Das Krankenzimmer ist ziemlich schlicht gestaltet. Hier und da hängen die üblichen Poster, die nunmal in einem Krankenzimmer hängen sollten. Zwei Betten, die durch Vorhänge voneinander getrennt sind befinden sich in diesen Raum. Diese sind besonders weich... und kuschelig... und verführen schlimmstenfalls zum Schlafen. Ein kleiner, chaotischer Pult, auf dem der Schularzt mit einem Computer arbeiten kann befindet sich neben den Betten. Desweiteren finden sich im ganzen Raum verteilt Medizinschränke und diverse Utensilien wie eine Waage oder ein Messgerät. An einem runden Tisch hat man die Möglichkeit, wichtige Gespräche die die Gesundheit betreffen zu führen. Der Geruch des Raumes ist wegen der vielen Desinfektionsmittel stets ein chemischer.
Zu ihrem Glück befand sich das Krankenzimmer noch im selben Stockwerk, weshalb ihr das Treppensteigen erspart blieb. Nicht, dass sie es nicht getan hätte, nur hatte sie wenig Lust gehabt mit der Verletzen ewig viele Stufen hinauf zu hasten. Im Moment wurde ihr Verstand sowieso nur von einem Gedanken dominiert: Der Kleinen zu helfen, so dass sie die Tür des Zimmers wuchtig auftrat und diese unter der Kraft, die sich hinter ihrem Tritt verbarg, krachend zu Boden ging. Lilian war nicht besonders schwer, aber ihre klaffende Wunde brauchte dringende Behandlung – die Rothaarige tippte bei dem Zusammenbruch auf einen Sepsis Schock. Zwar konnte sie dies erst sagen, wenn sie einen Bluttest machen würde, aber nachdem sie die Schülerin auf eines der Betten gelegt hatte und vorsichtig den Verband löste, sah sie diesen als unnötig an. So entzündet wie die Wunde war, brauchte man kein Arzt sein um sagen zu können, dass Bakterien in den Blutkreislauf gelangt waren. „Oh Gott“ Der Anblick war erschreckend, aber Tiana durfte sich nicht aus der Fassung bringen lassen, weshalb sie die Kompetenz, die man als Ärztin brauchte, an den Tag legte und begann sich darum zu kümmern. Als erstes musste die Wunde geschlossen werden, ansonsten würde das arme Kind noch weitere Probleme bekommen. Ihr Blick legte sich auf das chaotische Pult neben dem Bett – wie sollte man sich da zu Recht finden? Welcher Honk war vor ihr Schularzt? Der hatte einige Ohrfeigen verdient. Es überraschte die Rothaarige überhaupt nicht, dass es dem Mädchen schlecht ging – welcher vernünftige Mensch würde in solch einem Chaos jemanden verarzten? Wie kam der ehemalige Arzt hier überhaupt zu recht?! Sie schnappte sich den alten Verband, der sich vor wenigen Sekunden noch um Lilians Wunde schlang, knüllte ihn zusammen und donnerte ihn den Abfall, bevor sie etwas verärgert in einen der Nebenräume stampfte. Immerhin war hier alles geordnet und schnell aufzufinden. Rasch die Hände gewaschen, desinfiziert, griff sie nach einem Paar Handschuhe, bevor sich die Lehrerin eine Antibiotika Infusion griff. Das war jedoch nicht alles – daneben griff sie sich noch einige Tücher und setze sich neben das Bett in dem die Verwundete lag. Tiana machte sich zunächst daran die Wunde so schnell wie möglich zu reinigen, um schlimmeres zu verhindern. „Alles wird gut, Lilian“, sprach sie nebenher mit dem Mädchen, obwohl sie das Bewusstsein verloren hatte und mit starkem Fieber zu kämpfen hatte. Unterbewusst würde sie die Ärztin schon hören, außerdem war es doch immer gut jemanden das Gefühl zu geben, dass man nicht alleine war. Das gab Hoffnung und Hoffnung schenkte Kraft. Woher hat sie sich diese Wunde zugezogen?, schoss es ihr durch den Kopf als die letzten Handgriffe anlegte und die Verletzung desinfizierte. Es war nicht die Art, die sie ins Grübeln brachte, sondern viel mehr das Mädchen, das verwundet war. Denn um Gottes Willen, sie sah nicht wie jemand aus der sich gerne in Schlägereien stürzte oder irgendwie anders raufte. Tiana zog die blutigen Handschuhe aus und warf sie dem alten Verband hinterher, ehe sie ein Tuch unter kaltes Wasser hielt und des dem Mädchen auf die Stirn legte. Natürlich hätte sie ihr ein Mittel geben können, das ihre Temperatur sofort senken würde, doch die Gefahr, dass es sich mit dem Antibiotika beißen würde, war viel zu hoch, weshalb sie es bei einem einfachen Tuch beließ – sobald die Sepsis bekämpft wäre, würde auch das Fieber verschwinden. Als erstes musste die Wunde geschlossen werden. Der Engel atmete kurz tief ein, bevor sie ihre rechte Hand mehr oder weniger auf die Wunde drückte, gefolgt von der Linken. „Gleich ist’s vorbei“, murmelte sie zu dem Mädchen und wollte sie beruhigen, falls ein heftiges Stechen durch ihren Körper fahren sollte, denn sanft drückte sie nicht dagegen. Die zierlichen Hände wurden kurz von einem hellen, leicht bläulichen Licht umgeben, doch dieses sprang direkt auf den Körper der Schülerin über, während die Wunde begann sich nach und nach zu schließen. Keime, die eventuell noch vorhanden waren, wurden abgetötet, Bakterien hatten keine Chance und der Schmerz sollte auch bald nachlassen. Erst als sich die Wunde geschlossen hatte, atmete die Lehrkraft wieder aus und ließ von der Stelle ab. „Eine Narbe wird wohl bleiben“, meinte sie etwas monoton, tippte kurz an die besagte Stelle, bevor sie sich die Hände waschen und desinfizieren ging. Jetzt musste sie sich an die Infusion ranmachen. Mit sauberen und keimfreien Händen zurück am Bett, griff sie sich die Staubinde, ehe sie diese um den Oberarm der Weißhaarigen band. Tiana legte den Arm ruhig hin, und übte leichten Druck aus, mit dem sie meinte, dass sie sich nicht bewegen sollte. Langsam begann sich die Vene zu stauen und wurde sichtbar. Sie atmete erleichtert auf, hier brauchte sie nicht verzweifelt nach der richtigen Stelle zum Einstich zu suchen. Die Stelle ordentlich desinfiziert, öffnete sie die Verpackung der Verweilkanüle und griff nach deren Flügeln, bevor sie die Vene punktierte. Mit einem flinken Handgriff löste die Rothaarige die Stauung, bedeckte die Einstichstelle mit einer eingeschnittenen Kompresse und fixiere schließlich die Kanüle samt dem Infusionsschlauch mit einem Pflasterstreifen. Etwas skeptisch fixierte sich ihr Blick darauf nur um sicher zu gehen, dass das Antibiotika auch floss und keine Luft eingedrungen war – aber es hatte funktioniert. Erleichtert aufatmen konnte die junge Frau jedoch nicht, denn noch ging es dem Mädchen nicht gut, noch war die Blutvergiftung nicht bekämpft und besiegt. Schweigend machte sie sich daran, dass Tuch auf der Stirn Lilians erneut zu befeuchten, ehe sie sich still neben das Bett saß und die Schülerin beobachtete. Ihre Gedanken kreiste noch immer um die Frage, wie sie zu solch einer Verletzung kommen konnte. Das war nicht normal in ihren Augen – doch was war hier schon normal? Sie war es doch selbst nicht mal, immerhin war sie ein Engel, oder gefallener Engel, wie man es nahm, der sich um Schüler verschiedener Rassen kümmerte.
