Einer der wenigen Orte im Bereich des alten Waisenhauses, die man auch nach dem Werwolfsangriff noch betreten kann, ist jener Strand, den sich die Bewohner und Mitarbeiter des Waisenhauses einst hart erkämpfen mussten. In den letzten Jahren vor dem Angriff wurde der kleine Strandabschnitt im Norden der Insel exklusiv nur noch von Waisenhausbewohnern benutzt und war auch eigens für diese vorgesehen. Vom Beachvolleyballplatz oder gar von der einst legendären Toku-Ni-Bar unweit des Strandes ist heute jedoch kaum noch etwas übrig. Das Netz des Feldes befindet sich längst nicht mehr an Ort und Stelle und liegt achtlos und zerfetzt irgendwo im Sand. Das Gebäude, das einst die Bar darstellte gleicht einem Trümmerhaufen.
Zum Glück reagierten alle sehr schnell, was die Sache mit Caiwen anging. Zwar schien Levi nicht direkt zu kapieren, was gerade abging, doch es dauerte nicht lange, da hatte auch er reagiert und half dabei Caiwen in den Schatten zu kriegen. Eigentlich hätte sie da auch dran denken können. Bevor sie erst einmal Caiwen helfen könnten, war es irgendwie logisch, sie erst einmal in den Schatten zu schaffen. Es schien so, als wäre Levi doch etwas froh gewesen, dass Ivy nun da war und etwas half. Es fühlte sich gut an, dass er anscheinend, obwohl das heute Mittag so ausgeartet ist, ihr doch noch vertraute. Sie lächelte etwas leicht an, bevor er Caiwen nahm und in den Schatten trug. Schnell kamen Ivy und Vivian hinterher und Ivy stellte wieder die Flasche in den Sand neben Caiwen. Es dauerte nur einige Momente, da wurde Caiwen wieder wach und man merkte, wie sie so langsam wieder in die normale Welt kam. Gott sei dank war alles noch einmal gut gegangen! Erleichtert lächelte sie alle anwesenden an und grinste. Auch wenn es etwas komisch war, dass Caiwen plötzlich anfing einfach zu lachen, war sie dennoch froh, dass alles so endete. Zwar war sie nun wieder bei Bewusstsein, doch übertreiben sollte sie dennoch auf keinen Fall, weshalb Ivy lieber auf den Vorschlag von Levi einging. Ich hab noch ein Handtuch, einen Moment! Schnell stand sie auf und rannte zum Strand. Sie tunkte das Handtuch in das angenehm kühle Wasser und kam dann schließlich wieder zur Gruppe zurück. Von Miyako war in der ganzen Zeit irgendwie immer noch nichts zu sehen, doch der war sicherlich nichts passiert. Bestimmt hatte sie dann doch keinen Bock mehr gehabt und ist vielleicht sogar schon einfach ins Wohnheim zurückgekehrt.
Nun schien die Stimmung etwas aufgelockert, weshalb sich Ivy einfach in den Sand setzte und Caiwen das kühle Handtuch hinhielt. Ja ihr habt Recht, wenn es das nächste Mal so warm ist, bin ich auch dafür, dass wir schwimmen gehen oder so! Sie grinste nun etwas fröhlicher, einfach, weil sie so erleichtert war, dass das mit Caiwen nichts ernstes gewesen war. Sie grinste etwas über die Aussage, dass die Pommes im Aquapark wohl nicht nahrhaft genug gewesen war. Ja die Pizza heute Mittag lag auch etwas schwer im Magen. Dabei stieß sie Levi leicht mit dem Ellbogen in den Bauch und grinste ihn an. Sie hoffte, dass die beiden den Streit beiseite legen könnten und einfach wieder normal miteinander herumalbern konnten und sich gegenseitig ärgern konnten. Immer wieder versuchte sie den Blick auf der Gruppe zu lassen, damit die Erinnerungen nicht wieder hochkommen würden, denn sobald man sich auch nur ein wenig umgucken würde, würde man direkt wieder an den Werwolfsangriff erinnert werden und sie war sich sicher, dass sie nicht noch einmal so schnell abgelenkt werden würde, dass sie ihre Tränen unterdrücken könnte. Hoffentlich versuchten die anderen die Umgebung auch ein wenig auszublenden. Gerade bei Levi machte sie sich ein wenig Sorgen. Er hatte so stark darauf reagiert, sie wollte einfach nicht, dass ihre Freunde sich schlecht fühlten. Wie wäre es, wenn wir zum Wohnheim gehen und im Speisesaal wieder etwas zu Kräften kommen? fragte sie dann lächelnd und sah in die Runde. Immer wieder verdrängte sie die Gedanken um Jaden, um einfach nicht damit klar kommen zu müssen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, genau das nicht mehr zu machen, damit sie nicht wieder so abrutschen würde, doch in diesem Moment ging es einfach nicht. Sie konnte sich damit jetzt nicht auseinandersetzen. Am liebsten wollte sie sich damit nie wieder auseinandersetzen müssen. Eins wusste sie aber auf jeden Fall: Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn sie hier weg kommen würden. Und zwar so schnell es geht und so schnell es der Gesundheitszustand von Caiwen zulassen würde. Also nur, wenn Caiwen sich natürlich wieder gut genug fühlt. Schob sie deshalb noch schnell hinterher.
