Teilnehmer: Damian Bianchi, Mikhail Wolkov Startort: Das Gelände vor dem alten Waisenhaus Zeitpunkt: 9. März 2015, am Abend und in den Nachtstunden Beschreibung: Nicht alle Schüler konnten sich beim jüngsten Angriff der Lykanthropen gegen die Werwölfe effektiv zur Wehr setzen. Mikhail, der daran zweifelt, ob er seine Artgenossen überhaupt bekämpfen sollte, muss von Damian aus einer brenzligen Situation gerettet werden. Ob beide unbeschadet aus der Sache herauskommen?
Als makaber bezeichnet zu werden, war zwar nicht sein Ziel gewesen, aber das "gefällt mir" machte es wieder wett. Somit war dieses Thema vom Tisch. Mit dem Tod wurden die beiden Jungs heute zur Genüge konfrontiert gewesen. Es war auch wahrlich nicht das beste Thema für einen Saufabend oder eine Saufnacht. Das Zeitgefühl hatte er bereits seit der Nachricht des Angriffs über Bord geworfen und bis dato war es ihm auch egal gewesen. Es war ihm auch jetzt noch egal. Er bezweifelte, dass eine Zählung stattfand, um die Überlebenden mit einer Liste abzuharken. Wobei es eigentlich keine so schlechte Idee war, so wusste man wenn eine Person abgängig war. Was jedoch nicht heißen musste, dass besagte Person den Werwölfen zum Opfer gefallen war. Die Chance war allerdings sehr hoch. Es war doch alles ein wenig deprimierend, wenn man genau darüber nachdachte, daher war die beste Lösung: Verdrängung und zwar mit Alkohol.
Das seine Aussage so falsch verstanden werden konnte, war ihm erst durch Mikes Antwort klar geworden. Er hatte seine Reaktion absolut nicht böse gemeint. Vielleicht war der skeptische Blick ein skeptischer Blick zu viel gewesen. »Sorry, war gar nicht so gemeint. Aber Mädels stehen bei mir trotzdem nicht Schlange.«, beschwichtigte der Blondschopf seinen Kumpanen wieder. Er wollte die Stimmung eigentlich damit ein wenig auflockern beziehungsweise den Schwarzhaarigen eine Antwort abringen, wieso er darauf kam, dass Damian mit Mädels mehr Glück hatte. Das war ein Trugschluss. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er aus diesem Alter bereits draußen war. In seiner Jugend gab es da genügend Eskapaden. Und One-Night-Stands hatten immer so einen bitteren Beigeschmack. Zwar wollte er nicht im Zölibat leben aber sich durch die Gegend huren stand auch nicht auf seinem Programmplan. Aus dem Alter war er definitiv raus. Daher konnte er dem Schwarzhaarigen, wenn nötig, gerne ein paar Tipps geben. Aber Damian rechnete gar nicht erst damit, dass Mike ihn nach Tipps fragen würde. Das war ihm sicher zu peinlich. Aber mit seinen 15 Jahren hatte er noch alle Zeit der Welt selbst seine Erfahrungen zu sammeln. Der Italiener beäugte den Kurzen einmal kurz, um seine Stimmung ein wenig abschätzen zu können. Der Encounter von den letzten Minuten wollte er ungerne wiederholen. Vielleicht lag es auch einfach an den Nerven, an der ganzen Situation. Genau so musste es sein, daher sollte man besser kein Drama draus machen.
Die Frage nach dem Anklingeln kam anscheinend nach diesem Vorfall auch nicht so gut an. Anscheinend wurde gerade alles auf die Goldwaage gelegt. Einfach nicht darüber nachdenken, daher kommentierte er das auch gar nicht, sondern wartete bis der Anruf kam. Die Nummer wurde bereits eingespeichert, als der Schwarzhaarige noch kurz erklärte wie sein Name geschrieben wurde. Ein wenig verwirrt blickte Damian auf den Jungen hinab, der ihm zuschaute wie er seinen Kontakt einspeicherte. »Wusste gar nicht, dass man Mike auch anders schreiben könnte.«, gestand er und speicherte den Kontakt ab. Jetzt fehlte nur noch ein Bild, aber der Blondschopf getraute sich im Moment gar nicht danach zu fragen. Er brauchte definitiv noch mehr Alkohol, genauso wie Mike selbst, der nach einer kryptischen Anspielung bereits vom Tisch gerutscht war. War der Italiener im falschen Film oder einfach nur behindert? »Äh .. ich hatte eigentlich nicht vor nach zwei Wochen deine Nummer zu löschen. Wie kommst du eigentlich drauf?«, fragte er den Kleineren ein wenig perplex. Warum hätte er ihn sonst nach seiner Nummer gefragt, wenn er vorhatte diese wieder zu löschen. Also irgendwie wurde er aus Mike gerade nicht schlau. Da dieser auch keine Anstalten machte sich seinen Nachschub zu mixen, glitt auch der Blonde vom Tisch und legte die paar Schritte zur provisorischen Bar zurück. »Geht's dir gut? Du machst jetzt aber noch nicht schlapp oder?«, grinste der Blondschopf mit schief gelegtem Kopf. Tja das erste Mal Alkohol war eben nicht ohne. Vielleicht hätte er den Schwarzhaarigen vorwarnen sollen, was bei zu viel Alkoholkonsum für Konsequenzen auf ihn warteten. Aber dann wäre Mike vielleicht einen Rückzieher eingegangen und das hatte Damian auf keinen Fall gewollt.
