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Wer hat Angst vor'm bösen Wolf? [beendet]
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BeitragThema: Wer hat Angst vor'm bösen Wolf? [beendet] Wer hat Angst vor'm bösen Wolf? [beendet] EmptyDi 4 Jun 2019 - 11:55


Wer hat Angst vor'm bösen Wolf?





Teilnehmer:
Damian Bianchi, Mikhail Wolkov
Startort:
Das Gelände vor dem alten Waisenhaus
Zeitpunkt:
9. März 2015, am Abend und in den Nachtstunden
Beschreibung:
Nicht alle Schüler konnten sich beim jüngsten Angriff der Lykanthropen gegen die Werwölfe effektiv zur Wehr setzen. Mikhail, der daran zweifelt, ob er seine Artgenossen überhaupt bekämpfen sollte, muss von Damian aus einer brenzligen Situation gerettet werden. Ob beide unbeschadet aus der Sache herauskommen?


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Auf einmal hatten bei allen die Alarmglocken geschrillt und Panik war ausgebrochen. Es hatte keine berüchtigte Ruhe vor dem Sturm gegeben. Der Sturm war eingeschlagen, wie eine Bombe, komplett ohne Vorwarnung. Das einzige, was Mikhail der Situation anfänglich entnehmen konnte, war die Tatsache, dass das Wort Werwölfe sehr oft fiel. Dabei war es nicht mal eine Vollmondnacht?
Er hatte das Ganze zuerst nur für einen Prank gehalten. Eine Gruppe Schüler, die sich einen geschmacklosen Scherz erlaubten und die Ereignisse jenes Sommers aufgriffen. Von damals, als Mikhail noch nicht auf dieser blöden Insel lebte und ein schönes, freies Leben in Russland führte. Aber als die ersten panischen Schreie, die ersten warnenden Rufe der Lehrer und die ersten Anzeichen der Zerstörungswut der Wölfe zu hören war, hielt auch der Dunkelhaarige es nicht mehr für einen dämlichen Spaß. Spätestens, als mehrere Erzieher in die Cafeteria platzten und alle Schüler aufforderten sich nun ruhig und gesittet zu verhalten, zweifelte wahrscheinlich niemand mehr am Ernst der Lage.

Denjenigen, die kämpfen konnten und wollten, wurde die Erlaubnis gegeben eben dies zu tun. Mike hatte zwar weder Kampferfahrung noch die Fähigkeiten, um mit seinen schmächtigen 1 Meter 62 gegen einen Werwolf anzukommen, trotzdem könnte er nicht einfach so den Schwanz einziehen und sich evakuieren lassen. Wer wäre er denn? Ein Schwächlich, ein Feigling? Jemand, der sogar Jüngere und Mädchen für sich kämpfen ließ? Niemals!
Noch voller Tatendrang lief er aus dem Gebäude, um sich der Gefahr zu stellen. Zugegebenermaßen kam es ihm ein bisschen vor wie ein Spiel. Falsche Einstellung? Definitiv, aber er hatte es bisher noch nie mit einer richtigen, tödlichen Bedrohung zu tun gehabt. Was war sein Plan? Er konnte ja nicht einfach ins Getümmel laufen, wie eine besengte Sau, und um sich schlagen. Mike blieb am Eingang stehen und versuchte sich einen Überblick über das Szenario zu machen. Die meisten kämpften in Kleingruppen mit je einem Lehrer oder Erzieher, soweit er das richtig beurteilen konnte. Es dämmerte schon und obwohl einige Laternen den Außenbereich beleuchteten, konnte man nicht gerade von Flutlicht sprechen. Seine Hände zitterten, aber die Angst würde er sich niemals eingestehen. Er war kein verdammter Feigling.

Auch wenn seine Beine sich dagegen sträubten einen weiteren Schritt nach vorn zu gehen, zwang er sich dazu und stürmte auf den Hof. Obwohl es ihm normalerweise nicht an Koordination mangelte, stieß er dabei mit einem blonden Schüler zusammen, der offenbar gerade eine andere Richtung einschlug. Mikhail schenkte dem anderen nur einen kurzen, irritierten Blick und lief weiter, um sich einer Gruppe zu nähern, die eindeutig Unterstützung gebrauchen konnten. Vermutlich mehr Unterstützung, als der Russe ihnen geben könnte, aber besser als tatenlos rumzustehen. Auf halbem Wege wurde er gestoppt. Abrupt bremste Mikhail ab, als ein Werwolf plötzlich von einem Abdach sprang und sich ihm in den Weg stellte. „Fuck—“ Der Wolf überragte ihn um mehr als zwei Köpfe. Instinktiv wich Mike zurück, was den Werwolf dazu veranlasste mit einer seiner Klauen auszuholen und sie in den Boden zu rammen. Ihm rutschte das Herz in die Hose, als er sah, dass der Hieb allein ausreichte, um ein Loch in den verdammten Boden zu reißen. Hätte die Pranke ihn getroffen, hätte der Werwolf seine Gedärme danach als Halskette tragen können. „Du bist einer von uns. Schließ dich uns an und ich werde dich nicht töten.“ Sein Mund war sowieso zu trocken, um zu antworten, selbst wenn er gewollt hätte, und sein Hals wie zugeschnürt. Alles, was er tun konnte, war den Werwolf mit leeren Augen anzustarren, während er sein Leben schon an sich vorbeiziehen sah.

