Am äußersten Rand des Parterres befindet sich das Gemeinschaftsbad der Mädchen. Gleich gegenüber liegt jenes der Jungen. Es besitzt zahlreiche Waschbecken samt Spiegel, eine große Badewanne und zwei Duschkabinen. Die meiste Zeit des Tages gleitet ein angenehmer Duft von Frauenshampoos durch die Luft. Der Vorraum kann als Umkleideraum benutzt werden; dort liegen rund um die Uhr frische Handtücher zur freien Verfügung bereit. Der Außenbereich grenzt direkt ans Gemeinschaftsbad an.
Das war eine Erleichterung. Miyu schien eine Person mit Taktgefühl zu sein. „Weil ich ungefähr schätzen kann, von wo deine Stimme kommt und die kommt von … unten. Eher von unten. So einen halben bis einen ganzen Kopf tiefer.“ Jetzt, wo sie es jemand anderen erklären sollte, wollte sie lachen. Das klang so absurd und … vereinfachend. „Zu deiner Stimme passen nur schöne Haare. Lass mich raten … äh, schwarz?“ Sie lächelte. „Sie sind schwarz, stimmts?“ Ihre Intuition war von wechselhafter Laune, mal traf sie zu, mal traf sie nicht zu. Vielleicht war heute ein guter Tag, mal würde ja sehen. Sie war doch erstaunt, dass Miyu ihre Erlaubnis zum Betasten gab. Den meisten Menschen wäre das erstmal so komisch vorgekommen, dass sie sich geweigert hätten. „Alles klar, Danke. Halt mal still und sag laut piep.“ Vilo bewegte sich langsam in die Richtung des anderen Mädchens und tastete suchend mit den Armen durch die Luft, bis sie Miyus Gesicht fand. Vorsichtig spreizte sie die Finger und begann, durch ihre Fingerspitzen eine grobe Plastik der anderen in ihrem Kopf zu erstellen. Feinporige Haut, vermutlich weiss. Feine, aber volle Haare, kurz geschnitten. Ein kleines Gesicht, wahrscheinlich so eines, auf das die Jungen wegen Beschützerinstinkt abfahren. Vilo ließ dabei keinen Millimeter aus und hoffte, dass es nicht zu sehr kitzelte. Zudem spürte sie, dass Miyu ihre Augen geschlossen hatte. Nach einer Minute war sie fertig und tapste wieder zurück unter ihren Duschhahn. Das Bild war grob, aber es war etwas, und das Mädchen schien hübscher als sie selbst zu sein. Schon komisch, dass sie das ein bisschen ärgerte. „Hihi, du hast ne Stupsnase, wie süß. Hat der Stein auf deinem Kopf irgendeine Wirkung?“
Miyu musste kichern. Wie Vilo das alles erklärte klang es irgendwie komisch. "Schwarz nicht wirklich... naja nicht mal annähernd. Sie sind hellblau und die Spitzen leicht violett." Sie wartete geduldig und hielt still, doch kurz vorher gab sie noch einen laaaangen Piep-Laut von sich bis Vilos Hände ihr Gesicht berührten. Es kitzelte ein wenig weshalb es Miyu schwer fiel das Kichern zu unterdrücken. Dennoch schaffte sie es. Vilo's Finger wanderten vorsichtig über Miyu's Gesicht. Es tat auch irgendwie gut. Eine gefühlte Ewigkeit später war es vorbei und Miyu öffnete die Augen. Sie musste wieder kichern. "Danke. Ähm, nein. Aber ich finde ihn sehr hübsch." Erst jetzt fällt ihr auf dass sie vergessen hatte ihn abzusetzen. Zumindest war er jetzt schön sauber. "Wie schaffst du es eigentlich dich in der Schule zurecht zu finden wenn es dir schon im Bad nicht leicht fällt?" Miyu nahm ihren Diamanten aus dem Haar und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund um ihn dann wieder aufzusetzen. Jetzt waren ihre Haare zumindest nichtmehr triefnass. "In welchem Zimmer wohnst du eigentlich?"
