Die Straße, die die gesamten Läden und sonstigen Gebäude miteinander verbindet. Hier sind stets viele Leute unterwegs, doch Autos dürfen hier nicht fahren, es ist eine reine Fußgängerzone.
Als ich hinter Julia etwas durchatmen konnte kamen mir so einige Zweifel zu der Art, wie ich die Situation gehandhabt hatte. Die Bardera war die Direktorin, ich hatte keine Ahnung, warum mein erster Gedanke gewesen war, dass sie mir aus der Patsche helfen würde. Fanden solche Leute nicht meist mehr Gefallen daran, die Schüler wegen irgendwas zu bestrafen? Selbst wenn besagter Schüler absolut nichts getan hatte; doch schon jetzt ging ich davon aus, dass mir jede Autoritätsperson auf der Insel niemals irgendwas glauben würde, das passte einfach nicht zu meinem Image und wie Leute auf mich reagierten. Da ich grob, wild und unfreundlich sein konnte bedeutete das natürlich automatisch für jeden, dass ich auch dauernd mit Lügen um mich schmiss - was eigentlich gar nicht der Wahrheit entsprach, aber viele Leute waren einfach zu dämlich, um Nuancen zu verstehen. Ich hörte, wie die Blondine meine Wortwahl wiederholte und schaute kurz zu ihr auf, ehe ich meinen Blick wieder auf den äußerst streitlustigen Kerl fixierte. Auch war ich mir nicht mehr sicher, warum ich ihm nicht einfach eine reingehauen hatte. In dem Moment waren einfach so viele Leute um uns herum und hatten gegafft... scheinbar war die Standpauke von meinen Eltern doch irgendwo bei mir hängengeblieben, keine Aufmerksamkeit zu erregen - zumindest 50 Menschen waren etwas zu viel. Was passiert war, war nun sowieso passiert und ich rührte mich vorerst nicht und beobachtete stattdessen, was die Direktorin tun würde, und ob sie vielleicht einfach einen Schritt zur Seite tun und den Ring freigeben würde.
Zu meiner Überraschung - obwohl ich sie aufgesucht hatte - trat die Blonde nicht zur Seite und sprach stattdessen ganz ruhig mit dem Verkäufer, welcher jedoch alles andere als Ruhe ausstrahlte. Auf ihre Worte ging er nicht ein, zumindest nicht verbal. Stattdessen versuchte er schon wieder mit seinen Fettfingern nach mir zu greifen, was mich automatisch einen Schritt nach hinten weichen ließ - was jedoch gar nicht nötig war. Die Bardera packte ihn am Arm und genau in diesem Moment überkam mich ein seltsames Gefühl, wie ein Schauer, und meine Nackenhaare stellten sich auf. Etwas verwirrt blinzelnd schaute ich zwischen dem Mann und der Frau hin und her, bevor mein Blick auf ihr liegen blieb. Diese Ausstrahlung kam eindeutig von ihr, aber ... warum? Was war das? Wenn es vorher nicht schon offensichtlich genug gewesen war, dann jetzt erst recht, dass sie eine Dämonin war. Ob der dicke Mann auch merkte, dass etwas nicht stimmte, oder war er dafür auch zu blöd? Ruhig sprach sie weiter mit ihm und selbst von meinem Platz aus konnte ich das Lächeln auf ihren Lippen sehen - ich konzentrierte mich weniger auf das Gesprochene und mehr darauf, die Blondine zu beobachten. Irgendwie machte es ja schon Sinn .. gestern hatte sie so normal gewirkt, heute konnte ich es mehr nachvollziehen, warum sie die Direktorin einer Schule für besondere Wesen war. Noch handgreiflicher musste sie dann auch nicht werden und es schien so, als würde der Verkäufer nicht oft mit Intelligenz und Logik konfrontiert werden, so sehr wie er fast schon in sich zurücksank und viel leiser wurde, als noch vor 5 Minuten. Nach ein paar Momenten drehte er sich auch schon wieder um und trottete davon, während ich ihm kurz nachschaute und die Zunge rausstreckte.
Spätestens jetzt erwartete ich ja eine Standpauke von der Frau, aber noch immer kam nichts dergleichen und stattdessen wirkte sie eher ... freundlich. Die komische Aura die sie ausgestrahlt hatte war auch weg, und man konnte sie wieder gut für einen normalen Menschen halten. „Ja, alles in Ordnung...“, murmelte ich und schaute wieder zu dem umgekippten Stand rüber. „Der Stand ist einfach umgekippt“, sagte ich, nicht wissend, ob die Direktorin sich überhaupt für die Details interessieren würde. „Wie durch Magie.“ Ich zuckte mit den Schultern und schaute der Bardera nun wieder ins Gesicht. Wie ein Dämon sah sie wirklich nicht aus, aber genau das gleiche konnte man von mir auch behaupten. Ob sie wohl steinalt war? Ich fragte lieber nicht; selbst Dämonenfrauen hatten mit dieser Frage bestimmt ihre Probleme. Ich stemmte meine Hände in die Hüfte und legte den Kopf etwas schief, während ich die Bardera noch immer musterte, doch legte sich nun ein leichtes Grinsen auf meine Lippen. „Das war ein cooler Auftritt, was war das? Und wie stark sind Sie?“ Man könnte fast meinen, dass ich sie ein wenig bewunderte. Vielleicht. Ein wenig. Bisher hatte ich einfach hier noch niemanden gesehen, der auch nur einen Hauch seiner Kräfte gezeigt hatte. Und genau dieses Interesse daran machte mich gerade auch noch viel umgänglicher. „Ich hab tausend Fragen, haben Sie etwas Zeit?“
Julia
Julia Bardera
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Eine kleine Welle der Erleichterung brach über Julia herein, als Miyako wenigstens diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten konnte. Wäre dem anders gewesen, hätte sich der Typ mit seinem Fruchtshop aber noch einmal etwas anhören müssen. Selbst wenn die Brünette keine Schülerin und nur eine normale jugendliche gewesen wäre, das entschuldigte nicht sein Verhalten. Eher das Gegenteil war der Fall, es verschlimmerte die ganze Sache irgendwie noch zusätzlich. Sie hoffte mal, dass niemand mehr in den Genuss dieses Obstheinos kommen würde. Manchen Leuten stieg die Hitze eben doch ein klein wenig zu Kopf, könnte man meinen. „Sehr gut.“, gab die Direktorin ihren Gefallen and er Aussage kund, konnte sich aber ein leichtes schmunzeln nicht verkneifen. Ja, wie durch Magie, natürlich. Manchmal hieß diese Magie Inkompetenz, manchmal auch einfach nur Schwerkraft oder Materialschwäche. Die Insel war zwar magisch, aber nicht so, dass hinter jeder Ecke eine Verschwörung lauerte. Aber vielleicht, nur vielleicht, lag Miyako dabei gar nicht mal so falsch. Ein prüfender Blick legte sich auf die Mimik des Mädchens und musterte sie erneut einen kurzen Moment. Dieses Mal aber nicht um ihre Körpermaße abzuschätzen, nein. Dieses Mal schaute Julia tiefer, intensiver. Das sie dafür wieder ihre erste Barriere öffnen musste, war allerdings ein unglücklicher Umstand. Aber was sein musste, musste sein. Und Tatsächlich, sie besaß ein erstaunliches Potential. Ungenutzt, wohlgemerkt. Wahrlich interessant. Aber niemand fiel gerne mit der Tür ins Haus, es sei denn er arbeitete bei der Polizei. Also schob sie das erst einmal ein bisschen nach hinten.