Immer schlimmer wurde ihr Husten und bald glaubte das Mädchen, daran auf der Stelle zu sterben. Doch.. war sterben solch eine schlechte Option angesichts ihres Zustandes? Selbst als das Mädchen aus dem Labor zufällig vorbei kam und Hilfe besorgen wollte, konnte die Enjeru einfach nichts mehr sagen, und musste so stark Husten, dass sie dem Mädchen nicht einmal dafür danken konnte, geschweige denn, überhaupt sprechen. Als die Walter plötzlich verschwand, wollte Lilian ihr noch etwas sagen, doch plötzlich wurde alles ganz schwarz, ihr immer kälter und das Mädchen längst verschwunden. Alles, was sie noch mitbekam war, wie sie plötzlich in die Höhe gehoben wurde, eine weibliche Stimme irgendetwas sagte und sich ihr Leib durch die Lüfte bewegte. Sie hatte Schmerzen, Schmerzen und das verlangen danach, das es endlich aufhörte, doch im Moment war sie sogar zu schwach um zu jammern, weshalb sie einfach die Augen schloss und selbst das denken langsam abstellte. Sie war müde, sehr müde.. Ob sie nun .. im Himmel war? Alles war weiß, verschwommen und wirkte.. warm? Verunsichert hatte sie kurz die Augen geöffnet, als die weibliche Stimme sie wieder aus ihrem Schlaf geweckt hatte. Ob sie ein Engel war? ..es.. es fühlte sich so warm an, angenehm und liebevoll. Sterben schien ihr plötzlich so leicht und angenehm, weshalb sie den Kopf einfach wieder zur Seite legte und glaubte, es endlich geschafft zu haben. Völlig neben der Spur merkte sie gar nicht, dass die Frau hinter der lieblichen Stelle an ihr herum werkelte und sie noch ziemlich lebendig gewesen war, fiebrig und erkrankt um ihr Leben gekämpft wurde, während sie einfach dort lag und dem Irrglauben verfallen war, dass nun mehr alles vorbei sei. Doch plötzlich fuhr ein starkes Stechen durch ihren Körper, erschrocken fuhr ihr Kopf in die Höhe und die Augen wurden schlagartig wieder aufgerissen. Zum Schreien hatte sie keine Kraft mehr, es blieb also bei dem verzerrten Ausdruck im Gesicht und die Hände im Bettlaken, welche dieses umklammert hielten. Selbst die sanfte Stimme in ihrem Ohr mochte ihr den Schmerz nicht nehmen, nur die Tatsache, dass es bald vorbei war machte ihr Mut, obwohl sie nun mehr wusste, dass sie nicht gestorben war, sondern leibhaftig auf der Erde verharrte. Denn nur lebende vermochten solch Schmerzen zu spüren, immerhin hieß es nicht umsonst: Solange du Schmerzen hast, weiß du noch, das du lebst. Und es stimmte. Als es endlich aufhörte, lockerte sich der verkrampfte Körper wieder leicht, und der schwache Blick wandte sich der Rothaarigen zu, die auf ihren Körper tippte, und etwas von Narben murmelte. Verwirrt versuchte sie ihren Blick irgend worauf zu fixieren, schaffte es aber nicht, und so wanderten die gelben Augen an die Decke wo sie wild hin und her zuckten. Doch als man ihr am Arm fummelte, wurde sie wieder aus der Halbschlaf Trance gerissen, und schläfrig beobachtete sie die zierlichen Finger dabei, wie diese ihr etwas an den Arm machten. Die Aufforderung still liegen zu bleiben hatte sie vermerkt, aber sie wäre nicht einmal fähig die Finger zu krümmen, geschweige denn den gesamten Arm wild fuchteln durch den Raum zu schwingen, weshalb sie einfach weiter schauend stumm verharrte. Ihre Atmung ging schwer, klang raschelnd und feucht, bestimmt hatte sie einiges an Blut auch geschluckt bei ihrer Immensen Tollpatschigkeit. Die Schmerzen waren weniger, aber immer noch nicht weg. Und ihr war kalt, eisig kalt, und ihr ganzer Körper war wie taub, unbeweglich und starr. Und sehen konnte sie noch immer nicht recht, weshalb sie erst gar nicht bemerkte, dass die Frau sie beobachtete. Es brauchte annähernd eine gefühlte Ewigkeit, ehe sie wieder einigermaßen klar bei Verstand war, ihren Kopf herum schwang, und den Blick der Rothaarigen suchte. „Bist.. du ein Engel?“, polterte es rau und schwach aus ihrer angeschlagenen Lunge. Das kleine Geschöpf hustete schwach, fiel ihr das Sprechen doch noch ziemlich schwer. Im Himmel war sie eindeutig nicht, hatte sie doch die Fassaden des Krankenzimmers längst entdeckt. Doch erneut zog sie raschelnd die Luft an, atmete schwer aus. Ihr war fruchtbar schlecht, und zu zittern begann sie nun auch, wurde ihr doch immer kälter, statt wärmer. Ein knirschendes Geräusch zog sich durch ihr Ohr, welches sich zu einem summen entwickelte. „Was ist passiert.. ? Wo ist Jay.. Alisha.. ich.“, murmelte sie, ehe sie wieder eine Pause zum Atmen einlegen musste, den Kopf nach oben drehte und ein schwaches Husten unterdrückte. Schlafen.. sie sollte schlafen..