Damian entschuldigte sich für das, was Mike als grobe Anfuhr verstanden hatte. Warum er sich überhaupt entschuldigte, leuchtete dem Werwolf nicht ganz ein. Dann wiederum gingen ihm Entschuldigungen nie einfach über die Lippen, weshalb sie für ihn wahrscheinlich mehr ins Gewicht fielen als für andere Leute. Er wies Damians Worte mit einer unwirschen Armbewegung und einem Augenrollen ab, was ganz klar signalisierte, dass er darüber hinweg war und nicht weiter darüber diskutieren wollte, wer jetzt wem auf den Schlips getreten war. Mal ganz abgesehen davon, dass er Damians Behauptung keinerlei Glauben schenkte. Die Mädchen standen ganz sicher Schlange vor seiner Zimmertür und der Kerl war nur zu bedäppert, um es zu sehen. Wollte Mike sich noch länger gedanklich über diese Ungerechtigkeit aufregen? Nein, nicht wirklich. Es würde sein Gesicht nur röter anlaufen lassen als es ohnehin schon war.
Damian saugte mit seinen unnötigen Bemerkungen wirklich das letzte Restchen Geduld aus Mike heraus. Oder er steigerte sich in Kleinigkeiten hinein, was bei längerer Überlegung wahrscheinlicher schien. Statt den Blonden also abermals unfreundlich anzumotzen, zuckte er nur mit den Schultern und murmelte ein halb-resigniertes und fast schon geflüstertes „Mit einem A“. Im Grunde war es auch absolut gleichgültig, wie Damian seinen Namen einspeicherte. Er hätte ihn auch als Hans Wurst eintragen können, so egal war es ihm. Dass es ihm in Wahrheit gar nicht so pups-egal war, wie Damian seinen Namen schrieb und ob er den Kontakt wieder löschte, verdrängte Mike für den Augenblick. Es war eben einfacher in Zynismus zu verfallen als sich seine Gefühle einzugestehen. Eben deswegen beantwortete er Damians Frage zunächst nicht, sondern schob bloß schweigend sein Glas einige Zentimeter von links nach rechts und wieder zurück. Er sah es schon aus seinen Fingern gleiten und zu Boden segeln, also ließ er das Glas in Frieden und lehnte sich, mit den Handflächen abstützend, an die Theke. Er wollte es bloß lässig aussehen lassen, doch den Halt, den der Tisch ihm gab, konnte er gut gebrauchen. „Hier macht niemand schlapp, bevor die Flasche nicht leer ist“, erwiderte Mike. Er wollte auf den Rum zeigen, deutete aber stattdessen auf die Weinflasche, bevor er bemerkte, dass er den Finger auf das falsche Label richtete. Schnell korrigierte er den Fehler, bezweifelte aber, dass es Damian entgangen war. Scheiße, er war wirklich neben der Spur. Bloß nichts anmerken lassen. „Du musst dir keine Sorgen um mich machen. Mach mir lieber noch eine Mische fertig.“ Die Worte hatten sich in seinem Kopf weniger giftig angehört. Er zog in Erwägung ein Bitte hinzuzufügen, entschied sich dann aber aus keinem triftigen Grund dagegen. Er sah kurz schräg zu Damian hoch und schaute schließlich gerade aus, auf ein Poster, das noch an der Wand hing. Wenn er sich auf einen bestimmten Punkt konzentrierte, hörte die Welt auf, zur Seite weg zu kippen. „Ich erzähl dir jetzt was, was ich noch keiner anderen Person erzählt hab. Du bist der einzige, der davon weiß und wenn du lachst oder mir unterstellst ich würde lügen oder das irgendwem weitersagst, finde ich deine Zimmernummer raus und schlag dir mit dieser Rumflasche da den Schädel im Schlaf ein.“ Die Tatsache, dass er eher müde und lallend als drohend klang, verlieh seinen Worten nicht unbedingt große Glaubwürdigkeit. „Weißt du wie viele Nummern ich in meinem Handy eingespeichert hab, außer denen, die zu meiner Familie gehören? Eine. Ich hab eine Nummer eingespeichert und das ist deine Nummer. Aber die werd ich in zwei Wochen löschen, weil du meine Nummer in zwei Wochen löschen wirst, weil du auf dein Handy gucken wirst und dich fragen wirst… wer zum fick ist dieser Mike und wieso hab ich ihn in meinen Kontakten? Und dann wirst du meine Nummer löschen und ich hab wieder null Freunde an dieser scheiß Schule wie am Anfang.“ Er atmete durch und schaute scheinbar beiläufig zu seinem Glas, das Damian hoffentlich auffüllte, weil sein Hals trocken war und kratzte. „Jetzt kommt der Grund… und nochmal: wenn du mir nicht glaubst und denkst, dass ich Witze mache, wirst du Schmerzen haben.“ Er hob drohend den Zeigefinger. Half das? „Meine Familie ist verflucht und wegen diesem beschissenen Fluch kann sich nach zwei Wochen keine Sau mehr an mich erinnern. Du wirst an heute zurückdenken und dir denken: Wie hab ich’s geschafft alleine einen dieser Biester zu killen? Und wieso war ich danach noch alleine saufen? Das wirst du denken, aber du wirst nicht lange drüber nachdenken, weil’s dir egal ist, weil du mich vergessen hast.“ Sein Herz schlug in Rekordgeschwindigkeit und sprang fast aus seiner Brust heraus. Vielleicht, weil er noch nie so viel am Stück vor einer mehr oder weniger fremden Person geredet hatte. Und schon gar nicht über seinen Fluch, den er immer hinter verschlossenen Türen hielt. Ein paar Sekunden nachdem er seinen Monolog abgeschlossen hatte, wandte er sich, mit einem komischen Kloß im Hals, Damian – beziehungsweise der Bar — zu. „Ich hab Durst“, sagte er in seinem nüchternen Tonfall und wartete darauf, dass man ihm ein Glas in die Hand drückte.