Erstmal hieß es sich der Begeisterung einer Schülerin zu stellen. Was im Endeffekt eine sehr ungewohnte Erfahrung für die Blondine war. Denn normalerweise war sie mit ihren Kräften wirklich sehr zurückhaltend und dann kam noch die Sache dazu, dass man als Direktorin sowieso der personifizierte Hass von Schülern und Angestellten gleichermaßen war. Nach einer tollen Fangemeinde hört sich das selbstverständlich nicht an. Ein nie endender Kreis, sehr zum Leidwesen der Dämonin. Aber die Welt war nun einmal kein Wunschkonzert, dass hatte sie sehr früh lernen müssen. „Das waren lediglich die normalen Vorzüge meiner Art.“, erwiderte sie ein wenig zurückhaltend um der Euphorie etwas entgegenzuwirken. Erreichte aber wohl das genaue Gegenteil damit. Wenn das erst die Spitze des Eisbergs war … ja, jeder weiß worauf man hinauswill. Aber jede Dämonin hatte halt so ihr Ego, Julia war da keine Ausnahme. Und allein deswegen musste natürlich auch noch eine kleine Zusatzinformation ihren Platz finden: „Ein kleiner Teil, könnte man sagen.“. Dass sie mit allen offenen Barrieren wohl nicht gerade eine Person zum Kuscheln war, hatte der letzte Kampf gegen die Werwölfe bewiesen. Wenn selbst diese dir im Kampf aus dem Weg gehen, dann sollte das schon etwas heißen. Das Miyako so höflich war, revidierte ebenfalls auch den Effekt vom gestrigen Abend ein wenig. Was zur Folge hatte, dass Julia sowieso noch ein wenig lockerer wurde. „Das kommt drauf an, wie lange die Fragen dauern.“, übte sie sich eines leichten Scherzes und verschränkte in üblicher Manier streng die Arme unter ihrer Brust, ihr Gesicht jedoch blieb freundlich. „Wobei ich sehr verwundert darüber bin, dass Sie so früh den Weg in die Stadt gefunden haben. Hat Sie auf dem Ball an dem Abend nichts mehr gehalten?“. Was ja durchaus eine berechtigte Frage war. Außerdem konnte sich die Direktorin das nicht selbst beantworten, weil sie ja selbst nicht wirklich dageblieben war. Im Nachhinein wohl eine gute Entscheidung, auch wenn Leviathans SMS zufolge doch eine kleine Kontrollrunde angebracht gewesen wäre. Aber gut, es war, wie es war. „Warum gehen wir nicht ein Stück? Es ist besser als in einer neugierigen Straße herumzustehen.“, unterbreitete sie mit leicht kritischem Unterton ihren Vorschlag. Denn nur weil sie nicht dorthin sah, hieß das nicht sie ignorierte die noch dort stehenden Leute, welche wohl auf eine weitere Sensation warteten. „Nicht jeder hat wohl einen interessanten Alltag, der unbedingt nach Aufmerksamkeit verlangt“. Das die Bardera dabei einmal kurz leicht schnaufte, war wohl ihren eigenen Gedanken zu verschulden. Mittlerweile sollte man davon ausgehen, dass die normalen Wesen es gewohnt waren auf das übernatürliche zu treffen, aber die Faszination an sich ist dann wohl doch ein bisschen zu groß, um es als Gegeben zu akzeptieren. Ob sich das jemals ändern würde? Julia hatte die Hoffnung bereits aufgegeben.
Scheinbar steckte mehr hinter der Fassade der Direktorin, als ich zu Anfang gedacht hatte - aber wer konnte es mir schon verübeln? Alle Direktoren, die ich bisher kennengelernt hatte, waren nur langweilige, alte Kerle die so absolut nichts Besonderes an sich hatten; immerhin wurde ich mehr oder weniger unter Menschen großgezogen, wenn man meine Familie mal außen vor ließ. Zwar hatte ich gestern überlegt, ob die Blondine vielleicht ein Sukkubus war, aber wirklich über Fähigkeiten hatte ich mir da keine Gedanken gemacht - vielleicht war sie in Echt ja unheimlich stark. Zumindest stärker als meine Mitschüler, immerhin musste man in so einer Position ja bestimmt dazu in der Lage sein, wildgewordene Kinder einzufangen ohne von ihnen ausgeknockt zu werden. „Ich hoffe ich seh' Sie mal in Action“, sagte ich leise und grinste. Ich hatte ja keine Ahnung, wie das aussehen würde und was für Auswirkungen es haben könnte - aber wenn man mir sagte, man hat nur einen winzigen Teil seiner Kraft gezeigt? Dann wollte ich jemanden doch umso mehr in Höchstform sehen! Das konnte sich die Bardera sicherlich auch selbst zusammenreimen; aber ob sie es darauf ausgelegt hatte? Fraglich.
Ich nahm ihre Antwort einfach mal als "Ja, stell mir so viele Fragen, wie du willst", war dann aber doch überrascht über die Frage der Blondine. Wobei, ich erinnerte mich, dass sie mich beim Ball abgeladen hatte, aber wohin war sie danach verschwunden? War sie überhaupt dort geblieben oder ist sie einfach nach Hause gefahren? Ich hob meine Arme und verschränkte die Finger meiner Hände hinter meinem Kopf, während ich mich in eine lockere Haltung begab, und beantwortete die Frage der Direktorin: „Oh doch, ich war lange auf dem Ball. Hab ein paar Leute kennengelernt...“ Neben Cyril und Lyall, die eindeutig positive Bekanntschaften waren, gab es da auch noch die Hausmeisterin, den Heimleiter, die komische andere Frau und Serah - aber sonderlich ins Detail musste ich ja nicht gehen, wer mich letzte Nacht noch angemeckert hatte und wer nicht. „Hab' nicht lange geschlafen weil ... erste Nacht an 'nem neuen Ort und so.“ Ich nickte energisch um meine Aussage zu unterstreichen - fast hätte ich ihr den wahren Grund gesagt, dass es nicht sonderlich bequem war, mit zwei anderen Kerlen in einem Bett zu schlafen. Wenigstens war mir noch rechtzeitig eingefallen, dass sie die Direktorin war und mich mit dieser Information bestimmt irgendwie bestrafen konnte. Ich löste meine Haltung wieder und nickte auf ihre Aufforderung hin - bestimmt standen wir irgendwie noch im Mittelpunkt, nach allem was sich die letzten 10 Minuten hier ereignet hatte, auch wenn wir gerade nichts spannendes mehr taten. Ich setzte mich in Bewegung und ebenso tat es die Bardera; doch bevor ich ihr meine Fragen an den Kopf warf, musste ich noch was anderes loswerden. „Sie können mich auch duzen, wäre mir lieber.“ Dieses ganze Höflichkeitsgetue war nichts für mich, in meiner Welt würde einfach jeder mit "du" angesprochen werden. Dieser klägliche Versuch mit einer Anrede Distanz zu wahren war zum kotzen, aber bestimmt sahen viele das ganz anders. Es war auch gut möglich, dass sie meine Worte ignorieren würde - ich konnte mir gut vorstellen, dass sie die Distanz zu anderen sehr wertschätzte. Während wir durch die Einkaufsstraße spazierten schaute ich mich noch ein wenig hier und da um und mein Blick wanderte umher, auch wenn nichts besonders auffällig hier war. „Also, erstmal: Ich weiß absolut nichts über diese Insel hier. Was ist mit den Bewohnern, wissen die... was das für eine Schule ist? Ist die ganze Insel ... so? Oder sind das hier alles normale Menschen?“ Ich hatte meine Stimme etwas gesenkt, damit man uns nicht so leicht belauschen konnte, während ich die Leute betrachtete, an denen wir vorbeigingen. Bestimmt hätten meine Eltern mir irgendwie mehr Informationen über diesen Ort geben können, ich glaubte nicht, dass sie diese Antworten nicht gehabt haben. Tch, unglaublich. Natürlich hatte ich noch mehr Fragen auf Lager - zumindest eine fiel mir spontan ein - aber ich gab der Direktorin lieber erstmal Zeit, auf diese zu antworten.