Ihr besorgter Blick lag auf dem Mädchen, das nach der Tortur, ruhig ins Bett zurück sank. Tiana hatte sich alle Mühe gegeben, doch im Moment gab es nichts mehr, was sie für das junge Ding hätte tun können. Außer bei ihr bleiben und zusehen, dass sie halbwegs wieder auf die Beine kam. Es dauerte etwas, bis die Rothaarige eine Bewegung in ihrem Augenwinkel, hatte sie ihren Blick doch zum Fenster gehoben, registrierte und hinab zu Lilian sah, die etwas zu suchen schien. Das sie schon mal aufgewacht war, war ein gutes Zeichen, weshalb die Schulärztin ihr ein warmes Lächeln schenkte, bevor sie aufstand und kurz im Nebenraum verschwand. In weniger als einer Sekunde kam sie zurück, mit zwei Decken auf dem Arm. Behutsam und dabei bedacht dem Mädchen keine weiteren Schmerzen zuzufügen, deckte sie diese sorgsam zu und wickelte sie in ein. „Du sollst ja nicht frieren“, strahlte sie und legte ihre Hand auf die Stirn der Schülerin. Ihre Frage, die nur schwach an ihr Gehör drang, überrumpelte die Coleman etwas, ließ sie kurz perplex blinzeln, bevor das Lächeln zurückkehrte. „Jap“, grinste sie, bevor sich ihre Augen an die Okulare der Weißhaarigen hafteten. Sie wirkten verblendet, als würde sie etwas verheimlichen wollen, trotzdem sah sie eine Wärme in diesen Leuchten – schwach, aber sie war da. Sie brauchte nur jemanden, der sie herauslockte. Eigentlich wollte sie noch etwas zu ihrem Wort hinzufügen, aber ihre Patientin suchte offensichtlich jemanden oder etwas – nur leider kannte sie niemanden der Beiden. Tiana erhob sich von ihren fünf Buchstaben und griff nach einem Stetoskopf, bevor sie das Ende einfach in die Decke unter das lädierte Oberteil des Mädchens schob. Bei solchen Sachen war das ehemalige Playmate etwas dreist, aber das Wohl ihrer Mitmenschen lag ihr am Herzen, weshalb sie erst gar nicht fragte, ob sie mal kurz dürfte – sie würde es sowieso tun, egal ob sie wollten oder nicht. „Du bist auf dem Schulgang zusammen gebrochen. Genauer hat dich der Sepsis, also Blutvergiftung, Schock ins Reich des bewusstlosen Schlafs geholt. Die Flüssigkeit in der Infusion ist Antibiotika, die sollte dich bald wieder auf die Beine bringen. Wo Jay und Alisha sind kann ich dir nicht sagen, du warst allein“, erklärte sie nebenher, während sie das Mädchen vorsichtig nach vorne hob, damit sie auch ihren Rücken abhorchen konnte. Ihre Lunge klang furchtbar. Nicht mal Bronchitis klang so schlimm, es raschelte, kratzte, weshalb sich die Lehrerin kurzerhand dazu entschloss auch da mal Hand anzulegen. Nachdem sie Lilian wieder vorsichtig hingelegt hatte, griff sie unter die Decke und legte ihre Hände auf die Brust der Schülerin. Dieses Mal brauchte sie sich keine Schmerzen erwarten, lediglich die Erleichterung, nach dem sich dieselbe Prozedur von vorhin, bläuliches Licht von der Hand auf den Körper, wiederholte, würde sie begrüßen. Stumm ließ sich die Frau auf ihren Stuhl fallen und betrachte kurz ihre Finger. Es war schon komisch tot zu sein und trotzdem zu Leben. Es war ironisch. Viele sahen den Tod als Erlösung an und freuten sich auf ihn, waren aber dumm dran, wenn man sie zurück ins Leben schickte – aber sie liebte es zu leben, hatte man ihr deshalb das Leben nach dem Tod als Engel geschenkt? Besser als ein Zombie, meinte sie zu sich selber und lächelte zufrieden. Tiana sollte sich nicht beschweren, immerhin konnte sie das, was sie vorher tat, noch immer – sogar mehr. Nur das Leben in der Villa beim Herren Heffner war nicht mehr drin und damit war auch der Luxus Vergangenheit geworden. Ihr Blick fiel auf den Abfall und damit kam die Frage, woher das Mädchen die Wunde hatte, zurück in ihre Gedankenwelt, doch sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wäre sinnlos, immerhin war das Opfer hier, dieses konnte sie einfach fragen. „Was hast du angestellt, dass du in solche Gefahr gerätst? Wer weiß was passiert wäre, hätte man mir nicht bescheid gegeben“, tadelte sie Lilian mit ihren Worten und wollte sich keineswegs selbst loben, doch sie wollte auch nicht, dass die Schülerin ihr ihre Neugier und Sorge anmerkte, weshalb sie zur Methode der strengen, besorgten Schulärztin griff. Danach konnte sie sich ruhig ausruhen und schlafen. Ruhe würde dem Mädchen gut tun, zur Not ließ sie ihre Nummer einfach da, damit wäre sie sofort erreichbar, wenn irgendetwas passieren sollte.
Die plötzliche Wärme die sich über ihre Haut zog tat gut, wenngleich es erst mal nur zwei Decken waren, die ihr dieses Gefühl schenkten. Doch auch sie kam nicht drum herum einmal kurz zu Lächeln, wenngleich es bald wieder durch ein kurzes Husten unterbrochen wurde. Auf ihre Frage hin schien die Frau etwas überrascht, aber sie antwortete, und irgendwie verwunderte sie es nicht, hatte die Rothaarige doch diese seltsame, sehr warme und angenehme Ausstrahlung, die sie schon bei einem anderen Engel beobachtet hatte. Und sie selbst hatte sie wohl auch, wenn sie nicht gerade dabei erwischt wurde wie sie selbstmörderisch irgendwo in einem Gang herum lag. Oder.. war dies nicht bei allen Engel so? Kopfschmerzen hinderten sie schnell daran, weiter darüber nach zu denken, und sie musste kurz die Augen schließen, um ihren Verstand wieder zu sammeln. Die Hand der Frau auf ihrer Stirn hatte eine merkwürdige Wirkung auf diese Schmerzen.. sie war warm, aber nicht zu heiß, es fühlte sich angenehm an, und ließ sie wieder klar werden. Doch auch aus dieser seltsame Phase wurde sie jäh heraus gerissen, als plötzlich etwas kaltes sich an ihren Brustkorb legte. Hastig wanderten die Augen ihren Körper hinab, als sie erkannte, was die Frau dort gerade tat. Selbst wenn es sie gestört hätte, dass die Finger das kalte Ding an sie drückte, hätte sie niemals die Kraft dazu gehabt, sich dagegen zu wehren, da es jedoch die Frau war die die Hand unter ihr Oberteil schob, lehnte sie sich bereits wieder nach hinten, in der Hoffnung das kalte Ding bald wieder los zu werden. Zusammengebrochen? Das war ihr beinahe klar, dennoch verzog das zierliche Gesicht als blad, und der Ausdruck glich einer Kälte im Winter. Niemand war ihr bei ihr gewesen, als sie gefunden wurde? Die Tatsache das man ihr gerade erklärt hatte das die Blutvergiftung sie in die Knie gezwungen hatte, ignorierte sie gekonnt, hatte doch bereits die Lehrerin so etwas angedeutet, als diese am Morgen kurz hier gewesen war. Im Moment traf sie es viel tiefer, dass nicht einmal mehr Jay an ihrer Seite war, obwohl deren Worte heute Morgen noch so groß waren. Warum ihr jedoch mehrere Stunden fehlten, traute sie nicht zu fragen. Wohl möglich hatte die Ärztin selbst