Betritt man die gewölbte, hölzerne Eingangstüre des Yanega Anwesens, so steht man inmitten eines saaähnlichen Vorraumes, dessen stets gepflegter Boden mit roten Teppichen ausgestattet ist. Direkt neben dem Eingang befindet sich ein Sofa mit einem Beistelltisch - hier können beispielsweise Gäste oder Familie der Bewohner empfangen werden. Die Wände sind sehr hoch und auch die Fenster von großem Ausmaß, weshalb das Innere des Anwesens tagsüber stets von Licht durchflutet wird. Im Osten und Westen des großen Foyers schließen zwei weitere Flügel an. Während man über den Westflügel zu gewissen Räumlichkeiten wie etwa den Speisesaal, der Küche oder zur Heimleitung kommt so würde man über den Ostflügel die eher stilleren Räume wie das Krankenzimmer erreichen können. Im hinteren Bereich des Vestibüls besteht nach wie vor der bauliche Aspekt eines Empfangs, bevor zwei Treppen den Weg nach oben weisen. Womöglich diente das Anwesen in früheren Zeiten als ein Gästehaus. Heute wird die Rezeption nicht mehr genützt, was natürlich nicht bedeutet, dass sich hier nicht hin und wieder Schüler einen Spaß erlauben und Gebühren für den Übergang in den ersten Stock verlangen.
In Windeseile raste ich auf mein Zimmer, schnappte meine Duschsachen und sprang unter die Dusche. Ich hatte es vergessen. Wie konnte ich den Ball denn einfach so vergessen? Wütend darüber, dass ich es vergessen hatte, stapfte ich wieder aus der Dusche und versuchte meine Haare möglichst schnell gebändigt zu bekommen. Die Hochsteckfrisur die daraus entstand gefiel mir dann doch recht gut und im Endeffekt mochte ich das Ergebnis das ich im Spiegel sah. Trotzdem war ich zu spät. Mal wieder viel zu spät. Das war das einzig Positive an dem Vorfall im Waschkeller mit Lavi. Er hatte mich zum Glück noch daran erinnert. Dumm nur das er da jetzt nicht mehr hingehen wollte. Jetzt da sein Hemd dem Bügeleisen gnadenlos zum Opfer fiel. Das war schon ziemlich unglücklich, konnte ja niemand voraussehen, dass das passieren würde. Zum Glück hatte ich das perfekte Kleid für den Anlass. Ein schönes Blutrotes Ballkleid. Passende hohe Schuhe und es konnte losgehen. In zügigen Schritten ging ich den Gang entlang und machte mich auf den Weg. Doch im Foyer blieb ich abrupt stehen. Was hatte ich da gerade aus dem Augenwinkel wahrgenommen? Das konnte doch nicht… „DU?“, ich war so verwirrt, ich konnte ihn nicht einmal mit Namen ansprechen. Gerade noch war er sein schickes Hemd am Bügeln und jetzt das? „Wie kommst du denn zu diesem downgrade?“, ich zeigte demonstrativ auf seine Putzutensilien und wusste selbst nicht ob ich lachen oder mich ekeln sollte. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso er ausgerechnet jetzt auf die Idee kam zu putzen, wie er überhaupt auf die Idee kam zu putzen. Ja das Wohnheim war jetzt kein Nobelschuppen, aber für diese Arbeiten hatte selbst diese Heimleitung dafür gesorgt, dass nicht auch noch die Schüler ranmussten. „Oder besserst du dein Taschengeld damit auf? Seit wann machst du das schon? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich natürlich darauf geachtet, dass du nicht so viel zu tun hast.“, mein Lächeln wurde breiter. Ich hatte mich also entschieden und fand es wohl lustig Lavi so zu finden.
