Einer der wenigen Orte im Bereich des alten Waisenhauses, die man auch nach dem Werwolfsangriff noch betreten kann, ist jener Strand, den sich die Bewohner und Mitarbeiter des Waisenhauses einst hart erkämpfen mussten. In den letzten Jahren vor dem Angriff wurde der kleine Strandabschnitt im Norden der Insel exklusiv nur noch von Waisenhausbewohnern benutzt und war auch eigens für diese vorgesehen. Vom Beachvolleyballplatz oder gar von der einst legendären Toku-Ni-Bar unweit des Strandes ist heute jedoch kaum noch etwas übrig. Das Netz des Feldes befindet sich längst nicht mehr an Ort und Stelle und liegt achtlos und zerfetzt irgendwo im Sand. Das Gebäude, das einst die Bar darstellte gleicht einem Trümmerhaufen.
Es gab dämliche Ideen von anderen. Und wieder dämliche Leute, die diese Ideen in die Tat umsetzten. Und so war ich einer der letzten Sorte. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass der feine Strandsand und ich nicht zusammenpassten. 'Na toll!' fluchte ich innerlich, als ich mich durch den Strand quälen. Mal ganz abgesehen davon, dass meine Schuhe auch nicht mehr komplett dicht waren und dadurch Unmengen an Sand hineinströmte schien auch noch die Sonne direkt auf mich und brachte mich zum Schwitzen. Der schwere, abgenutzte Rucksack tat sein übriges dazu. Bei jedem Schritt sank ich immer wieder in den Sand ein, ein paar Mal strauchelte ich schon und verlor mehrmals fast das Gleichgewicht. "Jaja, Raymond, warum bist du eigentlich so dermaßen bescheuert?" Im Prinzip hätte ich auch die befestigten Straßen durch die Stadt nehmen können. Zwar wäre mir dadurch die Aussicht verloren gegangen, aber der Weg wäre um einiges leichter geworden. Und auch angenehmer für meine Füße gewesen. Doch ich Idiot musste natürlich genau den Instruktionen meines Bruders folgen, ohne groß nachzudenken. Meine Beine wollten eigentlich schon gar nicht mehr, und so ließ ich mich auf die Rasenfläche kurz hinter dem Strand nieder. Den Rucksack stellte ich ab und lag mich auf den Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Verschnaufpause tat mir durchaus gut: Der frische Meergeruch, der von der Brise herübergetragen wurde, der eigentlich wohlige Schein der untergehenden Sonne - all dies machten mich wieder munter und so begann ich wieder, meinen Gedanken nachzuhängen. Erlaubte sich mein Bruder Leonard eigentlich Späße mit mir? Immerhin waren solche offensichtliche Fehlleitungen keine Seltenheit. Schon damals auf dem Festland bescherten mir seine Ratschläge und Hinweise manchmal mehr als nur peinliche Situationen. War für ihn meine Flucht nicht mehr als ein Spiel? Wieso half er mir dann trotzdem so weitreichend? Immerhin wäre ich ohne seine Unterstützung nie und nimmer hier angekommen. Und was sollte ich eigentlich nun tun? Mein Lebensinhalt der letzten Zeit bestand doch nur darin, vor ihnen wegzulaufen. Der Gedanke war erschreckend, dass ich mir noch keinen Plan für die Zeit danach zurechtgelegt hatte. Und selbst dann... Gab es eine Garantie, dass meine Eltern der Insel fernbleiben würden? Mit einer Mischung eines Seufzers und eines Gähners schloss ich meine Augen. Leider hatte die Sonne noch einen Nebeneffekt: Ich wurde nach und nach schläfrig. Und da ich heute kaum geschlafen hatte, wollte ich meine Augen schon gar nicht mehr öffnen und einfach schlafen. Und das, obwohl ich nicht einmal im Weisenhaus angekommen war. Irgendwie war das aber auch nostalgisch. Es erinnerte mich daran, wie ich damals auf den engländischen Steilklippen eingeschlafen bin und danach Rückenschmerzen hatte, die sich gewaschen hatten. Eigentlich sollte mir das ein Mahnmal sein, nicht einfach so in der "Wildnis" einzuschlafen, aber momentan war das Gras unter meinem Körper so verführerisch angenehm. "Wenn ich jetzt noch ein Kissen hätte, würde ich wohl sofort einschlafen..."
