Teilnehmer: Damian Bianchi, Mikhail Wolkov Startort: Das Gelände vor dem alten Waisenhaus Zeitpunkt: 9. März 2015, am Abend und in den Nachtstunden Beschreibung: Nicht alle Schüler konnten sich beim jüngsten Angriff der Lykanthropen gegen die Werwölfe effektiv zur Wehr setzen. Mikhail, der daran zweifelt, ob er seine Artgenossen überhaupt bekämpfen sollte, muss von Damian aus einer brenzligen Situation gerettet werden. Ob beide unbeschadet aus der Sache herauskommen?
Damian konnte sich sehr gut vorstellen wie weh es tat von einem Pflasterstein getroffen zu werden. Schließlich hätte sein Kopf beinahe ebenfalls Bekanntschaft mit dem Wurfgeschoss geschlossen. Im Rücken getroffen zu werden war ja schon eine harte Sache aber den Kopf eingeschlagen zu bekommen, war eine ganz andere Sache. Vielleicht wäre es für alle Beteiligten auch besser gewesen, wenn der Werwolf Damian am Kopf getroffen hätte, bislang trug er wenig zur Verbesserung ihrer Situation bei. Der Blondschopf schob die negativen Gedanken beiseite und setzte zusammen mit Mike den Weg ins Krankenzimmer fort. Als sich ihre Blicke trafen, lief der Dreikäsehoch ein paar Schritte vor. Als der Schwarzhaarige seine durchaus berechtigte Frage mit Damian teilte, klatschte der sich die Hand an die Stirn. Richtig. Silber war für Lykanthropen ein rotes Tuch. Konnte bei großen Mengen sogar zum Tod führen. Wieso war er eigentlich nicht selbst darauf gekommen? Dafür war er auf die glorreiche Idee eines Sprengsatzes gekommen. Irgendjemand hatte ihm ganz offensichtlich ins Hirn geschissen. Seine Hand wanderte von seiner Stirn zu seinem Kinn und er nahm eine Denkerpose ein, während er zu Mike aufschloss. Das mit dem Silber war eine gute Frage. Er hatte absolut keine Ahnung, wo in Dreiteufelsnamen sie Silber herbekommen könnten, zumal er auch gar nicht wusste, wie richtiges Silber aussah. Klar es gab eine Prägung, aber er bezweifelte, dass sie so lange Zeit haben würden, um alles was nach Silber aussah auch zu überprüfen. »Nö, keinen Plan. Schmuck hat mich bislang auch gar nicht wirklich interessiert. Das Einzige, was möglicherweise Silber sein könnte, wäre mein Ohrring.«, grübelte er vor sich hin. Nicht einmal woraus sein Ohrring gemacht war, wusste der Blondschopf. Oder aber er hatte es gekonnt verdrängt, darin war er ziemlich gut. »Vielleicht haben wir ja genügend Zeit um ein wenig herumzuschnüffeln. Ich glaube nicht, dass jemand die Sachen vermissen wird. Hoffe ich zumindest.«, ein wenig verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Es gab ja immerhin genügend Leute, die Schmuckstücke als Erinnerungsstücke aufbewahrten und daran hingen. Wobei die Opferung solcher, diente auch einem höheren Zweck. Man würde es ihnen ganz bestimmt verzeihen. Zumindest redete er sich das ein. Aber bevor sie sich als Schnüffler bewährten, kam noch der Zwischenstopp im Krankenzimmer. Und genau besagtes Krankenzimmer hatten sie just in dem Moment erreicht. »Der Weg bis zum Krankenzimmer kam mir noch nie so lange vor.«, scherzte der Blondschopf und schob die Tür auf, damit sie eintreten konnten. Nachdem die beiden Jugendlichen eingetreten waren, schloss der Italiener die Tür hinter ihnen. Einen Werwolf würde ein solches Hindernis zwar nicht aufhalten, aber ein paar Sekunden Zeit würde es ihnen verschaffen um aus einem der Fenster zu klettern. Zum Glück befand sich das Krankenzimmer im Erdgeschoss. Absturzgefahr war demnach keine gegeben und auch von Knochenbrüchen würden sie verschont bleiben. »Lasset die Suche nach dem Desinfektionsmittel beginnen.«, und mit diesem Worten durchstöberte er bereits den ersten Schrank.