Endlich hatte ich meine Stimmung, mit dem Vorhaben zu putzen, wieder zu einem Hochpunkt getrieben. Doch noch bevor ich das erste Mal den Lappen schwingen konnte, wurde ich auch schon unterbrochen. Eine mir viel zu bekannte Stimme erklang plötzlich im Foyer und ich schloss kurz meine Augen, um die Fassung zu bewahren. Wir liefen uns so selten über den Weg und dann mussten wir uns aus gerechnet heute zwei Mal sehen? Anstatt sich in einem angemessenen Ton mit mir zu unterhalten, hallte Emilys Stimme viel zu laut und schrill durch die Halle. Langsam drehte ich mich zu ihr um und sah sie mit einer hoch gezogene Augenbraue an. „Downgrade? Entschuldigung, aber was-.“, Eigentlich wollte ich ihr mit meiner üblichen Art klarmachen, was für einen Müll sie mal wieder von sich gab, doch dann bemerkte ich ihr Outfit. Sie trug ein langes, rotes Kleid und hatte sich die Haare hoch gesteckt. Bisher hatte ich sie immer nur in der üblichen Schuluniform oder in nicht bemerkenswerten Outfits gesehen, deswegen brachte mich dieser Anblick zum schweigen. Ich runzelte meine Stirn während ich sie erneuert musterte und sie irgendetwas von sich gab, ob ich mein Taschengeld aufbessern wolle. Ich hörte ihr jedoch nicht wirklich zu. Viel mehr überlegte ich was ich von ihrem Aussehen halten sollte. Das Rot stand ihr gut, aber jede Blondiene konnte diese Farbe tragen, es war also nichts besonders und trotzdem… Kaum merklich schüttelte ich meinen Kopf. „Die viel wichtigere Frage ist, für wen du dich bitte so angezogen hast? Du kannst mir nicht erzählen, dass du ein Date für den Ball hast.“ Dir Vorstellung war einfach lächerlich. „Ich glaube ja nicht, dass es sich für dich lohnen würde dahin zugehen. Nimm dir lieber auch einen Putzeimer und mach hier sauber.“ Ich hielt ihr auch schon gleich einen hin und verkniff mir einen weiteren Kommentar á la das sie auch ihr Kleid als Putzlappen nehmen könnte. Irgendwie wollte ich gerade nicht ganz so gemein sein.
Ich stand einfach so da. Hübsch. Breit grinsend und wartetet darauf, dass er sich endlich umdrehte und auf meinen Kommentar einging. Er drehte sich auch um, stockte aber mitten im Satz und sah mich einfach nur an. Da kam einfach nichts mehr. Bei jedem anderen wäre mir das relativ egal gewesen, aber von ihm hätte ich irgendwas Gemeines erwartet. Aber es kam einfach nichts und sein Blick konnte ich auch nicht wirklich deuten. Hielt er einfach einen seiner üblichen Kommentare zurück oder war er wirklich überwältigt von mir? Zum ersten Mal seit langer Zeit ärgerte ich mich darüber, dass ich damals nicht auf meine Mutter gehört hatte. Ich hätte ich wirklich mehr mit meiner nicht ausgereiften Fähigkeit der Gedankenmanipulation beschäftigen sollen, dann hätte ich vielleicht raus finden können was er gerade dachte. Während ich mich also über die stille ärgerte, bemerkte ich gar nicht, dass aus meinem Grinsen ein leichtes schmollen geworden war. Das ging so nicht! Das war nicht unsere Art! Glücklicherweise fand er seine Stimme wieder. Halleluja! Doch dass was aus seinem Mund kam hätte auch genauso gut da drinbleiben können. Er sprach mich zwar nicht auf mein Outfit an, was wahrscheinlich einfach daran lag, dass nichts Nettes aus dem Kohlkopf kommen konnte, stattdessen sprach er einfach das offensichtliche aus. Ich. Hatte. Kein. Date! Was war ich