Es war nur selbstverständlich, dass man sich so schnell wie möglich um die Leiden von Caiwen kümmerte und jeder der Anwesenden tat seinen Teil, das so schnell wie nur irgendwie möglich umzusetzen. Ivy kümmerte sich um den Kreislauf, die Engelin selbst Diagnostizierte eine Überhitzung und Leviathan brachte am Ende das erschöpfte Mädchen in den Schatten der alten Bar, dessen Mauern in der Abendsonne genug Schatten warfen, um die Dunkelhaarige komplett vor ihren fiesen Strahlen zu verdecken. Lediglich sie selbst und Ivy, welche sich nicht stützend an die Wand lehnten, hatten noch vereinzelte Lichtstrahlen auf ihren Körpern liegen. Diese waren jedoch nicht annähernd ausreichend, um noch irgendeinen negativen Effekt auszulösen. Stattdessen tauchten sie die betroffenen in eine angenehm rötliche Farbe. Für Vivian hingegen war dies ab dem Moment ihrer Temperaturfühlung gänzlich uninteressant geworden. In dem Moment, als die Dunkelhaarige geblinzelt hatte, war die Engelin ihr so nah wie selten zuvor und konnte eine Unruhe … eine Aura in ihrer Nähe spüren, die sie zwar nicht eindeutig zuordnen konnte, aber doch gut genug kannte. Ebenso, wie ihre Augen in ein kaum wahrnehmbares Gelb getaucht waren, während sie jetzt wieder – nachdem Caiwen sich erholt hatte – in einem unschuldigen Blau erstrahlten. Das mulmige Gefühl, was die Engelin in ihrer Magengegend hatte, was ihre Instinkte zur Selbstverteidigung geweckt hatte, war verschwunden. Trotzdem reichte es aus, um Vivian vorsichtiger werden zu lassen. „Gemessen an den Ereignissen, würde ich die Initiative, erst am späten Abend zu trainieren, unterstützen. Wenn das Wetter es nicht anders zulässt.“, äußerte sie sich sanft sprechend den anderen gegenüber, um deren Kritik noch einmal zu bestätigen. Das mit dem Schwimmen kommentierte sie allerdings eher weniger. War sie doch ohnehin kein Freund davon und würde es wohl auch nicht werden. Trotzdem war klar, dass so eine Hitze eben kaum jemand gewohnt war. Besonders dann nicht, wenn man eigentlich körperliche Höchstleistungen erbringen sollte.
Auf die Sache mit dem Handtuch reagierte Ivy schneller, als es die Engelin jemals tun konnte. Wie ein Blitz sauste die Weißhaarige zum Strand und kam wieder, bevor sie überhaupt nur ein kleines bisschen der Geschehnisse verpasst hatte. Gerade rechtzeitig, um den Lachanfall Caiwens mitzuerleben, der noch mehr Fragen in der Blondine aufwarf, als er beantwortete. Es war unschwer zu erkennen, dass Vivians Blick einen neuen Fokus gefunden hatte. Als könnte sie die Antwort auf alle momentanen von Caiwens Haut absaugen und direkt in sich aufnehmen, musterte die Engelin das verschwitzte Gesicht vor sich erneut. Man konnte deutlich sehen, wie sie die Augen ihrer AG-Partnerin, die Nase, den Mund, einfach alles, abtastete. Es unterschied sich deutlich von der ersten Musterung am Sportplatz. Dieses Mal suchte Vivian ja auch kein Merkmal, um den ihr Gegenüber einschätzen zu können. Nein, es war der Blick eines Jägers. Sie suchte ein Ziel, was dem Ganzen eine eher merkwürdige, wenn nicht sogar bedrohliche Atmosphäre verlieh. Doch … sie fand nichts. Was im Endeffekt dafür sorgte, dass die Engelin – vorerst – von ihrer Mitschülerin abließ und den merkwürdigen Moment – von einem Augenblick auf den Nächsten – beendete. „Ich würde, wenn es mir gestattet ist, diese Wasserflaschen zur Verfügung stellen.“, kehrte sie in ihr altes Verhaltensmuster zurück und ein Griff in ihren Rucksack offenbarte komische, längliche Rollen. Als Vivian die erste aufrollte, entpuppten sie sich als Wasserflaschen, die mit Küchenrollenpapier „mumifiziert“ worden waren. Würde man sie berühren, konnte man sogar noch ihre kalte Aura nachempfinden. „Es wäre zu empfehlen den Heimweg nicht dehydriert anzutreten.“, womit sie diese vor der Gruppe auf dem sandigen Boden platzierte und damit ihren Besitzanspruch vollständig aufgab. Die erfreuten und erleichterten Gesichter der Anderen fanden in ihrer Mimik jedoch kein Echo. Ihre Porzellanmaske hatte sich in keinem Moment von ihrem Gesicht entfernt und das kränkte sie selbst mehr als nur ein bisschen. „Dann warten wir, bis alle aufbruchsbereit sind.“, stimmte Vivian noch mit auf Ivy’s Kommentar ein und holte ihr Telefon heraus. „Ich würde, angesichts der Uhrzeit, eine baldige Abreise empfehlen. Sollte es gewünscht sein, würde ich meine Dienste als Träger für Caiwen anbieten.“.