Sie bewegten sich offenbar in die richtige Richtung, die Mike instinktiv eingeschlagen hatte, um ins Krankenzimmer zu gelangen. Er hatte erwartet, dass mehr Schüler im Wohnheim Schutz suchen würden, doch abgesehen von ihnen beiden war kaum jemand anwesend. Hin und wieder sah er aus dem Augenwinkel jemanden in einem anderen Gang entlang laufen, aber die Mehrheit ihrer Mitschüler schien entweder zu kämpfen oder evakuiert zu werden. Mike, der bisher stur gerade aus geschaut hatte, warf dem Blonden einen Seitenblick zu, als dieser seinen Ohrring ansprach. Selbst, wenn der Schmuck aus reinem Silber wäre, wüsste er nicht, was sie damit effektiv anstellen sollten. Dem Werwolf anstecken, in der Hoffnung das Metall ätzte dem Monster ein Stückchen Haut und Fell weg? Es in sein Maul werfen, sodass es den Lykanthropen vielleicht von Innen heraus zerfraß? Mikhail bezweifelte, dass so eine geringe Menge reichte, um Schaden anzurichten und bemühte sich daher gar nicht erst herauszufinden, ob der Ohrring aus echtem Silber war. „Wir brauchen, wenn dann eh mehr, als ‘nen Ohrring“, gab er zurück. „Und ist ja nicht so, als würden wir die Sachen plündern und auf Ebay verkaufen. Hier geht’s um unser Leben, da können die ruhig ein bisschen Schmuck abdrücken“, schnaubte er. Allerdings befürchtete er gleichzeitig, dass sie gar nicht dazu kommen würden auf Schatzsuche zu gehen. Die Werwölfe würden sicherlich nicht brav warten, bis sie sich ihr kleines Arsenal aus Silber zusammengestellt hatten.
Immerhin erreichten sie das Krankenzimmer ohne Zwischenfälle. Mikhail hatte die ganze Zeit über damit gerechnet, dass einer dieser Monster eine Mauer einriss und ins Wohnheim einfiel und ganz verflogen war diese Angst immer noch nicht. Für Scherze war Mike gerade nicht in der Stimmung, weshalb er Damians Kommentar nur mit einem halbherzigen Grunzen abtat. Er schob wahllos die ersten Schubladen auf, die seine Augen erfassten und wühlte eilig durch deren Inhalt. Obwohl er wusste, wonach er suchte, konnte er sich nicht konzentrieren. Die Schriftzeichen verschwammen vor seinen Augen. Normalerweise konnte er doch zumindest simple Dinge lesen, also wieso ausgerechnet jetzt nicht? Die plötzliche Hilflosigkeit schnürte ihm den Hals zu und ließ seine Finger zittrig werden. „Wie—wie schreibt man Desinfektionsmittel?“, japste er und kam sich dabei vor wie ein Idiot. Er zog willkürliche Sprühflaschen aus den Schubladen, ohne sie länger als eine halbe Sekunde zu beäugen, und legte sie vor sich aufs Regal. Dazu schmiss er eine Handvoll Pflaster, die er fand. Mit vier verschiedenen Fläschchen zwischen den Fingern drehte er sich schließlich zu Damian, wobei ihm eine davon aus den Händen rutschte, als er wegen eines schrillen Schreis von draußen zusammenfuhr. „Ist es eins davon? Die sehen alle Desinfektionsmittel-lig aus.“ Mike stierte die Flaschen in seinen wackligen Händen an. Er wollte Damian nicht ansehen, dafür war ihm die ganze Situation gerade viel zu peinlich.
Nicht nur Mike zweifelte daran, dass ein Ohrring ausreichen würde, um einem Werwolf so eines Kalibers den Gar auszumachen. Somit waren sie schon zu zweit, die eine solche Meinung vertraten. Ein einzelner Ohrring war wohl wirklich lächerlich, zumal Damian auch nicht wusste, wie man einen Lykanthropen dazu brachte einen Ohrring zu verschlucken. Oder wie auch immer ein Effekt mittels Silber erzielt wurde. Da war Silberbesteck sicher eine bessere Alternative. Wobei die Zweifel, dass sie hier überhaupt irgendwo Silber fanden, sehr präsent waren. Daher stimmte er dem Schwarzhaarigen mit einem Kopfnicken zu. Auf Ebay verkaufen, darauf wäre der Italiener ganz bestimmt nicht gekommen. So unterschieden sich die Gedankengänge der einzelnen Menschen. So viel Zeit um die Dinge auf Ebay zu verkaufen, blieb ihnen ganz bestimmt nicht. Daher ließ er es einfach unkommentiert. Die Situation war eben einfach zum Scheißen.