für eine Nullnummer geworden? Ohne Date auf einen Ball zu gehen…da hätte man sich in meiner Welt auch direkt begraben können. In diesem Moment wäre es mir sogar lieber gewesen Lavinia hätte mich zum Ball begleitet als dort alleine hinzugehen, aber er wollte lieber mit seinem Putzeimer spielen. Die Fassungslosigkeit schlug allmählich wieder in Wut um. Wut auf den Kohlkopf, dass er mich nicht mal fragen wollte. Es hätte garantiert keine hübschere Begleitung gegeben. Ob ich mit ihm dahin gehen wollte war noch mal eine andere Sache. Ich war mir über seinen Ruf an dieser Anstalt nicht ganz im Klaren und wusste also auch nicht ob es dann so gut war mit ihm dort gesehen zu werden. Mein Blick wanderte zwischen dem Weg, den ich gehen wollte und Lavinia hin und her, bis er mir plötzlich einen Eimer hinhielt. Was sollte das denn jetzt werden? „Ähm…“, ich zeigte auf mein Kleid und meine Schuhe, nur um es für die ganz unterbelichteten deutlich zu machen, dass ich garantiert nicht zum Putzen hier war. Dennoch kam ich zu ihm herüber, unterdrückte dabei gekonnt einen Kommentar, wie gut er als Putzfrau aussah und nahm mir sämtlich Putzutensilien. Zum Glück konnte ich den hohen Schuhen laufen, so sah ich immerhin noch gut aus mit einem Wischmopp in der Hand. „Wir nehmen das jetzt einfach und…“, etwas unhandlich öffnete ich die Tür der Abstellkammer und warf alles einfach achtlos hinein, „…lassen das einfach hier. Wie armselig ist das denn wenn alle ihren Spaß haben und du hier den Dreck der anderen wegwischst?“ Zufrieden sah ich ihn an, bis mir auffiel, dass ich etwas Unbekanntes fühlte. Was war das? Sorge? Mitleid? Oder war mir einfach nur übel, wenn ich ihn so sah? Mit meinem Zeigefinger und dem Daumen nahm ich ihn am Handgelenk und zerrte ihn Richtung Treppe. „Irgendwas wirst du ja wohl zum Anziehen haben, auch wenn ich das stark bezweifle das es für den Anlass passend sein wird, aber wir werden schon was finden.“
Auch Emily schien plötzlich etwas sprachlos zu sein, was aber eindeutig nicht an meinem Outfit liegen konnte, sondern eher an meiner Aufforderung, dass sie mit mir mit putzen sollte. Tatsächlich war ich mir ziemlich sicher, dass sie mir eher den Eimer um den Kopf hauen würde, als dass sie mit mir hier nur einen Millimeter putzen würde, doch dann nahm sie mir den Eimer plötzlich ab. In mir keimte direkt Hoffnung auf und mein Gehirn formulierte schon das Wort „Traumfrau“, aber so schnell wie dieser Gedanke gereift war, wurde er niedergetrampelt. Emily riss schwungvoll die Abstellkammer auf und warf einfach alle Putzutensilien rein. Geschockt sah ich sie an, allein schon, weil sie die Sachen nicht ordentlich rein gelegt hatte. Sie schwafelte irgendetwas davon, dass es armselig sein sollte, dass wir hier putzen und andere ihren Spaß hätten auf dem Ball. Was redete sie dort nur für einen Müll? Doch bevor ich etwas erwidern konnte, fast sie mich am Handgelenk und zog mich mit sich. Ihr Plan war es wirklich mir nun was anderes anzuziehen, um dann weiter auf den Ball zu gehen. „Hörst du dir eigentlich selber zu, wenn etwas aus deinem Mund raus kommt?“ Ich blieb vor der Treppe stehen und ließ mich nicht weiter mitziehen. „Wegen dir habe ich nichts mehr zum anziehen, Emily.“ Ich sah sie eindringlich an, denn genau das war die Wahrheit. „Außerdem habe ich River schon gesagt, dass ich heute Abend nicht komme.