keine wirkliche Antwort darauf, außer die üblichen. Vielleicht war es auch besser so, so hatte sie sich nicht an Dinge zu erinnern, die ihr vermutlich mehr schmerzten, als das nicht Wissen. Auch das die Frau sie mittlerweile vorsichtig angehoben hatte um auch ihren Rücken mit dem kalten Metall zu quälen holte sie aus ihrer Traurigkeit nicht heraus, erst als sich die Hände wieder unter ihre Kleidung schob und sie die Finger auf ihrem Oberkörper spürte, richtete sie ihren Blick wieder an die Rothaariger. Sie hatte so .. eine Art an sich, die die Enjeru nicht beschreiben konnte, aber sie war angenehm. Und ob es nun an der seltsamen Farbe lag oder schlichtweg an ihr, das Mädchen war dankbar dafür, dass ihr die Schmerzen in der Lunge soweit genommen wurden, und sie endlich wieder einigermaßen vernünftig atmen konnte, ohne das Gefühl haben zu müssen, ihre Lunge würde jeden Moment heraus springen. Der Gedanke den die Frau verfolgte kurz darauf, konnte das Mädchen zwar nicht sehen, aber es war ungewöhnlich die Ärztin so nachdenklich zu sehen, wenngleich wohl jeder immer zwei Seiten hatte.. Um nicht unhöflich zu wirken ließ sie die Augen wieder an die Decke wandern. Noch immer war sie nicht ganz klar, weshalb sie die Frage überraschte, die ihr plötzlich gestellt wurde. Erwischt, dachte das Mädchen, verzog das Gesicht, zog die Arme unter der Decke an und legte die Hände vorsichtig auf ihren Bauch und die Brust. Auch der Tadel traf sie tief.. Sie hatte ja recht. Vermutlich wäre sie jetzt tot, wenn die Frau nicht gekommen wäre. „Es tut mir leid.“, murmelte sie, und stellte verwundert fest, dass ihr das sprechen nun viel leichter fiel, als vorhin noch. Auch ihre Stimme klang nun wieder etwas weicher, wenngleich sie noch nicht alles überstanden hatte, und ein leichtes Kratzen wohl noch eine Weile bleiben würde. „Das ist 'ne lange Geschichte.. die wollen sie bestimmt nicht hören.“, sprach sie, während ihr Blick etwas schwermütiges an nahm. Sie musste daran zurück denken, wie sie diese Verletzung bekommen hatte, und es machte sie sofort traurig, beinahe sogar.. wütend? Nein. Es verletzte sie. Nicht nur körperlich, denn diese Wunde drang tief unter ihr Fleisch, direkt in das Herz des kleinen Mädchens. „Danke.“, flüsterte sie. Ja, sie war sich nun ganz sicher, ohne die Rothaarige, wäre sie gestorben, und ja, sie war dankbar dafür, noch leben zu dürfen, wenngleich sie alleine dabei war.
Damit hatte sie alles getan, um ihr zu helfen. Sollte das Antibiotikum seine Wirkung zeigen und die Behandlung anschlagen, würde es dem Mädchen bald wieder besser gehen und Tiana hätte ihren ersten Krankheitsfall in der Schule absolviert! Sie hatte zwar nicht unbedingt mit solch einem „Extrem“ wie Sepsis gerechnet, aber das Leben hielt viele Überraschungen für jemanden bereit. Schade, dass es nicht immer so süß ist wie ein Überraschungsei, grinste die Rothaarige in sich hinein und hätte beinahe über ihren flachen Witz kaputt gelacht, jedoch schluckte sie es einfach hinunter – nicht, dass sie ihre Patientin für verrückt hielt. Nicht jeder war wie sie und spielte viel mit der eigenen Fantasie, wobei diese sich bei ihr wiederum in ein richtiges Kopfkino verwandelt hat. Damit blieb ihr Langeweile erspart, besonders dann, wenn sie sich ihre eigenen Theorien und Verdachte geistig vorspielte, diese sie ihn Panik oder Aufregung versetzten, wodurch sie kaum noch still sitzen konnte. Das war auch eine Art der Unterhaltung. Selbstunterhaltung! Man brauchte kein Geld dafür. Nur ausgeprägte Fantasie und die absurdesten Ideen, die man ja bekanntlich überall aufschnappen konnte – Gerüchte um Personen taten es ebenso. „Hu?” Verdutzt sah die Ärztin zu dem Mädchen und musste unwillkürlich Lächeln, als sie den Kopf schüttelte, ihre Hand auf die Decke legend. Normalerweise hätte sie jetzt nach der Hand Lilians gegriffen, aber da sie diese in Decken gewickelt hatte und diese wie ein Kokon auf dem Bett lag, legte sie diese auf den Stoff, bevor sie ihr mit dem Finger vorsichtig an der Wange streichelte. „Bei mir brauchst du dich nicht entschuldigen. Es ist meine Aufgabe euch zu helfen“, meinte sie ihre Stimme dämpfend, bevor sie weitere Floskeln zusammensuchte und sie mit Ernst an das Engelsmädchen richtete. „Wenn du dich bei jemanden entschuldigen willst, dann bei dir. Du hast wirklich darunter gelitten. Und du tust es immer noch.“ Was sie mit letzterem meinte verschwieg sie der Schülerin, jedoch konnte sie deutlich aus ihren Worten heraus hören, dass sie etwas bedrückte, nicht zuletzt, weil sie es aus ihren gelben Augen heraus las. Tiana brauchte man gar nicht anlügen, denn am Ende fand sie es sowieso heraus, denn kam der Verdacht auf, dass man ihr Unwahrheiten erzählte, wurde sie hartnäckig und ging diesen genau auf den Grund. „Aber gut“, meinte sie kurz nachdem sich die Schülerin bedankt hatte und stand auf, um etwas Ordnung in dieses medizinische Chaos zu bringen. Die Pulte wurden geordnet, der eigene Platz ebenfalls, alles wurde an seinen rechten Platz gebracht und ehe man sich versah, erschien der ganze Raum wieder langsam wie ein Krankenzimmer und nicht wie ein Saustall von Drogenabhängigen. Zum Test pustete sie kurz über die Tischlampe und hustete gleich, als sie den aufgewirbelten Staub einatmete. Widerlich. „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht möchtest. Ich glaube nur, dass es dir deutlich besser gehen wird, wenn du deine kleine Seele damit entlastest in dem du es jemanden mitteilst“, wandte sie sich kurz an Lilian, bevor sie sich irgendwoher einen Lappen schnappte, diesen anfeuchtete und das komplette Pult, das sie eben geordnet hatte, leer räumte um zwei, dreimal darüber zu wischen, bevor es wieder vollgestellt wurde. Steril musste das Zeug schon sein, immerhin kamen hier erkrankte Personen hin, da brauchte sie Staub und Dreck als letztes. Außerdem fühlte sie sich so doch gleich viel wohler. Selbiges, so entschloss sie sich, tat sie dann auch beim gläsernen Medizinschrank, während sie auf irgendeine Regung seitens der Schülerin erwartete, dazu zählte sogar die Option, dass diese einfach einschlafen würde, damit sie Energie tanken will. „Falls du etwas willst, sag es einfach“, stieß sie beim Putzen heraus, bevor sie sich der Arbeit hingab. Dem Mädchen sollte an nichts fehlen, weshalb sie ruhig etwas verlangen oder fragen konnte. Tiana riss immerhin niemanden den Kopf ab, wobei sie zugestehen musste, die Vorstellung wie zu einem grünen Monster, Hulk hieß es wenn sie richtig lag, mutierte und vor Wut den Leuten die Köpfe abriss doch ganz witzig war.