Zum Glück war das Krankenzimmer schnell erreicht und die Suche nach einem Desinfektionsmittel war voll im Gange. Damian hatte bereits ein paar Verbände in den Schränken gefunden, die er auf die Arbeitsplatte darunter ablegte, als die Stimme von Mike an sein Ohr drang. Ein wenig perplex stierte er auf den schwarzen Schopf. Er war sich nicht sicher, ob er jetzt wirklich Desinfektionsmittel buchstabieren sollte. Daher ließ er es fürs erste bleiben. Der Blondschopf wollte keinen Streit vom Zaun brechen, trotzdem hatte er seine Suche gestoppt. Gerade als er zu Mike gehen wollte, ertönte ein schriller Schrei und durchbrach die Stille. Nicht nur Mike zucke zusammen und ließ eine der Sprühflaschen fallen, auch Damian konnte ein Zucken nicht verhindern. Die Sprühfalsche war mit einem lauten Geräusch auf dem Boden aufgekommen. Zum Glück waren die Sprühflaschen allesamt aus Plastik, sodass keine Verletzungsgefahr aufgrund von Glasscherben gegeben war. Nach einer kurzen Schrecksekunde löste sich Damian aus seiner Starre und fischte nach der Flasche auf dem Boden, ehe er bei Mike angekommen war und die Sprühflaschen beäugte. »Das hier ist Desinfektionsmittel. Ich hab auch noch ein paar Verbände gefunden. Würde sich besser anbieten bei deiner Wunde am Rücken.«, gab der Italiener bekannt und nahm dem Jungen die Flaschen aus der Hand und positionierte sie auf dem Regel neben die Pflaster. Die Flasche mit dem Desinfektionsmittel behielt er in seiner Hand. »Ich weiß nicht wies dir geht, aber ich bin der Meinung wir sollten uns beeilen. Irgendwie hab ich ein ungutes Gefühl, je länger wir hier sind. Oder ich bin einfach paranoid.«, gestand der Blondschopf und fischte nach einem Verband und einem Wattebausch, der sich ebenfalls auf dem Regal befand.
Ob draußen soeben jemand von den Werwölfen zerfetzt worden und gestorben war? Mikhail wollte gar nicht daran denken, aber der Schrei hatte nicht so geklungen, als hätte sich jemand nur vor dem eigenen Schatten erschreckt. Jedenfalls hinterließ das Kreischen einen komischen Nachgeschmack, den er so schnell wohl nicht abschütteln könnte. Er reagierte noch verzögerter auf die heruntergefallene Sprühflasche als Damian und ehe er sich bücken konnte, um sie aufzuheben, hatte der Blonde diesen Job bereits übernommen. Wenigstens war eine der Flaschen, die Mike wahllos aus den Schubladen geangelt hatte, ein Desinfektionsmittel. Die Chance dieses in einem Krankenzimmer zügig zu finden, war zwar recht hoch, trotzdem war Mike froh, dass sie es auf Anhieb gefunden hatten und nicht länger wühlen mussten. Die übrigen Sprühflaschen, mit Gott weiß welchem Inhalt, übergab er Damian. Was würde er nur tun, wäre er komplett auf sich allein gestellt? Wahrscheinlich hätte er weder das Krankenzimmer gefunden noch das Desinfektionsmittel. Und sich selbst ärztlich am Rücken versorgen, könnte er auch nicht. Mike stellte sich immer als so wunderbar unabhängig dar, aber wenn es hart auf hart kam, war er doch auf Mitstreiter abgewiesen. Während Damian nach weiteren Utensilien griff, zog Mike sich sein Oberteil über die Schultern, um seinen Rücken freizulegen. „Wenn du meinst. Ich kann das schlecht beurteilen“, gab er zurück, als Damian die Verwendung eines Verbands vorschlug. Fand Mike zwar etwas überzogen, weil er schließlich nicht am Ausbluten war, aber bevor er eine unnötige Diskussion lostrat, ließ er den anderen einfach machen. Dass Damian so schnell wie möglich wieder die Biege machen wollte, konnte Mike nicht nachvollziehen. Von allen Orten fühlte er sich im Krankenzimmer irgendwie noch am besten aufgehoben. Auch, wenn er zustimmte, dass es wahrscheinlich generell nicht ratsam war, länger an einem Ort zu campen. „Weiß nicht. Hier ist es gerade nirgendwo sicher, von daher ist es, glaub ich, egal wo wir sind“, erwiderte er nicht gänzlich überzeugt von seinen eigenen Worten. „Willst du denn wieder nach vorne? Nichts für ungut, aber kannst du überhaupt kämpfen?“, fragte er und biss daraufhin schon mal die Zähne zusammen — Desinfektionsmittel brannte bekanntlich. Er hatte keine Ahnung, was Damian so drauf hatte, abgesehen von Körperkraft und ganz guten Reflexen, aber wenn sie wirklich wieder aufs Schlachtfeld gehen wollten, bräuchte es mehr als das. Die Ideen mit dem Silber und den Bomben hatte Mike derweil nicht vergessen, doch auch um dies effektiv einzusetzen, müssten sie an die Front.