Julia
Julia Bardera
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Leicht nickend nahm die Direktorin die Antwort der brünetten Schülerin entgegen. Das machte natürlich Sinn. Allein wenn sie an ihre ersten Nächte außerhalb der Insel zurückdachte und sich an dieses Gefühl der Fremde zurückerinnerte, es war nicht unbedingt schön. Gut, bei ihr kam ein verkorkstes Elternhaus noch obendrauf, aber das war hier wohl kein geltender Maßstab. Zumindest nicht zwangsläufig. Sie kannte Miyako nicht gut genug, als dass sie sich davon ein Bild hätte machen können, geschweige denn ihre Eltern. „Ja, das eingewöhnen braucht seine Zeit.“, stimmte sie leicht nachdenklich zu und nickte leicht. „Besonders wenn man ein ganz anderes Umfeld gewöhnt ist, fühlt man sich meist ein wenig verloren.“. Sie lächelte ein kleines bisschen. „Aber so lange der Abend mit guten Bekanntschaften geprägt war, würde das allein ja schon ausreichen.“. Und sie hoffte aufs inständigste das es gute Begegnungen gewesen waren. Ansonsten musste sie sich ernsthafte Sorgen um den Zustand der Schüler machen und ein paar mehr erzieherische Maßnahmen einleiten. Ganz zu schweigen von den erzieherischen Maßnahmen @Leviathan gegenüber. Auch wenn er sich diesen immer relativ gut entzog. Aber das würde er nicht auf ewig schaffen, hoffte sie zumindest.
Das Angebot die aktuelle Position zu verlassen war wohl nicht nur allein in Julias Interesse. Gut, aber wem gingen die ganzen Leute nicht auf die Nerven? Durch eine Bewegung zwang man automatisch auch die Beobachter mit nachzuziehen, ganz normale Psychologie. Immerhin wollte man ja selbst immer nicht des Gaffens bezichtigt werden und sein Gesicht wahren. Beinahe alle Wesen tickten so und das würde sich wohl auch nie ändern. Ganz besonders, wenn die Blicke der Dämonin immer mal wieder die Gesichter in ihrer Umgebung ansahen und ihr tiefes blau eine passive Drohung von 1000 Jahren im Fegefeuer aussprach. Zumindest mochte das so wirken, wenn man die Bardera nicht so gut kannte. Immer wenn sie Miyako ansah, änderte sich das jedoch schlagartig wieder. Die Gesichtszüge verwandelten das kalte Antlitz in ein relativ neutrales, leicht freundliches Schauspiel. Ganz zu schweigen von ihren Blicken, die nun nicht mehr wie eine Androhung von lebenslanger Knechtschaft unter ihr dreinschauten. Allerdings würde sich auch das nicht lange halten. Die nächsten Gesichter wurden schon wieder mit konsequenter Neutralität abgestraft. Mehr Aufmerksamkeit, so Julia, hatten sie sich einfach nicht verdient. Das Gespräch mit ihrer Schülerin war ohnehin wichtiger gewesen. Ein überraschter Blick traf ihre Begleitung, dann allerdings zeigte sich ein leichtes Schmunzeln auf ihren Lippen. Es war irgendwie schon ein bisschen ironisch das Duzen so an ihre Person heranzutragen, aber gleichzeitig auch das größte Erfolgsrezept. Immerhin würde Julia von selbst nie so einen Vorschlag machen, es sei denn man arbeitete zusammen. Okay, und im Unterricht, aber das war was anderes … irgendwie. „Okay, ich werde es versuchen … dich zu duzen.“, äußerte sie leicht frech ihre verzögerte Antwort und überließ dabei die Interpretation, ob das nun gut oder schlecht war, ganz einfach Miyako. Stattdessen bekam sie nur einen leichten Blick von der Seite, während sich die Beiden den Weg die Einkaufsstraße hinunterbewegten. Die Dämonin wartete immer noch auf die besagten Fragen, wollte sie aber auch nicht Drängen jetzt unbedingt mit der Sprache herauszurücken. Sie hatte kein Problem damit still zu sein, aber so lange dauerte es nun auch nicht.
„Es ist eine eher schwierige Frage.“, waren die ersten Worte einer wohl doch komplexeren Antwort. „Eigentlich sollten es alle wissen, aber auf der anderen Seite gibt es auch Ausnahmen.“, und Julia verschränkte ihre Hände hinter ihrem Rücken, während sie weitergingen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann verdrängen manche Leute hier gerne einmal die Existenz von sowas, auch wenn es augenscheinlich nicht möglich erscheint. Dennoch ist der hauptsächliche Teil wohl auf dem Stand der Dinge. Immerhin wäre es sonst unmöglich eine Institution dieser Größe lange geheim zu halten.“, sie machte eine kurze Pause. „Immerhin brauchen auch wir irgendwo unsere Gönner und Patrone. Diese Welt gehört nun einmal nicht uns allein.“. Was, um ehrlich zu sein, auch ein beruhigender Faktor war. Eine Welt nur vom übernatürlichen regiert? Vermutlich würden diese Fraktionen mehr Krieg führen als die Menschen es ohnehin schon taten. Da war sie mit dieser Lösung eindeutig eher einverstanden. „Außerdem gibt es manche hier, die noch nie unter Menschen gelebt haben. Es geht schwer ihnen das beizubringen, wenn sie nur unter ihresgleichen sind. Nicht alle bleiben hier.“, ihr Blick glitt zu Miyako und fixierte sie mit einer komischen Mischung aus Skepsis und gleichzeitig Fürsorge. „Auch du willst diese Insel sicherlich wieder verlassen und das ist nur verständlich.“, ihre Stimme wirkte ein klein wenig zögerlich bei diesen Worten. „Und die Lehrer und ich stellen dabei sicher, dass ihr das könnt, ohne euch oder die Leute um euch herum zu gefährden.“. Gut, sie hatte jetzt ein bisschen weit ausgeholt. Aber es war ihr verdammt wichtig den Grund dieses Aufenthaltes hier hervorzuheben. Das er nicht unnötig oder aus reinem Hass herbeigeführt wurde. Wenn man so will war es Julias Sicht auf die Dinge. Neben dem Ziel ihnen hier auch die Freiheit eines Angstfreien Lebens zu bieten. Aber wer wusste schon ob das großartig Anklang fand. Innerlich bezweifelte es die Direktorin schon ein bisschen. Nicht, dass sie Miyako für dumm hielt. Nein, ganz und gar nicht. Aber Intelligenz und der Freigeist der Jugend hielten eben auch hier so ihre Tücken parat. Aber vielleicht half es ja das sie mit der jungen Vertreterin ihrer Art auf Augenhöhe sprach. Zumindest hoffte sie das. "Verstehst du, worauf ich hinaus will?"