Die Antwort wie man Mike noch schreiben konnte, ließ den Blondschopf ein wenig stutzen. Es ergab einfach keinen Sinn. Wo sollte man da bitte ein A reinschreiben. Veräppelte der Schwarzhaarige ihn da gerade? Wurde sein Mundwerk aufgrund des Alkohols loser als es ohnehin schon war? Damian war sich nicht sicher, bis es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. MAIK. Grottenhässlich. »Ewww, mit A sieht ja hässlich aus. Gibt es echt Leute die Mike so schreiben?«, plapperte der Italiener vor sich hin, eigentlich mehr zu sich selbst als zu dem Schwarzhaarigen. Er musste sich Luft machen, nach dieser schockierenden Entdeckung. Auf diese Entdeckung hätte er liebend gerne verzichtet. Darauf musste er was Trinken und der letzte Rest seines Getränks verschwand in seinem Rachen. Jetzt konnte sich der Italiener ebenfalls eine neue Mischung gönnen. Vielleicht nicht so stark wie Mikes Mischung, der hatte ihn ja absichtlich mehr vom Rum ins Glas geschüttet. Mike schien von Damis Kommentar wenig begeistert, da er sofort ein Dementi einlegte. Niemand würde schlapp machen, solange die Flasche "Wein" nicht geleert war. Eine kurze Korrektur seines Fingers und das eigentliche Ziel war gefunden. Damian quittierte diesen Irrtum nur mit einem kurzen hochziehen seiner Mundwinkel. Er wollte nicht für mehr Streitstoff sorgen. Die Luft war immer noch ein wenig dick zwischen den Jungs. Wobei Mikes Aufforderung doch als positiv gewertet werden konnte. Oder aber der Dunkelhaarige wollte sich noch nicht eingestehen, dass er bereits mehr intus hatte als ihm lieb war. Damian würde sich jeglichen Kommentar verkneifen, daher schloss er die letzten paar Schritte zur provisorischen Bar auf. Noch bevor er jedoch mit dem Mischen beginnen konnte, setzte Mike abermals zum Reden an. Gespannt lauschte das Mischwesen seinen Worten. Die Drohungen außer Acht gelassen, konnte er nicht verhindern, dass sich sein Kiefer ein wenig gen Boden richtete. Wenn er sich nicht auf einer Insel mit Kuriositäten befinden würde, würde er den Schwarzhaarigen ganz bestimmt für verrückt halten, aber angesichts der Tatsache, dass es mystische Wesen und auch solch ein Mischmasch, wie er selbst eines war, gab, klang die Story eigentlich plausibel. Trotz allem blieben noch Fragen offen. Sollte er wirklich so dreist sein und gleich über den Schwarzhaarigen damit hereinbrechen, der eigentlich nach einer Mischung verlangte. Schon zum zweiten Mal. Während Damian sich also daran machte zwei Mischungen vorzubereiten, ließ er das Gesagte ein wenig wirken. Ein Fluch, der Mikes Existenz quasi für alle Beteiligten ausradierte. Das war schon hart. Freundschaften fielen somit wohl ins Wasser. Möglicherweise war Mike darum ein wenig distanziert und eine kleine Pissnelke, damit man von selbst verschwand und ihn in Ruhe ließ. Bevor er jedoch seinen Senf dazu abgab, stellte er das nun volle Glas vor Mike auf den Tisch und führte sein eigenes gleich an die Lippen. Vielleicht half ein weiterer Schluck eine passende Antwort zu finden. Aber vermutlich nicht. Damian war eben der König der schlechten Ausdrucksweise. »Also. Dieser Fluch, gibt's da keinen Gegenfluch oder sowas?«, fragte er den Kleineren, weil er absolut keinen Plan hatte, was gegen einen Fluch wirkte. Fieberhaft überlegte der Blondschopf, während sein Glas an den Lippen verweilte. »Ich hab's! Bilder! Können Bilder helfen?«, fragte der blonde Riese aufgeregt und zückte bereits sein Handy. Was sprach dagegen ein wenig nachzuhelfen. Natürlich betätigte er keinen Auslöser, schließlich wollte er zuerst die Antwort des Jüngeren abwarten und während er wartete, konnte er sich bereits ein paar Notizen ins Handy speichern. Immerhin war er im Besitz eines kleinen, dicken Notizbuchs mit allerlei Infos über Personen mit denen er zu tun hatte. Das war doch die Idee. Damian war voller Tatendrang, doch das Glas hinderte ihn dabei. Mit einem lauten Klirren war das Glas auf dem Tisch abgestellt und die Finger flogen nur so über sein Display. Damit konnte man ganz bestimmt in nüchternem Zustand arbeiten.