Oh, da das war knapp daneben. Wahrscheinlich hatte sie jetzt einen denkbar merkwürdigen Eindruck hinterlassen. Das mit dem Piep-Ton wäre allerdings nicht nötig gewesen, aber Vilo hielt die Klappe und sagte es Miyu nicht, es schien ihr unhöflich. "Auch eine schöne Farbe." Hellblau und violett, das war ... ungewöhnlich. Da war sogar Rot noch normaler. Wie es wohl bei Miyu aussah? "Keine? Schade." Ganz normaler Schmuck also. Auch das schien es hier zu geben. "Aber er steht dir wirklich, ja." Das meinte sie sogar so. Als die nächste Frage folgte, errötete Vilo und blickte irgendwo auf einen Punkt neben das Mädchen. "Äh, das Bad ist neu für mich und ... ich hab ja Karten, also Magie mit so ... Schallzeug eben. Wie Fledermäuse oder Delphine. Hört aber keiner. Ich kann sie nicht mit ins Bad nehmen, dafür sind sie zu kostbar." Wassertröpfchen spritzen auf Vilo, als das Mädchen heftig ihren Kopf schüttelte. "Zimmer 106, mit einer rothaarigen Chinesin. Du? Warst du schon auf deinem Zimmer? Gehst du später auch zum Schrein? Heute ist ein Fest." Dem Mädchen etwas erklären zu können gab Vilo ein Gefühl von Sicherheit. "Ich weiss nicht warum, vielleicht ist heute Gründertag oder so." Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. "Oh Gott, ich hab noch nie eine Yukata (OFF: vereinfachte Form eines Kimonos) getragen. Weisst du wie das geht?"
"Ach so. Also bist du eine Magierin? Kannst du da auch Farben erkennen?" Es war eine ziemlich interessante Methode sich zu orientieren. Miyu liebte es über Magie zu reden und wurde bei dem Thema total neugierig. "Ähm... Ich war noch nicht in meinem Zimmer und weiß auch nicht welchen Mitbewohner ich habe. Klar kann ich mit gehen. Wir können ja zusammen hingehen." Sie lächelte freundlich und nahm sich ein Handtuch um sich abzutrocknen. "Ich hab sowas schon oft getragen. Natürlich helfe ich dir wenn wir denn auch zusammen hingehen."
"Ich, Ja, ich bin ne Magierin, kann man wohl so sagen." Irgendwie war Vilo ja schon stolz darauf. Immerhin war die Hanafuda-Magie einzigartig und gehörte einzig und allein dem Spoturi-Clan. "Farben gehen leider nicht, daran arbeite ich noch. Aber warts ab, später sehe ich dich schon noch. Bist du Magierin oder so? Wenn Ja, was für ne Magie?" Ah, wie goldig. "Die meisten hier sind nur halb so verrückt wie man denkt." Etwas raschelte, Miyu nahm sich wohl gerade ein Handtuch. Gute Idee. Vilo stellte das Wasser der Dusche ab und tastete ein bisschen rum. Wo hatte sie das verdammte Teil hingelegt? Irgendwo zu ihrer linken ... nein ... da war es nicht. "Hast du mein Handtuch gesehen? Ah, gut. Ähm, sag mir bitte auch, welches Muster drauf ist, ok? Ich habs Gefühl, dass meine Mutter mich angefllunkert hat. Am Ende laufe ich mit Hello Kitty rum."
"Ja ich bin auch eine Magierin. Ich beherrsche dutzende Heilzauber von den kleinsten Schürfwunden bis zu fast unheilbaren Knochenbrüchen. Aber dafür bin ich im Kampf im Nachteil weil ich nicht einen einzigen Kampfzauber kenne, so bleiben mir nur Heilzauber und fliegen." Es war schön mit anderen zu reden. "Und was für Magie beherrschst du?" Das stimmte wohl. Miyu war sich sicher dass es auf dieser Insel viele verrückte Leute gab doch es gab mit Sicherheit auch welche die auf den ersten Blick verrückt scheinen und im Nachhinein als die freundlichen und hilfsbereiten Personen anerkannt werden die sie sind. "Ähm, ja, hier sind Handtücher." Sie begann zu grinsen als sie das Muster sah. "Es sind niedliche Frösche darauf, sind das deine?" Das war irgendwie eine bescheuerte F'rage immerhin waren es die einzigsten Handtücher die weit und breit zu sehen waren. Doch zu fragen ist immer besser.
