelte er mit dem Maul lediglich die Decke ein und lief daraufhin stur weiter. Erst mal irgendwohin, wo er sich ungestört zurückverwandeln konnte. Dann müsste er sich irgendwie unauffällig aufs Wohnheimgelände schleichen, ohne gesehen zu werden. Das sollte aber eins seiner kleineren Probleme sein. Viel mehr beschäftigte ihn Ivy, die er auf der Wiese zurückließ. Hoffentlich war sie nicht verletzt… er würde sie nie wieder ansprechen, wenn sich herausstellte, dass er sie heute verwundet hatte.
Ivy spürte den heißen Atem von Mike und drehte sich weg von seinem Gesicht. Sie konnte die Angst nicht unterdrücken, dennoch wehrte sie sich nicht. Sie vertraute darauf, dass Mike sie wiedererkennen würde. Immer hin hatte sie es, wenn auch erst nach einer Weile, auch geschafft und hatte sich wieder eingekriegt. Bei Mike würde das bestimmt genauso laufen. Nach einer kleinen Weile spürte sie, wie der heiße Atem aus ihrem Gesicht verschwand und auch der Druck auf der Schulter verschwand. Mike war von ihr herunter gewichen und war ein paar Schritte weiter weg gegangen. Sie hörte sein Winseln und Ivy setzte sich auf und sah ihn an. Hoffentlich hatte sie ihn nicht verletzt, als sie ihn mit ihrem Drachenschweif traf. Mike? Fragte sie leise und lächelte sanft. Doch nach einem Augenblick drehte sich der Werwolf von ihr weg und rannte einfach weg. Mike! Bitte geh nicht! Rief sie ihm hinterher und stand so schnell wie es nur ging auf. Natürlich würde sie ihn niemals einholen können, doch sie rannte ihm ein Stückchen hinter, sodass er sie noch hören konnte. Mike! Bitte komm wieder! Rief sie lauter und erst als sie ihn nicht mehr sehen konnte sank sie auf die Knie. Er war einfach weggerannt. Sie hatte ihn verscheucht, indem sie die Kontrolle über sich verloren hatte und gegen ihn als Drache gekämpft hatte. Wie konnte es nur soweit kommen? Sie selber hatte nichts weiter außer ein paar harmlose Kratzer, wobei einer auf ihrer Wange war. Dennoch keine große Sache. Sie hatte wirklich einfach alles vermasselt. Sie setzte sich hin und legte den Kopf auf ihre Knie. Bitte komm wieder... schluchzte sie leise und fing einfach an zu weinen. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr schönes Date so ein Ende genommen hatte. Es vergingen ein paar Moment, wo Ivy einfach ihre Emotionen freien Lauf ließ und sich ausweinte, dann stand sie niedergeschlagen auf und ging langsam zu den mickrigen Resten von ihrem Picknick. Mike hatte zwar die Decke mitgenommen, doch die ganzen Kekse lagen auf dem Boden verteilt und so auch ihr Traubensaft und die Sandwiches, auch fand man hier und da ein paar Chips. Sie setzte sich einfach neben den im Dreck liegenden Sandwiches und was war das? Da lag etwas nicht essbares dazwischen und schnell erkannte Ivy, dass es sich um Mikes Handy handelte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer lebte auf und Ivy nahm vorsichtig das Handy aus dem Dreck. Sicherlich würde Mike wiederkommen und es holen wollen, dann würde sich Ivy entschuldigen wollen.
Timeskip zum Abend
Es vergingen Stunden und die Sonne hatte schon einen ziemlich niedrigen Stand erreicht. Es würde bald dunkel werden, doch von Mike hatte sie noch keine Spur gesehen. Sie konnte ihm ja schlecht eine SMS schreiben, denn sein Handy hatte er ja vergessen gehabt. Außerdem hätte es absolut keinen Sinn gemacht die ganze Insel nach ihm abzusuchen, sie hätte ihn niemals gefunden. Aus Langeweile hatte sie mittlerweile fast alle Kekskrümmel einzeln in die Packung zurückgepackt und die ganzen dreckigen Sandwiches in eine Tüte gepackt. Sie saß auf der Wiese und so langsam spürte sie, wie die Wiese kälter und feuchter wurde und ihr wurde langsam aber sicher auch immer kälter. Wenn es dunkel werden würde, würde sie gehen und hoffentlich am nächsten Tag Mike finden, doch ein wenig Hoffnung hatte sie noch. In der einen Hand hielt sie Mikes Handy fest und in der anderen hatte sie ein sauberes Sandwich, welches sie erst in der Tüte vergessen hatte, sodass es gar nicht dreckig werden konnte. Sie hatte sich bei der Zubereitung so viel Mühe gegeben. Sie wusste es machte überhaupt keinen Sinn, doch sie hatte es die ganze Zeit für Mike aufbewahrt. Zwischendurch hatte sie überlegt es selbst zu essen, da sie hunger bekommen hatte, doch sie hätte einfach ein zu schlechtes Gewissen gehabt. Das Sandwich war für Mike, genauso wie sein Handy. Absolut unsinnig, doch sie konnte den Gedanken einfach nicht verwerfen, dass Mike in ihr Sandwich biss und sich freute, wie lecker es doch schmeckte.