Was hatte er sich dabei gedacht? Was hatte er gedacht, könnte er hier bewerkstelligen, wenn er sich nicht mal ohne den Vollmond verwandeln konnte? Der Geduldsfaden des Werwolfs schien zu reißen, nachdem Mike nach mehreren Sekunden immer noch kein Wort rausbekam. „Eine Schande, dass du nutzlos bist.“ Der Lykanthrop holte mit seiner Pranke aus, um Mikhail ins Nirwana zu befördern. Echt jetzt? Würde er wirklich hier draufgehen, auf dieser Scheißinsel, und auch noch ohne jemals eine Freundin gehabt zu haben? Das war doch räudig. Er konnte sich noch schützend die Arme vors Gesicht halten, aber um auszuweichen, war es wohl zu spät.


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Als er sich auf der Schule für "besondere Kinder" eingeschrieben hatte, stand nichts von Werwolfsangriffen im Kleingedruckten. Das schlug dem Fass beinahe dem Boden aus. Zum Glück konnte er noch genug Contenance bewahren, um nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn im Kreis zu laufen. Manche Mitbewohner waren anscheinend nicht mit so viel Selbstbeherrschung gesegnet worden, wie der Blondschopf. Es herrschte reger Tumult im und um das Waisenhaus. Wäre er nicht gerade in einer lebensbedrohlichen Situation, hätte er vielleicht noch einen Scherz darüber zustande gebracht, aber gerade rutschte ihm das Herz in die Hose. Die Entscheidung sich den Werwölfen zu stellen, wurde jedem einzelnen Bewohner und Schüler selbst überlassen. Nicht jeder war so lebensmüde wie Damian und entschied sich für den Kampf. Der Italiener zweifelte zwar daran irgendetwas gegen die Werwölfe ausrichten zu können, aber alles war besser als tatenlos zuzusehen wie die Biester Freunde, Bekannte oder Fremde in der Luft zerrissen und sich sogar einen Spaß daraus machten. Denn nichts anderes war es für die Werwölfe, da war sich der Blondschopf sicher.

Damian war bereits mitten im Gefecht, als ihm ein schwarzhaariger laufender Meter beinahe überrannte. Sowas gab es auch nur selten. Aber der Junge schien es recht eilig zu haben, so wie viele andere ebenfalls. Man konnte das ganze Gewirr beinahe als Ameisenfarm bezeichnen. Wohin man schaute, konnte man was Wuseln sehen. Zum Glück musste man die Werwölfe nicht erst suchen, sie waren mehr als nur präsent. Damian hatte bereits jeglichen Überblick verloren, wer wo zu finden war. Jetzt konnte man sich nur mehr gegenseitig helfen und darauf hoffen, dass man den nächsten Tag noch erlebte. Er hoffte inständig, dass auch er zu den Überlebenden zählen würde. Dieser Gedanke mochte zwar makaber sein, aber er hatte noch einiges auf seiner Bucket-List stehen. Ohne diese Dinge abgearbeitet zu haben, weigerte er sich den Löffel abzugeben. Er hatte den Schwarzhaarigen bereits hinter sich gelassen, als er das Zittern des Bodens spürte. Wie von der Tarantel gestochen, blickte er über seine Schulter und konnte besagten Jungen mit einem Werwolf konfrontiert sehen. Der Werwolf schien wohl nicht sehr angetan von seinem Spielzeug zu sein, da er bereits ein weiteres Mal ausholte.