Zumindest waren sie einer Meinung, was die Rechtschreibung seines Namens betraf. Es war keine große Sache und eigentlich sollte es Mike egal sein, aber es versetzte ihn für einen kurzen Moment in eine beschwingte Stimmung. Könnte natürlich auch am Rum liegen, aber Damians indirekte Beleidigung gegenüber allen Leuten, die Mikes Namen verkrüppelten, trug definitiv auch zu dem kleinen Schmunzeln auf seinen Lippen bei. „Joa… Deppen halt“, sagte er etwas abwesend und mit ähnlicher Teilhabe am Gesprächsthema wie Damian. Es wirkte eher so, als würden sie Selbstgespräche führen, die sich zufälligerweise ergänzten. Während er auf seine nächste Mische wartete, wartete er vor allem darauf, dass Damian die Stille, die durch den ellenlangen Monolog entstanden war, füllte. Mikes Gesprächsanteil war groß genug gewesen. Er hatte seine Sprechquote für den Abend nicht nur erfüllt, sondern überschritten und er wollte eine Reaktion. Dabei dachte er nicht daran, dass der Wortschwall auf Damian eingeprasselt sein musste, wie ein Platzregen. Unerwartet und plötzlich. Wahrscheinlich brauchte der Blonde einen Moment, um das Gesagte überhaupt erst einmal zu verdauen und sich dann eine Antwort parat zu legen. Damian war doch gut mit Worten. Er war kein Dichter oder Philosoph, aber im Gegensatz zu Mikes unüberlegten Ausrufen, schienen Damians Sätze halbwegs geplant zu sein. Sofern er das nach so kurzer Zeit beurteilen konnte. Vielleicht erwartete Mike deshalb eine Antwort, die mehr Substanz hatte. Etwas Kluges, vielleicht sogar etwas Mitfühlendes. Stattdessen stellte Damian so ziemlich die hohlste Frage, die jemand an seiner Stelle hätte stellen können. Sie war so unsinnig, dass Mike für einen Augenblick der Mund offenstand und er sein Rum-Cola komplett vernachlässigte. Eine Mischung aus Enttäuschung und Wut brodelte in seiner Brust und spiegelte sich wenig später auf seinen Gesichtszügen wider. Er machte zwei Schritte zurück von der Bar und ballte die Hände zu Fäusten. „Ach ja, der Gegenfluch! Wie konnte ich den Gegenfluch nur vergessen? Man muss sich nur dreimal im Kreis drehen, in die Hände klatschen und ganz fest daran glauben, dass der Fluch sich auflöst! Danke! Danke, dass du mich daran erinnert hast, du bist mein Held und meine Rettung und ich sollte dir sofort die Füße küssen!!“ Seine Stimme steigerte sich mit jedem Satz, bis sie ein fast hysterisches Schreien erreicht hatte. Er fühlte sich wie ein dreizehnjähriges Mädchen, das seinen Freund im Gespräch mit einer anderen gesehen hatte. Irrational aufgebracht, aber nicht in der Lage, seinen Zorn runterzufahren. Als Damian schließlich die glorreiche Technik der Fotografie ins Spiel brachte, löste sich irgendeine Schraube in Mikes Kopf gänzlich, die rationales Handeln ermöglicht hatte. Während Damian konzentriert in sein Handy tippte, schloss Mike die geringe Distanz zwischen ihnen und schlug ihm das Handy aus den Händen, sodass es gegen eine Stuhllehne klatschte und mit einem dumpfen Ton zu Boden fiel. Seine Nasenflügel bebten vor Wut und Mike wusste nicht, ob er Damian eine reinhauen wollte oder doch eher selbst eine Ohrfeige gebrauchen könnte. Oder eine Umarmung. Oder einen Tritt gegens Schienenbein. Vielleicht alles davon, in dieser Reihenfolge. Er wusste es nicht und das frustrierte ihn mehr als alles andere. Aber Fakt war: er hatte sich Damian anvertraut und zu viel von dem anderen erwartet. Es war dumm gewesen und er hätte gar nichts sagen sollen. Bevor Damian ihm jedoch wirklich eine reinwürgen konnte, schlurfte er schon in die Richtung, in die das Handy geflogen war, um es aufzusammeln. Schniefend zog er Luft hörbar durch die Nase ein und hielt ihm mit schlaffem Arm und gesenktem Blick das Handy hin. Seine ganze Körperspannung hatte sich schlagartig um 180 Grad gedreht. „Sorry“, nuschelte er. Die Wut war schon abgeebbt, bevor das Handy seine Bruchlandung eben vollendet hatte. Jetzt schämte er sich nur noch dafür, dass er die einzige Person in seinen Kontakten vergraulte, bevor der Fluch überhaupt in Aktion trat. War ihm jemals in den Sinn gekommen, dass er in erster Linie keine Freunde hatte, weil er ein Arsch war? Gerade dachte er an nichts anderes.