Als ich nun schon seit Stunden ziellos auf den Strand herum geirrt war, entdeckte ich plötzlich einen Jungen, der gänzlich in schwarz gekleidet war. Bei einem sonnigen Tag? Naja, es gab immer dumme Menschen. Als er sich dann auch noch hinlegte und anscheinend einschlief, beschloss ich ihn anzusprechen. Kurz bevor ich bei ihm ankam, wollte er plötzlich ein Kissen haben. "Nimm doch deinen Rucksack..." Ohne zu fragen, warf ich mich neben ihn in die Wiese und mustertet ihn misstrauisch. "Lass mich raten, du willst zum Waisenhaus, oder?" Es lag auf der Hand, denn sonst war eigentlich nichts auf dem Weg, den der Junge eingeschlagen hatte. Es konnte natürlich auch sein, dass er einfach nur an den Strand wollte, aber dazu kam er ein bisschen zu spät. Außerdem war dies hier der Privatstrand des Waisenhauses. Er musste also zum Waisenhaus wollen. Oder er hatte sich verlaufen... All diese Möglichkeiten, das Kombinieren und das Denken nervten mich tierisch an, weshalb ich es einfach ließ. "Oh, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin das A*schloch das lacht, wenn du hinfällst." Ich schenkte ihm mein boshaftestes Grinsen und schlug ihm dann leicht gegen die Schulter. "Chill mal, ich bring dich schon nicht um. Zumindest so lange du nicht blutest. Oder irgendjemand anderes. Dann solltest du mich am Besten irgendwo einsperren, oder davonrennen." Ungeduldig trommelte ich mit meinen Fingern auf meinen Beinen herum, bis ich letztendlich aus dem Schneidersitz heraus aufsprang. "Willst du jetzt zum Waisenhaus? Ich hab Hunger und es gibt grad was." Weshalb wollte ich dem Jungen überhaupt den Weg zeigen? Vielleicht war es Schicksal, oder purer Zufall, aber normalerweise war ich nicht so nett. Zackig wand ich mich ab und marschierte Richtung Waisenhaus. Es war mir egal, ob er mir folgen würde oder nicht. Zuletzt war es sicherlich sein Problem. Und schon wieder kam mein wahrer Charakter zum Vorschein. Alles was mich nicht direkt betraf, konnte mir egal sein. Vielleicht ein bisschen zu kurzsichtig, aber dennoch teilweise wahr.
Irgendjemand sprach mich an und bewahrte mich davor, dass ich doch noch in den Schlaf fiel. Nebenbei bemerkt: Die Tonlage gefiel mir irgendwie ganz und gar nicht. Und warum zur Hölle dachte er (zumindest hörte sich die Stimme männlich an), dass der Rucksack als Kopfkissenersatz durchgehen kann? Bei dem ganzen Zeugs, was da drin war, bekam man eher Kopf- und Halsschmerzen als Gemütlichkeit und Ruhe. Andererseits... Wenn ich er gewesen wäre, wäre mir der Kommentar wahrscheinlich auch in den Sinn gekommen. "Du kannst gerne den Rucksack ausprobieren, aber bequem wird's nicht." Natürlich nahm ich nicht an, dass er sich das Teil nimmt und es als Kopfkissen benutze aber ich hörte, wie sich dieser Jemand neben mir ins Gras warf und mich fragte, ob ich zum Weisenhaus wollte. War das so offensichtlich? Nunja, immerhin lag ich hier auf dem Privatstrand und wie ein Schüler sah ich auch nicht gerade aus mit meiner Montur. Außerdem schien er ein Einwohner der Insel zu sein, vielleicht sogar einer der Schüler. Seine Stimme klang immerhin nicht so, als wäre er erwachsen. In mir kam, ehrlich gesagt, etwas Hoffnung auf, dass der für mich Namenlose mir weiterhelfen könnte. Ich richtete mich auf und öffnete die Augen, ehe ich meine Frage stellte. Oder stellen wollte. "Entschuldige-" Doch leider währte dieser Gedanke nur kurz, als er sich vorstellte. Der erste Eindruck ist bei mir meist wichtig, und mit diesem Satz brach er in meiner Beliebtheitsliste gleich bis zum Keller durch. Und dass das "A*schloch" mit gegen die Schulter schlug half ihm in der Hinsicht auch nicht viel weiter, eher im Gegenteil. Mit jedem weiteren Wort von ihm wurde er mir unsympathischer. Unter normalen Umständen wäre ich schon längst gegangen, hätte der Typ nicht angedeutet, dass er auf dem selben Weg wie ich war. Außerdem war wohl gerade Essenszeit. Er sprang auf und marschierte in Richtung des einen großen Gebäudes, welches zu sehen war. Instinktiv sprang ich auch auf und blickte ihm hinterher. Ich sah den Schulmantel, den mir mein Bruder mal auf Fotos gezeigt hatte und die doch eher grauen Haare, was sich aber im Sonnenlicht etwas schwerer feststellen ließ. Mir war klar, dass ich die Gelegenheit beim Schopf packen musste, auch wenn mich der Typ persönlich ziemlich nervte. Mit einem leisen Seufzer folgte ich ihm zum Weisenhaus. Und hoffte nebenbei, dass ich ihn nicht allzu lange ertragen muss.