Ohne weiter darüber nachzudenken, preschte der Blondschopf vorwärts und war keine Sekunde zu spät. Mit Karacho landeten die beiden Jungs auf dem Boden. Lebend. Der Fleck, an dem der Schwarzhaarige vorhin gestanden hatte, sah leider nicht mehr allzu intakt aus. Ein Loch zierte die Stelle. Damian würde sich niemals mehr über Schlaglöcher beschweren. Schlaglöcher konnte man als Babys bezeichnen. Aber das, was die Werwölfe mit ihrer Kraft anstellen konnten, war mit Kratern zu vergleichen. Damian war sich ziemlich, hätte der Wolf den Jungen getroffen, wäre das Blut 100 Meter weit gespritzt. Bei der Vorstellung verzog sich sein Gesicht. Das Donnergrollen des Unmutes drang an sein Ohr. Der Wolf war von seiner Rettungsaktion wenig begeistert. Vermutlich hatte er gerade ihr Todesurteil unterschrieben. »Lauf!«, flüsterte er dem Jungen zu, während er sich bereits aufrichtete und sich für den Sprint vorbereite. Ein Versuch war es wert.




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Hatte der Wolf ihn zu Boden gerissen? Unwahrscheinlich, denn abgesehen von den aufgeschürften Handflächen und seinen schmerzenden Knien, die den Fall abgefangen hatten, schien noch alles an ihm dran zu sein. Hätten die Krallen ihn tatsächlich erwischt, könnte Mike sich jetzt sicherlich nicht mehr aufrappeln. Der Aufprall hatte ihm sämtliche Luft aus dem Brustkorb gequetscht, sodass er erst einmal wieder zu Atem kommen musste, bevor an Sprechen zu denken war. Er machte einige flache Atemzüge, hustete ein paar Mal und warf zu erst dem Jungen, der ihn offenbar gerettet hatte, einen Seitenblick zu. „Was?“ Mike hatte ihn akustisch nicht verstanden. Das bedrohliche Knurren des Werwolfs und das omnipräsente Chaos reichten aus, um Flüstern und Murmeln zu überdecken.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und aus der Gefahr war er noch längst nicht herausgekommen, aber er lebte noch. Mit Betonung auf noch, denn der Lykanthrop ließ den beiden Schülern nicht viel Zeit, um sich zu sammeln. Das Biest holte von oben aus, diesmal mit beiden Pranken, um die Jungs mit dem Hieb in die Erde zu rammen und zu zwei blutigen Häufchen Elend zu zerdrücken. Toll, müsste Mike wählen, hätte er den ersten Tod bevorzugt. Zerrissen zu werden, klang immer noch angenehmer, als zerquetscht zu werden. Auch, wenn es letztlich der Wahl zwischen Pest und Cholera glich und er bestenfalls lebend aus der ganzen Geschichte herauskommen wollte. Während der Werwolf seine Klauen noch in die Luft riss und Kraft sammelte, tat Mikhail es dem blonden Schüler gleich und richtete sich auf. Er hatte nicht auf das Gesicht des anderen geachtet und keine Ahnung, ob man sich kannte, aber das war eine Frage, die gerade sowieso nicht weit oben auf seiner Prioritätenliste stand. Erstmal müssten sie die Beine in die Hände nehmen und den Smalltalk auf hinterher verschieben. Mike hatte auf jeden Fall das ein oder andere über das unsanfte Rettungsmanöver zu sagen. Er lief los und hörte hinter sich nur noch einen lauten Aufprall und … zitterte wirklich kurz die Erde oder waren seine Beine einfach nur wackeliger als Götterspeise? Er traute sich gar nicht einen Blick zurückzuwerfen. Das erneute, angestachelte Knurren des Wolfs verhieß nichts Gutes. „Scheiße, scheiße … wohin?“, fragte er den Blonden. Kurz hatte Mike ihn wegen seiner (unverschämten) Größe für einen Lehrer gehalten, aber er meinte ihn mal in Schuluniform im Gang gesehen zu haben. Bevor er die Gelegenheit hatte, um vorzuschlagen sich kurz ins Gebäude zu bewegen, um einen Plan zu schmieden, traf ihn ein hartes Objekt so feste am Rücken, dass ihm die Luft wegblieb und ihn nach vorn fallen ließ. Sein Kopf drehte sich und während er am Boden liegend blinzelte, sah er Sternchen. Der Werwolf, der sich offenbar zu schade war, um den Schülern hinterherzujagen, hatte einen Pflasterstein aus dem Boden gerissen und auf Mike geworfen. Mit dem nächsten Stein zielte er bereits auf den Blonden, als wären sie hier bei einer freundschaftlichen Runde Völkerball.