Der plötzliche Stimmungsumschwung entging dem Blondschopf gänzlich, da er zu sehr darauf fixiert war, klare und fehlerfreie Wörter in sein Handy zu tippen. Mit ein wenig Alkohol im System konnte es schwierig werden. In diesem Fall war die Autokorrektur nicht zu verachten, aber ansonsten konnte man diesen Mist getrost in die Tonne treten. Erst als Mike die Stimme erhob, blickte das Mischwesen von seinem Handy auf. Der Gesichtsausdruck von dem Schwarzhaarigen steigerte sich ebenso wie seine Stimme mehr und mehr an Lautstärke zunahm, mit jedem Wort was er sagte. Damian konnte nicht verhindern, dass er wie so oft heute, ein wenig perplex aus der Wäsche guckte. Mit einer solch heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Die Reaktion war allerdings alles andere als positiv. Aber was hatte der Schwarzhaarige bitte erwartet? Eine Lösung für sein Problem? Anscheinend. Damians Antwort war allerdings wenig zufriedenstellend. Es war eben die erste Frage die ihm eingefallen war und er fand sie durchaus passend. Scheiß auf die dicke Luft zwischen ihnen, so etwas musste er sich von einem 3-Käse-Hoch sicher nicht gefallen lassen. Natürlich spielte der Alkohol auch eine gewisse Rolle in dem Drama, aber Damian ließ so eine Ausrede nicht gelten. »Sonst geht's dir aber gut? Soll ich dir gleich eine reinhauen oder erst später?«, giftete der Blondschopf zurück. Eigentlich lag ihm noch viel mehr bissiges Zeug auf der Zunge, was er jedoch gekonnt runterschluckte. Der Italiener konnte nicht verhindern, dass sich seine Hand zur Faust ballte und wären sie nicht gerade erst aus einem Kampf gekommen, hätte er jetzt wirklich handgreiflich werden müssen. Auch wenn es eigentlich gar nicht seinem Naturell entsprach die Hand zu erheben. Er fragte sich wirklich, wie Mike es immer wieder schaffte so ein Arschloch zu sein?! Er war erst 15. Der Fluch mochte sicher einen Großteil dazu beitragen, aber trotzdem. Eigentlich würde der Blondschopf gerne mit Mike auskommen, das fiel ihm im Moment allerdings schwer, da der Giftzwerg anscheinend noch nicht fertig war. Wie ein Racheengel schloss er zu Damian auf und gab seinem Handy eine gratis Flugstunde. Diese Aktion ließ den Mund des Blondschopfs offen stehen. Zum Glück gab es hier keine Fliegen, die seine Futterluke als Landebahn benutzen konnten. Bevor er jedoch wirklich noch etwas Unüberlegtes tat, schlurfte Mike bereits reumütig in die Richtung wo das Handy hingefallen war. Immerhin ein kleiner Schritt. Irgendwie war die ganze Situation ein wenig verstörend oder vielleicht kam es auch nur Damian so vor. Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Auf alle Fälle wurde ihm von Mike sein Handy wieder ausgehändigt und schien sogar noch intakt zu sein. Ein Handy was einen Werwolfangriff überlebte, musste eine Auseinandersetzung mit einer Stuhllehne ebenfalls überleben. Peanuts. Der Italiener wusste wirklich nicht, wie er mit dem Kleineren umgehen sollte, alles was er sagte und tat wurde in eine Goldwaage gelegt, konnte und wurde gegen ihn verwendet. Vielleicht war es auch einfach besser nach dem hier getrennte Wege zu gehen. Das Gefühl der Frustration machte sich in Damian bereit. Er war der einzige Kontakt in Mikes Handy, abgesehen von seiner Familie, er war der Einzige der über Mikes Fluch Bescheid wusste, das alles waren doch gute Gründe um den ersten Gedanken beiseite zu schieben und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Sollte es den eine geben. Daher entschied er sich kurzerhand den Schwarzhaarigen einfach in eine Umarmung zu ziehen, auch auf die Gefahr hin, dass Mike protestieren würde. Damian konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich der Werwolf fühlen musste, wenn jeder in seiner Nähe ihn nach zwei Wochen vergaß. So ein Schicksal wünschte man nicht mal seinem schlimmsten Feind. Die Welt konnte ein grausamer Ort sein. Trotzdem wollte der Blondschopf es nicht einfach darauf ankommen lassen. »Weißt du, gibt es denn irgendeine Möglichkeit diesen Fluch zu verlangsamen? Helfen Notizen über die gemeinsame Zeit, Bilder? Irgendetwas?«, fragte das Mischwesen an Mike gewandt. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben. Alles andere ließ er nicht gelten. Die Tatsache, dass er Mike nach diesen zwei Wochen unter Garantie vergessen würde, war einfach ungerecht, frustrierend, nervenaufreibend - schlichtweg einfach scheiße und zum Kotzen.
Er war sich sicher, dass Damian ihm gleich eine kleben würde. Er hatte es immerhin schon angedroht und dabei ziemlich ernst geklungen. Mike sah sich schon zusammensacken, wie das Fliegengewicht, das er war und er hätte es weiß Gott wie sehr verdient. Er war nicht nur frech zu Damian gewesen, sondern ausfallend und regelrecht böswillig. Er hatte Damian sein Handy aus der Hand geschlagen, während der andere einfach nur interessiert und freundlich gewesen war. Was stimmte nicht mit ihm? Aus Reflex hob er schon leicht die Arme an und kniff die Augen zusammen, als Damian näherkam, in der Hoffnung, den Schlag oder Tritt oder sonst etwas abfangen zu können. Doch statt der erwarteten Schmerzen und einer unsanften Landung auf dem Parkett, spürte Mike nur, wie zwei Arme sich um ihn legten und ihn geradewegs an Damians Brust zogen. Perplex blinzelte Mike gegen die schwarzen Strähnen an, die ihm ins Gesicht gefallen waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass Damian ihn jeden Moment