26.12.2015, Am Morgen
mit @Isalija


»Hm.« Dann hieß sie wohl Bardera - die Direktorin. Aber ausmachen würde er sie immer noch nicht. Das Mädel hatte scheinbar keine Ahnung davon, wie man sicherstellte, eine Person zu erkennen. Also einfach nach jemanden suchen, dessen Visage nichts anderes zuließ als eine Direktorin. Schaute bestimmt streng, verhielt sich auch streng. Hatte keinen Humor und war alt wie schrumpelig. So sollte doch das Klischeebild aussehen, oder? Nicht dass Liam viel Erfahrung hatte, aber in den Teenagerkomödien wurden Lehrer und so nen Zeug immer in der Richtung dargestellt. Einzigen Unterschied machten die jungen Dinger, die dann auch noch derbe scharf waren, sodass sich die Schüler die Finger danach leckten und ihre Stifte absichtlich auf den Boden warfen, damit die gute Frau sich bücken wollte.
Apropos bücken - das Mädel wollte es nochmal mit dem Kartenhaus versuchen. Doch mit Liam an ihrer Seite würde das nie was werden. Maximal flatterten die Kärtchen über den Tischrand hinaus und dann durfte sie sich bücken. Einen Klaps auf den Hintern würde sie dafür aber nicht von Liam erhalten. Konnte noch so knackig sein, er wusste, es gab einen knackigeren. Jedenfalls … Essen.

Während er aufmerksam die Bemühungen der Brünetten verfolgte, stopfte er sich weiter das Frühstück in die Futterluke. Große Bisse, große Schlucke. Zwischendurch gab es Saft und der Kaffee durfte nicht kalt werden. Zusammengefasst war es ein ziemliches Fresschaos, bei dem sich ein zierlicher Magen schnell überfordert fühlen durfte. Doch Riesen hatten riesigen Hunger und aßen immer nur riesige Portionen.
Erst versuchte Liam auch, wieder mit vollem Mund zu nuscheln. Doch da er dafür einen unerfreuten Blick erntete, versuchte er es nochmal, nachdem der Großteil die Speiseröhre hinabgeschleudert war.
»An deiner Stelle würde ich das lassen«, gab er ihr den - tatsächlich - gut gemeinten Rat. »Ich hab’ hellseherische Fähigkeiten und sehe dich in der Zukunft absolut lost.« Hinzu nickte er überzeugt, stopfte sich wieder etwas in den Mund.

26.12.2015, Morgens
mit @Liam

Man könnte meinen, das man eine Art Dankeschön erwarten könnte, wenn man jemandem noch den richtigen Namen der Person verriet, mit der er reden musste. Aber bei der Art und Weise wie er sich bisher verhalten hatte, überrascht es mich nicht, dass ich nur ein Hm bekam. Ich überlegte kurz, ob er einfach den Mund zu voll hatte um wenigstens ein Wort zu formulieren, aber das hatte ihn vorhin auch nicht aufgehalten es mit Sprechen zu versuchen.
Ich versuchte jedenfalls zu ignorieren wie er alles wild durcheinander aß und fragte mich kurz, wie das alles eigentlich in ihn hinein passte. Hatte der Magen nicht eine Art Limit? Oder aber er schob alles so brachial hinterher, dass Dinge, die sich bereits in seinem Magen befanden, einfach weiter geschoben wurden...
Als er offenbar tatsächlich nochmal versuchte an den Mengen an Essen in seinem Mund etwas wie Worte vorbei zu schieben, warf ich ihm einen kurzen, ungeduldigen, fast schon tadelnden Blick zu - ich würde ihn nicht verstehen, also müsste er es eh wiederholen. Anschließend ließ er es immerhin bleiben und schluckte, ehe er zur Abwechslung einen ganzen Satz von sich gab. Ich runzelte skeptisch die Stirn bei seinen Worten und ließ den Blick von ihm zu den Karten gleiten. "Wenn ich in Zukunft... lost sein sollte... dann sicher nicht wegen ein paar Karten.", entgegnete ich und warf einen kurzen Blick nach draußen. War der Sturm schlimmer geworden? "Wie schlimm kann so ein Sturm werden?", fragte ich... nun ja, der Junge war der einzige Anwesende, aber die Fragte richtete ich trotzdem nicht speziell an ihn. Schon aus Prinzip.