Wenigstens meine Erklärung, warum ich schon wieder wach war, hatte die Direktorin ohne zu zögern akzeptiert und reagierte darauf sehr verständnisvoll. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir aber auch bewusst, dass meine Worte gar nicht unbedingt gelogen waren - eher nur einen Teil meines abends wegließen. Sonderlich fest hatte ich nicht geschlafen, und hätte ich ganz bestimmt auch nicht in meinem eigenen Bett, welches sich absolut noch nicht wie meins anfühlte. Wie lange würde es dauern, bis es das tat? Musste das überhaupt so kommen? Noch immer stand für mich nicht zu 100 Prozen fest, dass ich auch die nächsten Tage noch auf dieser Insel sein würde; noch hatte ich andere Ideen, auch wenn diese eher geringe Erfolgschancen mit sich trugen. Zu meiner Überraschung jedoch akzeptierte die Blondine auch meinen Vorschlag, mich zu duzen. Etwas verwundert schaute ich zu ihr, da sie sich irgendwie viel umgänglicher benahm, als sie aussah, schenkte ihr dann jedoch ein Grinsen. Dann wäre das ja geklärt, mehr wollte ich auch gar nicht - sie beim Vornamen anzusprechen wäre für mich ein bisschen sehr komisch, weswegen ich hoffte, sie würde mir das gar nicht anbieten. Und glauben tat ich es auch nicht, dass sie das tun würde; obwohl die Frau schon die ganze Zeit mit Überraschungen um sich warf. Dieser Vorschlag jedoch wurde nicht geäußert und ich bewegte mich zufrieden weiter fort, den Blick erneut auf den Weg vor mich gerichtet und ab und zu auf die Menschen, die uns auswichen.
Meine erste Frage war ausgesprochen und ich spitzte die Ohren, um der Antwort der Direktorin zuzuhören, auch ohne sie dabei anzusehen. So wie ich es verstand, sollten alle hier irgendwie wissen, was es mit dem Shima no Koji auf sich hatte - aber dann gab es manche Leute die einfach zu stur oder ängstlich waren, um sich die Wahrheit einzugestehen. Kam irgendwie hin. Ich hoffte mal, dass das bedeutete, dass man hier seine Kräfte benutzen durfte - nicht unbedingt Inselbewohner in Flammen aufgehen zu lassen, aber eventuell ja rumzufliegen. Ich war es mein ganzes Leben lang schon gewohnt, anderen Leuten außer meiner Familie meine Fähigkeiten nicht zu zeigen, da spielte es für mich auch nicht so eine große Rolle; ich würde mich in der Stadt hier einfach zurückhalten, weil ich ja so brav war. Zumindest würde ich das, wenn mir danach war und die anderen es auch taten; außer mit dem fliegen, das war einfach zu praktisch. Von der Direktorin kam sogleich auch noch eine Frage, als wäre das hier eine Unterrichtsstunde lite, wo sie testete, ob ich auch aufgepasst hatte. „Ich denke schon“, murmelte ich und sortierte meine Gedanken für ein paar Sekunden, ehe ich weitersprach. „Aber ich hab mein ganzes Leben lang unter Menschen gelebt, ich brauche diese Insel oder Schule nicht!“ Ich warf der Blonden einen mürrischen Seitenblick zu. Ich war wohl, trotz meiner Art, eine der letzten Personen, die es lernen musste, unter normalen Menschen zu leben. „Und wie könnt ihr in der Schule einfach alle möglichen Rassen zusammenwerfen und glauben, dass das gut geht?! Stopft einfach einen Engel und Dämon in ein Zimmer und hofft, dass das so passt?“ Das Szenario war noch rein theoretisch, da ich nicht sicher wusste, ob es Engel überhaupt gab - aber ich ging einfach mal davon aus. Etwas wütend schob ich meine Hand in meine Hosentasche und zog ein Bonbon heraus, welches ausgepackt und in meinen Mund geschoben wurde, ehe die Verpackung wieder in der Hosentasche landete. Ich war zwar ein Dämon, aber nichtmal ich war so dämlich, die Umwelt verschmutzen zu wollen. „Und jetzt kommt schon mein letzter Punkt. Ich hab die Schnauze voll davon, mich Menschen anzupassen und brav in deren Gesellschaft zu leben. Meine Eltern haben mir nie von ihrem Leben vor der Menschenwelt erzählt - aber Sie sind auch ein Dämon!“ Ich machte ein, zwei schnellere Schritte nach vorne und stellte mich vor die Bardera; ich war zwar genervt, doch schaute ich sie hauptsächlich hoffnungsvoll an. „Ich passe hier absolut nicht hin, also meine Frage: Wissen Sie, wie man in die Unterwelt kommt?“ Sollte der Direktorin bei meiner Frage nach lachen zumute sein, sollte sie an meinem Gesichtsausdruck merken, dass es mir absolut ernst war. Ich würde zu gerne mein Glück unter anderen Dämonen probieren, anstatt hier mit Kindern brav mitzuspielen und einen auf heile Welt zu machen. Ich schlug meine Handflächen begeistert zusammen und schaute die Frau vor mir mit einem freudigen Funkeln in meinen Augen an. „Wenn das eben nur die Spitze des Eisberges war, dann will ich unbedingt sehen, was für andere Dämonen es gibt und wie stark sie sind!“
Julia
Julia Bardera
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Die anfängliche Hoffnung Julias auf eine Verständigung auf Augenhöhe war zwar nicht gänzlich im Boden versunken, aber schon ab den ersten Worten zeigten sich die unverkennbaren Differenzen auf, welche sich zwischen den beiden Frauen befanden. Auf der einen Seite die Direktorin, welche den Überblick hatte und lediglich ihren Standpunkt verdeutlichen wollte; und auf der Anderen Miyako, welche zwar auch einen guten Punkt nannte, aber diesen laut Julia nicht so wirklich überdacht hatte. Aber vorerst sagte die Dämonin nichts dazu. Insbesondere ihre Vorstellung von Unterricht und dem Leben mit anderen Rassen zusammen war schon eine lustige Vorstellung. Genau genommen war sie sogar so unterhaltsam, dass die Bardera en leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. Die Lösung wäre viel zu simpel und in pädagogischer Sicht auch einfach nicht tragbar. „So einfach ist es dann doch nicht.“, äußerte sie sich in Miyakos kleiner Pause und wandte ihr erneut den Blick zu, „Es gehört mehr dazu als zwei Wesen in einen Raum zu sperren, auch wenn viele diese Lösung bevorzugen würden.“. Und natürlich konnte man jetzt sagen, dass Julia ihren Job verteidigen musste und das, wofür die Schule stand. Die Sache war nur, wenn die Dämonin nicht davon überzeugt von dieser Sache hier wäre, so würde sie auch nicht hier ihr Leben fristen und ihre Zeit dafür Opfern. Aber das war kein Argument für eine Auseinandersetzung mit einer Schülerin, die in ihrem Leben freilich noch ganz andere Sorgen und Vorstellungen hatte.