in den Schwitzkasten nehmen würde, erschien dem Werwolf gerade deutlich größer als die vollkommen abwegige Möglichkeit, dass er tatsächlich umarmt wurde. Er wurde nicht umarmt, von niemandem, nicht mehr seit er aus dem Kindergartenalter rausgekommen war. Er wusste nicht wohin mit seinen Armen, die an ihm herabhingen, wie nasse Handtücher. Sein ganzer Körper fühlte sich schwer und starr an, als wäre er eine deplatzierte Schaufensterpuppe. Hätte Damian ihm eine verpasst, hätte Mike wenigstens gewusst, wie er reagieren sollte. Aber nun zeigte sein Hirn bloß einen hässlichen Blue screen an. Zum Glück schwieg Damian dabei nicht. Sonst hätte Mike sich selbst einen Kinnhaken gegeben und eine Reise ins Traumland spendiert. Die Peinlichkeit, die er gerade fühlte, war nicht mehr mit vielem zu übertreffen. „Bilder…“, murmelte er leise und beinahe fragend. Langsam startete sein Gehirn neu und riss ihn aus der Benommenheit und Verwirrung. Er räusperte sich und dehnte seine Schultern etwas, um seine steifen Muskeln (und hoffentlich die Umarmung) zu lösen. „Bilder helfen ein bisschen, für ein paar Tage. Am meisten hilft’s wenn—“ Er atmete verlegen aus und entfernte sich wieder einen Schritt von Damian. „Wenn man viel Zeit zusammen verbringt, ist ja irgendwie logisch, so.“ Sein Instinkt sagte ihm: da vorn ist die Tür. Renn einfach raus und erspar dir das alles hier. Aber mit seinem Pegel würde Mike sowieso nicht weit kommen, bevor er über irgendetwas stolperte und sich die Schneidezähne raushaute. Träge lief er wieder zurück zu dem Tisch, auf dem sie ursprünglich saßen und hüpfte auf die Tischplatte. Vielleicht war er doch noch nicht so motorisch eingeschränkt, wie er dachte. Sich vom Gegenteil überzeugen, wollte Mike aber nicht. „Du kannst mir jetzt eine kleben für dein Handy. Isses kaputt? Ich kann das nämlich nicht bezahlen.“ Und ersteres meinte er todernst. Er war vielleicht ein Giftzwerg und ein Rotzlöffel, aber er hatte trotzdem seine Ehre. Und gerade jetzt, wo er von einer peinlichen Situation in die nächste stolperte, mit der Umarmung als Kirsche auf der Torte, musste er doch seine männliche Ehre verteidigen. Dass Damian ein kleines, trauriges, betrunkenes Würstchen wahrscheinlich nicht verhauen wollte, kam ihm dabei nicht in den Sinn.
Anders als erwartet, rastete der Kleinere bei der plötzlichen Umarmung nicht aus. Vielleicht hatte er seine Ausraster für den jetzigen Zeitpunkt bereits verbraucht. Es waren immerhin ein paar dabei gewesen. Zuletzt wurde sogar sein Handy in Mitleidenschaft gezogen. Es war allerdings auch nicht weiter verwunderlich, dass Mike diese Umarmung nicht erwiderte. Wäre auch zu viel des Guten gewesen. Aber manchmal konnte ein wenig Körperkontakt wahre Wunder bewirken. Zwar war Damian nicht so sehr auf Körperkontakt ausgerichtet, aber gegen eine Umarmung war absolut nichts einzuwenden. Auch nicht zwischen Jungs. Jeder der behauptete das wäre schwul, war einfach nur neidisch und wünschte sich ebenfalls in den Arm genommen zu werden. Es dauerte ein paar Momente, bis der Schwarzhaarige seine Stimme wieder fand. Immerhin halfen Bilder ein wenig, wenn man Mikes Aussage Glauben schenken durfte. Aber der Kleinere war damit noch gar nicht am Ende angelangt. Zuerst brachte er Abstand zwischen sich und Damian. War vollkommen in Ordnung. Damian wollte niemanden gegen seinen Willen umarmen, außer zum Spaß oder um denjenigen zu ärgern. Manchmal musste man eben zu drastischen Mitteln greifen. Zeit zusammen verbringen und damit die Erinnerungen frisch zu halten, klang auf alle Fälle einleuchtend, aber darauf war der Blondschopf irgendwie gar nicht gekommen. Er hatte eben ein wenig komplizierter gedacht. »Hmmm...bin mir nicht sicher, ob du davon begeistert wärst, wenn ich dir so auf die Pelle rücke.«, grinste der Blondschopf während er Mike dabei beobachtete, wie er wieder zu ihrer Sitzgelegenheit schlenderte und sich darauf platzierte. Seine Mischung hatte er in dem Moment wohl vergessen. Spätestens wenn der Durst zurückkehrte, würde er seinen Hintern wieder bewegen müssen. Mike bestand regelrecht darauf, dass Damian seinen Zorn an ihm ausließ und ihm eine reinhaute. Er hatte es zwar angekündigt, aber es auch wirklich auszuführen war eine andere Sache, die er eigentlich nicht vorhatte. Vielleicht würde so eine kleine Prügelei Mikes Ego aufpolieren. Der Italiener war ein wenig überfordert mit seiner Aufforderung. »Handy funktioniert noch. So einen kleinen Flug kann es schon ab.« Zumindest sollte in nächster Zeit kein weiterer Flug dazu kommen, sonst konnte er das Gerät sicher schmeißen. Kurz fixierten die goldenen Irden den Schwarzhaarigen, ehe er die Distanz zu ihm wieder schloss und mit sich haderte. Sollte er wirklich gewalttätig werden? Die Antwort war definitiv nein. Damian atmete kurz ein und wieder aus, ehe er seine Hände hob und Mike in die Backen kniff. »Mach's einfach nicht noch mal, sonst werd' ich mir dein Handy als Ersatzgerät zu eigen machen.«, grinste er und wackelte mit den Augenbrauen. Auch sein Glas stand noch immer auf der Theke, aber er hatte jetzt keinen Nerv mehr sich dorthin zu bewegen, daher ließ er sich ebenfalls wieder auf dem Tisch nieder. »Wie wärs, wenn wir gleich mal mit 'nem Bild anfangen?«, wandte er sich an Mike und wollte somit zeigen, dass er bereit war gegen diesen 14-Tage-Fluch anzugehen. Konnte doch nicht unmöglich sein diesen Fluch zu umgehen.