Glücklicherweise hatte es Caiwen offensichtlich nicht ganz so schwer erwischt, sodass sie immer mal wieder ihre Augen geöffnet und vor sich hingemurmelt hatte. Von ihrem inneren Kampf gegen das Tier in ihr oder gar der Verfärbung ihrer Augen bekam der zerstreute und nunmehr aufgeregte Engel nicht wirklich etwas mit. Vivians Röntgenblick hingegen war nicht spurlos an ihm vorbei gegangen, doch auch dem schenkte er vorerst nur wenig Aufmerksamkeit. „Entschuldige dich nicht.“, sprach der Nakamura in einem beruhigenden, für den Engel eher ungewöhnlichen Tonfall zu Caiwen, als sich diese kurz aufgesetzt hatte und erstmal Ivys Flasche leertrank. Alles noch ganz verständlich soweit. Man treibt Sport, kollabiert, braucht erstmal eine ordentliche Portion Flüssigkeit. Warum um alles in der Welt bekam das Mädchen aber gerade eine Lachattacke? Planlos starrte Levi zuerst Caiwen an, ehe sein Blick zu Vivian und Ivy wanderte, die gerade mit einem in das Meer getränkte Handtuch zurückgekehrt war. Verwirrt zuckte er mit den Schultern und während Vivian sie erneut unter die Lupe nahm hatte der Engel seine ganz eigene Methode, mit dem unpassenden Lachkrampf umzugehen und motzte fast schon beleidigt: „Lach nicht so blöd! Wir haben uns voll Sorgen gemacht!“ Allmählich löste sich die Anspannung aller – bei Vivian wohl nicht ganz so sehr – wieder auf, vor allem, als sich Caiwen wieder gänzlich gefangen hatte, sich aufsetzte und ihren Schwächeanfall erstmal den Pommes aus dem Aquapark zuschob. Gerade, als Levi eine weitere blöde Bemerkung machen wollte, spürte er Ivys Ellbogen in seinem Bauch und er zuckte dabei kurz zusammen, da dieser Körperkontakt doch etwas unvorhergesehen kam. „Haha, ja, ich dachte vorhin beim Wettlauf auch, dass die mir gleich wieder rauf kommt“, scherzte er einfach mit, auch wenn das gar nicht mal so weit hergeholt war, wie es sich vielleicht anhörte. Zufrieden erwiderte er ihr Grinsen und mittlerweile war von all den negativen Vibes, mit denen er Ivy zu Mittag und auch zu Beginn ihres Trainings überschüttet hatte, nichts mehr zu spüren oder gar zu sehen. Auch, wenn sich sein Magen immer wieder etwas zusammenzog, sobald er an den versehentlichen Kuss beim Flaschendrehen dachte, ließ er sich davon nichts anmerken. Trotz der Tatsache, dass sich alle wieder etwas gefangen hatten, die Sonne ihnen nicht mehr so stark in die Fresse knallte und die Temperatur fast schon auszuhalten war, waren sich auf Ivys Vorschlag, zurück zum Wohnheim zu gehen, alle einig. „Puh, ich glaube, vom Speisesaal brauch ich so schnell nix.“, kommentierte der Engel und streichelte kurz über seinen Babypizza-Bauch, den er für einen kurzen Moment etwas zu sehr aufblähte, für den Fall, jemand würde genau hinschauen! „Aber so langsam sollten wir wirklich nach Hause.“, fügte der Engel noch hinzu. „Die Athmosphäre hier ist nicht unbedingt die beste.“, flüsterte er hingegen nur noch und drehte seinen Kopf zu Caiwen. „Schaffst du’s?“ Im nächsten Moment erstrahlte Vivian für Levi in einem ganz besonders hellen Licht, als sich die weißen Rollen, die sie aus ihrem Rucksack geholt hatte, sich doch tatsächlich als Wasserflaschen entpuppten. „Die hast du ALLE die ganze Zeit mitgeschleppt?“ Dem Jungen fiel die Kinnlade herunter, während er sich auch eine Flasche nahm und sie vom Papier löste. „Du bist ein Engel!“, preiste er sie und bekam seinen eigenen Wortwitz gar nicht so wirklich mit. Viel mehr war er mit dem kalten Wasser beschäftigt, dass er sich in einem Zug die Kehle runterkippte. Durch die ganze Aufregung hatte er vollkommen vergessen, dass er eigentlich schon kurz vorm Dehydrieren gewesen war. „Wir können uns auch abwechseln, ist ja jetzt nicht unbedingt ein Katzensprung zum Wohnheim.“, stimmte er in Vivians Vorschlag, Caiwen wenn nötig zu tragen, ein, hüpfte schließlich auf und hielt dem Werwolfsmädchen die Hand hin. „Probier mal langsam aufzustehen, aber vorsichtig!“
298 Charakterbogen Aufenthaltsort: Zimmer Nr. 205 Aktuelles Outfit: offene Haare, schwarzes T-Shirt (bedruckt mit einer kleinen Sonnenblume auf der linken Seite), kurze Jeansshort, olivgrüne Sneaker
Mit meinem plötzlichen Lachen schien ich die Gruppe wohl etwas zu verunsichern. Besonders Leviathan raunzte und fuhr mich an. Wie gut, dass ich mich bald wieder eingekriegt hatte. Ich konnte die Erleichterung von Ivy deutlich erkennen, als es mir wieder besser ging. Sie sauste mit dem Handtuch los und befeuchtete es für mich. Mit einem sehr leisen "Danke Ivy.", nahm ich das nasse Tuch entgegen und legte es einfach über meinen Kopf. "Ein Kühlungssystem wie bei einem Computer", dachte ich mir schmunzelnd und blickte etwas verunsichert zu Vivian. Ihre Augen blieben länger als gewohnt an mir hängen, wesshalb ich nervös zu Leviathan schaute und versuchte, das auszublenden. Kurz horchte ich auf, als die Weißhaarige die Pizza erwähnte. Es sah etwas merkwürdig aus, wie der Engel und sie miteinander kommunizierten. Dennoch versuchte ich mir einzureden, dass ich mir das bestimmt nur einbildete. Oder lief da doch etwas, von dem ich nichts wusste? Ich nickte auf die Aussage von Ivy, welche zurück zum Waisenhaus wollte. Das war bestimmt keine schlechte Idee. Mein vorsichtiges Nicken