Die große Wiese befindet sich bereits außerhalb des Yanega-Geländes, wo sich nur noch vereinzelt kleine Hütten oder ähnliche Bauten befinden. Geht man vom Wohnheim gen Westen, so würde man nach einem etwa 15-minütigen Spaziergang die Schule erreichen, die sich alsbald am Horizont ausweiten würde. Südwestlich des Wohnheim-Geländes sieht es jedoch anders aus - denn da würda man weit und breit nichts erkennen, bis auf ... Wiesen! Wahrscheinlich würde es etwa eine Dreiviertelstunde zu Fuß dauern, bis man das Stadtzentrum nach dieser gigantischen Grünfläche erreichen würde. Hier und da gibt es Flächen, an denen Landwirtschaft betrieben wird. Ansonsten sind die Weiden mit vereinzelten Bäumen und Sträuchern verziert. Selten fährt ein Traktor über die Ackerflächen aber darüber hinaus ist man hier von jeglichen Lärmbelästigungen befreit. Lediglich das sommerliche Zikadenzirpen und das Rauschen der Bäume im Wind ist zu vernehmen, was darauf schließen lässt, dass sich hier viele Insekten versammeln. Allen voran Schmetterlinge scheinen die weiten Wiesen zu ihrer Heimat gemacht zu haben und in lauen Nächten kann man an dieser Stelle unzählige Glühwürmchen ausfindig machen.
Oliver war sauer und dies zeigte er dem Mädchen auch bewusst. Wie konnte sie ihn auch nur ansatzweise als Dieb herstellen. Er ging auch nicht zu Fremden hin und beschuldigte diese einer Straftat. Das machte man einfach nicht! Doch der Schwarzhaarige schien die Schülerin nicht wirklich überzeugen zu können. Trotzdem kletterte sie gleich daraufhin den Baum hinauf, auf den der Amerikaner zuvor gezeigt hatte. Sie schien aber nicht dieselbe Meinung haben, wie der Dämon. Dies störte ihn wenig. Er verschränkte seine Arme vor seiner Brust und sah auf die Wiese. Ihm war es recht egal, ob da oben tatsächlich der Apfel lag oder nicht. Die Hauptsache war, dass sie nicht mehr Personen einfach so für etwas beschuldigte, das nicht stimmte. Der Amerikaner hörte über ihn in der Baumkrone ein Rascheln. „Und? Hast du deinen Apfel gefunden?“, fragte er rhetorisch und blickte weiterhin die Wiese vor ihm an. Gleich darauf hörte er, wie Ganyu langsam wieder hinunter kletterte. Als sie unten angekommen war, suchte Oliver den Blickkontakt, um feststellen zu können, was jetzt Sache war. Doch diese Suche hätte er sich sparen können, denn die Blauhaarige warf sich regelrecht auf den Boden vor ihm und küsste schon fast die Wiese. Oli erschrak ein wenig und löste seine ablehnende Haltung auf. Sie entschuldigte sich, sogar mehrmals. Überrascht darüber brachte er vorerst kein Wort heraus. Wirklich Luft zum Antworten ließ Ganyu auch nicht. Als sie mit ihrer Entschuldigung fertig war, nahm der Dämon den Apfel entgegen. „Gut, dann nehme ich deine Entschuldigung an“, sagte er zu ihr und nahm ihren Apfel in die Hand. „Und jetzt setzt du dich hier neben mich hin und isst brav deinen Apfel“, bot er ihr sein Friedensangebot an und fing damit an seinen Apfel zu essen. Man musste deswegen nicht streiten, immerhin war es sicher ein Versehen. Trotzdem war es gut, dass sie sich entschuldigt hatte, so konnte der Dämon sich auch beruhigen.
Peinlich! Nein, viel schlimmer, fand Ganyu die ganze Situation. Hatte sie doch tatsächlich einen fremden Schüler des Diebstahls bezichtigt ohne alle Tatsachen zu kennen. Sie machte genau den Fehler den die stümperhaften Ermittler aus ihrem Manga machten, bevor der brillante Detektiv den Tag rettete. Stümperhaft und Peinlich. Ja, das traf den Nagel auf den Kopf. "Entschuldigung." wiederholte sie ganz beschämt. Am besten wäre es, wenn sie diesen Moment einfach löschen könnte. Doch an dieses Fiasko wird sich Ganyu wohl noch die nächsten 1000 Jahre erinnern können.