Er wäre alles andere als begeistert davon, wenn Damian ihm in der Öffentlichkeit so auf die Pelle rückte, das stimmte. Vor allem, wenn der Blonde auch ohne Alkoholeinfluss zu übertriebenem Körperkontakt neigte. Gerüchte gingen an einer Schule — besonders in einem Wohnheim — schnell rum und selbst wenn sie nur für zwei Wochen kursierten, wollte Mike sich das nicht antun. Damian bestimmt auch nicht. Er musterte Damian von seinem Platz aus und zuckte schließlich scheinbar unbeteiligt mit den Schultern. Die Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen. Am liebsten hätte Mike einfach nur ein nicht einzuordnendes Grunzen von sich gegeben und das Thema unter den Tisch gekehrt. So, wie er eben üblicherweise mit Dingen umging, die ihm unangenehm waren. „Wenn du dich mal in der Mensa zu mir setzt… würd‘ ich mit klarkommen“, nuschelte er unwillig. Das wäre jedenfalls besser, als immer allein zu essen wie ein Loser. Nickend nahm er dann zur Kenntnis, dass das Handy noch funktionierte. Müsste Mike auch noch eine Reparatur bezahlen, hätte das diesem Scheißtag die Krone aufgesetzt. Nachdem er sich wieder auf den Tisch gesetzt hatte, war er schon fast in sich zusammengesackt, vor sich anbahnender Müdigkeit. Erst als Damian, auf seine Aufforderung hin, wieder auf ihn zukam, richtete Mike seinen Oberkörper auf und verfolgte die Bewegungen des anderen. Er konnte sich eigentlich nur schwer vorstellen, dass Damian ihm hier und jetzt eine verpassen würde, besonders da das Handy den Fall schadenfrei überlebt hatte. Trotzdem wandte Mike den Blick nicht ab und wurde etwas nervös, als Damian unmittelbar vor ihm die Hände anhob… und ihm in die Backen kniff, als wäre er ein kleiner Bub, der etwas ausgefressen hatte. „Ey—!“ Wäre es jetzt in Ordnung, Damian eine Kopfnuss zu verpassen? Mike spielte ernsthaft mit dem Gedanken, es einfach zu tun. Stattdessen fuchtelte er mit den Händen und schüttelte den Kopf, als würde er eine Fliege loswerden wollen und er war weniger eingeschüchtert von der Vorstellung, sein Handy abtreten zu müssen, als davon noch einmal angetatscht zu werden. Gerne hätte er Damian auch die Meinung gegeigt, doch er fühlte sich sowohl körperlich als auch geistig zu schlapp, um sich noch einmal in Rage zu reden. Also schnaubte er bloß beleidigt vor sich hin und rieb sich ein paar Mal über die Wangen. Wann hatte man ihn zuletzt dazu aufgefordert ein Bild von ihm machen zu wollen? Zur Einschulung? Nach allem, was heute passiert war, sollte ihn so eine einfache Frage nicht aus der Fassung bringen, doch das tat sie zugegebenermaßen ein bisschen. „Uhm… ein Bild von mir?“ Er blinzelte Damian fragend und mit zusammengeschobenen Augenbrauen an und fuhr sich nebenbei mit den Fingern durchs Haar, um es halbwegs zu sortieren. Er musste aussehen, wie zweimal von einem Lkw überfahren. Dann dämmerte es ihm, dass Handys eine Frontkamera besaßen und er somit nicht als einziger vor der Linse sitzen müsste. „Dann bist du aber auch mit drauf. Ich lass hier nicht nur meine Fresse verewigen“, erklärte Mike schließlich, nachdem er die anfängliche Verwirrung überwunden hatte, und lehnte sich ein Stückchen zu Damian rüber. Solange die Schultern sich nicht berührten, war alles gucci.