26.12.2015, Am Morgen
mit @Isalija


Liam drückte die Augenbrauen zusammen und schaute das Mädel fragend an. »Was weiß ich«, war seine erste Antwort. Dann überlegte er kurz. Sie sah ziemlich lost aus, nicht nur wegen den Karten. Auch ihr Blick nach draußen schien so leer und unwissend. »Schlimm halt. Wird alles weiß draußen. Aber danach scheint die Sonne wieder und es kann weitergehen.« Erinnerungen kamen hoch. »Ist nicht mein erster Schneesturm. Man gewöhnt sich dran.«
So wie das Mädel schaute, schien sie nicht so viel Erfahrung mit dem Wetter zu haben. Aber wenn sie nur die Insel im Süden kannte, wunderte ihn das auch nicht. Da gab es bestimmt nur blauen Himmel und Sonnenschein. Jeden Tag lachte einen die fucking Sonne in das beschissene Gesicht und versuchte, einem ihre giftig gute Laune in den Rachen zu schieben. Und obendrein war es auch noch unerträglich heiß. Liam würde wohl nie mit mehr als einer Badehose aus dem Haus gehen - dachte er sich. Allein jetzt, während draußen der Schnee wie wild rotierte, saß er mit schwarzem Tanktop und waldgrüner Bermudashorts am Tisch. Er musste aussehen wie ein Südsee-Tourist und nicht wie einer aus der Gegend. Als hätte er den falschen Flieger genommen und wäre statt auf den Malediven hier im Winterwunderland gelandet.
»Wird sicher einiges runterkommen«, fuhr er mit beiläufiger Tonlage fort und folgte ihrem Blick nach draußen hinters Fenster. »Straßen werden voll sein und so wie das stapelt, sind vielleicht auch die Fenster bedeckt. Hoffentlich haben die hier genug Dosen im Keller. Wenn wir Pech haben, sitzen wir hier erst mal fest dann.« Das alles erzählte er mit einer derartigen Gelassenheit, als spreche er nur von einem Stück Papier, das vom Tisch segelte und sicher auf dem Boden landete.

26.12.2015, Morgens
mit @Liam

Besorgt und ein bisschen bekümmert, weil man bei so einem Wetter nicht rausgehen konnte - naja, ich ging bei so einem Wetter nicht raus - zog ich die Brauen zusammen und sah langsam vom Fenster zu dem Jungen herüber. "Draußen ist eh schon alles weiß.", bemerkte ich missgelaunt und hielt mit meiner Abneigung gegen den Schnee nicht hinterm Berg. Als er weitersprach, hörte ich auch weiterhin zu, denn er hatte ja offensichtlich Ahnung von... Schneestürmen. Als er allerdings davon sprach, dass wir möglicherweise hier festsaßen, weiteten sich schockiert meine Augen? "Festsitzen?" Dann runzelte ich die Stirn. "Wieso? Wegen dem Schnee? Schmilzt der nicht bei Wärme?" Das hatte zumindest der Schnee in meinem Kimono getan, als Mathéo mich aufgewärmt und getrocknet hatte. Sollte zu viel Schnee fallen, um wegzufahren, würde er doch sicher irgendwas tun dürfen, um zu helfen, oder nicht?
Ich seufzte frustriert. "Wo sind die Erzieher und Lehrer, wenn man sie braucht?", murmelte ich und ließ meinen Blick einen Moment umher gleiten, in der Hoffnung ein bekanntes Gesicht zu sehen, das mir meine Fragen beantworten konnte. Der Junge wusste jedenfalls sicher nicht, ob einer von uns in einer Notsituation von seinen Fähigkeiten Gebrauch machen durfte. Und es wäre doch eine Notsituation, wenn wir hier festsaßen, richtig?
Als ich niemanden fand, glitt mein Blick wieder zu dem Jungen - die Karten waren schon wieder vergessen. "Aus welcher Gegend kommst du? Schneit es da viel?" In dem Fall wüsste er ja sicher auch wie man sich vorbereiten konnte, oder nicht? Ich erinnerte mich nur gut an die Stürme in meiner Heimat. Wir hatten dort im Wald zwar keinen Strom gehabt, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass Technik so ihre Probleme hatte, wenn es so stürmisch war.
Außerdem konnte ich darauf verzichten ein gesperrt zu sein.