Ziemlich froh darüber das der Strand leer war, ging ich am Wasser entlang. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, zu dem Geschehen von vorhin. Cruel hatte mich wirklich verletzt gehabt. Und das wurmte mich wirklich sehr. Es sollte mir doch eigentlich wirklich egal sein. Es ist nur Cruel. Nicht Mason. Mason ist Tod. Für immer. Schnell schüttelte ich den Kopf um diese Gedanken los zu werden. Immerhin habe ich noch den ganzen Tag vor mir, der Tag konnte ja nur noch besser werden! Ich atmete tief durch, breitet meine Arme aus und drehte mich mehr mals um meine eigene Achse. Meine offenen Haare wirbelte um mein Gesicht und ich genoss den warmen Wind auf meiner Haut, dann verlor ich jedoch mein gleich Gewicht, stolperte über meine Füße durch den Sand und fiel hin. Kurz starte ich erschrocken nach vorne, fing dann aber an über meine eigene Schusseligkeit zulachen. Zum Glück war ich hier alleine.
Dieser verdammte Arsch sollte Mason sein. Niemals das würde ich nicht einsehen. Das würde ich niemals erlauben. Dieser dämliche Cruel. Jetzt hatte ich Mason endlich getroffen und dann so was. Eigentlich hätte ich es mir auch sparen können. Ich wollte gar nicht wissen wie es Sky ging. Sie hatte ich bis her noch nicht getroffen. Ich seufzte. Ich könnte gleich zurück ins Meer wenn ich ehrlich war. Es machte doch keinen Sinn. Ich war nur wegen den beiden hier und dann enttäuschte Mason mich so dermaßen indem er so geworden ist. Ich sah vor mich und legte den Kopf schief als ein Mädchen sich förmlich in den Sand stürtzte und anfing zu lachen. Ich kannte dieses Lachen doch. Ich runzelte kurz und hielt dem Mädchen dann grinsend die Hand hin. >Kein Stückchen verändert<
Ich hatte gar nicht registriert das noch jemand an den Strand gekommen war, zu sehr war ich mit mir selber beschäftigt. Doch dann bemerkte ich auf einmal die Hand vor, die mir wahrscheinlich beim aufstehen helfen wollte. Erst blinzelte ich nur verwundert die helfende Hand an, verwundert woher die nun plötzlich kam. Dann kam ich auf die Idee einfach mal hoch zuschauen. Mein Blick glitt von der Hand hoch, dem Arm entlang und dann ins Gesicht, welches ich zu erst gar nicht richtig erkennen konnte, da die Sonne mich ziemlich blendete. Die Person vor mir hatte auf jeden fall lange Haare, musste also ein Mädchen sein, was ich dann auch an der Stimme erkannte, als sie meinte ich hätte mich nicht verändert. "Du kennst mich?" Etwas verwirrt und immer noch geblendet schaute ich sie weiterhin an. Woher sollte sie mich kennen? Von früher? Häää.... Doch als sich meine Augen an die Sonne gewohnt hatten, erkannte ich die hellen pinken Haaren und das Gesicht. Vollkommen überraschte öffnete ich meinen Mund, jedoch kam kein Ton raus. Yui. Vor mir stand sie. Yui. Ohne nach ihrer Hand zugreifen sprang ich vom Sandboden auf und fiel ihr um den Hals. "YUI!" Ich konnte es wirklich nicht glauben. Sie war hier! "Wie?... Was machst du hier? Seit wann bist du hier? Wie geht es dir? Oh Gott, es ist so schön dich zu sehen!"