“ Gott sei Dank, hatte @River bisher ihren Mund gehalten und niemanden ausgeplaudert dass wir verwandt waren. „Ich weiß auch gar nicht, was ich in einer überfüllten Turnhalle soll, wo alles nur so von Schweiß stinkt, ekliges Essen von der Schulkantine gibt und die schreckliche Musik ohrenbetäubend laut ist?“ Ja, ich war zubeginn begeistert von diesem Ball gewesen, aber je länger ich darüber nachdachte, um so sicherer war ich mir, dass ich da nicht hin wollte. Immerhin würde er eh niemals mit den Veranstaltungen mithalten können, welche ich früher mit meiner Mama besucht hatte. „Da würde ich ja sogar lieber mit dir den Abend in dem ungemütlichen Wohnzimmer verbringen und einen Horrorfilm schauen.“ Und dies war nicht mal gelogen. Das Wohnzimmer hier im Wohnheim war schrecklich und die Vorstellung auf dem Sofa dort sitzen zu müssen, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Horrorfilme waren außerdem meine Endgegner und Zeit mit Emily verbringen… naja, diese Momente endeten meistens in einem großen Streit. Also würde dies alles verbinden, was ich nicht leiden konnte und doch würde ich dies nun eher tun, als auf diesen Ball zugehen. Besonders da ich ihn in einem viel zu schlichten Outfit besuchen müsste. „Und wenn du unbedingt Tanzen willst, dann würde ich dies auch mit dir hier im Wohnheim tun, aber auf den Ball wirst du mich heute nicht bekommen.“
Das Lavinia nicht ohne weiteres mitkommen würde, damit hatte ich schon gerechnet. Wenn er vorgehabt hätte auf den Ball zu gehen, dann hätte ich ihn sicherlich nicht hier in dem Aufzug gefunden. Ich hörte ihn nur rumnörgeln, hörte aber gar nicht richtig zu, bis er abrupt vor der Treppe stehen blieb. Hatte ich das gerade richtig verstanden? Er gab mir die Schuld für sein verbranntes Hemd? Und was sollte dieses ganze Hick Hack? Erst wollte er dahin und jetzt nicht mehr? Sind wir hier im Kindergarten? Ganz nach dem Motto: „Jetzt spiele ich nicht mehr mit dir“? Wie auch immer. Keine Ahnung wo er herkam, aber bei uns hatte man sich auf gesellschaftlichen Anlässen blicken zu lassen. Ja, das hier war nicht vergleichbar mit meinem alten Leben, dennoch schimpfte sich diese Veranstaltung „Ball“ und dann sollte man da doch auch hin gehen oder? Aber alles was aus seinem Mund kam ließ mich doch langsam daran zweifeln dort hinzugehen. Vielleicht sollte ich die Zeit doch lieber mit ihm verbringen und ihm einfach beibringen, dass man ab und zu einfach seine Klappe hielt. Mit meinem strahlendsten Lächeln drehte ich mich zu ihm um. Es sah täuschend echt aus, aber am liebsten hätte ich ihm eine Kopfnuss gegeben, viel hat nicht mehr gefehlt und nah genug war er auch. „Ich bin Schuld daran, dass du nichts mehr zum Anziehen hast?“, fragte ich nochmal nach und mein Mundwinkel zuckte noch ein Stückchen weiter nach oben. „Soweit ich mich erinnere habe ich das Bügeleisen nicht auf dein Hemd gestellt und es dort vergessen.“ „Aber gut…“, ich sah ihn nochmal demonstrativ von oben nach unten an, „…gegen falsche Wahrnehmung kann man anscheinend nichts machen.