Ungewohnt. Solch eine Aufmerksamkeit war das Mädchen nicht gewohnt, hatte man ihr doch in der Zeit ihres Lebens nur solche Präsenz zugesprochen, wenn man etwas von ihr verlangte, und in ihrer Vergangenheit hieß dies nicht seine Hausaufgaben zu machen, oder auf zu räumen.. Umso verwirrter war sie also nun, wie sie darauf reagieren sollte, überforderte sie die Situation doch völlig, weshalb sie gezwungen einfach da lag, und sich in ein tiefes Schweigen tauchte. Falsch machen konnte man jetzt wohl nicht, aber die Enjeru war die pure Verunsicherung, weshalb auch der Satz, der an sie gerichtet war, ihr nicht gerade half. Auch wenn sie es versuchte zu verstecken, hatte die Rothaargie mit Fug und Recht erkannt, dass in dem kleinen Körper mehr schlummerte, als nur eine Blutvergiftung und eine läppische Krankheit, sondern auch seelischer Unmut, vermischt mit Wehmut. Und irgendwie fühlte sie sich nicht gut dabei, dass jemand darum wusste, vor allem nicht die Frau, der sie ihr Leben zu verdanken hatte. Das war das selbe mit Yui, die sie überhaupt her gebracht hatte, und ohne der sie wohl erst recht nicht mehr auf dieser Welt verweilen würde. Ob es dem Mädchen gut ging? Wahrscheinlich. Sie würde wohl vor Langeweile in irgend einem Unterricht sterben, sich mit Freunden unterhalten, und damit keinen trübseligen Gedanken an die weißhaarige verschwenden. Gut so, die Enjeru würde nur leiden, wenn sie wüsste, das es jemand anderem schlecht ging, nur wegen ihr. Die Putzaktion der Frau blieb unkommentiert, viel faszinierender war es für das Mädchen, sie schweigend dabei zu beobachten, wie sie versuchte wieder Ordnung in diesem Raum zu schaffen. Ihr selbst war immer noch kalt, und sie schlang vorsichtig die Arme enger um ihren Körper, in der Hoffnung, es würde sie ein wenig mehr wärmen. Noch immer spürte sie das Fieber in ihrem Körper, die Kälte, genau die gleiche Kälte, wie sie sie damals in ihrem Herzen trug. Etwas nachdenklich stimmte sie es jedoch, als die Frau ihr Mut machte, es jemandem zu erzählen, würde sie es doch ein wenig entlasten. Aber würde es das wirklich? Letzte Nacht hatte sie der Arisako ein wenig von sich und ihrer Vergangenheit erzählt, Gewiss nicht alles, aber immerhin ein wenig, ob sie sich deswegen jetzt besser fühlte? Ein wenig vielleicht, aber sie fühlte sich nun aber auch verletzlicher, hatte die Schwarzhaarige doch auch so die Chance, sie damit zu verletzen. Es mag gut tun, sich die Seele frei zu quaseln, aber es machte einen auch immer verletzlich. So in Gedanken versunken merkte sie gar nicht, dass sie der Frau gar nicht geantwortet hatte, und sie somit selbst wieder das Wort an sich nahm. Noch immer räumte sie in dem Raum auf, wischte über die Pulte, und hatte sich mittlerweile an einen Schrank gemacht, in welchem Medikamente aufbewahrt wurden. Etwas wollen? Sie überlegte. Sie hatte heute noch nichts gegessen, und bestimmt erst einen Schluck getrunken, aber durfte sie in ihrem Zustand überhaupt irgendetwas zu sich nehmen? „Darf.. darf ich etwas Trinken?“, fragte sie vorsichtig, den Blick in Richtung der Ärztin, die dabei war die Gläserne Tür vom Staub zu befreien. Es mochte vielleicht seltsam wirken nach so etwas zu fragen, aber das Mädchen war solch Handlungen nicht anders gewohnt. Früher hatte sie für alles zu fragen, oder stillschweigen zu verharren, bis man es ihr erlaubte. „Ich hab Angst vor Menschen in weißen Kitteln.“, meinte sie plötzlich, ohne jede Vorwarnung, die Augen in die leere gerichtet, der Ausdruck voller Kälte. „Deswegen habe ich die Wunde nicht untersuchen lassen, und versucht, alleine damit klar zu kommen. Hab' mich wohl überschätzt, ich hielt den Kratzer für nicht all zu schlimm.“ Das dieser Kratzer aber jedoch kein Kratzer, sondern eine riesige, klaffende Fleischwunde gewesen war, ignorierte sie bei ihrer Erklärung. Und sie erwähnte extra nicht das Wort „Ärzte“, sondern legte die Betonung auf die weißen Kittel. Jene Kittel, die auch Forscher trugen, Forscher, die sie Jahre lang gefangen hielten als Versuchsobjekt, sie hielten wie Vieh, und behandelten wie ein Objekt. Wie Dreck. „Das nächste mal werde ich sofort zu ihnen kommen..“ Von den Misshandlungen wollte sie nicht erzählen. Zu mindestens nicht im Moment.. die Angst davor ausgelacht zu werden war zu groß. Die Angst, anders angeschaut zu werden, und das, obwohl sie eigentlich nur normal sein wollte.