26.12.2015, Am Morgen
mit @Isalija


Der Weißhaarige schaute skeptisch, als das Mädchen von schmelzendem Schnee sprach. Er selbst war erst wenige Stunden hier und in den Zeit hatte sich an der weißen Welt vor dem Fenster nichts geändert. Den Sturm mal beiseite geschoben, musste es doch die letzten Tage durchweg weiß gewesen sein. Also war da auch nichts geschmolzen; also waren die Temperaturen zu niedrig. War doch klar - oder?!
»Eh«, stutzte er ungläubig. »Also für mich sieht das nicht so aus, als wäre es draußen warm. Schon mal vor der Tür gewesen?« Vielleicht war sie auch so eine Stubenhockerin, die lieber ihren kleinen Arsch in weiche Polster warf oder sich von den Kerlen in ihrer Klasse durchbürsten ließ. Dann kam man natürlich auch nicht raus. Verwöhnte Kinder, dachte er sich nebenher. Einerseits störte es ihn immens, dass seine neuen Mitschüler wohl kaum überlebensfähig waren, weil sie immer nen sicheres Bett in ihrem Wohnheim stehen hatten und sie sich um kaum etwas selbst kümmern mussten; andererseits war er aber auch neidisch darauf, dass sie so ein entspanntes Leben führen konnten. Keiner von denen musste sich Sorgen um den nächsten Tag machen, um das nächste Brot, die Wohnung, die Sicherheit … apropos Sicherheit: die Lady meinte, Liam wäre sicher. Sie sagte das einfach so, als hätte sie eine Urkunde in der Tasche, mit der der Schule absolute Immunität verliehen wurde. Aber wie sollte das gehen? Der Isländer konnte sich nicht vorstellen, dass die Männer in den strengen Anzügen sich von so einer kleinen Schule aufhalten ließen.

Was die Erzieher und Lehrer anging, so stimmte er ihr zur Abwechslung mal zu. Mindestens diese Direktorin konnte mal antanzen, damit er sich anmelden konnte. Danach müsste er sich mit niemandem mehr abgeben.
Und da kam ihm wieder ein Gedanke, den er am liebsten ausgesprochen hätte, doch die Kleine kam ihm zuvor. Seine Herkunft wollte sie wissen. Wieder so eine verdächtige Frage. Liam überlegte, ob er es wirklich verraten sollte oder ob er besser log. Er konnte auch schwammig antworten. Wobei auch die Anmerkung zulässig war, dass die Kleine kaum mit seinen Feinden unter einer Decke stecken konnte. Das passte nicht zu deren Stil, so einen Lappen wie sie abzustellen, um ihn in die Falle zu locken. Als wenn er anbiss, nur weil sie vermutlich etwas gut aussehen könnte.
»Äh.« Er war sich noch nicht sicher. »Ausm Norden«, legte er erst mal vor, entschied sich dann aber schließlich, seine Vorsicht an dieser Stelle etwas runterzufahren. »Sibirien … die Ecke.« Zumindest verriet er nicht seine wirkliche Heimat.
»Da ist es oft kalt und schneit hin und wieder. Warum? Kennst du nur Sommer, Sonne, Strand?«