Sich ein paar Mal zu Mike zu setzen, sollte kein Problem darstellen. Damian bezweifelte nur, dass dieser Kontakt nicht ausreichen würde. Aber was konnte er schon dagegen machen, wenn der Schwarzhaarige für mehr nicht zur Verfügung stand. Irgendwie konnte der Blondschopf es auch verstehen, schließlich war es doch etwas neues, wenn plötzlich jemand Interesse an ihm zeigte. Er war bislang vermutlich immer auf Abstand geblieben, weil es sowieso keinen Sinn gemacht hätte eine Freundschaft in Erwägung zu ziehen, die nach 14 Tagen zum Scheitern verurteilt war. Wenn er so darüber nachdachte, war es schon ziemlich traurig und hart. »Einmal? Ist das nicht zu wenig?«, grinste der Blondschopf. Aber er sollte bereits froh sein, dass Mike überhaupt zugestimmt hatte. Wie zu erwarten war der Schwarzhaarige von Damians Kneif-Aktion wenig begeistert. Er hatte sich auch nicht lumpen lassen und ordentlich reingekniffen. Wie eine lästige Fliege wurde er abgewehrt. Trotzdem konnte man die roten Abdrücke noch an den Wangen sehen und diese würden auch noch ein ganze Weile sichtbar sein. Ein Grinsen konnte er sich deswegen nicht verkneifen. Es war auf alle Fälle besser als eine blutige Nase, die er höchstwahrscheinlich kassiert hätte, wenn Damian auf Krawall aus gewesen wäre. Zum Glück für den Kleineren war Damian kein Schläger, zumindest nicht freiwillig. Die Aufforderung mit dem Bild brachte den Schwarzhaarigen ein wenig aus der Fassung. Was würde ein Bild bringen, wo nur Mike drauf war? Daher konnte er sein Lachen nicht mehr zurückhalten. »War von Anfang an mein Plan gewesen, ebenfalls auf dem Bild zu sein. Sonst macht es ja keinen Sinn.«, sprach der Blondschopf und richtete sich ebenfalls ein wenig die Haare. Dann konnte es ja losgehen. »Du weißt aber schon, dass sich Körperkontakt für ein freundschaftliches Foto nicht vermeiden lässt.«, warnte er den Kleineren vor. Und das sollte Warnung genug sein, als er den Schwarzhaarigen bei der Schulter packte. Sein Handy hatte er bereits griffbereit. Allerdings war er nicht gerade ein Meister darin Selfies zu knipsen. Er vertrat die Meinung, dass man keine 1.000 Selfies in seinem Handy brauchte, schließlich konnte man sich jeden Tag im Spiegel betrachten, was er allerdings nicht mehr als nötig tat. Damian fummelte ein wenig mit seinem Handy rum, als er das erste Mal den Auslöser betätigte. Ein paar mehr Bilder konnten nicht schaden, sollte das erste totaler Mist geworden sein. »Bist du besser im Selfies machen? Dann würde ich dir gerne das Zepter übergeben.«, gestand der Blondschopf und verzog ein wenig den Mund, weil es doch ein wenig peinlich war zuzugeben, dass man ein absoluter Selfie-Noob war.
Tatsächlich wusste Mike gar nicht genau, wie viel Zeit er mit Damian verbringen müsste, um das Fortschreiten des Fluchs zumindest etwas auszubremsen. Es gab keine Schriften, die belegten, wie häufig man zusammen zu Mittag essen müsste, um das Vergessenwerden hinauszuzögern. Natürlich hatte seine Familie zahlreiche Experimente betrieben, doch Mike hatte sich diese nie genauer angeschaut, geschweige denn verinnerlicht. Ihm kam kurz der Gedanke, ob er Damian für solch einen Versuch begeistern könnte, doch er musste sich eingestehen, dass ihm sowohl die Mittel als auch der Antrieb dafür fehlten. „Mach doch was du willst“, erwiderte Mike etwas patzig auf Damians ach so witziges Scherzchen, war aber nicht wirklich eingeschnappt. Zumindest nicht so sehr, als dass er das Handy des anderen wieder quer durch den Raum katapultieren würde. Freundschaftlich, Körperkontakt – Worte, die Mike höchstens ironisch oder abwertend benutzte und die ihm fast die Galle hochsteigen ließen. Hätten seine trägen Gliedmaßen es zugelassen, wäre es prompt vom Tisch gehüpft und sich in Whiskey-Cola ertränkt, bevor er einem gemeinsamen Selfie nach Damians Art zugestimmt hätte. Doch der Blonde hatte ihn bereits in der Mangel, bevor Mike den Absprung auch nur in Erwägung ziehen konnte. „Das lässt sich sowas von vermeiden!“, meckerte er und versuchte sich vergeblich aus Damians Umklammerung herauszuwinden. Zugebenermaßen waren seine Versuche recht halbherziger Natur, aber er musste wenigstens einen Kampf andeuten. Das verlangte ein ungeschriebenes Gesetz, das er sich selbst auferlegt hatte. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als den Blick betreten zwischen der Kamera und dem Boden pendeln zu lassen. Die ganze Situation fühlte sich unnatürlich an. Selfies waren unnatürlich und Mike mochte sie nicht. Deswegen bevorzugte er Fotos, die zufällig entstanden. Er schüttelte auf Damians Frage hin bloß den Kopf. „Nein, ich hasse Selfies. Die sehen fast immer dämlich aus.“ Während er sprach, fühlte er sich bereits, wie ein neunzig-jähriger Knacker, der den Fernseher verteufelte, weil bewegliche Bilder Hexerei wären und sowieso niemals das Radio ersetzen könnten. Daher riss er Damian eine Sekunde später wortlos das Handy aus der Hand und knipste ein paar Fotos aus unterschiedlichen Winkeln. Er verzichtete darauf, die Aufnahmen hinterher in der Galerie zu begutachten und drückte das Handy wieder Damian in die Hand, bevor es noch versehentlich aus seinen wackeligen Fingern rutschte. „Da wird wohl eins dabei sein, das nicht verschwommen ist. Du willst das Bild ja sowieso nirgendswo hochladen“, sagte er. Letzteres mit Nachdruck. Mike könnte noch damit leben, wenn das Foto in irgendeinem Netzwerk auftauchte, solange Damian es nicht als Profilbild reinstellte. Aber wieso sollte er auch? Ein Gähnen unterdrückend, rieb Mike sich die Augen und ließ sich daraufhin rücklings auf die Tischplatte fallen. Er verschränkte die Arme hinterm Kopf und konnte das Gähnen nun nicht mehr zurückhalten. „Ich glaub du musst mir meine Mische mit ‘nem Strohhalm einflößen. Ich steh‘ nicht mehr auf…“, brabbelte er mit halbgeschlossenen Augen. Wobei Damian wahrscheinlich zu verantwortungsvoll wäre, um ihn noch mehr Alkohol trinken zu lassen. Noch ein, zwei Gläser und Mike würde nicht auf, sondern unter dem Tisch liegen.