Tiana verzog etwas angewidert das Gesicht, als sie über die staubigen und fleckigen Gläser wischte. Kaum zu glauben, dass hier irgendwer verarztet wurde. Wobei. Slevin hatte erwähnt, dass die Schulärzte nie auftauchten, dann war es auch kein Wunder, dass es hier aussah, wie sonst was. Zum Glück war sie da. Eigenlob stank zwar, so sagte man, aber ohne sie hätte das Mädchen womöglich nicht mehr die Augen geöffnet, geschweige denn das Krankenzimmer wäre erstickt unter dem ganzen Staub. Außerdem wollte Bernardo irgendwann vorbei schauen, da hatte sie keine Lust auf Kritik, wie unordentlich es hier doch war – immerhin konnte sie für die Schlamperei ihrer Vorgängerin nichts, was aber nicht hieß, dass sie für keine Ordnung sorgen konnte. Bei dem Gedanken an den weißhaarigen Bären konnte sie nicht anders als zu Grinsen – was der wohl gerade hatte? Vielleicht sollte sie ihm einen Überraschungsbesuch abstatten, so wie es Slevin bei ihr tat, dabei brachte er ihr ja das vergessene Klassenbuch. „Aber natürlich“, beantwortete sie die Frage Lilians und ließ den Lappen liegen, bevor sie sich ein sauberes Glas schnappte und nach einer Mineralwasserflasche griff. Ein strenger Blick auf das Etikett verriet ihr, dass es stilles Wasser war. „Ich hoffe du magst stilles Mineralwasser, Lilian“, lächelte sie zuckersüß und füllte das Glas zu drei Viertel voll, bevor sich an das Bett des Mädchens setzte, sie kurz hoch hob damit sie ihr das Glas an den Mund halten konnte. Sie ging dabei vorsichtig vor, nicht das sich das Kind noch verschluckte. Dabei fiel ihr Blick unter die Decke, ließ ihre Brauen in die Höhe schießen, bevor sie darauf wartete, dass die Heranwachsende fertig mit dem am Glas nippen war, damit sie ihre Hände wieder frei hatte. „Willst du eine Heizdecke?“, meinte sie etwas besorgt und holte schon eine, die sie dann auch nochmal um das Mädchen wickelte und anstellte. Nicht zu heiß, nicht zu kalt – es sollte angenehm sein. Wahlweise hätte sie die Weißhaarige auch umarmen können, immerhin strahlten Engel stets eine gewisse Wärme aus, egal ob sie wollten oder nicht. Auf ihre folgenden Worte trat ihr die Skepsis ins Gesicht, auch wenn sie daran dachte die schweigende Situation mit einem kleinen Scherz aufzulösen. „Na zum Glück trag ich keinen“, entgegnete sie der Schülerin, als sie einen kleinen Tisch mit Rollen und Bremsen neben das Bett zog, bevor sie das Glas und die Flasche, die eben noch auf dem Fensterbrett standen, auf dieses zu stellen. Sobald sich das Mädchen aus den Decken gekämpft hatte, könnte sie damit leichter danach greifen und brauchte nicht mehr nach Tiana zu fragen, nicht weil sie es nicht gerne tat, aber damit war sie nicht ständig auf sie angewiesen. Das mit der verharmlosten Wunde ließ sie in der Luft verhallen, und ging danach auf das darauf folgende ein. „Das will ich aber auch hoffen, sonst lass ich dich noch überwachen“, lachte sie kurz auf dem Engelsmädchen scherzhaft zu zwinkernd, bevor sie sich wieder an die Vitrine machte und das letzte mal drüber wischte, bevor wieder alles an seinen Platz gebracht wurde. Erleichtert und froh darüber, dass Lilian doch langsam zu Kräften zu kommen schien, begann sie eine leise Melodie zu summen, damit die sterilen weißen Wände gepaart mit der herrschenden Stille nicht so erdrückend waren. Passend zum Takt wippte sie mit dem Kopf hin und her, ließ den roten Zopf tanzen, während sie mit dem Putzen langsam zum Ende kam. Geschickt zielte sie mit dem Lappen auf das Waschbecken und versenkte ihn noch darin, bevor sie grinsend zu der Sanitäranlage schritt, um das Tuch auszuwaschen. „Sollte ich zu neugierig werden, muss du mir das sagen, ja? Ich hab mich manchmal nicht unter Kontrolle“, gab sie etwas kleinlaut zu, bevor sie das Tuch auswrang und es über den Hahn hing, damit es trocknen konnte. Kurz einen prüfenden Blick durch den Raum geworfen, klopfte sie sich die Hände hab – Kleidung zum Entstauben gab es ja nicht sonderlich viel. Ja damit war sie vorerst zufrieden. Alles war geordnet, das wichtigste entstaub und das Chaos endlich beseitigt. Ja mehr gab es wohl für sie nicht zu tun, dabei war sie nicht einmal die Putzfrau – das man seinen Arbeitsplatz aber auch selber ordentlich halten musste. Bei Heff‘ damals in der Villa hatten sie Angestellte für so etwas, aber hier konnte sie davon wohl nur träumen, außer sie würde jemanden dafür einstellen. Zunächst spielte sie mit dem Gedanken, jedoch ließ sie ihn fallen, als ihr einfiel, dass die Gefahr bestand, dass einiges hier durcheinander kam, weil sich die Putzfrau nicht auskannte. Das würde dann wieder nur unnötige Arbeit aufbringen, da war sie dann doch selbst der Putzteufel. Ich müsste Slevin mal nach seiner Nummer fragen… und den Bären auch!, vermerkte sich Tiana mental, denn ihr Kollege musste ihr noch zeigen wo die Häuser sich befanden. Sie hatte vom Makler zwar Adresse und Stadtteil zugesimst bekommen, aber als Fremde auf einer ihr unbekannten Insel konnte sie damit nur wenig anfangen. Auf das Suchen mit dem Frage- und Antwortspiel hatte sie auch keine große Lust, weil dadurch wertvolle Zeit verloren ging.