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Dem Italiener blieb gar keine Zeit mehr um auf die bescheuerte Frage zu antworten, als der Werwolf bereits zum erneuten Schlag ausholte. Zum Glück stand Damian bereits, somit musste er nur noch losrennen. Aber bevor er sich nicht sicher war, dass der Schwarzhaarige ebenfalls zum Rennen ansetzte, würde er keinen Schritt tun. Niemand starb gerne alleine, auch wenn er den Jungen bislang noch nie richtig wahrgenommen hatte, so war er sich doch recht sicher den Zwerg bereits irgendwo mal gesehen zu haben. Innerlich ermahnte sich der Blondschopf sich auf den Gegner zu konzentrieren, als sein Gedächtnis nach einer möglichen Verbindung zu durchforsten. Daher war er recht froh, als sich auch der andere Junge endlich vom Boden aufrappelte. Er sah ein wenig ramponiert aus, daran war Damian wohl nicht ganz unbeteiligt. Schließlich konnte sich der Italiener auf den Aufprall vorbereiten im Gegensatz zu seinem Mitkämpfer. Für eine Vorwarnung war leider keine Zeit gewesen. Dass er jedoch noch stehen konnte, war ein gutes Zeichen. Es war wohl nichts gebrochen, keine Rippe die die Lunge durchbohrt hatte. Waren also gute Voraussetzungen um einen Fluchtversuch zu starten. Gemeinsam sprinteten die Jungs los, als bereits der Boden unter ihnen erzitterte. Die Biester waren doch alle geistesgestört und mit Steroiden vollgepumpt, wie um Himmelswillen konnte man sonst solch eine zerstörerische Kraft aufwenden? Damian getraute sich nicht, einen Blick über die Schulter zu werfen und den - er war sich sicher, dass sich bereits ein drittes Loch im Boden befand - Krater zu bewundern. »Völlig irre. Gestört.«, murmelte er vor sich hin, während der Schwarzhaarige ebenfalls seine Stimme gefunden hatte. In einer solchen Situation zu fluchen, machte ihn sympathisch. Die Frage nach dem wohin war leider nicht gerade einfach zu beantworten. Aber ins Waisenhaus zurück, war fürs erste sicher die beste Lösung. »Ins Geb....«, gerade als er seinen Vorschlag aussprechen wollte, fiel der Schwarzhaarige wie ein Sack Reis zu Boden. Das war der denkbar ungeeignetste Zeitpunkt um zu stolpern und der Länge nach auf den Boden aufzuschlagen. Damian hielt ein paar Schritte weiter und zögerte keine Sekunde. Er lief die paar Schritte wieder zurück, bückte sich um den Jungen am Kragen wieder nach oben zu ziehen, damit sie ihre Flucht fortsetzen konnten, als er eine Luftzug knapp über seinen Kopf spüren konnte. Erst da bemerkte er den Pflasterstein, der den Schwarzhaarigen anscheinend von hinten getroffen hatte. Der Lykanthrop hatte tatsächlich einen verdammten Pflasterstein geworfen. Und jetzt konnte Damian den Luftzug auch zuordnen. Der miese Penner hatte auch einen Stein nach ihm geworfen. Kurz linste er zu dem Mistvieh. Er sah sich bereits den Steinen ausweichen, daher zögerte er nicht weiter und riss den Schwarzhaarigen auf seine Füße. »Na los jetzt. Ins Gebäude bevor wir hier beide noch gesteinigt werden.«, presste Damian hervor, während er mit dem Schwarzhaarigen im Schlepptau das Waisenhaus ansteuerte. Das Knurren war abermals über den gesamten Platz zu hören. Jetzt war er wohl noch angeschissener als ohnehin schon. Wenn die Jungs überlebten, dann ... Damian würde sogar zu Alkohol nicht nein sagen.