Zu ihrer Überraschung aber war Oliver, dessen Name ihr immer noch nicht einfiel, doch genauso so einfach zu besänftigen wie man ihn erzürnen konnte. So schien es jeden Falls als er Ganyus Entschuldigungen nachgab und ihr diesen Patzer verzieh. Er nahm den Apfel und die Entschuldigung an. Dass er dann Ganyu anbot sich zu ihm zu setzen und in Ruhe ihren Apfel zu essen, lies sich die Quilin nicht zweimal sagen. Alles um die Wogen zu glätten! Wäre doch unhöflich dieses Angebot auszuschlagen, oder? "Na gut..." gab das Halbwesen etwas unsicher von sich und setzte sich neben Oliver auf den Boden. Sie hielt den Apfel fest in beiden Händen und starrte die Frucht an. Das war das erste Mal dass sie so nah außerhalb des Unterrichts neben einer Fremden Person saß. Es war ein komisches Gefühl. Sie sah zu Oliver hinüber. "Ich..." fing die Quilin an und kräftigte den Griff um ihren Apfel. Sie war noch nie sonderlich sozial aktiv gewesen, deshalb fiel es ihr ein wenig schwer in dieser Situation offen zu sprechen. "Ich bin Ganyu!" stellte sie sich dann rasch vor und biss dann peinlich berührt in den Apfel. Sie ging wohl fälschlicherweise davon aus, dass Oliver auch nicht wusste, wer sie war.
Das Entschuldigen nahm schon fast kein Ende mehr. Was war denn mit ihr los? Oliver war es offensichtlich nicht gewohnt so viele Entschuldigungen zu bekommen. „Ist schon gut“, antwortete er ihr am Schluss nochmals. Hoffentlich würde sie sich jetzt nicht nochmals 20 Mal entschuldigen. Dann würde der Schwarzhaarige wahrscheinlich ohne ein Wort abhauen. Ob es dann noch ungemütlicher für das Mädchen sein würde? Wahrscheinlich schon. Aber der Amerikaner hoffte jetzt einfach, dass es nicht so weit kommen würde.
Jedenfalls war das vorherige Missverständnis für Oliver schon abgehakt. Doch so wie Ganyu sich benahm, wirkte sie nicht so, als ob sie es so leicht verdrängen könnte. Sie schien sich innerlich zurückzuziehen. Gut, natürlich kannte er sie nicht wirklich und hatte sie nur einige Male gesehen. Zu diesen Zeitpunkten war sie jetzt auch nicht unbedingt die aktivste, die mit anderen redete. Ob sie einfach so gestrickt war? Vielleicht, aber der Dämon konnte es zu diesem Zeitpunkt gar nicht wirklich sagen. War ja auch nicht sonderlich wichtig, denn eigentlich kam er ja nur hierher, um seine Ruhe zu haben. Trotzdem würde ein kleiner Wortwechsel die vorherige Situation wieder etwas auflockern, was eventuell Ganyu helfen würde. Aber Oliver nahm die jetzige Situation so wie sie war. Als die Blauhaarige in den Apfel biss, machte dies auch Oli. Er blickte die große Wiese und den Himmel dahinter an. Einfach herrlich heute wieder. So konnte man es sich gut gehen lassen. Ob er heute dort noch ein Vormittagsschläfchen machen würde? Vielleicht, aber das würde auch auf das Wetter ankommen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass hier ab Mittag eine schlimme Hitze sich ausbreiten würde, war recht hoch. So viele Bäume gab es nicht und der Schatten drehte sich ab dem Nachmittag auch noch in eine andere Richtung. Tja, dann musste sich Oliver halt einen anderen Platz zum Schlafen suchen. Aber das war nicht so wichtig. Viel wichtiger war, dass Ganyu langsam anfing zu reden. Sie stellte sich vor? Ahhh vielleicht kannte sie den Amerikaner ja noch nicht. „Ich kenne dich. Du bist ja schon ein wenig länger hier. Ich bin Oliver Blake. Freut mich dich kennenzulernen“, stellte sich der Dämon vor. Ob dies das Gespräch endlich auflockern würde? Oliver hoffte es, aber er hatte das Gefühl, dass es gleich wieder sehr still zwischen den beiden werden würde, also erhob er im fast selben Atemzug nochmals das Wort. „Sag mal Ganyu, wie sieht es bei dir denn eigentlich so mit Hobbies aus? Hast du welche? Ich sehe ja du liest gerne. Gibt es sonst noch andere Hobbies?“, fragte er sie im Anschluss noch.