Er hatte Ivys Rufe und sogar ihr Schluchzen laut und deutlich gehört… und sich trotzdem dazu entschieden es zu ignorieren. Er konnte einfach nicht umkehren. Nicht so, wie er gerade war. Die Scham war einfach zu groß. Und zugegeben… er wollte gerade auch nicht mit einer weinenden Ivy sprechen. Das letzte Mal, als sie vor ihm geweint hatte, war ja so überaus gut gelaufen und überhaupt nicht in einer Katastrophe geendet. Daher hielt er Abstand für die beste Lösung, bis ihm einfallen würde, wie man die Situation nachträglich entschärfen könnte. Zum Glück erreichte Mike das Wohnheim zu einem glücklichen Zeitpunkt, an dem die meisten Schüler irgendwo unterwegs zu sein schienen. Das gute Wetter sei Dank. So konnte er sich unbemerkt auf sein leeres Zimmer verkriechen, sich neu einkleiden, unter die Bettdecke schlüpfen und ein paar Tränen vergießen, von denen hoffentlich niemand jemals Notiz nehmen würde.
Time Skip
Er muss dabei eingeschlafen sein, denn als er aufwachte, hatte der Himmel bereits einen dunklen Rot-Orange-Stich angenommen und das Zimmer war immer noch verlassen. Also mussten seine Mitbewohner gerade beim Abendessen sein. Mike kletterte die Leiter runter und wollte sein Handy nach neuen Nachrichten checken, als ihn die Erkenntnis traf, wie eine Herde Elefanten… er hatte sein Handy bei der Verwandlung auf der Wiese verloren. Ihm wurde bei dem Gedanken übel, dass er entweder dorthin zurücklaufen oder seinem Handy Adieu sagen musste. Ob Ivy es freundlicherweise mitgenommen hatte? Er konnte ihr ja schlecht eine Nachricht schreiben. Selbst wenn er es könnte, würde er sie jetzt wahrscheinlich nicht kontaktieren. Widerwillig zog er sich eine Jacke über und machte sich auf den Weg in die Stadt. Eine andere Wahl hatte er nicht. Die Dämmerung war in vollen Zügen, als Mike die weite Wiese erreichte. Es war so still und friedlich, man konnte sich kaum vorstellen, dass noch vor wenigen Stunden ein erbitterter Kampf genau auf diesem Fleckchen Erde stattgefunden hatte. Vielleicht kam es Mike deshalb so vor wie ein böser Traum. Tatsächlich zog er für wenige Sekunden, in denen er zurück zum Picknickplatz ging, in Erwägung, dass er nur etwas Schlechtes gegessen und als Resultat daraus, schlecht geträumt hatte. In Wirklichkeit war sein Date mit Ivy morgen und es war nur die Aufregung gewesen, die ihn zu so einem Alptraum gedrängt hatte. Der Gedanke war genauso verlockend wie nichtig, denn Ivy und die Überreste eines verunglückten Dates kamen in sein Blickfeld und löschten jegliche dummen Hoffnungen aus. Ihm wurde plötzlich kalt bei ihrem Anblick. Und ihm war so gut wie nie kalt. Da saß sie auf dem kalten, feuchten, dreckigen Boden, weil er die Decke mitgenommen hatte. Da saß sie und hielt sowohl sein Handy als auch eins ihrer köstlichen Sandwiches in den Händen. Ihm war so sehr nach weinen zu Mute, dass er heftig blinzelte, um gegen die Tränen anzukämpfen, während er mit gesenktem Blick auf sie zukam. Als er schließlich vor ihr stand, hob er langsam den Kopf und schaute sie mit schuldbewussten, glasigen Augen an. Wenn er Glück hatte, war es zu dunkel für menschliche Augen und sie konnte sein Gesicht nicht genau sehen. Wortlos ließ Mike seine Jacke von seinen Schultern gleiten und lief um Ivy herum, um ihr die Jacke umzulegen. Hatte sie ernsthaft die ganze Zeit hier gewartet? Die Schuldgefühle brannten wie Galle. Dann setzte er sich neben sie, sodass er ihr Profil betrachten konnte. Sie hatte einen Kratzer auf der Wange, von dem er sich sicher war, dass der von ihm stammte. Was, wenn sie nun eine Narbe davontrug? Eine Narbe von einem Menschen, an den sie sich bald nicht einmal mehr erinnern können würde? Er wandte den Blick traurig ab und rupfte schweigend einige Grashalme aus, bevor er in seiner typischen Manier etwas unpassendes sagte. „Isst du das noch?“, fragte er ausweichend. Komischerweise flüsterte er, obwohl sonst niemand hier war. Vielleicht hatte er Angst Ivy zu erschrecken. Sie wirkte in diesem fahlen Licht zerbrechlicher als sonst. Vielleicht war er aber auch nur dumm.