sollte dem Engel als Antwort dienen, doch ich unterstützte es, indem ich mit einem Lächeln sagte: "Ja klar, das klappt schon..." Irgendwie musste ich irgendwann ja wieder nachhause. Und ein zweites Mal würde ich schon nicht umkippen. Oder? Anschließend wurde die Aufmerksamkeit wieder auf Vivian gelenkt, welche ihre zuvor angekündigten Wasserflaschen bereits auspackte und nicht wollte, dass die anderen Teammitglieder ebenfalls an einer Dehydrierung litten. Ich beobachtete den Schwarzhaarigen, wie er eine Rolle nahm und sie auspackte. Kaum blinzelte man kurz, schon hatte er die Hälfte der Wasserflasche runtergeleert. Nach nur einem kurzen Augenblick war die Flasche gänzlich leer. Unsicher wechselte ich meinen Blick von Levi zu Vivian, welche mich wohl tragen wollten. "Nein, schon gut... das... geht schon...", sprach ich leise und verunsichert. Ich empfand es als äußerst unangenehnm, wenn mich da jetzt jemand tragen würde. Die Flugeinheiten mit Leviathan waren schon gewöhnungsbedürftig, da wollte ich nicht wissen, wie es ist, wenn mich dann auch noch Vivian tragen würde. Ich war mir zwar unsicher, ob das wirklich so gemeint war, jedoch konnte ich es ihr zutrauen. "Ich schaff das schon.", meinte ich leicht grinsend zur Blondine, ehe ich die helfende Hand vom Nephilim ergriff und langsam mit seiner Unterstützung aufstand. Als ich auf beiden Beinen stand, blinzelte ich mehrmals und nahm noch das Handtuch runter. Ich legte es über meinen Nacken, sodass ich es so mit nachhause tragen konnte. Schließlich war es jetzt nass und somit wäre es ungünstig, es einzupacken. "Ich denke, ich schaff das schon.", meinte ich, ehe ich die ersten Schritte durch den Sand lief. Ich schnappte mir noch meine Tasche, welche liegen gelassen wurde, ehe ich dicht neben den AG-Mitgliedern den Weg zum Waisenhaus lief. Ich atmete etwas nervös durch, als ich noch kurz zurück sah. "Was für ein Anblick. Schnell weg hier.", dachte ich mir und tapste vorsichtig einen Schritt nach den anderen. Schließlich lief ich neben Ivy her. "Danke nochmals.", sagte ich zu ihr - nun etwas lauter - und lächelte sie etwas an. Zuvor war ich mir nicht sicher, ob wir uns verstehen würden. Nun hatte ich das Gefühl eine gute Basis zu ihr zu haben. Es war ein weiter Weg und ich hatte das Gefühl immer zügiger laufen zu können. Schlussendlich war ich mir sicher, dass wir ohne weitere Probleme ankommen würden.
Zwar wollten die meisten nicht mit in den Speisesaal, aber zumindest waren sich alle irgendwie einig, dass sie von diesem Ort hier weg wollten. Gott sei dank, wer weiß wie lange es Ivy hier noch ausgehalten hätte ohne irgendwelche drachenartigen Vorfälle... Zwar versuchte sie von außen ihre lockere, fröhliche Art aufrecht zu erhalten, doch innerlich wurde die Trauer und der Druck immer größer. Sie mussten hier einfach nur schnell weg. Zur Ivys Erleichterung, sorgte Vivian auch schon bald für etwas Ablenkung, indem sie plötzlich aus ihrem Rucksack ein paar gekühlte Wasserflaschen herauszauberte. Was war sie nur für ein Engel! Genauso fröhlich wie Levi schnappte sie sich gleich eine Flasche, ihre Flasche wurde schließlich entleert von Caiwen, was sie aber natürlich nicht als schlimm empfand. Sofort trank sie einen Schluck und gleich fühlte sich alles etwas besser an. Vielen Dank, Vivian! Das war echt genial! Fröhlich grinste sie Vivian an und trank wieder einen Schluck. Auch, dass Levi auf ihre kleine Neckerei einstieg und sie angrinste, machte ihre Laune etwas besser. Es schien wieder alles normal zu sein und Ivy war einfach nur froh, dass er nicht mehr sauer auf sie war. Levi war ein guter Freund und sie wollte auf gar keinen Fall, dass sich das änderte. Schon ein wenig lustig wie Caiwen die ganze Zeit nur beteuerte, dass es ihr schon wieder besser ging und sie das alleine schaffen würde. Ein wenig zweifelte Ivy noch daran, dass sie einfach so zum Wohnheim wieder zurück gehen könnten, doch nach ein paar Minuten schien es Caiwen wirklich deutlich besser zu gehen und sie war zuversichtlich, dass sie es tatsächlich ohne Hilfe alleine schaffen würde. Wäre wohl auch ein bisschen zu anstrengend, wenn man sie den ganzen Weg zurück tragen müsste. Wahrscheinlich half das kalte Tuch auch sehr, um sie wieder auf die richtige Temperatur zu bringen.
Sie nahm ihre alte leere Flasche und sammelte sie auf und sie trug noch die neue fast volle Flasche mit. Bevor sie gingen konnte sie aber nicht anders, als über die Schulter zurück zu schauen und der Anblick traf sie wieder hart. Alles war so zerstört und sie konnte nicht anders, als sich vorzustellen, dass Jaden hier gestorben war. Sie schluckte und plötzlich erschien die Leiche von Jaden voller Blut am Strand. Vor Schreck ließ sie die Flaschen fallen, nur um mit einem Blinzeln festzustellen, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Etwas verstört nahm sie schnell wieder die Flaschen auf und lief neben Caiwen her zurück zum Wohnheim. Ach dank mir doch nicht dafür! sagte sie lächelnd und versuchte schnell das Ereignis von vor paar Sekunden zu vergessen. Sie lächelte Caiwen an und versuchte fröhlich zu wirken, doch ihre Hand zitterte ein wenig und sie fühlte sich unruhig. Schnell weg von hier. Ganz weit.