Erst hastig schluckte sie das Wasser die Kehle hinab, ehe sie, der Vorsicht lieber, langsamer machte. Auch wenn es nur stilles Wasser war, tat es doch gut endlich etwas zu trinken, vor allem, da sie sicherlich noch einiges an Flüssigkeit brauchte, wenn sie dieses Fieber noch aus zu sitzen hatte. Zwar hatte sie keinerlei Ahnung von Medizin, aber die Frau hatte ihr vorhin gesagt, dass in diesem seltsamen Beutel, welcher mit einem Schlauch an ihrem Arm befestigt war, Antibiotika war, und solchen vertrug sich bekanntlicherweise mit kaum einem anderen Medikament. Außerdem hatte sie heute solch eine Unmenge an Tabletten zugestopft bekommen, das sie eh befürchtete, dass das noch so einiges an Nachwirkungen mit sich bringen würde. Hoffentlich blieb diese Angst, nur eine Angst. Noch immer völlig neben der Spur hatte sie die Frage nach der Heizdecke gar nicht mitbekommen, weshalb sie ein wenig verwundert drein blickte, als sie plötzlich in jene gewickelt wurde. Es brauchte nicht lange, ehe sie die Wärme spürte, die sich langsam aufbaute, und auch die Schmerzen beim Trinken wurden so schnell wieder vergessen. Das Glas und die Wasserflasche bekamen nur kurz ihre Aufmerksamkeit, würde sie es doch im Moment niemals alleine schaffen, sich aus all diesen Decken zu befreien, um sich danach noch an das Trinken zu begeben. Im Moment hatte sie ja nicht einmal mehr die Kraft, ihren Kopf eigenständig in die Höhe zu stemmen, und das, obwohl an ihrem zierlichen Körper wahrlich nichts schweres zu finden war. Auf ihren kleinen Scherz hin hatte sogar die Enjeru lächeln müssen, wenngleich es bei ihr etwas gedrungen wirkte, und durch kurzen, aufkeimenden Schmerz wieder verdrängt wurde. Es stimmte, sie hatte keinen Kittel an, und irgendwie.. beruhigte es das Mädchen, wenngleich es im Endeffekt nur ein schlichtes, weißes Kleidungsstück gewesen war. Nachdem sie ihr nach einem erneuten Ausdruck zugezwinkert hatte machte sie sich wieder auf, weiter das Zimmer zu säubern, und schritt für Schritt den Raum ansehnlicher zu machen, wohl auch, damit sie sich beim arbeiten etwas wohler fühlte. Die Enjeru genoss die liebliche Melodie die sie summte, und versuchte, ein wenig zu entspannen, selbst wenn es in ihrem Magen langsam rumpelte, er verkrampfte und ihr wieder ein wenig übel wurde. Scheinbar war dieser ganzer Medikamenten Cocktail von heute Morgen doch nicht das optimale gewesen. Sie hielt sich den Magen, schwieg aber und richtete die Augen wieder gegen die Wand, welche das übliche, karge weiß zeigte. Es hätte sie auch verwundert, wenn solch eine sterile Örtlichkeit einmal nicht in weiß gestrichen gewesen wäre. „Mach ich.“, antwortete sie etwas halblaut, lächelte sanft dabei und schwang die gelben Augen wieder herüber. Sie hatte den Lappen weg geworfen, und betrachtete, nachdem sie ihn ausgewaschen hatte, scheinbar zufrieden ihr Werk, kurz bevor sie in irgendwelchen Gedanken versank. Woran sie wohl gedachte dachte? Es war sauber, und sah wirklich gleich viel ordentlicher aus. „Ma'am?“, murmelte sie, nachdem sie die Hände wieder um ihren Körper schlang, ihr Ausdruck hatte sich etwas verkrampft, und ihre Gedanken kreisten wieder um den heutigen Morgen. „Die haben mir heute Morgen.. oder.. Vormittag, jede Menge Zeug ein gekippt. Ich glaub, Medikamente, oder so. Glauben sie, das das Auswirkungen hat?“ Der Schweiß ran ihr langsam die Stirn hinab, kroch unter das feuchte Tuch, welches ihr die Frau darauf gelegt hatte, ehe sie ihren Kopf etwas tiefer in das Kopfkissen grub. Es war merkwürdig zu schwitzen, obwohl einem eisig kalt war, außerdem war sie müde, und ein wenig schlecht war ihr immer noch. Vielleicht bildete sie sich das auch alles nur ein, und in Wirklichkeit würde sie jeden Moment die Augen öffnen, und irgendwo auf einer Wiese liegen, die Sterne beobachtend, und mit einem Menschen, den sie liebte, den Abend verbringen. Oder aber in einem Krankenzimmer liegen, und tausende Krankheiten gleichzeitig bekämpfen. „Und.. Drogen. Man .. hatte mir Experimentelle Mittel gespritzt. Gestern. Ich weiß nicht, was es war.. aber es tut weh..“
Das wichtigste erledigt, streckte sich Tiana kurz und ließ sich dann auf den Stuhl am Pult nieder, um sich etwas auszuruhen. Die Aufregung war langsam abgeklungen, doch vollkommen zur Ruhe gekommen war der Engel noch nicht und genau das wollte sie jetzt. Besonders, dass sie dem Mädchen ein leichtes Lächeln entlockte freute sie doch sehr. Dass ihre Patientin ihr auch versprach Bescheid zu geben, wenn sie zu sehr in ihrer Privatsphäre herumstochern wollte, ließ ihr Grinsen breiter und ihre Laune eine Spur besser werden. Ja heut war ein guter Tag – auch wenn dieser mit einer Schiffsfahrt zu Isola begonnen hatte und direkt mit Arbeit fortgesetzt wurde. Sie hatte jemanden das Leben gerettet, einige Leute kennen gelernt und fühlte sich mittlerweile doch ganz wohl hier – fehlte nur noch, dass sie endlich ihr Haus sehen konnte. Der Makler versprach ihr ein großes Bad, eine offene Küche und einen schönen Ausblick. Sie hatte zwar blind das Haus, dass er ihr vorgeschlagen hatte, gewählt und sich keinen eigenen Eindruck davon verschafft, aber die Zeit dazu hatte und hätte sie heute sowieso nicht mehr gehabt, weshalb sie es einfach hinnahm. Er hätte schon das richtige Angebot für sie gemacht, wenn nicht, dann würde er Bekanntschaft mit ihrem Zorn machen – dieser war bekanntlich alles andere als sanft im Vergleich zu ihrem freundlichen Gemüt. „Ja?“, horchte Tiana auf und beugte sich etwas zu dem Mädchen rüber. Ihr Blick wandelte sich von freundlich, zu ernst jedoch lockerte sich ihre eisige Miene wieder auf, als sie klingelnde Stimme der Schülerin vernahm. Etwas nachdenklich schaute sie auf die Kleine hinab, verfiel jedoch einem gedanklichen starren und wirkte vermutlich etwas geistesabwesend – aber ihr Gehirn lief gerade auf Hochtouren. Ohne das genaue Wissen darüber was für Medikamente es waren, konnte die Rothaarige nicht viel sagen, aber fragen wollte sie auch nicht, denn so wie es Lilian formuliert hatte war sie sich wohl selbst nicht einmal sicher, was man ihr gegeben hatte. Wer hatte sie behandelt? Die Person hätte dem Mädchen doch sagen müssen, was es da zu sich nahm, damit sie Bescheid wusste und im Notfall auch sagen konnte was Probleme bereitete, wenn zum Beispiel Nebenwirkungen auftraten. „Hm“, gab sie als Zeichen, dass sie wieder aus ihrer Gedankenwelt wieder auftauchte. Stumm wandte sich die Schulärztin um und ging etwas auf und ab. Die Art wie man ihr mit verletzten oder erkrankten Personen umging gefiel ihr ganz und gar nicht – bei Zeiten müsste sie mal ein Gespräch mit dem Direktor führen, denn es konnte doch nicht sein, das man so fahrlässig arbeitete. Vor allem dann nicht, wenn Leben auf dem Spiel standen! „Die haben ihre Wirkung schon am Vormittag getan zu haben. Du solltest trotzdem mit Übelkeit rechnen.… oder auch nicht, fügte sie in Gedanken noch an, wenn sie an den Zustand der Schülerin dachte. Was auch immer man ihr verabreicht hatte, sehr Wirkungsvoll war es nicht gewesen, ansonsten wäre sie nicht zusammen gebrochen. Apropos Zusammenbruch: Wer hatte es ihr überhaupt erlaubt das Krankenzimmer zu verlassen? Wenn sie schon verarztet wurde, sollte man auch sicher gehen, dass sie da blieb, besonders bei der Wunde die sie bis vor wenigen Minuten noch hatte. Irgendwie nahm man das ganze hier wohl nicht sehr ernst. Mit Tiana würde sich dann hier einiges ändern, die Art der Behandlung, die Verabreichung der Medikamente und vor allem die Sorge um die Patienten. Es konnte ja nicht zu viel verlangt sein, dass man sich ordentlich um jemanden kümmerte der Hilfe brauchte. Mit einem Mal, als sie die folgenden Worte hörte, wandte sich die junge Frau aufgeregt um und funkelte dem Mädchen mit bedrohlichem Glanz in die Augen. Sie hatte sich doch nicht verhört? „Was? Wer? WARUM?“ Aufgebracht ballte sie die Hände zu Fäusten, bevor die Coleman sich mental selbst ohrfeigte und zur Ruhe kam. Lilian konnte dafür nichts – sie war das Opfer der Tat nicht diejenige, die dafür verantwortlich war. Seufzend sank sie zurück auf den Stuhl und suchte den Blickkontakt zu dem Engel. Ihre Augen legten sich auf die gelben des Mädchens, bevor ihr mit einem Mal klar wurde, wie ähnlich sie sich doch waren. In ihrem Geist spielten sich die absurdesten Gründe ab, die man haben könnte umso einem kleinen Wesen so viel Leid zu zufügen. Ekel tat sich in ihr auf, weshalb sie die Gedanken ganz schnell hinter eisigen Mauern aus schwarzem Schleier vergrub und sich daran machte dem Mädchen zu antworten, simultan einen Vorschlag vorbringend. „Ich kenne einen natürlichen Weg den Körper zu entgiften. Mit Medikamenten will ich da nicht rangehen, wer weiß was sonst passiert. Zuvor musst du aber erst mal mit der Sepsis fertig werden, danach zeige ich dir das gerne, aber vorher geht es nicht anders. Du musst die Schmerzen wohl noch etwas ertragen“, meinte sie nur und lächelte wieder. Sie wollte ihr Helfen, doch solange sie noch unter der Blutvergiftung griff, wollte sie sich noch nicht daran machen, das es noch schlimmer werden konnte, war zu hoch, als das sie es riskieren würde das Mädchen erneut auf die Kippe zwischen Leben und Tod zu schicken.