Damian musste gar nicht weitersprechen, als Mike bereits sein Oberteil nach oben schob und die Wunde freilegte. Ein wenig blutete sie noch, aber alles in allem hätte es wesentlich schlimmer ausgehen können. Ob es überhaupt das Ziel des Werwolfs war eine lebensbedrohliche Verletzung hervorzurufen, wagte der Blondschopf zu bezweifeln. Andernfalls würde Mikes Rücken anders aussehen. Damian konnte sich auch gut vorstellen, dass mit genügend Kraft sogar Knochen gebrochen wären. Schon alleine die Vorstellung ließ eine Gänsehaut aufkommen. Solche negativen Gedanken waren besser ganz hinten im Oberstübchen aufgehoben, daher widmete sich das Mischwesen seiner eigentlichen Arbeit. Damian griff sich die Sprühflasche mit dem Desinfektionsmittel und den Wattebausch, der mit ein paar Spritzern der Flüssigkeit, eher an einen begossenen Pudel erinnerte. Noch bevor er die Wunde damit betupfen konnte, meldete sich der Schwarzhaarige zu Wort. So gesehen, musste der Blondschopf ihm leider zustimmen. Nirgends war es jetzt zu 100 Prozent sicher. Es bestand immer die Chance, dass hinter der nächsten Ecke ein solches Biest lauerte. Für die Lykanthropen war es schließlich ein Leichtes ihre Beute aufzuspüren. Werwölfe waren nicht nur mit einer übermenschlichen Kraft gesegnet, sondern auch noch mit einem hervorragenden Geruchssinn. Der Italiener wusste auch gar nicht mit wie vielen dieser Biester sie es hier zu tun hatten. Er bezweifelte, dass bereits ein Werwolf das Zeitliche gesegnet hatte. Robuste Drecksviecher. Kurz schüttelte der Blondschopf sein Haupt, eher er sich seiner Aufgabe zuwandte. Irgendwie ließ er sich äußerst leicht aus dem Konzept bringen. Man konnte nur hoffen, dass ihm ein solches Verhalten nicht zum Verhängnis wurde. Ohne Vorwarnung, kam ihm in diesem Moment auch gar nicht in den Sinn, tupfte er mit dem Wattebausch die Wunde ab. Mikes Rücken würde nach ein paar Tagen ein sehr reizendes Bild abgeben. Blau, lila, grün. Die Frage nach Damians Kampferfahrung war berechtigt. Mit sonderlich konnte er leider nicht aufwarten. Ziemlich schlechte Bilanz, wenn man bedachte in welcher Situation sich die Jugendlichen befanden. »Geprügelt hab ich mich schon. Ein wenig Kampfsport habe ich auch betrieben. Keine Ahnung, ob mir das irgendwie hilft. Aber ich lass mich ganz sicher nicht einfach so abschlachten. Also, ich hoffs zumindest.«, gestand der Blondschopf. Sich ohne Plan einen Werwolf in den Weg zu stellen, stand sicher nicht auf seiner Liste. Leider passierten oftmals ungeahnte Ereignisse. »Was ist mit dir?«, fragte das Mischwesen, während er dem Verletzten den Verband umlegte. Ob er es jedoch richtig machte, war eine andere Geschichte, solange der Verband hielt. Zur Not gab es ja noch die Pflaster. »Ist der Verband zu fest oder passt das so?« Während des Wartens wanderten ein paar Pflaster vom Regal in die Hosentaschen des Blondschopfs. Für den Fall der Fälle. Leben retten konnte ein simples Pflaster zwar nicht, aber für kleine Schrammen sicher gut zu gebrauchen.