Viel gab es in der Situation von Vivians Seite aus nicht mehr zu sagen. Die ersten Momente nach der Umpositionierung von Caiwen fühlte sie sich wie ein Trabant in der Umlaufbahn eines Planeten. Wie ein Alien zirkelte um das soziale Gefüge der anderen herum, ohne dem Ganzen ein Stück näher zu kommen. Erst das Angebot einer Abkühlung schien ihre Umlaufbahn enger um den Ivy, Caiwen und Leviathan Planeten zu schnüren. „Ich habe immer etwas dabei, für den Notfall.“, erläuterte sie ziemlich sachlich auf die überbetonte Frage des Nephilims, der darauf vielleicht nicht mal eine haben wollte. Aber gut, wann bewies die Blondine auch mal soziales Feingefühl? Das würde noch Jahre dauern. Oder sie schlug sich den Kopf an einem Stein auf und litt an Amnesie. Das würde auch gehen, wäre allerdings sehr unwahrscheinlich. Dementsprechend war es wohl als Glücksfall zu werten, dass sie bei ihren Lobpreisungen nicht auch mit „Ja, ich weiß“ antwortete, sondern nur ein kontrolliertes Nicken in Richtung der anderen durchseinen ließ, bevor sie die leeren Flaschen wieder an sich nahm. Damit weitete sich die Umlaufbahn des Mondes mit dem Namen Vivian auch schon wieder aus. Denn als die nett gemeinte Geste eines Krankentransportes mehrfach abgelehnt wurde, blieb der Blondine nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden.
Langsam erhob auch sie sich, als Caiwen ihre ersten Schritte vollzog und beobachtete das ganze Szenario leicht angespannt. Zwar hielt sich die dunkelhaarige Patientin in diesen Momenten noch wacker auf den Beinen, aber sie konnte jederzeit wieder Rückfällig werden. Deswegen war es wohl nicht großartig verwunderlich, dass sich Vivian in ihrer Nähe aufhielt um – wenn der Nephilim es eben nicht schaffen würde – sie aufzufangen. Doch ihre Sorgen schienen, innerhalb der nächsten paar Minuten, mehr als nur unbegründet zu sein. Also machte sich auch der Rest der AG-Gruppe auf den Weg zurück zum Wohnheim. Dicht beieinander ließen sie zuerst den Sandstrand hinter sich, dann folgten sie dem Trampelpfad durch die Baumreihen an der Küste weiter ins Inland. Während Caiwen sich allerdings neben Ivy aufhielt – und die beiden irgendetwas zu besprechen hatte – marschierte sie selbst neben Leviathan, den Blick dabei starr nach vorne gerichtet. Als würde etwas in der Ferne ihre Aufmerksamkeit gänzlich absorbieren und einfach nicht mehr loslassen. In Wirklichkeit aber dachte die kampferprobte Engelin scharf nach. Stück für Stück spulte sie ihre Erinnerungen durch, auf der Suche nach einem Hinweis, einem eindeutigen Indiz, was ihr die Ereignisse von vorhin gut erklären konnte. Aber … sie fand nichts. Nichts Ausschlaggebendes zumindest, was sie ihren inneren Bluthund auf die Spur bringen würde, damit man es effektiv weiterverfolgen konnte. Der Fokus ihres – durch die Abendsonne stechend türkis wirkenden – Blicks wanderte zu Caiwen und Ivy, wobei sich die Engelin besonders auf die Augen ihrer dunkelhaarigen Bekanntschaft fokussierte, ehe sie letzten Endes zu Leviathan wanderten. „Verzeih meine taktlose Frage, Leviathan.“, warb sie mit sanfter Stimme um seine Aufmerksamkeit, „Aber was genau mag Arata wirklich gerne? Ich kann meinem Unrat nicht durch eigene Überlegungen Abhilfe verschaffen.“. Immerhin war er ein guter Freund und würde das sicherlich wissen. Gut, sie war sieben Jahre mit dem Weißhaarigen befreundet gewesen. Dennoch zeigte sich nicht jeder überall von der gleichen Seite. Abgesehen davon – und niemand sollte behaupten das Vivian nicht lernfähig war – lenkte es vom bisherigen Strandthema ab. Die Engelin hatte zwar kein Mitgefühl, aber sie verstand es eindeutig die Verhaltensweisen ihrer Umgebung zu deuten. Aber falls man dort nicht drauf antworten wollte … nun, sie waren gleich beim Wohnheim angekommen, da konnte man auch sehr gut die Flucht ergreifen.
Man hätte den Blick von Cynthia am Besten auf einem Foto festhalten sollen, als ihre Unterwäsche dicht gefolgt von Salzwasser erwähnt wurde. Sie dachte an irgendein Wettrennen, aber nicht an Wasser. Mal ganz abgesehen davon, dass Nojra gerade in tiefster Nacht ins Wasser gehen wollte. Aus welchem Teil ihres mit braunen Haaren überzogenen Kopfs kam denn bitteschön diese Idee? Gab es hier im Wohnheim wirklich so wenig zu tun, dass man unbedingt über die halbe Insel rennen musste? Außerdem: Gab es hier nicht ein Badezimmer mit einem großen Becken? Mit einer Mischung aus Trotz und Skepsis verschränkte die Löwin instinktiv ihre Arme vor der Brust, während ihr gelb stechender Blick nahezu fixiert auf die andere Augenpartie starrte. Fast so, als ob sie versuchte die Seele der brünetten Hobby-Nachteule mit irgendwelchen Voodoo-Kräften aus ihrem Körper zu ziehen. Eine ziemlich humane Reaktion, wenn man bedachte auf welchem Niveau man sie gerade angegriffen hatte. Niemand machte sich gefälligst über ihre Abstammung lustig! Glaubte sie eigentlich das nur, weil sie ein Match auf einer dummen Konsole verloren hatte, sie sich automatisch alles erlauben konnte? So aggressiv wie sich ihre Ohren nach vorne ausrichteten konnte Nojra bestimmt schon ganz gut selbst sehen, dass sie nicht gerade in das kleinste Fettnäpfchen am Eingang getreten war. „Du kannst von Glück reden, dass meine Gene mit einem gewissen Maß an Selbstbeherrschung auftrumpfen!“, ermahnte sie ihre Kontrahentin in einer überraschend zivilisierten Art. Die fehlende Eskalation danach hatte ihre nächtliche Gesellschaft der steifen Körperhaltung zu verdanken, die Cynthia denken ließ, dass es sich dabei um eine kleine Form der Angst handelte. Zufrieden mit der erfolgreichen Einschüchterung wartete die Blondine also weiterhin geduldig auf ein „Go!“. Bekam nach der leichten Panikattacke vor sich jedoch erstmal nur eine sehr gewagte Haltung präsentiert. Den letzten Kommentar hätte sich das hyperaktive Ding allerdings sparen können. „Einen Dreck werde ich tun!“, stellte die Löwin ihren Standpunkt klar, ehe Nojra sich schon auf den Weg machte. Wie kam man überhaupt auf eine solch bescheuerte Idee? Wo waren sie hier? Im Prinzessinnen-Club, wo sich alles super lovey-dovey vertrugen? Tse! Wohl kaum! Das Kompliment musste sich Caiwen verdienen und nicht einfach durch eine dumme Wette zugeworfen bekommen. Mal abgesehen davon wäre es dreiste Heuchelei. Also sowieso etwas, was sie einfach überhaupt nicht ausstehen konnte. Mehr noch: Sie verabscheute es zutiefst.