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Mike hatte sich zum Glück keinen Zahn ausgeschlagen, als er gefallen war, doch die Stelle seines Rückens, die erwischt worden war, pochte furchtbar unangenehm vor sich hin. Vielleicht blutete er sogar. Es fühlte sich zwar nicht so an, als hätte ein spitzes Objekt seinen Schulterflügel durchbohrt, aber selbst ein Stein konnte mit ausreichend Wucht so einiges an Schaden verursachen. Er unterdrückte das Bedürfnis sich an den Rücken zu fassen. Diese Verrenkung würde Mikhail nur Kraft kosten, die er nicht hatte und dafür sorgen, dass seine Schmerzen zunahmen. Was war er aber auch für ein jämmerlicher Waschlappen! Da wurde er ernsthaft von einem — das nahm er momentan zumindest an — überdimensionalen Kiesel beinahe ausgeknockt. Mike plante gerade sich wieder hochzuhieven, um den Sprint in das Gebäude fortzusetzen, als der blonde Kerl ihn grob am Kragen packte und hochzog, wie einen nassen Sack. „Geht’s noch?“, keuchte er, als sein Oberteil ihm die Luftzufuhr am Hals zuschnürte. Mike wusste es ja zu schätzen, dass der Schüler ihn nicht buchstäblich den Wölfen zum Fraß vorwarf, aber war ein bisschen mehr Feingefühl zu viel verlangt? Mit Samthandschuhen wollte er ja gar nicht angefasst werden, aber das ständige Geschubse ging ihm langsam auf den Zeiger.
Er stützte sich mit den aufgeschrammten Händen auf dem Boden ab und schlug die Hand des anderen weg, um sich selbstständig aufrichten zu wollen, als er erneut etwas unmittelbar an sich vorbeiziehen hörte. Instinktiv duckte er sich wieder, kauerte sich beinahe zusammen, um eine möglichst kleine Angriffsfläche darzustellen. Ihm war bewusst, dass er sich benahm, wie der größte Feigling des Waisenhauses, aber ihm ging gerade so dermaßen die Düse vor Angst, dass er sich am liebsten in den Erdboden graben würde wie ein Maulwurf, um der Gefahr endgültig zu entkommen. Er wollte einfach nicht sterben, erst recht nicht wegen eines fliegenden Pflastersteins, der ihm die Hirnmasse aus dem Schädel pustete.

Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er die Augen zugeschlagen hatte. Abrupt riss er diese wieder auf, als der andere Schüler ihn erneut auf die Beine zog und ihm weismachte, dass sie sich ins Gebäude begeben müssten. Keine Chance. Seine Beine klappten zusammen wie billige Campingtische, als er einen Schritt nach vorn machen wollte. Mike hatte die Protagonisten in Filmen immer ausgelacht, wenn sie im Angesicht der Gefahr wie gelähmt vor Furcht waren. Er hatte spöttische Sprüche abgelassen und damit geprahlt, wie viel mutiger und klüger er sich an deren Stelle verhalten würde. Aber jetzt, wo er sich selbst im Auge des Sturms befand, konnte er vor Angst keinen Muskel rühren.
Sein Mitschüler schien dies zu ahnen und warf Mikhail kurzerhand über seine Schulter, um dann gemeinsam das Waisenhaus anzupeilen. Mike wehrte sich nicht. Das Schamgefühl wurde in diesem Moment noch von Panik und Erleichterung (als sie das Gebäude erreichten und die Tür hinter sich zuschlugen) überschattet. Kaum wurde das Knurren jedoch von den Mauern des Waisenhauses gedämpft und damit die Illusion von Sicherheit erschaffen, schlug der Dunkelhaarige mit seinen blutigen Fäusten auf den Rücken des anderen ein. „Alter, lass mich runter.“ Seine Stimme klang noch etwas holprig und die Worte kamen ziemlich stockend heraus. Als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, strauchelte Mikhail auf die nächste Wand zu, um sich mit dem Rücken gegen diese zu lehnen und erstmal durchzuatmen. Er wog sich in Sicherheit, auch wenn der klügere Teil von ihm wusste, dass die Eingangstür kein Hindernis für einen wildgewordenen Werwolf darstellte. „Was—was soll der Scheiß überhaupt? Ich bin grad mal seit drei Monaten hier und geh fast drauf? Ist das normal? Was zur Hölle, man …“ Er konnte ein Schluchzen, das er vergeblich als Husten tarnte, nicht gänzlich unterdrücken, während er nach seiner kleinen Schimpftirade fast schon hilfesuchend in Richtung des Blonden sah. Dann raufte Mike sich frustriert das Haar. Und es waren natürlich ausgerechnet Werwölfe, die für das alles verantwortlich waren.


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Wie zu erwarten war der Schwarzhaarige wenig von den Methoden des Blondschopf begeistert, aber für Zimperlichkeiten war hier kein Platz. Wobei es ihm doch ein wenig Leid tat, wie er den Jungen einfach am Kragen hochgezogen hatte. Aber passiert war eben passiert. Er hoffte, dass er nicht noch einmal in eine solche Situation geraten würde. Wie es andersherum aussah, vermochte Damian nicht zu sagen. Er bezweifelte jedoch, dass der Schwarzhaarige stark genug war um den Italiener mitzuschleifen. Vermutlich würde er als Opfergabe dargelegt und verhalf hoffentlich ein paar Mitkämpfern zur Flucht. Ein heldenhafter Tod war nicht zu verachten, wobei das Mischwesen das Leben bevorzugte. Aber leider war das Leben kein Wunschkonzert, daher lag es in seinen Händen lebend aus der Sache herauszukommen.