Und welche Vorstellungen das wiederrum waren, gab die Brünette auch schon kurze zeit später bekannt. Al wäre es ein Verbrechen, sie überhaupt in die Welt der Menschen gepackt und dann darin aufgezogen zu haben, protestierte allein schon ihre Stimme gegen die Geheimnistuerei ihrer Eltern. Das Gesicht zog nur wenige Sekunden später nach, um dieser Enttäuschung zusätzlich noch einmal Nachdruck zu verleihen. Hätte die Blondine nicht so gute Reflexe gehabt, wäre sei in diesem Moment wohl einfach in Miyako reingelaufen. Stattdessen bremsten ihre Füße noch in der Bewegung des nächsten Schrittes und brachten ihre Schuhe in einem angemessenen Abstand zu ihrer Schülerin zum Stehen. Schweigsam aber zur gleichen Zeit aufmerksam ruhten die blauen Augen der Dämonin auf ihrer Gesprächspartnerin. Stille breitete sich auf ihrer Seite aus und ihre Arme lösten sich aus ihrer Position hinter dem Rücken und sanken wieder nach vorne. Es wirkte beinahe schon skurril, dass sie in eine Welt zurückwollte aus der ihre Eltern weggegangen waren. Selbst Julia hatte sich dort nur sehr kurz aufgehalten und das hatte seine guten Gründe. Diese Umgebung war nichts für friedliebende Kreaturen und Tagträumer, eher das Gegenteil war der Fall. Dort, so hieß es, sah man die wahre Natur von Dämonen und damit bezogen sich Julias Gedanken nicht auf diese minderwertigen Imps, sondern vollblütige Dämonen. Wie Miyako einer war, wie sie selbst einer war. Und gerade sie selbst ist mit ihrer Kindheit kaum anders behandelt worden. Dominanz um jeden Preis, hieß es immer aus dem Mund ihres Vaters. Umso unverständlicher war für Julia die Begeisterung des Mädchens. Mit ihrer Vorstellung, dass sie unbedingt eine Vielzahl von eben diesen kennenlernen wollte, wirkte es schon fast wie der Traum eines Teenagers, der unbedingt seine Lieblingsband sehen wollte aber das notwendige Alter noch nicht erfüllte.
„Wenn es so einfach wäre, zwischen den Welten zu wandeln, dann würde es jeder tun. Das ist eine Fähigkeit, die nur wenigen obliegt.“, und ob sie eine dieser wenigen war, ließ sie mit absolutem Kalkül offen. Auch wenn ihre Stimme eine leicht negative Antwort dort hineininterpretieren ließ. Aber darum ging es gar nicht. Allein deswegen kam es, dass sich Julia ein bisschen zu Miyako hinunterneigte, um die paar Zentimeter größenunterscheid zwischen ihnen zunichte zu machen. Die normalerweise umgängliche Direktorin schaute geradezu beängstigend neutral in das Gesicht der Braunhaarigen. Diese Fantasie laufen zu lassen würde später noch zu Schwierigkeiten führen. „Wenn das erst die Spitze des Eisberges war.“, und ihre Stimme hallte beinahe schon bedrohlich ermahnend aus ihrer Kehle hervor, „Dann solltest du dir Gedanken darüber machen, ob du vielleicht nicht hierbleibst. Denn egal was hier passiert, deine Eltern werden nicht ohne Grund gegangen sein.“. Ihre Augen bohrten sich geradezu in die ihrer Schülerin. Eine Mischung aus unsagbarem Ernst und die Forderung nach absolutem Gehorsam schwamm in ihnen mit. Es war dieser Funken dämonischen Ursprungs, der dort in ihr lungerte und sich kurz zeigte. Der das Blau in ihren Pupillen wie ein alles verschlingendes Momentum erscheinen ließ und jede Bewegung in ihrem Blickfeld zum Stehen brachte und in sich einsog. Erinnerungen passierten Julias Kopf, dann sprach sie weiter. „Sie haben eine unglaubliche Bürde auf sich genommen, um dir ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen.“, betonte sie nochmals den guten Willen ihrer Eltern hinter der Aktion. Auch, wenn Miyako es wohl nicht wirklich gerne hören wollte. „Und bedenke dabei, dass allein sie viel stärker sind, als du es momentan bist. Wenn andere Artgenossen zu treffen so schön gewesen wäre, dann hätten sie diesen Ort auch nicht verlassen müssen, oder?“. Was eigentlich eine rein rhetorische Frage war. Natürlich war es so, aber das musste das Kind für sich selbst akzeptieren. Die Direktorin konnte natürlich auch einfach ihre pure dämonische Seite sprechen lassen. Nur dann war wirklich absehbar, dass hier kein Land mehr gewonnen werden konnte. Lediglich ein zurückdrehen der Zeit hätte da wohl noch Abhilfe geschaffen. „Tue deiner Familie und vor allem dir selbst also den gefallen und lass die Idee fallen. Es wäre wirklich Schade um dein Potential und was du noch alles lernen könntest. Lass dich in solchen Sachen nicht von utopischem Leichtsinn lenken.“, und die Wärme kehrte während des letzten Satzes wieder zurück in ihr Gesicht. Auch spiegelten ihre Augen einen bittenden, fast schon flehenden Blick wider. Sie war nicht die beste Erzieherin, oder die beste Mutter. Aber sie würde den Schmerz nachempfinden können, wenn plötzlich eines ihrer Kinder einfach verschwinden würde. Besonders wenn es ein Ort war, wo man nicht viel tolles erwarten konnte. Bei Levi ging es ihr sehr oft genauso, war der Engel doch ein Meister der riskanten Manöver. Hoffentlich rüttelte das an dem Gewissen des Mädchens … hoffentlich.
Die Bardera sagte zwar, dass mehr dazu gehörte, als irgendwelche Wesen in den gleichen Raum zu stopfen - aber tat es das wirklich? Letzte Nacht auf dem Ball waren hier und da zwar Erwachsene gewesen, die sicherlich für die Aufsicht da waren, aber später im Wohnheim dafür war tote Hose. Wer hätte da dann aufgepasst, dass ein Dämon keinem Engel die Flügel ausriss? Ich war zwar absolut noch nicht lange hier und hatte keine Ahnung, wie die Autoritätspersonen die Läden schmissen, aber ich würde wetten, dass es eindeutige Schwachstellen gab. Was, wenn alle Schüler auf einmal randalieren würden? Hätten alle Lehrer und Erzieher das dann wirklich unter Kontrolle? Irgendwie bezweifelte ich das dann doch stark. Aber wenn sie nicht dumm waren, hatten sie für so einen Fall irgendwas in der Hinterhand.