Ich dachte für einen Augenblick sie hätte mich jetzt auch noch vergessen ich glaub dann hätte ich mir Tatsache die Kugel gegeben. Darauf hatte ich wirklich keine Lust. Wir waren damals zu dritt zu dicke. Da würde ich noch eine Niederlage gewiss nicht verkraften. Doch bevor ich reagieren konnte wurde ich auch schon förmlich angesprungen. Sie hatte sich wirklich nicht geändert. Ich lachte herzlich. >Sky nicht so stürmisch< kicherte ich meine alte Freundin an. Sie war wirklich unverändert. Was mich wirklich über aus glücklich machte. >Ich bin seit einigen Tagen hier... ich hab gehört das du und Mason.. oder eher gesagt Cruel hier wären. Ich musste euch unbedingt sehen und schauen ob das Gerücht wahr wäre. Mir geht es gut jetzt wo ich dich sehe< lachte ich und umarmte sie kurz. Es war wirklich schön sie wiederzusehen. Ich hatte sie und Mason so vermisst. Kaum zu glauben wie erleichtert ich nun war.
Ich wusste doch dass der Tag nur besser werden konnte! Als sie auf meine Fragen antwortet hörte ich aufmerksam zu, musste aber unweigerlich zucken als sie Mason und Cruel nannte. Dann löste ich mich von ihr. "Dann hast du ihn wohl getroffen, hm?" Ich versuchte zu lächeln aber bei dem Thema ging das wirklich schwer. "Naja, dann weißt du wohl auch bescheid!" Ich hackte mich bei ihrem Arm ein und ging weiter, weil ich gerade nicht still stehen konnte. "Aber wo hast du das nur gehört? Ich meine, es ist jetzt nicht so als ob ich davon vielen erzählt hätte. Eigentlich niemand." Nur von Seth, dem Vampir der mich zu einem gemacht hatte, hätte davon vielleicht ahnen können. Es fühlte sich wirklich gut an jemand vertrautes um mich zu haben. Am liebsten würde ich Yui nie wieder gehen lassen, sie einfach an mich ketten, sie einsperren!
Ich sah ihr gequältes lächeln. Das hätte ich nicht ansprechen sollen. Das hätte ich mir auch so denken können. Doch mir ging es wohl auch nicht anders als sie. Es fühlte sich schlecht an jemand vertrautes so zu sehen. >Ja leider... das hätte ich mir dann auch verkneifen können. Am liebsten hätte ich ihn eine gescheuert< jetzt war ich die jenige die versuchte zu lächeln. Ich nickte schwach. Ja ich wusste bescheid. Sonst wäre ich sicherlich nicht hier. Da war ich mir im klaren drin. Auf ihre Frage zuckte ich mit den Achseln. >Ich hab gehört das jemand wohl einen jungen Mann getroffen hat der wohl aussehen sollte wie Mason. Dann hab ich erfahren das eine Sky an diese Schule geht und natürlich lässt mich so was nicht kalt< nickte ich schwach. Natürlich musste ich dem nach gehen. >Ich bin so glücklich dich gefunden zu haben... ich hab euch so vermisst< sagte ich und mir kamen die Tränen. Natürlich hielt ich sie zurück und wedelte mit der freien Hand damit die Tränen ja nicht runter kulllerten.
"Meine Rede! Ich musste mich wirklich zusammen reißen! So ein arroganter Kerl!" Ich seufzte tief ein und aus, lies damit alle negativen Gedanken raus und schritt dann lächelnd vorran. "Ich bin auch total froh, das du hier bist!" Wirklich. Sie gab mir nun den halt den ich brauchte, um weiter zu machen. Ich hatte ehrlich schon alles und jeden aufgeben aber nun war Yui da. Mein Anker, mein Fels in der Brandung! Und nein, ich übertrieb nun nicht, so fühlte ich mich gerade einfach. "Lass uns heute Abend spaß haben!" schlug ich dann vor. "Hab gehört es soll eine Beachparty geben! Wir brezeln uns auf und lassen uns voll laufen, so wie früher! Was hälst du von meinem mega Plan?"