Als er sich den Jungen kurzerhand über die Schulter geworfen und Zuflucht im Waisenhaus gefunden hatte, atmete erleichtert aus. Beinahe wären ihm die Beine eingeknickt, als der Schwarzhaarige auch noch seinen Rücken als Trommel missbrauchte. Nun gut, von Schmerzen konnte wohl kaum die Rede sein, aber als Trommel missbraucht zu werden, fand er nicht sonderlich prickelnd. Die Wortwahl des Gartenzwergs ließ ihn eine Augenbraue nach oben ziehen, was der Junge leider nicht zu sehen vermochte. Daher leistete er brav Folge und ließ den laufenden Meter auf den Boden der Tatsachen ankommen. Die Mauer schien anscheinend sein neuer bester Freund zu sein, so schnell wie er den Abstand zu Damian vergrößert hatte. Dank konnte man in dieser Situation wohl ebenfalls nicht erwarten. Darum ging es dem Mischwesen auch gar nicht. Er ging nämlich nicht davon aus, dass der Schwarzkopf lieber draußen herumlungerte und darauf wartete als Häppchen des Werwolfs zu dienen. Auf alle Fälle sollten sie sich jetzt Gedanken machen, wie sie weiter verfahren wollten. Die Eingangstür des Waisenhauses würde wohl kein Hindernis darstellen. Wobei der Werwolf vielleicht sogar schon ein neues Opfer gefunden hatte. Immerhin war das Knurren bereits verklungen und die Eingangstür war auch noch ganz. Davon schien der verletzte Junge jedoch kaum etwas mitzubekommen, da er mit unnötigen Fragen beschäftigt war. Der Blick in Damians Richtung war beinahe hilfesuchend. Möglicherweise erwartete er sogar eine Antwort. Der Junge war auf alle Fälle mit den Nerven am Ende, daher hockte sich Damian kurzerhand neben ihn. Das kurze Raufen der Haare war so abrupt zu Ende wie es angefangen hatte. »Atme mal tief ein und wieder aus. Versuch dich zu beruhigen. Hysterisch und hyperventilierend kommen wir nicht weit.«, diese Worte galten nicht nur dem Schwarzhaarigen sondern auch Damian selbst, der nahe am Rand zur Hyperventilation stand. Vielleicht war es auch nahe am Rand zur Hysterie. Der Blondschopf war sich da nicht so sicher, seine zitternden Hände machte das Ganze leider auch nicht besser, daher ballte er sie zu Fäusten. Nicht nur dem schwarzhaarigen Jungen sondern auch ihm selbst ging der Arsch auf Grundeis. Man hätte sie viel lieber mal auf eine solche Situation vorbereiten sollen. Was zum Henker sollten sie jetzt tun? »Irgendeine Idee was wir machen sollen? Kennst du dich mit selbstgebastelten Bomben aus? ... Vielleicht einen Molotowcocktail?«, laberte Damian vor sich hin. Vielleicht hätte er in seiner Jungend lieber aufmüpfiger und experimenteller sein sollen. Das wäre ihm jetzt sicher zugutegekommen. Es war doch wirklich zum Haare raufen, aber genau diesen Drang versuchte der Blondschopf zu widerstehen, daher wandte er sich wieder seinem Mitstreiter zu. »Vielleicht sollten wir zuerst mal einen Verbandskasten suchen?«, gab er von sich und deutete auf die Schrammen des Jungen, nicht zu vergessen die Verletzung am Rücken.