Die Antwort der Direktorin nahm mir sofort den Wind aus den Segeln und von Enthusiasmus war kaum mehr was in meinem Gesicht zu erkennen. Stattdessen ließ ich lustlos die Arme wieder sinken und schaute sie relativ neutral an - was für eine Aussage. Die Blondine schien es zu lieben, nicht klar heraus zu sagen was sie konnte und was nicht; aber um mir ein ewiges, geistliches hin und her zu ersparen ging ich einfach davon aus, dass sie keine Möglichkeit hatte, in die Unterwelt zu gelangen. Damit hatte sich mein Aufenthalt hier eigentlich schon erledigt; ich hatte keine weiteren Fragen mehr und wirklich von Nutzen war die schweigsame Frau auch nicht. Und irgendwie konnte ich mir auch bessere Gesellschaft an einem Schulfreien Tag vorstellen, was nichtmal unbedingt was gegen die Frau war. Nur... war sie eben die Direktorin. Anstatt mich aber gehen zu lassen beugte sich die Frau etwas zu mir herunter und es war, als wäre auf einmal die ganze Stimmung umgeschlagen. Was folgte waren eine Menge Worte die glaubte ich dazu dienen sollten, mich von meiner Idee abzubringen und eventuell abzuschrecken - aber natürlich hatten sie eine absolut andere Wirkung. Die Blondine war auf streng und fast furchteinflößend umgestiegen, nur schien sie, so viel sie auch über meine Eltern redete, zu vergessen, dass diese auch Dämonen waren. Als wäre ich diese Ansprachen nicht schon gewöhnt. Ich verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und erwiderte die ganze Zeit über den kühlen Blick der Bardera, während ich mir öfter in meinem Kopf ein "Blablabla" dazu dachte. Meiner Ansicht nach waren meine Eltern gegangen, weil sie viel zu friedliebend waren; und warum sollte das bedeuten, dass ich ein sorgenfreies, friedliches Leben haben wollte? Als könnte ich mir nicht denken, dass es das in der Unterwelt nicht so einfach gab. Und natürlich gab es dort viel stärkere Dämonen als mich, dadurch konnte ich ja auch stärker werden! Als ob es hier irgendwen gab, der mich ordentlich trainieren würde. Und wenn sie zu stark waren und ich starb ... dann war das halt so. Mir doch egal!
Ein wenig schwand mein Trotz als die Direktorin ihren vorerst letzten Satz zuende sprach und fast schon irgendwie.. besorgt aussah. Oder bildete ich es mir ein? Zumindest schien die Kälte weg zu sein und der Gesichtsausdruck der Frau vor mir war weicher. Mit noch immer vor der Brust verschränkten Armen schaute ich sie für ein paar Momente an, ehe ich einfach die Augen schloss und nachdachte, dabei entnervt mit dem rechten Fuß auf dem Boden rumtippend. Ebenso wie mein Fuß und meine Haltung meine Laune wiederspiegelte taten es auch meine zusammengezogenen Augenbrauen, während ich über das Gesagte nachdachte. Die Frau sollte definitiv lernen, sich klarer auszudrücken, das stand fest. Wenn sie einem Teenager eine Idee austreiben wollte war das hier bestimmt nicht der richtige Weg, es zu tun. Sie musste die Idee wirklich unattraktiv aussehen lassen, und nicht an mich appelieren dass ich das meinen Eltern doch nicht antun konnte, auf die ich gerade sowieso keinen Nerv hatte! Andererseits hatte ich nicht das Gefühl, dass die Bardera das alles nur gesagt hatte, um mir auf die Eierstöcke zu gehen - vielleicht sorgte sie sich ja wirklich um mich, auch wenn sie mich nicht kannte. Langsam öffnete ich die Augenlider wieder und löste meine verschränkten Arme, während ich leicht zu der Blondine hochsah und sie neutral anschaute. „Okay, Sie haben mich überzeugt.“ Nicht. Aber das musste sie ja wissen. Wenigstens wusste ich jetzt, dass sie nicht der richtige Ansprechpartner war; das war doch auch etwas. Ich würde irgendwo anders mein Glück versuchen. Ich gab mir gerade nichtmal sonderlich Mühe, nicht neutral und desinteressiert auszusehen; aber es war mir auch egal ob sie merkte, dass ich nicht die Wahrheit sagte. „Dann geh ich mal wieder“, sagte ich knapp und ging einfach an der Direktorin vorbei und den Weg entlang, den wir vorhin noch gekommen waren. Mit zügigen Schritten entfernte ich mich von ihr und war mir ziemlich sicher, dass sie daran merkte, dass ihre Rede nicht ganz gefruchtet hatte. Aber das war mir gerade auch ziemlich egal.
Julias Apelle waren wohl nicht gerade die Effektivsten gewesen. Anstatt schlagartig mit ihrer Meinung herum zu rudern und sich einsichtig zu zeigen, verschränkte die Schülerin vor ihr nur leicht unbeeindruckt die Arme. Wenn sie wüsste, wie Julia das gerade innerlich strapazierte. Irgendwie ging ihr diese Körperhaltung schon ein bisschen auf den Geist. Zumindest wenn sie die ganze Zeit von Kindern ausgeführt wurde, die sich, so wie Miyako gerade, einfach über die Warnungen hinwegsetzten. Auf der anderen Seite war sie es schon von Leviathan gewohnt gewesen, der sich ebenfalls gerne an solch trotzigen Dingen übte und dabei nicht zuletzt auch mal ein paar deftigere Worte folgen ließ, als es die braunhaarige Dämonin vor ihr gerade tat. In diesem Aspekt war sie sogar ein wenig Handzahmer als der Engel, wobei das kein Kunstwerk war. Allein die SMS an ihn hatte noch keinerlei Antwort gefunden. Vermutlich schlief der Junge auch noch seinen Rausch aus. So – oder so ähnlich – würde es wohl sein. Und – das musste man erst einmal realisieren – die Dämonin hielt wenigstens den Augenkontakt aufrecht. Trotzdem, es war abzusehen wohin das führte. Da musste sich Julia beinahe zurückhalten nicht zu lachen, als Miyako plötzlich einfach einlenkte und Stimme, sowie Gestik etwas komplett gegeneinander Laufendes von sich gab. Es war beinahe schon ein süßer Versuch die Wahrheit zu verbergen, falls sie das überhaupt als Ziel hatte. Immerhin waren Jugendliche nicht dumm und weitaus besser im Verbergen von Sachen, als man anfänglich annehmen würde. Die Blondine wusste also nicht wirklich, ob sie diese indirekte Ehrlichkeit nun schätzen, oder doch kritisieren sollte. Vorerst aber blieb ihr nichts von beiden Wegen übrig, denn Miyako ging dann schon ihrer Wege. „Pass auf dich auf.“, waren die letzten Worte Julias ihrer Schülerin gegenüber. Nicht wissend ob sie ihr in dem Anflug spontaner Flüchtigkeit überhaupt noch ein Ohr geschenkt hatte. Lediglich die saphirblauen Augen von ihr folgten der Schülerin weiter die Einkaufsstraße hinunter, bis sie letzten Endes hinter einer Ecke verschwand.