26.12.2015, Morgens
mit @Liam

Die Sorge in meinem Gesicht wich langsam wieder Ärger, als der Junge mich doch tatsächlich fragte, ob ich schon mal vor der Tür gewesen war. Aber statt ihm nun gedanklich irgendwas zu unterstellen, atmete ich bloß tief durch und erinnerte mich daran, wie es für mich war, als ich auf die Insel gekommen war. All die Möglichkeiten, die verschiedene Fähigkeiten mit sich brachten, waren ihm womöglich einfach gar nicht bekannt.
"Ich bin gestern erst bis in die Baumkronen geklettert.", antwortete ich nonchalant und seufzte leise, versuchte meinen Ärger ein wenig zu dämpfen. Immerhin war er so nett mir diesmal sogar meine Frage zu beantworten. "Es gibt ein oder zwei..." Ehe ich weiter sprach, sah ich mich einen Moment um, ging sicher, das sich gerade kein normaler Mensch in der Nähe befand. Dann sprach ich etwas leiser weiter. "Ein oder zwei Schüler, die durchaus in der Lage wären genug Hitze zu erzeugen um Schnee zu schmelzen. Spontan fallen mir da Mathéo und Rio ein.", erklärte ich es ihm, "Aber ich bin mir sicher, dass einige Lehrkräfte oder Erzieher sowas auch könnten. Das ist eigentlich kein Problem. Ich mache mir allerdings Sorgen um den Strom und die Heizung." Ich rieb mir den Nacken. "Mit sowas kenne ich mich nicht aus. Ich meine, ja, ich bin ich einem wärmeren Klima aufgewachsen. Aber ich wuchs ohne Strom und Heizung auf. Ich weiß nicht, ob sowas in einem Sturm ausfallen kann." Ahnungslos zuckte ich mit den Schultern. "Kein Vergleich zu einem Ort der oft sehr kalt ist." Ich hatte keine Ahnung wo Sibirien lag. War das direkt am Nordpol? "Ist Sibirien eine Stadt?", fragte ich vorsichtig und versuchte mir zumindest eine grobe Vorstellung davon zu machen, "Oder ein Land?"

26.12.2015, Am Morgen
mit @Isalija


Endlich bekam er erste Informationen zu anderen Schülern. Zwei von denen schienen mit Hitze umgehen zu können, vielleicht sogar spuckten sie einfach Feuerbälle. Zauberer oder so, die den Zauberstab hoben und wusch, schon brannte alles. Von den Lehrkräften musste Liam nichts anderes erwarten als dass sie over the top waren. Wenn man ihm sagte, dass er hier sicher war, dann sicher nicht unter einem einzelnen Regenschirm, sondern weil die Verantwortlichen derbe badass waren. Von nichts sonst würden sich die Starken da draußen sonst aufhalten lassen. Am Ende war es eben immer wieder dasselbe Gesetz der Natur …

»Na wenn wir so geile Typen hier haben«, murmelte er etwas vor sich hin, hörte dann aber weiter den Sorgen des kleinen Häufchens zu. Gleichzeitig verputzte er die letzten Happen seines üppigen Frühstücks und trank seine Kaffeetasse leer. Ein wenig gut gesättigt fühlte er sich danach tatsächlich. Platz hatte er dennoch. Aber erst mal wieder darauf achten, was die Kleine zu plappern hatte.
»Klar kann so was ausfallen«, bestätigte Liam ihre Sorge mit Worten und einem perplexen Blick. »Aber wenn die Leute den Schnee schmelzen können, dann können sie auch die Bude hier wärmen. Sollte kein Problem für die darstellen. Ansonsten machen wir ein Feuerchen.«
Liam blickte sich kurz um.
»Gibt genug Stühle und Tische hier, die man zusammenwerfen kann. Dann brauchste auch keinen Strom.« Am liebsten hätte er ihr auch gesagt, dass sie gefälligst chillen und die ganzen übertriebenen Sorgen wegwerfen soll. Aber ihm war auch bewusst, dass ein gesundes Misstrauen Leben retten konnte. Er hätte früher nicht anders reagiert, hätte sich viele Gedanken über das Überleben gemacht, wie man den Tag mit Nahrung und Wärme durchsteht. Für viele mussten diese Grundelemente wie Strom, Wasser und Wärme selbstverständlich sein. Für ihn war das nicht immer der Fall gewesen. Und daher … konnte er dem Mädchen nicht widersprechen. Er konnte ihr nur sagen, dass sie im Worst Case nicht hoffnungslos verloren waren.