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Als der Blonde sich zu ihm an die Wand gesellte, rutschte Mike an dieser herunter, um sich auf den Boden plumpsen zu lassen. In der Theorie vielleicht eine gute Idee, um die zitternden Beine zu entlasten, doch in der Praxis dämlich, weil er dadurch die Wunde an seinem Rücken irritierte. Diese hatte er, bei allem, was hier abging, beinahe vergessen, bis die Verletzung nun wieder schmerzhaft pochend auf sich aufmerksam machte. Er war manchmal wirklich seltendoof. „Ich bin ruhig“, keifte Mike halbherzig, beherzigte den Rat des anderen schließlich aber doch und atmete noch einige Male tief durch. Der Blonde wirkte allerdings selbst nicht so beherrscht, wie seine beruhigenden Worte vermuten ließen. Die zittrigen Finger fielen dem Werwolf durchaus auf, als der andere die Hände zu Fäusten ballte. Sie steckten eben alle — schmächtige Halbstarke sowie kräftige Riesen — in derselben Scheiße. Gegen diese Werwölfe hatten sie allesamt ähnlich schlechte Karten.
Beinahe hätte Mike aufgelacht, als der Blonde ihn nach seinen Bombenkenntnissen fragte, doch das Lachen blieb ihm im Hals stecken. „Klar, hab ich damals während der Russischen Revolution gelernt. Nein, Alter, seh ich so aus?“ Er wusste ja nicht, wo sein Mitschüler herkam, aber der Umgang mit Handgranaten und lebensgefährlichen Wurfbrandsätzen wurde Mike als Kind jedenfalls nicht in der Schule vermittelt. Auf ein Schnauben folgte ein geschlagenes Seufzen. Sich gegenseitig anzufauchen, brachte wohl genauso wenig, wie jetzt den Kopf zu verlieren. Mike konnte nichts dafür, dass sein Temperament mit ihm durchging, wenn er nervös und ängstlich war. Trotzdem fühlte er sich ein bisschen schuldig den anderen so angemault zu. „Das ist nichts. Die Kratzer verheilen von allein“, erwiderte er auf den Vorschlag einen Verbandskasten zu suchen und musterte kurz seine Hände und Knie. „Andererseits … was zum Desinfizieren wär gut, oder?“ Denn obwohl seine Wunden schneller heilten, war er keinesfalls immun gegen Infektionen. Mike wollte den Teufel nicht an die Wand malen, aber wenn er hier leben rauskommen und dann an einer Blutvergiftung sterben würde, wäre das schon ziemlich bitter. „Blute ich?“ Er kehrte dem anderen den Rücken zu, versuchte aber selbst einen Blick auf das Ausmaß des Schadens zu erhaschen. Leider war er keine Eule und sein Hals nicht unmenschlich gelenkig, sodass er aufgab und den Blick wieder nach vorn wandte, während er auf die Antwort des Blonden wartete. „Ich bin übrigens Mike.“ Man konnte die ruhige Minute ja nutzen, um sich vorstellen. Dabei schlug er einen deutlich versöhnlicheren Ton an, als vorhin noch, als er seinen Mitschüler angegiftet hatte. Der hatte ihn immerhin vor dem sicheren Tod gerettet und ließ ihn selbst jetzt nicht einfach links liegen, um schnell seinen eigenen Arsch zu retten.


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Es war anscheinend keine gute Idee gewesen den Schwarzhaarigen nach seinen Bombenkenntnissen zu fragen. Seine Wortwahl war sehr interessant. Russische Revolution. Damit kannte sich der Blondschopf nicht aus, aber gut, dass der Knirps Geschichtskenntnisse vorzuweisen hatte, brachte sie nur keinen Schritt weiter. Damians Hände hatten währenddessen auch aufgehört zu zittern, daher lockerte er seine Finger ein wenig. »Du siehst ziemlich ramponiert und durch den Wind aus. Hätte ja sein können, dass du ein schlimmer Junge warst.«, gab der Blondschopf ebenfalls ein wenig bissig zurück. Es herrschte zwischen den beiden Jungs wahrlich eine bomben Stimmung. Daher wandte der Italiener seinen Kopf irritiert zur Seite, als der Schwarzhaarige seine Verletzungen halbherzig abtat. Desinfizieren war auf alle Fälle sicher keine schlechte Idee, daher nickte das Mischwesen. Irgendwie war sein erster Gedanke, als er den Verbandskasten ins Spiel brachte, ein Pflaster auf seine Knie zu kleben. An so etwas wie desinfizieren hatte er gar nicht gedachte. Lag vielleicht auch daran, dass er selbst ebenfalls eine schnelle Wundheilung aufzuweisen hatte, da waren Schrammen auch kein Thema gewesen. Die verheilten ziemlich schnell und vor allem gründlich. Die Frage nach dem Bluten kam ebenfalls überraschend. Der Schwarzhaarige, der sich kurzerhand als Mike vorstellte, drehte Damian seinen Rücken zu, damit er den Schaden begutachten konnte. »Ich bin Damian, wenn dir der Name zu lang ist, kannst du ihn gerne irgendwie abkürzen.«, stellte sich auch der Blondschopf vor. Kurzerhand schob er das Oberteil von Mike nach oben, damit er die Wunde besser inspizieren konnte. »Blutet, aber nicht viel. Das wird garantiert einen schönen blauen Rücken geben.«, sprach Damian und konnte sich das Ausmaß der bunten Farben auf dem Rücken bereits gut vorstellen. Und mit diesen Worten zog er das Oberteil wieder nach unten. »Dann lass uns mal das Krankenzimmer aufsuchen.«, und mit diesen Worten erhob sich der Riese. Immerhin hatte die kurze Verschnaufpause, in der sie nicht dem Tod entronnen und sich angekeift hatten, seine Beine wieder zu Kräften kommen lassen. Wackelpudding war gestern gewesen. Damian behielt seine Idee des Molotowcocktails im Hinterkopf. Es würden sich im Krankenzimmer sicher auch leicht entflammbare Tinkturen finden lassen. Man konnte auf alle Fälle das Krankenzimmer mal unter die Lupe nehmen. Vielleicht konnte man einen Werwolf auch mit einem gespritzten Medikamtencocktail um die Ecke bringen. Irgendwie gingen gerade die Pferde mit Damian durch. Wie kam er bloß auf solche Ideen. Und die viel wichtigere Frage war, wie kam er überhaupt so nah an einen Werwolf ran um dem Biest eine Spritze ins Fleisch zu rammen ohne vorher bereits das zeitliche gesegnet zu haben. Wieso um alles in der Welt wurden sie auf einen solchen Vorfall nicht vorbereitet? Kurz wandte sein Blick zu Mike. Sie waren auf sich alleine gestellt.