Obwohl er sich vorgenommen hatte die Prozedur wie ein Mann hinzunehmen, konnte er nicht verhindern, dass ihm ein Zischen entwich, als Damian das Desinfektionsmittel auf seiner Wunde verteilte. Der Werwolf hatte noch nie einen gebrochenen Knochen oder eine bemerkenswerte Verletzung davongetragen. Er hatte als Kind zwar rücksichtlos herumgetollt, aber war vermutlich einfach ein Glückspilz in dieser Hinsicht. Schmerzen waren für ihn daher keine Routine und genauso unangenehm, wie für jeden anderen Durchschnittsmenschen. Auf einen patzigen Kommentar verzichtete er jedoch. Damian tat schließlich nur das, worum Mike ihn gebeten hatte und das stechende Brennen gehörte zum Desinfizieren eben dazu. Die Antwort des Blonden beruhigte Mike weniger, als er sich erwünscht hatte. Doch die heimliche Hoffnung, dass Damian irgendwelche starken Zauber oder Kräfte auf Lager hatte, schwand mit den Worten des anderen dahin. Vielleicht war es dumm von ihm gewesen solche Erwartungen zu hegen, denn hätte Damian seine Kräfte nicht schon vorhin auf dem Hof eingesetzt, wenn er denn welche hätte? Nichtsdestotrotz konnte er seine Enttäuschung nur schwer verbergen. „Du kannst jemanden in den Schwitzkasten nehmen und Karate? Mehr nicht?“, erwiderte er fast schon schmollend. Wie ein Kind, das gerade herausgefunden hatte, dass es den Weihnachtsmann nicht gab. Die Gegenfrage an ihn ignorierte Mike vorerst, um ein wenig an dem Verband herum zu zupfen, nachdem Damian ihn fixiert hatte. „Passt schon. Danke und so.“ Sowieso wäre ein zu enger Verband einer seiner kleineren Sorgen. Das Shirt zog er wieder runter, bevor er letztlich auf Damians Frage zurücknahm, vor der er sich eben gedrückt hatte. „Theoretisch kann ich kämpfen“, setzte er an und wanderte dabei unruhig durch das Krankenzimmer, nach nichts Bestimmtem Ausschau haltend. „Wenn ich’s hinkriege mich zu verwandeln. Ich bin halt auch ‘n Werwolf … aber nicht so einer wie die, kapiert!“ Er beendete sein halbherziges Plündern und wandte sich Damian zu, ohne diesen direkt anzuschauen. Vielleicht hätte er einfach verschweigen sollen, was er war, aber Mike war eigentlich stolz auf seine Herkunft. Die Werwölfe, die er kannte, waren keine blutrünstigen, tödlichen Monstermaschinen. „Wollen wir weiter?“, schlug er schulterzuckend vor und versuchte damit Damians Zeit für eine Reaktion zu verkürzen und das Thema zu beenden. Außerdem schien es hier nichts nützliches mehr zu holen zu geben. Mikes nächster Gedanke wäre der Geräteschuppen des Hausmeisters, wo man bestimmt mindestens einen Spaten und bestenfalls eine Kettensäge finden könnte.
Damian hatte bereits beim Reden gewusst, dass Mike nicht gerade von seinen "Kampfkünsten" angetan wäre. Er konnte nicht wirklich mit viel aufwarten. Er war schon so ein Häufchen Elend. Als Köder könnte man ihn sicher gut gebrauchen, da er wenigstens mit Schnelligkeit punkten konnte. Aber sich auf dem Silbertablett zu präsentieren stand nicht in seinem Ermessen, außer die Situation erforderte solche Maßnahmen. Trotz allem zuckte eine Augenbraue nach oben, als sich Mike ein wenig Luft über seine Aussage auskotze. Karate war zwar nicht das richtige Wort, aber da er keinen Streit vom Zaun brechen wollte, schwieg er lieber. Mal ganz davon abgesehen, dass er mit seinem Selbstverteidigungsmethode ganz bestimmt jemanden bewegungsunfähig machen konnte. Problem daran war lediglich, dass man nah genug an die Biester rankommen musste und bei diesem Versuch nicht zerfleischt wurde. War alles nicht so einfach.