“, ich zuckte mit den Schultern und ging langsam um ihn herum. „Was genau du da machen sollst? Spaß haben, wie auch immer das bei dir aussieht. Meinetwegen kannst du auch den Putzeimer mitnehmen, ist mir egal. Das Essen aus der Schulkantine ist nicht anders, als dass was wir hier eh jeden Tag vorgesetzt bekommen, falls überhaupt noch was da ist, so spät wie es mittlerweile ist. Keine Ahnung wie es in deiner Welt zugegangen ist, aber bei solchen Veranstaltungen konnte man immer die besten Verbindungen knüpfen und wer weiß schon wozu man die hier noch braucht.“, ich sah mich noch mal um. Definitiv um hier raus zu kommen. Dafür brauchte man immer ein paar Sündenböcke. „Deiner F…“, ich verschluckte mich fast an dem Wort, fasste mich dann aber doch wieder, „Deiner Freundin River wird es bestimmt auch freuen, wenn du doch kommst.“ Wie konnte der Typ zwischen Putzeimer und Wischmopp überhaupt eine Freundin haben? Mir gefiel es überhaupt nicht, schon gar nicht, dass sie offensichtlich sein Date gewesen wäre. In dem Augenblick war ich froh hinter Lavinia zu stehen, so dass er nicht sehen konnte, dass mein Lächeln verschwunden war. Blödmann. Jetzt hätte er auf jeden Fall eine Kopfnuss verdient. Doch dann gab er Äußerungen von sich, die mich doch stocken ließen. Er würde lieber Zeit mit mir verbringen als dorthin zu gehen. Klang aus seinem Mund zwar immer noch wie eine Beleidigung, aber irgendwie fühlte es sich trotzdem merkwürdig an. Wärme? Freude? Tatsächlich war mir etwas warm geworden. Ich zuckte mit den Schultern. Die Nächte waren kalt, vielleicht wurden abends die Heizungen höher gedreht. „Das klingt alles wirklich super, aber guck mich an, guck dich an. Ich würde zwar mit dir tanzen, aber sicherlich nicht in deinem Aufzug.“, mit diesen Worten schob ich ihn weiter zur Treppe. Wie konnte man sich nur so gegen Hilfe wehren?
Verwundert stellte ich fest, dass Emily wirklich versuchte mich zu überreden zu dem Ball zu gehen und wäre das nicht schon ungewöhnlich genug, schien zu wollen, dass ich mit ihr dort hingehe. Sofort fingen an meine Alarmglocken zu schrillen. Irgendetwas musste sie planen. Irgendetwas Gemeines. Niemals würde sie freiwillig mit mir auf einen Ball gehen oder allgemein mit mir gesehen werden wollen. Wahrscheinlich wartet in der Turnhalle ein Eimer mit Schweineblut darauf über mich gegossen zu werden. Ich hörte ihrer Argumentation genau zu. Nichts ihrer Worte ließ auf so einen gemeinen Verrat hindeuten, doch ich konnte ihr es zutrauen. Obwohl sie an ihrer Überredungskunst eindeutig noch arbeiten musste. „Jeder Grund den du gerade aufzählst, weswegen ich dort hingehen sollte, ist für mich genau einer der Gründe weswegen ich hier bleibe.“ Das nächste Argument welches sie brachte, war noch dümmer als die davor. „River ist nicht meine Freundin und mir ist egal, worüber sie sich freut.“ Klar, ich wollte nicht, dass jemand wusste, das River meine Cousine ist, aber für meine feste Freundin sollte sie auch keiner halten. Das wäre nämlich ziemlich ekelhaft. Aber anscheinend konnte ich eh sagen was ich wollte, denn Emily drückte mir ihre Hände in den Rücken und schob ich weiter die Treppen hoch. Genervt seufzte ich. „Okay, ich ziehe mir was anderes an, aber auf den Ball werden mich heute keine zehn Pferde bringe, also verschwende deinen Atem nicht damit, mich zu überreden.“ Ich setzte mich selber in Bewegung und ging die restlichen Treppenstufen hoch, ohne das Emily mich weiter schieben musste. Wenn ich nun eh nicht putzen würde, dann konnte ich mir halt wirklich was anderes anziehen.