"Das ist ja cool!" Vilos Stimme strahlte hörbar. Eine andere Magierin ... das war gut. Diese Miyu war ihr sympathisch, vielleicht hatte sie in ihr eine Gesprächspartnerin gefunden. "Heilzauber ... die kann ich gar nicht." Was stimmte. Heilzauber der Hanafuda-Magie hatte sie bisher sträflich vernachlässigt. Die wenigen Techniken, die sie kannte, reichten grade so aus um leichte Schürfwunden zu heilen - nützlich, wenn man ständig gegen Wände rennt. "Hey, Heilzauber sind praktischer. Damit kannst du Personen retten und dann ... Friedensnobelpreis? Vielleicht kannst du mich ein bisschen unterrichten." Sie grinste. "Hanafuda-Magie. Keine Elementar-Magie, sondern ein Magiesystem mit ... öh, 35 Unterzweigen. Ein bisschen unübersichtlich das ganze. Bist du ein Mensch? Weil ... dein Diamant und ... naja, ich frage mich das nur." Als Miyu ihr die Handtücher gab, wurde Vilo rot. Zumindest glaubte sie, rot zu werden, denn ihre Haut brannte plötzlich und fühlte sich heiss an. "Ich ... uhmm ...", eilig nahm sie das Handtuch entgegen und wickelte es um sich und das andere um ihren Kopf. "Ich mag ... Frösche. Sind niedlich. A-A-Aber ich benutze das Handtuch hier fast nie, ich hatte nur kein anderes. Meine anderen sind ... schmutzig. Ich mag Frösche nicht so ... oder doch, ja. Nein. Schon irgendwie." Ahja. An ihrer Glaubwürdigkeit musste sie noch arbeiten. "Aber Danke. Hat Miyu, der Name, eine Bedeutung?"
"Friedensnobelpreis? Das glaub ich weniger. Immerhin heile ich doch bloß. Aber es ist eine lustige Vorstellung. Ich könnte versuchen dich zu unterrichten aber das wird schwierig da wir verschiedene Arten von Magie beherrschen." Sie ginste ebenfalls. "Oh ha... dagegen ist das was ich kann gar nichts." Ihr grinsen verschwand und ein wenig Neid kam in ihr zum Vorschein. Vilo konnte so viel und Miyu? Sie riss sich zusammen und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. "Naja, wenn ich meine Flügel gerade nicht draußen hab kann man schon sagen dass ich ein Mensch bin." Jetzt fing sie an zu lachen. Es war irgendwie total niedlich wie Vilo versuchte sich aus der Frosch Sache heraus zu reden. Grinsend streichelte sie Vilo über den Kopf wie bei einem Hund wenn er brav war. "Ja, er hat eine Bedeutung. Die Silbe 'Mi' steht für 2 Sachen. Nämlich 'die Schönheit' und 'das Herz'. Die Silbe 'yu' bedeutet 'exzellent' oder 'ausgezeichnet'. Hat Vilo denn irgendeine Bedeutung?"
"Du heilst bloß? Das ist doch viel besser und nützlicher als andere zu verletzen." Schwierige Arten von Magie? So war das auch wieder nicht ... zwar hatte die Hanafuda-Magie viele Unterzweige und die Legenden dieser Kunst konnten auch alle, aber eben nur die Legenden. Das waren viel zu viele, um sie in einem Leben ernsthaft zu lernen - es sei denn, man hatte unglaubliches Talent, und das hatte Vilo nicht wirklich. Sie war gut, ja, aber kein Zehntausendjahres-Kind. "Naja, ich kann nur 7 davon, und mehr geht nicht in meinen Kopf rein." "Aber für Heilzauber müsste noch viel Platz sein. Deine Kunst ist bei weitem nützlicher, echt. Ausserdem müsstest du mir nur die Karten wegnehmen und ich wäre wehrlos. Mit Heilen kannst du anderen helfen, ich nicht." Zudem beherrschte sie von den 7 Zweigen nur 4 richtig, von den 3 anderen konnte sie nur die Grundlagen und ein wenig mehr ... kaum genug, um ein Spiegelei in der Pfanne zu braten - sprichwörtlich. Flügel? Das war interessant ... aber im Moment schoss ihr eine andere Idee durch den Kopf. Eine so wilde, verrückte und eigentlich unmögliche Idee, dass Vilo vor Aufregung ein warmes Kribbeln im Magen spürte. Sie schluckte nervös und sah in die ungefähre Richtung von Miyu. "Du ... bist du gut in Heilung? Also, vielleicht - kannst du auch ...?" Sie machte eine vage Geste in Richtung ihres Gesichtes und meinte ihre Augen. Wenn Miyu das könnte, Vilo würde Shima no Koji mit Händen um die Sonne tragen. "... oder ist das ..." sie räusperte sich. "Ist das unmöglich?" Es war dumm von ihr nach ihrem Augenlicht zu fragen, jetzt, wo sie sich schon fast an die ewige Dunkelheit gewöhnt hatte. Es waren immerhin ... 