Damian beobachtete Mike dabei, wie er sein Shirt wieder nach unten zog. Die Eröffnung, zu welcher Rasse der Schwarzhaarige gehörte, ließ die Kinnlade des Italieners zu Boden fallen. Damit hatte er absolut nicht gerechnet. Sein Mund schloss und öffnete sich wieder. Aber leider fiel ihm keine passende Erwiderung auf sein Geständnis ein, daher wandte sich der Blondschopf von Mike ab. Seine Augen hefteten sich auf das Verbandszeug, welches seinen Weg in die Hosentasche des Italieners fand. Eine Schere die ebenfalls nicht unweit vom Verbandszeug lag, ließ er ebenfalls mitgehen. Vielleicht war sie nützlich. Ein Auge konnte man damit definitiv ausstechen. Mike schien sein Geständnis ebenfalls unangenehm zu sein, da er schnell das Thema wechselte. Damian war dem Themenwechsel ganz und gar nicht abgeneigt. Kopfnickend wandte sich der Blondschopf wieder seinem Mitstreiter zu. »Wohin wollen wir? Die Zimmer durchsuchen? Oder ist dir noch etwas anderes in den Sinn gekommen?«, fragte der Italiener und musterte den Jungen. Er sah ganz und gar nicht wie ein Werwolf aus. Aber man sollte niemanden nach dem Äußeren beurteilen. Die Rasse stand niemanden auf die Stirn geschrieben. »Ich hab' nichts gegen Werwölfe. Also so im Allgemeinen. Die da draußen bilden eine Ausnahme.«, gestand der Blondschopf ein wenig nuschelnd. Er wollte Mike nicht unnötig auf die Palme bringen, wenn er dieses Thema doch wieder anschnitt. Er setzte bereits ein wenig voraus um die Tür zum Krankenzimmer wieder zu öffnen.
Er hatte erwartet, dass Damian sich in irgendeiner Weise gegen Mikes anklagenden Worte verteidigen würde. Vielleicht indem er doch noch eine geheime Trumpfkarte offenbarte … das wäre jedenfalls ein Träumchen. Doch Mikes Hoffnungen wurden durch das Schweigen des Blonden schneller zerstört, als er denken konnte. Aber vielleicht war es auch so wie im Film, wo der Protagonist krasse Fähigkeiten hatte, von denen er nichts wusste. Sollte Mike sich überhaupt an solche mikroskopisch kleinen Strohhalme klammern? Dass Damian auf den Themawechsel ansprang, war Mike nur recht. Irgendeine Form von Reaktion hatte er zwar schon erwartet, aber er konnte auch ohne leben. Vielleicht war es doch keine so weltbewegende Sache, dass er ein Werwolf war und es juckte Damian einfach nicht. So oder so hatte er jetzt keinen Nerv für Rätselraten was im Kopf seines Mitschülers vorging. „Ich dachte an den Geräteschuppen. Bestimmt gibt’s da sowas wie Heckenscheren und Schaufeln. Besser als nichts, oder?“ Zumindest wenn sie wirklich darauf aus waren, den Wölfen entgegen zu treten. Aber auch zur Selbstverteidigung, falls sie unerwartet von einem dieser Biester angegriffen wurden, könnten sie es mit den Werkzeugen irgendwie auf Distanz halten. „Wir können auch erst nochmal zu den Zimmern, aber ich glaub nicht, dass wir da was Gutes finden.“ Inzwischen hielt er es für unwahrscheinlich, dort auf eine Waffe oder etwas Brauchbares zu stoßen. Selbst wenn sie Silber fänden … wie wollten sie es gegen einen Werwolf verwenden? Als Damian sich dann doch zu dem vorherigen Thema äußerte, während sie die Krankenstation wieder verließen, entlockte Mike nur ein Schulterzucken, das Damian jedoch vermutlich nicht einmal sah. An dieser Stelle fehlten ihm ein wenig die Worte. Er fragte sich aber, ob Damian es nur aus Höflichkeit sagte oder es wirklich so meinte. Denn er hatte gehört, dass die Insel schon einmal ein Problem mit Werwölfen gehabt hatte. Dieser erneute Angriff riss sicherlich einige alte Wunden wieder auf. Zumindest bei der alteingesessenen Bevölkerung. Nicht dass man sich nach den heutigen Ereignissen dazu entschloss, alle Werwölfe vorsorglich zu deportieren. Ein Problem, mit dem Mike sich aber vermutlich erst auseinandersetzen sollte, wenn sie das hier überlebt hatten. Etwas ungelenk lief er neben Damian her. Der Verband saß gut, doch schränkte er seine Bewegungsfreiheit nichtsdestotrotz ein. „Also?“, hakte er nach, als der Weg sich gabelte. Ein Gang führte zu den Zimmern der Schüler, der andere nach draußen zum Schuppen. Das war ja wirklich, wie ein Horrorfilm hier.