Es war verdammt früh, als ich das Wohnheim erreichte. Aber es gab da eine wichtige Sache, die ich noch erledigen wollte. Erledigen musste! Nach dem Auftritt heute war das jetzt der beste Zeitpunkt dafür. Mein erster Weg führte mich in mein Zimmer, wo ich mein Goldstück an seinem Platz ablegte. Dann schnappte ich mir ein Zettel, einen Stift und begann fleißig zu schreiben. Es dauerte eine ganze halbe Stunde, bis ich alles so formuliert hatte, wie ich es haben wollte. Zufrieden damit gab ich dem ganzen noch eine ganz persönliche Note - ein Pfotenabdruck - und spazierte damit hinunter ins Foyer ans Schwarze Brett, wo ich den kleinen Aushang gut sichtbar in der Mitte platziert anhängte. Anschließend ging ich gähnend wieder hinauf in mein Zimmer und zog mich um. Auch wenn ich eine sehr energiereiche Katze war, hatte mich der Tag doch langsam sehr erschöpft und ich war froh mich endlich ins Bett fallen zu lassen. In meine Decke eingerollt und in das Kissen gekuschelt betrachtete ich einige Sekunden lang das kleine Plüschtier, das mich immerzu an Aisa erinnerte und fragte mich, ob ihr der Ball wohl gefallen hätte. Aber dann schob ich die Gedanken auch schon wieder beiseite, schloss die Augen und fiel in einen friedlichen Schlaf.
Kurz noch stande sie mit dem Erzieher vor den Toren des Wohnheims. Sie betrachtete es von außen und konnte sich nur kurz halten, nicht direkt hineinzurennen. Viel wird sich wohl nicht verändert haben und dennoch wollte sie es wissen. Sie lief zur Tür, die zarten Finger griffen die Tür und mit Schwung drückte sie die Tür auf. Sofort kam ein ihr wohlbekannter Duft entgegen. Es roch nach wie vor, wie das frisch renovierte Haus und doch hatte es diesen wunderbaren Anflug von Zedernholz. Die Geruchsnerven der Schülerin waren ohnehin von bemerkenswerter Genauigkeit und so erstrahlte ihr Gesicht in einem schon fast, ja sagen wir, einem verherrlichenden Ausdruck. „Mhhmm.“ Sie breitete ihre Arme dramatisch aus und schlug sie voreinander an ihre Brust als würde sie jemanden innigst umarmen. Nostalgie breitete sich in der rosahaarigen Gestaltwandlerin aus und für einen Moment fühlte es sich nach dem Haus Kurahashi an. Darauf breitete sich natürlich eine kleine Phase der Trauer aus, doch schnell war diese überwunden, genau wie sie aufgekommen war. Sie drehte sich kurz zu Wilson um. „Ich erkunde mal ein wenig das Wohnheim. Vielen lieben Dank, für’s Tasche tragen!“, versicherte sie ihm und machte sich schnurstracks auf den Weg durch die vielen Fluren und Ebenen des Hauses.
Welcher Idiot legte so viel wert darauf seinen Spitznamen auf andere Leute abzuwälzen. Oli … tse. Das klang als würde sie mit einem Elefanten reden, der noch dazu die Hauptattraktion in einem Zoo war. Nicht, dass sie ihm aus eben diesem Grund seinen Spitznamen vorenthalten würde. Es war nur … sich selbst dabei vorzustellen wie man den Namen Oli durch die Gegend rief, war mehr als nur abturnend. Hatte irgendwie den Vibe eines Softies in sich, oder einer Hauskatze die schon dressiert seinem Herrchen folgte. Nein, den Gefallen konnte er sich ganz schnell wieder abschminken. Nicht mal im Traum würde ihr das einfallen. „Mal sehen …“, hüllte sie sich in ein paar wenige Worte der Resistenz, bevor sie sich dann innerlich dazu entschied die Glocke zum Aufbruch zu läuten. Eine Initiative, die prompt von ihrem Gastgeber geteilt wurde. Wenige Minuten später hatte der Blutsauger seine Rechnung vorliegen und musste sich nun selbst mit der niederträchtigen Seite des Marktes auseinandersetzen. Naja, wenn er nicht genug Geld hatte gab es immer noch den Ausweg des Geschirrspülers. Falls – und da war sich Cynthia nicht wirklich sicher – eine Eisdiele sowas überhaupt brauchte. So wie es aussah hatte ihr Gönner seinen Geldbeutel aber unter Kontrolle. Kein plötzliches Geschnorre oder irgendwelche Welpenblicke fanden den Weg in ihre Richtung. Selbst wenn, hätte die Löwin es nicht wirklich mitbekommen, war sie doch mit ihren Blicken gerade ganz woanders. Jemanden die ganze Zeit beim Bezahlen anzustarren war auch einfach nur creepy.