8 ... 10 Jahre her? Aber noch einmal Farben zu sehen ... Vilo lachte verlegen. "Wäre toll, mal deine violetten Haare zu sehen. Ich kann mir das schlecht vorstellen." Schnell wechselte sie das Thema. Es war ihr zu traurig und zog wahrscheinlich nur die Stimmung von Miyu herunter - das wollte Vilo nicht. "Bist du ein Engel? Kannst du fliegen?" Sie strahlte. "Kannst du mich mal mitnehmen, nach oben?" Als Miyu ihren Kopf streichelte, unterdrückte sie ein Kichern. Seltsam, die Vorstellung von einer kleinen Miyu, die sich wahrscheinlich strecken musste, um bis an ihren Kopf zu kommen ... war genial. Aber sie kicherte nicht, so unhöflich war sie nun auch nicht. Doof kam sie sich dabei schon vor ... aber es war auch ein schönes Gefühl. Das hatte man selten bei ihr gemacht, überhaupt alles, was man normalerweise tat: Umarmungen, auf dem Sofa rumlümmeln etc. Miyus Name war schön und gefiel ihr. Exzellentes Herz. Exzellente Schönheit. "Das passt zu dir. Du klingst nach einer guten Person." Als Miyu sie nach ihrem Namen fragte, wurde Vilo wahrscheinlich wieder rot. Ihr Name war dagegen richtig grottig. "Er ist nicht so schön wie deiner. 'Vilo' heisst auf rumänisch 'Weide' und Spoturi 'Lichtflecken' oder 'hell'. Ein alter Baum also, der irgendwo an einem schlammigen Fluss steht, den Namen 'Trauer' vor 'Weide' trägt und ... irgendwann verfault." Jetzt, wo sie den Namen so erklärt hatte, klang er noch hässlicher als sonst. Sie hatte nicht wirklich etwas gegen ihren Namen, aber allein die Tatsache dass ihre Eltern versucht hatten einfallsreich zu sein und dann so etwas peinliches rausgekommen war ... mit 18 könnte sie vielleicht ihren Vornamen ändern. "Die Yukata! Willst du kurz auf mein Zimmer oder ... du kannst es mir auch so erklären, wenn du willst. Ich weiss, wie so ein Teil aussieht" - seit einer Stunde. Haha. Hastn Problem, was? "Oder auch zehnmal erklären. Ich habs nicht so mit ... aufwändigen ... Kleidern. Also ... hast du Zeit?"
"Vielleicht hast du recht. Aber ohne Angriff hilft auch die beste Verteidigung nicht." Man konnte zwar ohne Verteidigung auskommen wenn der Angriff stark genug ist, aber heilen allein hilft nur begrenzt. Es stimmte zwar, dass Miyu es mochte den Leuten zu helfen, aber in einem Kampf wäre es wie bei Katz und Maus. In dem Fall wäre sie die Maus. "Mag stimmen aber man sollte es erstmal schaffen dir die Karten weg zu nehmen." Sie konnte sich gut vorstellen, dass Vilo eine gute Kämpferin war und man ihr die Karten nicht so einfach weg nehmen konnte. Plötzlich erschrak Miyu. "D-d-du möchtest, dass ich deine Blindheit heile?! Also... ich weiß nicht ob das geht. Ich hab da so ein Zauberbuch in dem alle Zauber stehen die ich kenne. Ich könnte später mal nachsehen ob es einen dafür gibt..." Sie wollte Vilos Hoffnungen nicht gleich zerstören. Zwar glaubte Miyu nicht daran, doch vielleicht gab es Tatsächlich eine Möglichkeit Vilo zu helfen. Auch Miyu wollte schnell das Thema wechseln, weshalb sie blitzartig auf Vilos Frage antwortete. "Ja, bin ich, wie bereits erwähnt. Natürlich kann ich fliegen und es gibt nichts das ich mehr liebe. Wenn du möchtest kann ich dich zum Waisenhaus fliegen." Sie grinste fröhlich. Vilo war ein richtig nettes Mädchen und Miyu mochte sie sehr gern.
"Also ich mag deinen Namen. Heißt es dann nicht 'helle Weide' oder so ähnlich? Ich finde Weiden toll." Miyu kicherte und stellte sich eine Weide vor, die an einem Teich stand und von den Sonnenstrahlen beleuchtet wurde. Eine richtig schöne Vorstellung. Ihr eigener Name hingegen wirkte total arrogant und selbstverliebt. "Wenn ich dich zum Waisenhaus fliege kann ich auch gleich mit in dein Zimmer kommen und es dir zeigen."