Der Beutezug im Krankenzimmer war gut verlaufen, aber die weitere Vorgehensweise stand noch in den Sternen. Es war sicher auch nur mehr eine Frage der Zeit bis eines der Biester sich Zutritt zum Waisenhaus verschaffte. Mauern waren sicher kein Hindernis. Wie viel Kraft diese Werwölfe jedoch aufbringen konnte, vermochte der Italiener nicht zu sagen. So wenig konnte es jedoch nicht sein. Kurz schauderte er, während sein Blick wieder zum Schwarzhaarigen wanderte. Er war noch immer ein wenig von der Rolle, dass es sich bei seinem Mitstreiter ebenfalls um einen Werwolf handelte. Angsteinflößend war er nicht. Ein wenig frech und aufbrausend - definitiv. Konnte aber auch einfach nur an der Situation liegen, die Gott sei Dank nicht alltäglich war, auf die man aber getrost verzichten konnte.
Der Vorschlag von Mike war recht gut. Irgendwie war Damians Hirn auf Standby-Modus geschaltet, da er nicht wirklich Konstruktives zu ihrem Überleben beitrug. Das Einzige Problem an der Sache mit dem Geräteschuppen war, dass er sich außerhalb des Waisenhauses befand. Zwar nicht unweit, aber doch in der direkten Gefahrenzone. Aber wie der Schwarzhaarige bereits feststellte, war in den Zimmern sicher nichts zu finden, was ihr Überleben sicherte. Ein Seufzen entkam seiner Kehle. Es war wirklich zum Haare raufen, aber was tat man nicht alles um am Leben zu bleiben. Anscheinend wollte auch Mike eine Entscheidung von Damian hören. Und die Gabelung des Weges unterstrich die Wichtigkeit dieser Entscheidung. Ein hysterisches Lachen konnte sich der Italiener gerade noch so verkneifen, die Situation war einfach nur absurd. Er räusperte sich kurz, ehe er zum Sprechen ansetze. »Geräteschuppen eindeutig. Die Aussicht auf 'ne Heckenschere klingt hervorragend. Hoffentlich wurde der Scheiß auch gewartet und ist scharf genug.« Damian war guter Dinge, dass die Gerätschaften ihren Zweck erfüllten, ansonsten reichte es immerhin noch für einen Schlagstock. Die Entscheidung für den Geräteschuppen war gewiss die Richtige gewesen. Jetzt mussten sie nur noch irgendwie unbemerkt zu ihrem nächsten Ziel gelangen.
Nur die Tür trennte sie noch vor dem Chaos und des nackten Überlebens. »Noch ein paar letzte Worte zu sagen?«, grinste der Italiener und stieß den Kleineren ein wenig an. Manchmal konnte er eben ein wenig makaber sein, hoffentlich nahm es ihm der Schwarzhaarige nicht allzu krumm. Er wollte seine Angst damit übertünchen. Klappte vermutlich nicht. Seine zittrigen Finger schlossen sich um die Türklinke. »Bereit?«, fragte der Blondschopf, einen kurzen Moment wartete er noch, bis er die Tür nach draußen öffnete. Und als hätte man genau darauf gewartet, ertönte ein wildes Geheul. Zum Glück war seine Blase geleert, sonst hätte er sich spätestens jetzt eingenässt. Was wiederum ziemlich peinlich gewesen wäre. Zu sterben mit einer vollurinierten Hose. Geil. Einfach geil. Damian streckte zuerst vorsichtig seinen Kopf nach draußen und schaute auf beide Seiten. Nichts zu sehen. Die Luft war rein. Es trennte sie nur ein paar Meter von besagtem Geräteschuppen.