Glücklicherweise hatte die Löwin auch nicht vor diesen Teil des Wettbewerbs zu verlieren. Zwar baute die brünette Nachteule ihren Vorsprung im ersten Moment merklich aus, würde es aber im Verlauf des Rennens kaum halten können. Cynthia war nicht aus Spaß eine Löwin und es gab keinen besseren Weg als diese freche Göre mit ihrem eigenen Gen-Argument Staub fressen zu lassen. Die Ehre gegen ihre wahre Löwen-Form anzutreten wollte sie ihr allerdings nicht gewähren. Ohne großartig darüber nachzudenken sprintete das Tierwesen los. Durch den Flur, in das Parterre und aus dem Vordereingang hinaus. Kein einziger Erzieher hinderte sie daran den letzten Schritt in die – im Vergleich zum Mittag – deutlich kühlere Nachtluft zu machen. Sofort fühlte sich Cynthia von noch mehr Energie erfüllt als vorher. Das Mondlicht machte ihre Nachtsicht sogar noch effektiver als sonst, was ihren Vorteil im Dunkeln noch einmal zusätzlich ausbaute. Ohne weitere Zeit zu verlieren lenkte sie den Weg zum Strand ein und gab Vollgas. Mit einem ordentlichen Tempo, schnellen und koordinierten Schritten gab es einfach nichts, was das Raubtier in ihr aufhalten konnte. Es dauerte auch nicht lange, da tauchte ihre Herausforderin in ihrem Blickfeld auf. Kurz zog sie das Tempo an, um auf eine gleiche Höhe mit ihr zu kommen, ein leichtes Grinsen in ihre Richtung zu werfen – von dem sie nicht mal wusste, ob sie das sah – und dann weiterzulaufen und sie vom Schatten der Nacht verschlingen zu lassen.
Dieses Mal also würde sie gewinnen und damit einen Preis rausschlagen, der ihr nicht unwichtiger sein könnte. Kaum hatten ihre Beine den sandigen Boden des Strandes unter sich, stoppte die Löwin. Mit einem beschleunigten Atem beugte sie sich leicht angestrengt nach vorne, ehe sie sich wie eine Feder in die entgegengesetzte Richtung aufbäumte und in den Nachthimmel schaute. Sie war zwar nicht hoch oben und konnte weit in die Landschaft blicken, aber das rauschen der Wellen und die seichten Geräusche von Blättern im Wind hatten ihren ganz eigenen Charme. Erst mit dem Auftauchen von Schritten und Gekeuche wandte sich ihr Blick den Weg hinab, aus welchem sie ihre Herausforderin erwartete. „Hatte mich schon gefragt, ob ich nicht nochmal zurücklaufen sollte.“, begrüßte sie den zweiten Platz mit einer neu gewonnen Portion an Selbstbewusstsein und durchaus altbekanntem Hochmut in der Stimme. „Auch wenn es der Preis absolut nicht wert war.“, fuhr sie fort und nahm ihre typische Pose mit den verschränkten Armen ein. „Ich meine: Ein Kompliment verteilen, dein scheiß ernst?“, und ihre Stimme wechselte leicht die Tonlage ins ungläubige. „Das ist ja als würde ich dich morgen umarmen und dir sagen wie wundervolle Freundinnen wir sind. Das klappt vielleicht in der Grundschule, aber hier?“, und ein leicht ungläubiges Lachen verließ im Anschluss ihre Kehle. Das würde vermutlich auch nie passieren. Allein schon, weil sie selbst einfach nicht so tickte. Ein Gutes Beispiel also. „Aber ist ja auch komplett egal.“, und sie löste ihre Haltung um einmal beiläufig abzuwinken, „Ich hoffe nur für dich du kneifst jetzt nicht. Das Meer wartet schon auf dich.“.
"Man widerspricht oft einer Meinung, während uns eigentlich nur der Ton, mit dem sie vorgetragen wurde, unsympathisch ist." - Friedrich Nietzsche
Schon nachdem sie die ersten 10 Meter hinter sich gelassen hatte, war ihr die Aberwitzigkeit der Art des Wettkampfs mit einem ausdrucksstarken Augenrollen bewusst geworden. Ein Rennen, zu Fuß, gegen eine Löwin? Da hatte sich ihr Verstand aber mal so richtig mit Schmackes die Blöße gegeben. Dennoch kam die Hobby-Nachteule nicht umhin mit einem mehr als breiten Grinsen im Gesicht die Turnschuhe immer flinker über den Boden gleiten zu lassen. Was machte es schon, wenn sie diesmal sang- und klanglos gegen ihre Kontrahentin verlor? Im Grunde ging es doch auch gar nicht darum wer von beiden zuerst den Widerstand tausender kleiner Sandkörner unter den Sohlen verspürte. Es ging darum Cynthia aus ihrem Kreislauf zynischer schlechter Laune zu reißen, wenn auch nur für ein paar Minuten. Manch einer mag dies für einen schier unmöglichen Plan abtun und ad acta legen, aber Noja wäre nicht Nojra ohne eine ausgiebige Portion (zweifelhaft) gesunden Optimismus! Zugegeben, als halber Fisch war das Festland nicht unbedingt das Terrain, auf dem sie durch überragende sportliche Fähigkeiten glänzte, so viel Realismus musste sein. Aber sich jetzt mit der sinnlosen Natur dieses Vorhabens auseinanderzusetzen würde sie nur gehörig ins Straucheln bringen.