„Ich versteh‘ die Frage nicht.“, schwenkte ihr Blick relativ gelangweilt zu ihm rüber und schon im nächsten Moment stand sie aufgerichtet vor ihm am Tisch. Drauf geachtet, ob hinter ihr gerade jemand entlanglief, hatte sie nicht. Es kümmerte die Löwin aber auch herzlich wenig, immerhin sollte sich bei so einem Gedränge auch keiner einfach so irgendwo durchmogeln. Es war eh alles voll. „Also los, machen wir nen Abgang.“, erwähnte sie noch einmal ihr Bedürfnis von hier zu verschwinden, bevor sie mit einer lässigen Fußbewegung den Stuhl wieder an den Tisch heranschob. Über die Lautstärke beschwerte sich bei dem ganzen Gesabbel sicherlich niemand. Selbst wenn, dann würde es die richtigen Treffen. Wer auch immer am Tisch nebenan der Meinung war seine Lebensgeschichte in einer solchen Lautstärke zu verkünden, dass sie sogar noch den sarkastischen Unterton dabei heraushören konnte. Da wäre eigentlich direkt wieder ein Lutscher fällig gewesen, damit die Gedanken auf andere Bereiche fokussiert werden konnten. Aber – wie so oft – hatte Cynthia diesen Luxus nicht. Zumindest nicht hier. Umso enthusiastischer wurde sich also der Rucksack geschnappt und die Reise gen Wohnheim auf sich genommen. Ob Oliver Schritt halten konnte interessierte sie ziemlich wenig. Sie rannte ja nicht davon, oder so. Dementsprechend würde der dunkelhaarige Blutsauger schon bald aufschließen. Sie würde weiterhin Stur ihrem Weg folgen und die ersten Teile der Reise in sinnlicher Stille verbringen. Erst beim Verlassen der Stadt streckten sich ihre Arme plötzlich rücksichtlos in die Höhe und ein löwenhaftes Gähnen wurde unverkennbar Laut in ihre Umgebung entlassen. Danach zupfte sie wieder ungeduldig an ihren Klamotten herum.
„Alter, ich kann es gar nicht erwarten was anderes am Leib zu haben.“, waren die ersten Worte nach dem Betreten des Parterres. Allerdings nicht ohne Oliver einen leicht kritischen Blick entgegenzuwerfen. Sie war sichtlich gespannt ob Caiwen früher oder später am Nachmittag auf sie zukam. Auch, wenn das wohl kaum eine so interessante Story abgab, dass man sie deswegen extra konfrontieren musste. „Bleibt nur zu hoffen, dass dir deine Kirsche dafür nicht den Kopf abreißt. Wobei … wird vermutlich nicht passieren.“, entgegnete sie leicht belustigt und lehnte sich süffisant grinsend an den Tresen im Eingangsbereich. Dafür war der weinerliche Welpe viel zu zahm und nett. Wobei ihre Fähigkeit der Anpassung ein paar Wünsche offen ließ. „Aber ist im Endeffekt auch vollkommen egal, wenn’s dazu kommt werde ich es eh früh genug mitkriegen.“, ihr Grinsen wurde von dem allseits bekannten gleichgültigen Auftreten abgelöst. Ihre leicht defensiv-aggressiven Züge begann so langsam wieder die Oberhand zu gewinnen. „Also, wenn du noch irgendetwas loswerden willst, hau’s jetzt raus oder halt die Klappe.“, und sie stieß sich leicht lustlos vom Tresen ab um wieder aufrecht im Gang zu stehen. „Ansonsten verzieh‘ ich mich jetzt.“, und er wusste ja wo sie aufzufinden war. Namen standen ja nicht umsonst an der Tür.