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Vielleicht, aber auch nur vielleicht, sah er so mitgenommen aus, weil er eben beinahe von einem Werwolf zu Hackfleisch verarbeitet worden war. Diese Tatsache wollte er dem Blonden auch an den Kopf werfen, nachdem dieser sich gerechtfertigt hatte, entschied sich aber letztlich dagegen, weil es ihm nicht weise erschien sich jetzt zu zerstreiten. Es war nicht so, dass Mike die Weisheit mit Löffeln gefressen hatte, aber ein bisschen gesunden Menschenverstand besaß er schon. Anstatt feindselige Bemerkungen zu speien, ließ er daher nur ein irritiertes Schnauben von sich hören und verdrängte damit den Gedanken daran, einen Bombensprengsatz zu bauen, wieder. Mit drei Silben dürfte er zurechtkommen, dachte Mike sich, als Damian sich vorstellte. „`k.“ Er wüsste ohnehin nicht, wie man den Namen abkürzen sollte und wollte im Moment auch nicht darüber nachdenken. Dafür war jetzt eindeutig der falsche Augenblick. Als der andere sein Oberteil nach oben schob, drückte Mike automatisch den Rücken durch und spannte seine Bauchmuskeln, die man sowieso nicht sehen konnte, an. Ob es echt nötig war, dass Damian ihm das T-Shirt hochschob, bezweifelte er, aber in Anbetracht ihrer Situation hatte er andere Sorgen als seine gestörte Intimsphäre. Auf Damians Feststellung hin sein Rücken würde leicht bluten, wanderte Mikes Hand wieder unwillkürlich zur Verletzung, die der Pflasterstein hinterlassen hatte. Ein wenig so, als würde er den Worten seines neugewonnenen Freundes nicht trauen. „Ugh, scheiße. Tut auch arschweh“, klagte Mike und zog seine Hand wieder zurück, ehe Damian das Oberteil wieder herunterzog. Er rückte das Shirt selbst noch etwas zurecht und wandte sich schließlich wieder dem Blonden zu.
Im Krankenzimmer würden sie zwar keine Waffen finden, aber mit Sicherheit etwas Desinfektionsmittel und notfalls eine Hand voll Pflaster. „Okay“, stimmte Mike dem anderen daher zu und rappelte sich auf. Da er keine Ahnung hatte wo das Krankenzimmer war, überließ er Damian die Führung. Hätte er sich doch bloß öfter mit Kopfschmerzen zum Schularzt schicken lassen. Aber daran ließ sich jetzt nichts ändern. Blieb nur zu hoffen, dass sein Mitschüler den Weg kannte und ein gutes Gedächtnis hatte. Er schaute zu Damian auf, der ihm im selben Moment ebenfalls einen kurzen Blick zuwarf. Wusste er etwa auch nicht wohin? Überrascht schreckte Mike innerlich leicht auf und lief daher einfach mal planlos voraus, in der Hoffnung die richtige Richtung anzusteuern. „Glaubst du wir finden hier irgendwas mit Silber? Silberbesteck oder, äh, kein Plan—“ Die wenigen Schritte, die Mike vorausgeprescht war, wartete er nun wieder ab, um neben Damian herzulaufen. „Kennst du wen, der Silberschmuck oder so auf’m Zimmer hat?“ Die Wahrscheinlichkeit lag irgendwo bei 0,1 Prozent, so viel war klar, aber sie hatten gerade keine andere Wahl, als jede noch so abwegige Möglichkeit zu beachten, oder? Außerdem war es gar nicht soo unrealistisch, dass einer der schrägen Vögel hier ein mit Silber beschichtetes Messer aufbewahrte. Übermäßig verwundern, würde es Mike jedenfalls nicht.


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