Er kannte sie also bereits. Sie war also doch nicht so unsichtbar gewesen, wie sie es sich wohl erhofft hatte. Also war das ganze schon wieder etwas peinlich. Ob sie sich dafür auch noch entschuldigen sollte? Sogar Ganyu fand, dass das ganze Entschuldigen irgendwann einfach an Glaubwürdigkeit verlieren würde, weswegen sie es in diesem Moment einfach bleiben lies. "Oliver." wiederholte sie leise seinen Namen und jetzt musste sie sogar gestehen, dass sie ihn schonmal gehört hatte. Sie hatte den Namen nur nicht dem Aussehen zuordnen können. "Freut mich auch. Du kannst mich 'Yu' nennen, wenn du möchtest." fügte sie dann noch freundlich an. Danach biss sie wieder in den Apfel. Süß und saftig war die Frucht. Für die introvertierte Ganyu gab es an dieser Stelle nicht mehr so viel zu reden. Nicht weil sie sich nicht gern unterhielt, sondern weil sie sich ungern aufdrängen wollte. Nur weil man nebeneinander saß und sich einander vorgestellt hatte, hieß das nicht immer, dass der Gesprächspartner auch Lust auf ein Gespräch hatte. Personen wie Ganyu, die mit dem Umgang mit anderen "Menschen" eher Scheu waren, trauten sich deshalb nicht oft eine Konversation zu starten oder aufrecht zu halten. Und genauso wie sich zu viel Aufdringlichkeit negativ auf ein Gespräch auswirken konnte, so war auch die Stille nicht immer förderlich. Was Ganyu nur noch weiter verunsicherte. Kontakte und Bekanntschaften waren deshalb meistens eher kurzlebig. Doch Oliver schien im Gegensatz zu Ganyu solche Scheu nicht zu haben und versuchte die Quilin weiter in ein Gespräch zu verwickeln. Oder ahnte er bereits etwas von ihrer Zurückhaltung? Ganyu war ziemlich überrascht als Oliver sie nach ihren Hobbies fragte. Viel mehr noch: Sie schien sich regelrecht darüber zu freuen. Man konnte in ihrem Blick und dem sich bildenden Lächeln förmlich erkennen, wie sehr sie sich darüber freute, dass jemand von sich aus das Gespräch zu Ganyu suchte. "Ich mag Kartenspiele! Da wo ich herkomme ist das Spiel 'Duel Monsters' sehr beliebt. Ich hab gehört das ist seit ein paar Jahren im Westen ziemlich beliebt geworden. Kennst du das? Man kann die Karten sammeln und tauschen und dann mit Monstern und Zaubern gegen andere Spieler antreten." fing Ganyu an und da es sich hier um ein Thema handelte, dass sie vollends interessierte, nämlich ihre eigenen Hobbies, konnte sie auch deutlich besser aus sich heraus kommen. Es schien schon fast so, als würde sie gar nicht mehr aufhören wollen. Dass das Kartenspiel vielleicht aus der Sicht eines Dämons, der wahrscheinlich in Wirklichkeit mit Zaubern und Monstern zutun hatte, jetzt nicht so interessant klingen könnte, störte Ganyu dabei überhaupt nicht. Dennoch gab es einen Haken. "Ich hab auf Isola aber leider noch keine Mitspieler..." Was hauptsächlich daran lag, dass sie noch so gut wie keine Freunde hatte. Vielleicht mit Ausnahme von Lydia, mit der sich Ganyu ein Zimmer teilte. Doch konnte man das kaum Freundschaft nennen, denn viel Kontakt hatten die beiden noch nicht zueinander. Wenn Ganyu im Zimmer war schlief sie meistens und wenn sie aufwachte war Lydia natürlich schon längst nicht mehr da. "Ich mag aber auch Brettspiele. Die lustigen, wo jede Runde anders sein kann." meinte sie, erkannte aber dann schnell, dass hier auch das gleiche Problem vorherrschte wie bei den Kartenspielen. Komischerweise machten ihr genau die Aktivitäten Spaß die man alleine eigentlich nicht machen konnte. "Aber... auch hier hier fehlen mir die Mitspieler... realisierte sie deshalb ernüchternd und lenkte den Blick gegen den Boden. Wenn sie genau darüber nachdachte war das schon ein wenig deprimierend. Sie nahm etwas niedergeschlagen noch einen Bissen von dem Apfel, den sie nun um gut die Hälfte verspeist hatte. Schnell essen gehörte wirklich nicht zu ihren Vorteilen. "Wie sieht es bei dir aus? Was machst du so gerne?" fragte sie ihn dann, als ihr nach einer kurzen Stille einfiel, dass es immer zwei Seiten in einem Gespräch gab. Sie vermutete, dass sie Oliver ansehen konnte, was er so mochte. Er wirkte wie der coole Typ. Draufgängerisch. Bestimmt waren seine Geschmäcker ganz anders als die von Ganyu.