„Mh.“, äußerte sich ihre mentale Situation kurz verbal und Julia setzte sich ebenfalls wieder in Bewegung. Sie wollte also in die Unterwelt … komischer Plan. Vor allem aber die Frage nach dem warum war hier ein weiteres Rätsel für sich. Ja, sie deutete an neue Dämonen kennenlernen zu wollen, damit sie stärker wurde. Aber das musste nur ein kleiner Teil ihrer Intentionen sein. Logischerweise rückte niemand sofort mit seinen ganzen Plänen und Gründen heraus. Das tat nicht einmal sie, obwohl ihre Wenigkeit sich da am Wenigsten verstecken musste. Kurz stoppte Julia auf der Einkaufsstraße und legte ihre Hand am Kinn an. Vielleicht musste sie nochmal in der Akte des Mädchens nachschauen, oder noch besser jemanden darauf ansetzen. Sie konnte Miyako nicht davon abbringen, oder eventuell nur ins Wanken bringen. Das schaffte die Situation allerdings nicht aus der Welt. Sollte sie einen Weg finden … nun, solche Türen funktionierten in beide Richtungen. Die Dämonin seufzte genervt und gestresst zugleich, ehe sie ihr Weg einmal um den gesamten Geschäftsblock führte und letzten Endes an ihrer Ausgangsposition ankommen ließ. „Ich denke es wird Zeit dem ganzen Mal persönlich auf den Grund zu gehen.“, machte sie eine gedankliche Notiz für sich selbst und schaute noch einmal auf ihr Telefon. Nein, immer noch nichts. Gut! Damit hatte sich das gerade sowieso schon erledigt. Mit einem zielstrebigen Gang wurde der Weg zurück zum Haus in Angriff genommen. Er wollte wissen wann sie Zeit hat, die Frage konnten sie auch von Angesicht zu Angesicht klären. Würde ihm zwar nicht passen, aber das war ihr gerade herzlich egal. Einer besorgten (Zieh)Mutter konnte man sowas immerhin nicht übelnehmen. Und wenn es die Affen beim Wohnheim störte, dann sollten sie vielleicht endlich mal aufschlüsseln, warum der Bengel nicht einfach bei ihr wohnen durfte. Allein bei dem Gedanken schüttelte sie leicht deprimiert den Kopf und machte mehr Tempo. Sie hatte nicht vor noch mehr Zeit ihres Tages zu vergeuden. Aus dem Schaufensterbummel würde sowieso nie was werden. Zumindest nicht ohne eine kompetente Beratung … und was sie nicht hatte, sollte jedem eigentlich klar sein. Aber nun gut, es gab andere Sachen zu tun. Levi erwartete Besuch…
Die Freiheit zu besitzen, tun zu können, wonach es einem beliebte, war ein Privileg, welches viele Menschen auf dieser Welt besaßen, noch mehr jedoch vermissten. Liam war Zeit seines Lebens weder das eine noch das andere gewesen. Zum einen hatte er nie wirklich etwas wie Freiheit empfunden. Die Freiheit, welche er hatte, hatte er sich immer erkämpfen müssen. Wie ein Haus ohne Statik hatte er die Wände selbst stützen müssen. Das war ihm oft gelungen; wenn auch es hin und wieder immer mal zusammenfiel. Auf alle Fälle hatte er sich nie groß beschwert. Natürlich wollte man weniger Sorgen im Leben, aber das Konzept von Freiheit … er hatte es seit seiner frühen Kindheit verlernt. Drum fiel es ihm hier auf Isola umso schwerer, etwas mit sich anzufangen. Der Unterricht hatte heute noch nicht begonnen, also war er am Morgen im Gym gewesen. Zwar hatte ihn dort eine nervige Pute kurzzeitig abgelenkt, doch unterm Strich hatte er ein zufriedenstellendes Programm durchlaufen können.
Im Anschluss an den Sport war er zum Wohnheim zurückkehrt, um dort zu duschen und - eigentlich - um auch etwas zu essen. Auf dem Weg zur Speisehalle hatte ihn jedoch ein starkes Unwohlsein überfallen. Also mied er den Ort lieber und wanderte zurück in die Stadt. Hier gab es genug Stände, wo man sich etwas Warmes auf die Hand mitnehmen konnte. Mochte nicht das Gesündeste sein, aber das juckte ihn in dem Moment reichlich wenig. Das erste, was er fand, war ein kleiner mobiler Straßenstand, der geröstete Süßkartoffeln verkaufte. Oft hatte Liam diese andere Art der Kartoffel noch nicht gegessen. Abgeneigt war er jedenfalls nicht, wenn auch er ihren Geschmack sehr gewöhnungsbedürftig fand. Die normale Kartoffel war deutlich vielseitiger in der Kombination, dachte er sich. »Eine Kartoffel«, sprach er zu dem jungen Mädel hinter dem Stand. Musste wohl ihr Taschengeld auffrischen, vermutete er; oder ihr Großvater zwang sie dazu. Konnte ja auch sein. Aber was es auch war, es war Liam vollkommen egal. Er achtete nicht mal darauf, ob sie gut aussah, ob sie ihn anlächelte oder was auch immer. Er wollte nur die Kartoffel. Also nahm er sie mit einem Nicken entgegen und bezahlte. Die erste Erkenntnis war, dass sie ziemlich heiß in der Hand lag. Die zweite Erkenntnis war, dass ein Tanktop keine Ärmel hatte, die man sich zum Schutz über die Hände ziehen konnte. Also nahm er das untere Ende seines Oberteils, legte es auf seine Hand und darin wiederum die heiße Süßkartoffel. Die Reaktion des Mädels ob seines befreiten Bauches bekam er ebenfalls nicht mit.
Ein Weilchen später, da war die Süße bereits vertilgt, kam Liam an einem festen Stand vorbei, der ebenfalls Kartoffeln verkaufte. Dieses Mal waren sie aber weder süß noch geröstet. Sie hießen auch ganz anders: Korokken. Erinnerte ihn sofort an Kroketten und so ein Zeug. Bestanden auch beide aus Kartoffeln. Bei den Korokken mixten die Japaner aber noch andere Sachen mit hinein wie beispielsweise Fleisch. Das Ganze war dann vermutlich in Ei und Paniermehl gewälzt und frittiert worden. Streetfood wie man es kannte - Fritteuse sei dank. Zwar dachte sich Liam, nicht schon wieder Kartoffeln essen zu wollen, doch irgendwie hatte er trotzdem Interesse daran, es auszuprobieren. Am Ende war es sogar gut, dass er sich dafür entschieden hatte, denn die Teile schmeckten ziemlich gut. Eine Korokke war nur ziemlich wenig, also holte er sich eine Zweite. Danach ging es weiter die Straße entlang. Vielleicht fand sich noch etwas Interessantes.