»Und Sibirien ist … ein Land. So in der Art. Auf alle Fälle keine Stadt. Und es ist riesig. Mega riesig.« Liam machte eine ausladende Geste, um das unvorstellbare Ausmaß zu beschreiben. Er hatte es mal auf einer Karte gesehen und geprüft, was er davon selbst bereist hatte. Allein sein Erlebnis hatte sich schon ewig angefühlt, doch am Ende gab es noch so viel mehr von dem Land. Unvorstellbar.
Was auch schwer zu schlucken war, war die Vergangenheit von der Kleinen; zumindest was sie ihm davon teaserte. »Was hast du denn gemacht, dass du ohne so’n Zeug aufgewachsen bist, hm?« Bei ihrem Auftreten konnte er es sich nur schwer vorstellen, aber vielleicht lag es auch zu weit in der Vergangenheit zurück, als dass man es ihr noch ansehen konnte. Neue Lebensumstände veränderten einen bestimmt, das wollte Liam nicht ausschließen. Wenn sie aber wirklich ein ähnliches Leben geführt hatte, hätte er zumindest jemanden, der ihn verstehen könnte.

26.12.2015, Morgens
mit @Liam

Der Junge bestätigte meine Sorgen, der Strom oder die Heizung könnten ausfallen. Aber gleichzeitig kam er auch mit Ideen, was man in dem Fall tun konnte, woraufhin ich mir zwar auf die Unterlippe biss - Kann man wirklich einfach die Einrichtung verbrennen? - mir aber schon weniger Sorgen machte. Prinzipiell hatte er ja Recht. "Ich glaube, es wäre etwas zu viel des Guten so ein großes Gebäude zu wärmen, oder? Ich meine, ich weiß nicht, wie anstrengend die Nutzung solcher Fähigkeiten ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht erschöpfend wäre.", überlegte ich, "Aber darüber muss ich mir wohl weniger Gedanken machen, wenn wir einfach ein Feuer machen können." Auch wenn ich die Tische und Stühle irgendwie zu schade dafür fand. Gab es nicht irgendwo einen Haufen mit Feuerholz oder so? Es gab doch auch eine Feuerstelle, oder nicht? Auf jeden Fall war ich beruhigt, dass wir jemanden hier hatten, der sich auskannte. Wobei die Lehrkräfte sicher auch nicht unwissend wären, aber von denen war ja niemand hier, um mir Fragen zu beantworten!
"Ein Land also.", wiederholte ich seine Worte und tippte mir nachdenklich an die Unterlippe, während ich versuchte mir die Weltkarte ins Gedächtnis zu rufen, die ich im Unterricht gesehen hatte. Wie groß war riesig für ein Land?
Seine Frage riss mich allerdings schnell wieder aus den Gedanken und ich legte den Kopf etwas schräg. "Inwiefern gemacht? Ich bin im Wald zur Welt gekommen. Meine Eltern hatten dort ein hübsches kleines Häuschen, in dem wir gelebt haben. Da mussten wir uns keine Gedanken um die Menschen machen." Ich zuckte mit den Schultern. "War richtig schön da." Wenn man mich vor die Wahl stellte, würde ich wohl ohne Zögern mein altes Leben sofort gegen mein aktuelles Leben eintauschen - sei es nur, weil ich meine Familie dann zurück hätte.

26.12.2015, Am Morgen
mit @Isalija


Während das Mädel sprach, malte sich vor Liams innerem Auge eine verschneite sibirische Landschaft mit dichtem Baumbewuchs und schmalen Pfaden, die durch das Dickicht führten. Am Ende eines solchen Pfades wartete ein schlankes, aber spitzes Haus auf den Besucher. Zwischen dem Türrahmen stand ein kleiner Mann, an seiner Seite eine kleine Frau und hinter ihnen lugte ein noch kleineres Kind hervor. Man spürte ein fahles Flackern im Inneren, welches wohl zu einem Kaminfeuer gehörte. Aus dem Schornstein weit oben zogen Rauchschwaden ihre Schlangenlinien. Das nächste Dorf war einen halben Tag entfernt und selbst dort gab es kaum mehr als hier. Von der nächstbesten Stadt war gar nich erst die Rede, denn niemand nahm den beschwerlichen Weg auf sich. Stattdessen kam man mit dem Wenigen zurecht, was man bei sich hatte, was man selbst anbaute und selbst jagte. Man kannte gar nicht die Vielfalt der Welt und in welchem Luxus man hätte leben können. Ein Reh auf dem Tisch und frisches Bachwasser im Kelch - das war Luxus für die einfachen Menschen mitten im Wald.
Liam stellte sich so das Leben des Mädchens vor. Er musste nur den ganzen Schnee wegradieren und stattdessen grässlich heißen Sonnenschein hinzufügen. Was ihn hellhörig werden ließ, wie die Aussage zu den Menschen. Tief im Wald musste man sich über diese keine Gedanken machen. Menschen …, wiederholte Liam stumm. Das klang so, als wären die Menschen die Andersartigen, welche man am liebsten dorthin zurücktrieb, wo sie hergekommen waren. Doch in Liams Welt war er es, der anders war als alle anderen und den man verschwinden lassen wollte.