Ihr nachdenklicher Blick ließ das Mädchen beinahe mehr Schwitzen, als das Fieber welches sie aus saß. Ob es nun doch etwas schlimmeres war, als befürchtet? Es waren quälende Sekunden, gar Minuten die verstrichen, ehe die Rothaarige aus ihrem Denken heraus stieß, und jene endlich nach außen trug. Auch wenn es vorerst bei einem einfachen Seufzen blieb, welches der Enjeru die Hoffnung nahm, doch noch einigermaßen gut aus dieser Sache heraus zu kommen. Dennoch beruhigte sie es dann doch ein wenig, was die Frau zu ihr meinte, auch wenn sie wohl nicht mehr drum herum kam, sich mit weiteren Schmerzen herum zu schlagen, wenngleich es dieses mal wohl bei der Übelkeit bleiben würde. Hoffte sie zu mindestens. Aber was war dieser kleiner schwarze Fleck im Leben eines Kindes, welches bisher weitaus mehr durch zu machen hatte, als eine einfache Blutvergiftung? Irgendwie.. klang es traurig, in jenem Moment, als sich die Enjeru dies selbst vor die Augen hielt, weshalb sie solch trüben Gedanken lieber beiseite schob, war ihr Verstand doch im Moment nicht fähig des Denkens, Geschweige denn, sich mit solch Dingen auseinander zu setzen. Seufzend ließ sie den Blick wieder durch den jetzt sauberen Raum schweifen. Sie hatte Angst die Ärztin an zu sehen, weshalb, wusste sie nicht so recht, aber bald bereute sie diese Entscheidung, erschrak der kleine Körper doch, als plötzlich die so sanfte Stimme der Rothaarigen scharf durch die Stille schnitt. Ängstlich vergrub sie das kleine Gesicht hinter einer der vielen Decken, da es sie jedoch zu viel Mühe kostete sich noch weiter zu verstecken, verharrte sie stumm, und hoffte darauf, nicht angeschrien zu werden, oder gar noch Schläge zu kassieren. Von früher war sie es ja bereits gewohnt gewesen, weshalb es einfach einer ihrer Fest verankerten Instinkte war, den Versuch zu tätigen, sich selbst wenigstens ein wenig zu schützen. Groß und glasig fixierten die gelben Augen die jener Frau, die sich selbst gerade Innerlich wohl tadelte, fuhr sie doch mit ihrem Zorn eine Stufe tiefer. Lilian war verwundert, dass die Frau es so verärgerte, aber sie vergaß schlichtweg, dass es nicht für jeden normal gewesen war, so behandelt zu werden. Diese Welt.. sie war so kompliziert. Manchmal wünschte sie sich wirklich, jemanden zu haben der ihr einfach zeigte, normal zu sein, denn jetzt schämte sie sich sogar ein wenig für ihr Verhalten, ihre Reaktion. In der Hoffnung, das es nicht ganz so dramatisch aufgefallen war lockerte sie ihre Haltung langsam wieder, und zog die Decke vorsichtig etwas tiefer, damit ihr Gesicht wieder vollständig zu sehen war. Es tat gut zu sehen, dass die Frau wohl nicht sauer auf Lilian gewesen war, hatte sie sich doch wieder Lächelnd an sie gewandt, und ihr einen Vorschlag unterbreitet. „Schmerzen machen mir nichts, Ma'am, ich bin einiges gewohnt. Ich würde mich daher freuen, wenn sie mir helfen könnten, sobald ich das überstanden habe..“, murmelte sie vorsichtig, hatte sie doch Angst, die Frau wieder zu verärgern. Schmerzen war sie wirklich gewohnt, war sie doch schon seit Tagen mit dieser Verletzung herum gewandert, hatte sich sogar erst Gestern noch in einen Kampf gestürzt, nur um kurz darauf ganz normal in den Unterricht zu gehen. Ihre Belastungsgrenzen lagen einfach weit über der Norm, wenngleich man es ihrem zierlichen, kleinem Körper nicht ansah. Doch war das wirklich so gut? Immerhin wäre sie fast gestorben, hätte die Frau ihr Leben nicht den ewigen Klauen des Teufels entrissen, und das alles nur, weil sie selbst kein eigenes Gefühl mehr für sich und ihren Körper hatte. Geschweige denn, was ihr wirklich gut tat. Aber.. was tat ihr denn wirklich gut? Ein normales Leben kannte sie doch gar nicht, nur jenes, welches Innerhalb der Mauern des Labors statt fand, jenes, welches sich auf ein kleines, weißes Zimmer beschränkte, indem eine Toilette und ein Bett stand. Wie sollte man dort lernen? Leben? „Und tut mir leid, ich wollte sie nicht verärgern.. ich werde fortan den Mund halten.“, hauchte sie, und presste die Hände vorsichtig an sich. „In fremder Gesellschaft komme ich noch nicht zurecht.“, fügte sie etwas Kleinlaut an, ehe sie die Lippen, wie angekündigt schloss, und die Frau etwas verloren und Hilfslos anblickte. Warum musste das Leben auch immer so viel schwerer sein..