Sein Vorschlag traf bei dem Blonden auf Zustimmung. Zum Glück. Es wäre ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, sich hier und jetzt zu streiten. Vor allem über etwas, was ihr weiteres Überleben betraf. Beste Freunde mussten sie ja nicht direkt werden, aber wenn sie an einem Strang zogen, war das sicherlich schon mal nicht schlecht. Mike musste grinsen, als Damian die Gartengeräte lieblos als Scheiß bezeichnete. Besser hätte der Werwolf es selbst nicht ausdrücken können. Er musste zugeben, dass er einen Funken mehr an Sympathie für den Blonden entwickelte, als er anfangs gedacht hätte. Hätten sie sich unter weniger misslichen Umständen kennengelernt und wäre da nicht sein Fluch, wären sie vielleicht sogar dazu gekommen, sich anzufreunden. Jetzt hatte Mike aber keine Zeit einer verpassten Freundschaft hinterher zu trauern. „Wenn nicht, verpass ich dem Hausmeister persönlich eine.“ Er boxte mit der Faust seine offene Handfläche, während er sich dem Ausgang zuwandte. Der leichte Schubs, den Damian ihm gab, tat zwar nicht weh, sorgte aber trotzdem dafür, dass Mike kaum merklich zuckte und sich unbewusst gegen den Stoß stemmte. Ein bisschen wie ein Hund, der partout nicht im Regen vor die Tür gehen wollte. Und so fühlte er sich auch. Mit der Ausnahme, dass ihn kein Schauer, sondern eine Horde blutrünstiger Monster erwartete. „Nur als Vorwarnung—ich werd nicht zögern, dich als Schutzschild zu benutzen.“ Nicht einmal er selbst konnte sagen, ob es scherzhaft gemeint war oder nicht. Er hoffte einfach, dass es gar nicht erst zu einer Situation, in der das notwendig sein würde, kam. Ein letztes Mal konnte Mike noch durchatmen, bevor er Damian mit einem knappen „Mmh“ das Startsignal gab. Scheiße, was taten sie hier eigentlich? Kaum war die Tür einen Spalt weit offen, war ein dröhnend lautes Heulen zu hören. Als wäre der Wolf direkt neben ihnen. Es klang irgendwie schmerzerfüllt, aber vielleicht bildete Mike sich das nur ein. Prompt setzte er einen Fuß hinter den anderen – bloß in die entgegengesetzte Richtung ihres Ziels und wieder weiter ins sichere Waisenhaus hinein.
Nicht nur das Geheul, auch der metallische Geruch, der in der Luft lag, lösten Panik in ihm aus. Den Blutgestank hatte er drinnen ganz gut ausblenden können. Unmittelbar in der Nähe des Hauptschauplatzes war dieser aber fast unerträglich. Er konnte sich einfach nicht dazu überwinden nach draußen zu treten. Während Damian um die Ecke lugte, kämpfte Mike mit den Tränen, die sich anbahnten. Er könnte auch hierbleiben und abwarten wie die Lage sich entwickelte. Musste er wirklich da raus? Aber der Schuppen war sein Vorschlag gewesen … Vorsichtig trat er ebenfalls auf die Tür zu. Dabei machte er sich noch kleiner als er ohnehin schon war und versteckte sich so halb hinter Damian (der tatsächlich einen guten Schild abgab). „Ist die Luft rein? Können wir?“ Sein Herz flog ihm fast aus der Brust, als er an Damian vorbeischielte und die Umgebung scannte. Es schien noch keine der Bestien auf sie aufmerksam geworden zu sein, also sollten sie jetzt schnell rüber laufen! „Los, komm, lauf!“ Diesmal verpasste er Damian einen ungeduldigen Schubs, bevor er mit eiligen Schritten zum Gerätehaus rüber rannte. Als er unter dem Abdach angekommen war, war er so aufregt als hätte er illegal eine Grenze passiert. Er klammerte sich an die Türklinke und warf einen Blick nach hinten. Nicht dass Damian plötzlich doch Reißaus nahm und ihn stehen ließ. Die Tür war (Gott sei Dank) nicht abgeschlossen, sodass sie ohne Probleme in den Schuppen gelangen konnten. „Ich kann nicht mehr, man. Wenn ich das überlebt hab, mach ich einen drauf, ich sag’s dir. Mir scheißegal, dass ich minderjährig bin.“ Er atmete tief ein und aus. Abermals fühlte Mike sich ein kleines bisschen sicherer. Ihm war aber auch nicht bewusst, dass einer der Biester den Braten gerochen hatte und sich bereits auf den Weg machte, um ihnen einen Besuch abzustatten.