Es dauerte nicht lang und ihr geringer Vorsprung verabschiedete sich genauso schnell, wie sie ihn eingeleitet hatte. Wäre dies ein typischer Cartoon mit übertrieben dargestellten Handlungen der Protagonisten, so würde sich die Katze gerade mit einer hoch aufgewirbelten Staubwolke und im Rad drehenden Beinen in Richtung Meer von ihr entfernen. Und das ohne die geringste Überraschung der, zum Glück nicht vorhandenen, Zuschauer. Der Weg bis zum angepeilten Ort war ehrlich gesagt weitaus länger, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Anders ließ sich die seltsame Wahl auch einfach nicht erklären, zumal Sonne und Mond für den heutigen Tag bereits einen Schichtwechsel hinter sich hatten. So kam es, dass die Herausforderin mit keuchendem Atem, einer leicht verschwitzten Stirn und von oben bis unten merklich zerzaust die imaginäre Ziellinie erreichte. Die ganze Aktion auch noch mit ihrem gesamten Gepäck durchzuziehen war wirklich nicht einer ihrer hellsten Momente gewesen. Mit einem gut hörbaren Rumpeln ließ sie zuerst ihre Mitbringsel und schließlich sich selbst auf den weichen Untergrund fallen. Eine kühle Brise umspielte ihren erhitzten Körper wie eine liebevolle Streicheleinheit einer Mutter, die ihr fiebriges Kind umsorgte. Mit einem deutlich vernehmbaren Seufzer ließ die Verliererin jegliche Anspannung aus ihren Muskeln entweichen und mit einem abermaligen Plumpsen lag sie nun, alle vier Gliedmaßen von sich gestreckt, die Sterne beobachtend auf dem Rücken. Seit ihrem Ankommen hatte sie jeden einzelnen genervten Satz des Hobby-Rowdys, ohne die geringste Reaktion darauf, über sich hinwegfegen lassen. Diesen niemals endenden Tiraden lag vermutlich ein unerschöpflicher Quell an Kreativität zugrunde. Nach einer kurzen Ruhepause bewegte sie sich halbwegs erholt in eine aufrechte Position, schaute dem im Dunkeln verborgenen Horizont entgegen und ohne Vorwarnung entrang sich ihrer Kehle ein lautes Prusten, “Ich fasse es nicht, dass ich tatsächlich mitten in der Nacht mit meinem gesamten Kram hierher gerannt bin. Und noch weniger fasse ich es, dass du bei der Sache mitgemacht hast!”. Es brauchte ein paar endlose Sekunden, bis sie den plötzlichen Lachanfall mit einem bebenden Oberkörper überwunden hatte. Die Gesamtsituation kam ihr auf einmal ungewöhnlich surreal vor. Mit einem kurzen Schulterzucken verfrachtete sie dieses Gefühl wieder dahin, wo es herkam und wandte ihren Blick schließlich zu ihrer Mitschülerin mit den pelzigen Ohren, “Ich glaube, barfuß an der Wasserlinie entlang zu spazieren wäre gerade die vernünftigere Option.”. Innerlich wappnete sie sich vorsichtshalber für den sehr wahrscheinlichen nächsten Schwall wütender Worte und dem damit einhergehenden sicheren Zeichen einer gescheiterten Mission.
Wenn es einen Wettbewerb geben würde, der hochgezogene Augenbrauen als Siegkriterium zählte, dann hätte Cynthia wohl schon längst die Weltmeisterschaft gewonnen. Nojra musste nicht mal irgendetwas sagen, um diese Reaktion zu ernten. Allein ihr Auftritt und ihr zusammensacken reichten vollkommen aus. Man sah eben nicht alle Tage jemanden am Strand liegen und neben seiner Tasche einen sterbenden Seestern imitieren. Sterbend auch deswegen, weil sie nicht einmal eine Reaktion auf ihre Kommentare bekam. Man würdigte sie ja nicht mal eines müden Blickes. Nein, stattdessen übte sie sich daran die Sterne anzuschauen und nachdem man ihr sowieso nicht zuhörte, wandte sie ebenfalls einen kurzen Moment von der brünetten Dame ab und schaute ebenfalls nach oben. Nur wenige Sekunden später wanderte der Blick dann wieder auf den Horizont des Meeres, das mit seinem konstanten Rauschen beinahe schon penetrant ihre Aufmerksamkeit suchte. Leicht ausgelaugt wanderten ihre gelben Augen den Horizont entlang, den sie zusammen mit den einzelnen Wellen beinahe schon so gut wie am helllichten Tag erkennen konnte. Nicht zu vergessen der Geruch des Meeres, welcher sich in der feinen Löwennase noch penetranter absetzte als irgendwo anders. Trotzdem war es … irgendwie beruhigend. Ja, so konnte man es ausdrücken. Würde sie in dem Moment nicht ein lautes Prusten ohne Rücksicht aus der leichten Trance holen, in welche sich die Löwin gerade selbst gebracht hatte. Leicht erschreckt landete ihr Blick wieder bei Nojra, die sich inzwischen wieder aufgesetzt hatte. Instinktiv alarmiert suchten ihre Ohren die Umgebung wie ein Sonar ab. Zuckten nach linke, dann wieder nach rechts, dann sanken sie langsam wieder in eine normale Position ab. Ein sicheres Zeichen davor, dass sich Cynthias Alarmstufe wieder Schritt für Schritt zurückfuhr.