»Und warum biste weg?«, fragte Liam, ohne groß nachzudenken. Ob das nun eine eher private Information war oder nicht, darüber scherte er sich nicht. Wenn das Mädel es dort so toll fand, hätte sie dort bleiben müssen. Aber vermutlich war niemand freiwillig hier, sondern der Großteil war ähnlich wie Liam … und hatte nirgends sonst. Wenn sie ihm also nun erzählte, dass seltsame Männer gekommen waren und ihre Eltern umgebracht hatten, würde es ihn kaum überraschen. Vermutlich würde er nicht mal eine Miene ziehen. Stattdessen würde es sein Interesse nur mehr anregen, denn er würde wissen wollen, wie sie damit umgegangen war, was sie danach getan hatte. Und gleichzeitig fragte er sich, ob es wirklich mehr von seiner Sorte gab, ob es das Normalste der Welt war, wenn man hier war, weil die eigenen Eltern abgeschlachtet wurden und man sonst keinen Onkel oder Großmutter hatte, zu der man ziehen konnte. Am Ende würde jeder dieselbe Geschichte erzählen können und Liam, der sein Schicksal so sehr hasste, käme sich plötzlich derart unbesonders vor, dass er sich überlegen durfte, es all die Jahre zu negativ betrachtet zu haben.
Und wenn schon!
Sollten sie doch alle aus ihrer Heimat herausgeworfen worden sein. Das würde nichts daran ändern, wie Liam sein eigenes Schicksal empfand und wie er zu den Rückschlägen stand, die ihn getroffen hatten. Es würde niemand daherkommen können, der ihm den Schmerz relativierte.

26.12.2015, Morgens
mit @Liam

Meine Lippen pressten sich unwillkürlich aufeinander, als der Junge ganz ungeniert fragte, warum ich von zuhause weg bin. Die Frage ist absolut berechtigt, sagte ich mir, Nichts, was ich ihm übel nehmen sollte. Stattdessen überlegte ich einen Moment, wie er eigentlich aufgewachsen war, aber da ich mich mit diesem Sibirien nicht auskannte, ließ ich den Gedanken schon bald wieder fallen.
Trotzdem haderte ich mit mir selbst, ob ich ihm überhaupt antworten sollte. Oder viel eher was ich ihm antworten sollte. Ich hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen was passiert war, da er schien es mir auch etwas unpassend ausgerechnet mit jemandem darüber zu sprechen, den ich gar nicht kannte. Auf der anderen Seite hatte ich gehört, dass Menschen so genannte Psychiater hatten, mit denen sie über ihre Probleme sprachen.
"Eigentlich... rede ich nicht darüber.", antwortete ich schließlich und verzog einen Moment das Gesicht, als ich mich an die Geräusche erinnerte, die ich damals gehört hatte. "Es gibt dort jedenfalls nichts mehr für mich." Da mir der Appetit vergangen war, schob ich meinen Teller beiseite und sammelte die Karten zusammen, um sie zu mischen. "Wie ist noch gleich dein Name?", fragte ich anschließend und gab ihm und mir ein paar Karten, ehe ich eine offen zwischen uns legte und den Stapel ablegte. Ich hätte ihm gern dieselbe Frage gestellt, die er mir gestellt hatte, aber es schien mir nicht fair von ihm eine Antwort zu erwarten, wenn ich selbst keine geben wollte. Außerdem könnte es ja sein, dass er ebenfalls seine Familie verloren hatte und daran wollte ich ihn nun eigentlich auch nicht erinnern.