»If you don't heal what hurt you, you'll bleed on people who didn't cut you.«
06.01.2016, Am Nachmittag Einstiegspost - stalking @Liam | Outfit
Eine Woche war sie schon hier auf dieser Insel gewesen und es fühlte sich an wie eine komplett andere Welt. Natürlich war es in erster Linie nicht so kalt, als wäre sie weiterhin in Russland – oder wo auch immer – gewesen, aber auch von der Atmosphäre her war es weniger beklemmend gewesen als eine Großstadt. Die Leute schienen ruhiger, vertrauenswürdiger; und allem voran weniger aufdringlich. Wobei sie das auch nur vermutete, da sie noch nicht wirklich Zeit gehabt hatte sich dem nächtlichen Party-Leben hinzugeben. Sie wusste, dass es in ihrem alten Ort sehr wild werden konnte, doch wie viele andere war das einfach nur ein Mittel, um ihr beschissenes Leben für ein paar Sekunden zu vergessen. Sie sah es in den Augen derjenigen, mit denen sie dort in Kontakt getreten war … wenn auch nur oberflächlich. Sie alle rannten vor demselben Ding davon und keiner wollte stehen bleiben, um mal nachzusehen, ob es überhaupt noch da war. Sie brauchten diese Gewissheit nicht, weil sie es spürten. Wie ein Stiefel im Nacken, der einem die Luft abdrückte. Also griffen sie zum Alkohol, um den Schmerz zu lindern, bevor sie ihre Tragödie dann in die Toilette reiherten. Keine wirklich würdevolle Vorstellung, aber sie war auch einmal an dem Punkt gewesen. Es war eine dieser Ein-Mal-und-nie-wieder Erfahrungen. Weggespült hatte es ihre Situation nicht; ebenso wenig, wie sich die Dinge danach gebessert hatten. Es war einfach nur eine Betäubung, um nicht wahnsinnig zu werden. Die Kontrolle behalten, indem man sie verlor. So paradox – und vermutlich auch bescheuert – das klingen mochte. Sie erwartete nicht, dass irgendjemand diese Ansicht verstehen würde - wenn es überhaupt jemand konnte. Trotzdem hatte sie die Hoffnung, dass hier in diesem Ort alles besser werden würde … irgendwie. Sie hatte ja schon angefangen hier in den Läden nach neuen Klamotten zu suchen, weil sie persönlich nicht sonderlich viel dabeihatte. Es waren meistens Kleider für kältere Gefilde und ein extrem knapper Fummel, den man den Erziehern hier wohl kaum mit gutem Gewissen präsentieren konnte. Es war etwas zum Ausgehen … und sie war seit der Woche hier hin- und hergerissen gewesen sich dieser Versuchung hinzugeben. Entschied sich aber – aufgrund ihres generellen Misstrauens – schlussendlich immer dagegen. So oder so, sie hatte noch keine Freunde, vor denen sie sich rechtfertigen musste. Stattdessen aber dieses ungemütliche Gefühl in ihrer Magengegend, seit der Rest des Wohnheims wieder da war. Wenn sie nicht sogar das Gefühl hatte, irgendwie eine familiäre Präsenz zu spüren. Was – gelinde gesagt – Wahnsinn war. So etwas hatte sie schon lange nicht mehr gespürt und bis jetzt ging sie auch davon aus, dass es bald wieder Zeit war die Wärmflasche auszupacken. Wie gesagt: Bis jetzt.
Als Liliana sich nämlich mit ihrer kleinen Tasche die Einkaufsstraße entlangbewegte, stießen ihre Augen in der nicht drastisch Bevölkerten Menge plötzlich auf einen weiß-blonden Haarschopf. Erstmal nichts Ungewöhnliches, aber dieses Gesicht dazu … es war genug, um ihren Gang sofort im Keim zu ersticken und erstmal einen kleinen Moment zu pausieren. Das konnte nicht … oder? Nein, sicherlich nicht … oder doch? Sie war hin und hergerissen zwischen Zwei antworten, von denen sie verzweifelt versuchte beide gleichzeitig wahr zu machen. Denn mit all dieser – komischerweise – Freude in ihr über dieses „Wiedersehen“ schwappte plötzlich eine große Menge an Hass über ihren Geist hinein. Allerdings keiner, der in irgendeiner Form mit Gleichgültigkeit gleichzusetzen war. Es war vielmehr … ach, sie wusste es auch nicht. Auf jeden Fall war sie sich nach diesem kleinen Schock ziemlich sicher, dass es sich um genau diesen Jemand handeln musste. Ein sichtlich verletztes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, während diese ganzen verdrängten Dinge in ihr nach oben kamen und sich ihre Fingernägel in die Handfläche bohrten. Das war ein schlechter Witz, oder? Das musste es sein! Jahrelang musste sie sich allein durchschlagen und am Ende fand sie den Arsch hier in der Einkaufsstraße, wie er seelenruhig Essen kaufte. Das er die DREISTIGKEIT besaß, überhaupt noch aufrecht zu laufen und die Luft zu atmen, galt für sie schon als Affront, während der Gedanke mit ihm zusammen auf dieser Insel zu sein spontan eine gewisse Übelkeit auslöste. Trotzdem musste sie … ja, sie musste wissen, WIE glücklich er hier war. Die komische Kombination aus Hingabe und Schadenfreude machte sich in ihr breit. Zusammen mit einem schier endlosen Schauer aus Rachegedanken und Wut. Schierer, unendlich tiefer, Wut. Gefühle, von denen sie dachte, nicht mehr betroffen zu sein; und das machte sie gleich noch wütender. Hass und Hass addierten sich eben nicht, sie multiplizierten sich in exorbitante Höhen. Wäre ihre Laune ein Börsenkurs, würde die Weltwirtschaft dem Pfeil vom Boden aus zusehen, wie er die Skala sprengte. Also machte sie das einzig logische in diesem Moment: Ihm unauffällig folgen. So sehr sie ihm das Gesicht zerkratzen und – ja, das war auch ein Ding – auf ihren Dornenranken aufspießen wollte … es war einfach besser nicht involviert zu sein. Zur gleichen Zeit fand sie sich einen Augenblick später viel zu sehr davon eingefangen auf sein Tanktop zu starren und … danach zu lechzen? Es zu begehren? Liliana schüttelte ihren Kopf, als diese Wut in Erregung umschlug. Was war hier los? Der machte das doch mit Absicht, um sich wieder eine anzuleiern! Womit es sich nun im Bereich der Eifersucht bewegte; und dieses Chaos wiederholte sich die ganze Zeit, während ihre Beine sich hinter ihm herbewegten, ehe sie sich hinter Bäumen, Ecken – und allem anderen – versteckte. Unauffällig genug, um nicht wie ein Creep zu wirken. Professionell sah allerdings ebenfalls anders aus und würde jedem überaufmerksamen Durchschnittsbürger klare Signale senden. Allein, wenn man ihrer Blickrichtung folgte, war es nicht schwer herauszufinden, wo das Objekt ihrer augenscheinlichen Begierde lag.
Doch je mehr sie sah, umso … tatsächlich wütender war sie am Ende. Natürlich verfing sich ihr Blick immer wieder an gewissen markanten Dingen – und sie würde Lügen, wenn an manchen Sekunden nicht die verrückte Fantasie mit ihr Durchging – aber das war für sie tatsächlich nicht so unnormal. Sie lebte mit diesen wechselnden Launen schon seit geraumer Ewigkeit, konnte aber nichts dagegen machen. „Was für ein elender Wichser.“, fluchte sie leise zu sich selbst, um ihren offensichtlichen Frust einmal Ausdruck zu verleihen. Sie hatte in den Jahren viele solcher Wörter lernen dürfen. Gerade tat sie das einfach nur, um das Ziel klar im Blick zu behalten. Zuhörer könnten meinen sie wäre nur wütend darauf, dass er das Street-Food besser fand als ihre selbstgemachten Sachen. Dabei war sich Liliana sicher, dass der herzlose Arsch nicht einmal mehr wusste, wie das schmeckte. Wie es halt so war mit plötzlich aus deinem Leben verschwindenden Heuchlern. Allein diese Ruhe, mit der er sich schließlich weiterbewegte – und sie ihm natürlich folgte – war einfach nur ungerecht! So lässig, so normal, wie er dort entlanglief … sie konnte es nicht ertragen. Keinen Zentimeter dieser Unbeschwertheit gönnte sie ihm. Aber auf der anderen Seite, was hatte sie auch erwartet? Sie hatte es ja selbst schon tausende Male durchdacht … und wie es schien war sie einfach noch die Einzige, die sich – trotz allem – in einer Nostalgie befand, aus der sie nicht ausbrechen konnte? Liliana hatte selbst keinen Plan mehr. Diese Situation hier wirbelte alles, aber einfach nur alles, durcheinander! Und sie hasste sich dafür, sie hasste ihn dafür. Nein, sie hasste allem voran nur sich selbst dafür. Warum folgte sie ihm nochmal?