„Was soll das denn heißen?“, kam es wie aus der Pistole geschossen zwischen ihren Lippen hervor und ihre rechte Augenbraue wanderte erneut in die Höhe, während sie erwartungsvoll auf Nojra hinabsah. Eine Antwort auf ihre Frage blieb vorerst allerdings aus. Stattdessen bekam sie einen weiteren Schlag ins Gesicht, indem man ihr nun auch noch die nächtliche Badestunde streitig machte. Ein genervtes Seufzen entwich ihrer Kehle, bevor ihr rechter Fuß unbeeindruckt in den Sand gejagt wurde und als Folge ein bisschen Sand in Richtung des Meeres katapultierte. „Na gut, dann eben keine Schwimmstunde. Kann ich mit leben.“, entgegnete sie letzten Endes und steckte ihre Hände nahezu entspannt in die Taschen ihrer roten Hotpants. Wirklich begeistern tat sie der Ersatzvorschlag trotzdem nicht. Wenn es allerdings rein um Ablenkung ging, würde es im Zweifelsfall auch das langsame Gammeln am Strand tun. Sie war da im Moment echt nicht wählerisch. Wie schon zuvor hatte sie keine Lust jetzt wieder an die Decke zu gehen. Nur, weil jemand sein Wort nicht hielt. Man sollte nur nicht von Cynthia erwarten, dass sie sich jetzt vor Begeisterung ihre Stiefel auszog und wie ein Honigkuchenpferd am Strand entlangstolzierte. Genauso wenig wie sie sich die Mühe machen würde auf Nojra zu warten. Die brünette Wortbrecherin hatte schon Schonung von ihr bekommen, da konnte sie sich auch mal ein bisschen zusammenreißen. Was die Löwin auch prompt bewies, als sie ihre ersten Schritte weg von der Hobbysportlerin machte. „Eine Sache noch …“, drehte sie sich nach ein paar Schritten um und versuchte Nojras Blick mit ihren gelben Augen einzufangen, „… Ich lasse von meinem Wett-Gewinn ab.“. Ein Widerspruch wurde nur mit der richtigen Begründung geduldet. Nicht, dass die Blondine einen erwartete. Also drehte sie sich auch prompt wieder herum und ging ihrer Wege…
"Man widerspricht oft einer Meinung, während uns eigentlich nur der Ton, mit dem sie vorgetragen wurde, unsympathisch ist." - Friedrich Nietzsche
Zu ihrer angenehmen Überraschung, blieb die brodelnde Explosion als Reaktion auf die kurzfristig umgestaltete nächtliche Freizeitgestaltung aus und stattdessen reagierte die Löwin mit ungewöhnlich leidenschaftsloser Akzeptanz. Die eben noch laut prustende Langzeitisolanerin war sich ziemlich unschlüssig, ob das nun einen besseren oder schlechteren Umstand darstellte. Mit einer Selbstbewusstsein ausstrahlenden Ruhe und ohne sich etwas von ihrer Unsicherheit anmerken zu lassen, befreite sie ihre Hände durch leichtes Klatschen und Reiben von überschüssigem Sand und verschränkte sie danach mit ausgestreckten Armen hinter dem Rücken. “Also, magst du darüber reden, was dich momentan so auf die Palme bringt?”, mit einem einladend freundlichen, aber nicht zu aufdringlichen Lächeln schaute das Strandkrümelmonster aufgeweckt in das Gesicht seiner Komplizin und nickte dabei ermutigend. “Tut vielleicht ganz gut, das Negative mal rauszulassen und es sich von der Seele zu reden.” Die ihr erlassene Wettschuld sprach sie nicht weiter an, da diese letzten Endes auch nur ein wenig durchdachtes Mittel zum Zweck gewesen war. Um Essen, das absolute Heiligtum, hatten sie schon gespielt und riskante Mutproben als Strafe waren einfach nicht Nojras Ding. Dennoch war sie seltsamerweise ergriffen von der entgegenkommenden Geste und kam nicht umhin trotz des Sieges einen Hauch Wehmut seitens der Erstplatzierten zu verspüren. Es war bestimmt nicht einfach überall als unnahbarer, auf Krawall gebürsteter Unruhestifter zu gelten und eine menge Leute um sich zu haben, die gerne einen etwas größeren Bogen um einen zogen. Zumindest war das ihre persönliche Einschätzung der Lage. Sie konnte damit natürlich auch vollkommen falsch liegen und in Wirklichkeit war Cynthia das beliebteste Mädchen der Schule, sie zweifelte nur irgendwie daran. Aber wie sagte man so schön? Unter jeder harten Schale steckte ein weicher Kern! Und die braunhaarige Seeratte hatte vor eben diese zarten Wesensmerkmale hervorzulocken, wie bei einem mit leckerem Saft gefüllten Lutscher. Nur ohne genüsslich mit den Zähnen auf ihr herumzukauen. Generell ohne etwaige kannibalistische Einlagen. Vielleicht doch nicht so ganz wie bei einem Lutscher. Aufgrund der abstrusen Gedanken kämpfte sich wieder ein Lachen in ihrer Kehle hoch und es kostete die aufgedrehte Hobby-Psychologin viel Kraft und eine gehörige Portion Selbstbeherrschung diesem Drang nicht erneut mehr als gut hörbar nachzugeben. Mit einem leichten Beben drückte sie das surreale Kopfkino in eine imaginäre Kiste, verschloss diese mit zwei Umdrehungen und warf den Schlüssel anschließend weit in das offene Meer. Nur fürs Protokoll: das alles ereignete sich selbstverständlich nur in ihrem wirren Kopf, vor ihrem wirren geistigen Auge. Da Warten nicht unbedingt zu den charakteristischen Stärken der Halbnixe gehörte, zog sie kurzerhand ihre Turnschuhe mitsamt Socken aus, vergrub beide Füße zur Hälfte im nachgiebigen Boden und setzte dazu an einigermaßen angespannt mit den Fersen auf und ab zu wippen, den träumerischen Blick wieder zum blauschwarzen Horizont gerichtet.