"Man widerspricht oft einer Meinung, während uns eigentlich nur der Ton, mit dem sie vorgetragen wurde, unsympathisch ist." - Friedrich Nietzsche
Den Deal, den der Schwarzhaarige aushandeln wollte, schien nur bedingt anklang zu finden. Oliver wusste ja schon bereits, dass Cynthia gerne allen rundherum sich ihre eigenen Spitznamen gab. Grundsätzlich nichts, was nicht schlimm wäre, doch so auch angesprochen zu werden, war einfach nicht so eine coole Sache. Viel eher kam man sich dann dumm vor, vor allem dann, wenn man darauf auch noch reagierte. Aber mit Sunnyboy konnte ja nur der Dämon gemeint sein, immerhin war er der einzige Gesprächspartner, den die Blondine hier beim Eis essen hatte. Trotzdem wollte er in Zukunft nicht auf diesen Namen hören, viel eher wollte er ihn ihr austreiben. Doch ihre Reaktion ließ stark zu wünschen übrig. Ob die Löwin wirklich seinen Namen in Zukunft sagen würde, stand auf einem anderen Stern geschrieben. Aber so schnell gab er nicht auf, da kannte Oli nichts. Aufgeben war nichts für ihn und er wusste, dass Cynthia eines Tages auch normal mit ihm war, so wie heute Nachmittag. Nun ja… zum Teil. Ab und zu hatte das Mädchen den Schwarzhaarigen wirklich überrascht. Wie konnte so ein Rowdy wie sie manchmal doch so nett sein? Das Bild von Cynthia waren lauter einzelne Puzzelteile, die eventuell in Zukunft Stück für Stück von Oli zusammengefügt werden. Der Amerikaner hoffte es, denn er hatte schon das Gefühl, dass sie unter ihrer harten Schale etwas verbarg. Aber das würde die Zukunft zeigen.
Nachdem der Amerikaner bei der Kellnerin gezahlt hatte, machte sich die Löwin auch schon auf den Weg zurück. Sie schien es wirklich sehr eilig zu haben. Nachdem der Dämon das Wechselgeld angenommen und versorgt hatte, stellte er den Stuhl ordentlich hin und ging Cynthia hinterher, die schon einen recht weiten Vorsprung hatte. Sie schien es eilig zu haben ihre Kleidung auszutauschen. Ein Grinsen konnte sich der Amerikaner nicht verkneifen. Sofort eilte er dem Mädchen hinterher und setzte dann seinen Weg neben ihr fort. Das Gespräch während des Weges verlief eher ruhig. Die Vögel zwitscherten, Leute liefen an den beiden vorbei und redeten miteinander, doch der Rowdy blieb ruhig. Jetzt war das komplette Gegenteil von dem zuvor eingetreten. So still war die Löwin davor gar nicht. Das Eis musste sie wohl geschafft haben oder so ähnlich. Aber es war in Ordnung, Oli lief still neben ihr hin und beobachtete dabei die Wolken.
Als die beiden dann im Foyer des Parterres waren, wurde das Eis zwischen den beiden plötzlich gebrochen. Cynthia redete und redete… über seine Kirsche? Verwirrt sah Oliver die Löwin an und wusste nicht, was er nun sagen sollte. Er war sich nicht sicher, wen sie dabei meinte. Aber Cynthia gab ihr danach noch die Möglichkeit, dass er sie darauf ansprechen konnte. „Ich lass dich gleich gehen, aber wen meinst du mit meiner Kirsche? Ich bin in keiner Beziehung oder so“, antwortete er ihr mit dem verwirrten Gesichtsausdruck. Er war sich wirklich nicht sicher, wen sie meinte, aber der Amerikaner hoffte, dass er eine Antwort von ihr bekommen würde. Sicher war er sich aber bei dem Rowdy nicht. Naja, versuchen konnte man es ja mal. Wenn Cynthia keine Lust darauf haben würde, würde sie sicher ohne irgendetwas zu sagen gehen.