Den Schwarzhaarigen freute es, dass Ganyu ihren Spitznamen ihm anbot. Diesen würde er sicher in Kürze verwenden. Da war Oliver sich sicher, immerhin waren Spitznamen ja auch genau dafür da. Ein Lächeln huschte ihm über die Lippen, als er sah, dass man es Yus Gesicht ansehen konnte, dass sie auch förmlich lächelte. Sie mochte also Kartenspiele. Ein Hobbie, das sicherlich selten war. Oliver überlegte kurz, ob er jemanden kannte, der Kartenspiele als Hobbie bezeichnen würde. Jedoch fiel ihm niemanden ein. Der Amerikaner glaubte, dass die meisten Kartenspiele spielen würden, wenn es nichts anderes zu tun gab, aber ansonsten würden es eher sehr wenige Personen als Hobbie sehen. Trotzdem sehr interessant, das Ganyu dies als ihr Hobbie betrachte. Der Dämon musste auch nicht weiter nachfragen, was sie genau spielte, denn sie schien wie ausgewechselt zu sein. Zuvor hatte sie nicht viel geredet, doch jetzt redete sie, als gäbe es kein Punkt und Komma. Sie erzählte von einem Spiel namens Duel Monsters. Oli hatte schon davon gehört, konnte es aber nicht genau zuordnen. „Hm…“, entkam es ihm kurz. Duel Monsters… woher hatte er das schon einmal gehört? Ach ja! In Amerika spielten das sehr viele Personen bevor er nach Isola kam. „Das Yu-Gi-Oh Spiel?“, fragte der Schwarzhaarige aber trotzdem nochmals zur Sicherheit nach. Es könnte ja sein, dass er nicht richtig informiert war. Aber er war sich sicher, dass Yu es jeden Moment aufklären würde. Doch Ganyu fehlten offensichtlich die Mitspieler, damit sie Duel Monsters überhaupt spielen konnte. „Hm… Da brauchst du wahrscheinlich Leute, die auch Karten haben, oder? Ansonsten könnte ich ja mal mitspielen, wenn du mir die Regeln erklärst“, bot der Dämon freundlicherweise an. Wahrscheinlich würde es nicht sein Lieblingsspiel werden, da er viel lieber an Orten saß und die Natur betrachtet, wie jetzt eigentlich auch. Aber man konnte es ja trotzdem einmal ausprobieren. Auch bei den normalen Brettspiele fehlten ihr die Mitspieler. „Also ich denke, dass sich da sicher mal einige Leute für Brettspiele finden würden. Mit Alkohol und Trinkspielen wahrscheinlich noch mehr“, sagte er und lachte kurz auf. Ach ja, Oliver musste das am eigenen Leib erfahren und war wirklich genervt gewesen von den Betrunkenen, aber er konnte ja am Ende in seinem Bett schlafen, während sie ihre Party im Nebenzimmer genossen. Am Ende wollte Yu noch wissen, was seine Hobbies waren. Da der Schwarzhaarige nichts zu verbergen hatte, konnte er wie aus der Pistole geschossen antworten. „Ja, also ich mach gerne Karate, schwimme gerne, höre gerne Musik und lese auch. Wobei… wirklich gelesen habe ich seit ich hier bin eigentlich nicht. Vielleicht sollte ich das für die Zukunft streichen, bis ich wieder wirklich effektiv lese“, beschrieb er seine Hobbies kurz und knapp.
