Beschreibung: Ein abendlicher Spaziergang am Strand gehört für die junge Nixe zum Ritual für einen Start in das Wochenende einfach dazu. Während Gabriel seinen Feierabend nutzt um sich am Strand den Tiefen seiner Ängste, dem Wasser, auseinanderzusetzen und sich selber konfrontiert, scheint dies für Nojra ein interessantes Schauspiel zu sein. Ob es einfacher ist sich seiner Angst zu stellen, wenn man nicht alleine ist?
Der fremde Junge hielt sie also nicht für besonders bedrohlich, interessant... Mit zu Schlitzen verengten Augen starrte sie lauernd in das unergründliche Grün ihres Gegenüber und lachte leise mit einem gespielt drohenden Unterton. “Berühmte letzte Worte, Abenteurer.” Er hatte recht, sie war keine besonders gefährliche Person. Schon allein der Tatsache geschuldet, dass ihr Lebensplan vorsah eines Tages wie ihr Vater als Heilmagier auf der Krankenstation von Isola zu arbeiten. Aber das konnte der lebensrettende Pizzaspender ja schlecht wissen und Nojra würde sich noch eine ganze Weile den Spaß machen ihn im Dunkeln herumtappen zu lassen. “Du brauchst dir jedoch keine Sorgen zu machen. Dank deiner großzügigen Nächstenliebe in Form fettigen Fast Foods, hast du dir eine “Sie kommen aus dem Gefängnis frei”-Karte gesichert.”, schloss sie mit einem Grinsen, welches gekonnt durch eine freche Zungenspitze im linken Mundwinkel versüßt wurde. Nachdem der Blondschopf die leere Pizzaschachtel geschlossen vor sich auf den unebenen Boden gelegt hatte, erkundigte er sich mit scheinbar ehrlicher Ernsthaftigkeit nach dem gesundheitlichen Befinden seiner neuen Bekanntschaft. Verwirrt streckte sie ihren Rücken durch und ließ den Kopf leicht schräg nach rechts kippen. Wieso sollte sie krank sein? Sah sie irgendwie fertig und abgekämpft aus? Es brauchte ein paar lange Sekunden bevor in dem verworrenen Labyrinth ihres Gehirns schließlich der sprichwörtliche Groschen fiel. Er dachte wohl die Aussage bezüglich ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit wäre ein sachlicher Kommentar zu einem tatsächlichen Zustand gewesen. Hatte er nicht verstanden, dass das bloß ein mit Übertriebenheit ausgeschmückter Scherz war? Oder verstand sie selbst gerade nur nicht, dass er versuchte sie auf dieselbe Art und Weise zu necken? Unschlüssig musterte sie das in die Ferne blickende ausdruckslose Gesicht, auf der Suche nach einer Antwort auf diese bedeutenden Fragen. Schlussendlich gab sie sich geschlagen und richtete sie schulterzuckend direkt an die betreffende Person. “Also...was ich da gesagt habe war eigentlich nur ein zugegebenermaßen schlechter Witz. Kam das zu ernst rüber?”. Mit aller Macht versuchte sie sich gegen die aufsteigende Röte in ihrem Gesicht zur Wehr zu setzen, aber aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund war es ihr peinlich unangenehm sich gegenüber dem verwegenen Wuschelkopf erklären zu müssen. Dabei war doch echt nichts dabei, wenn man mal einen lustig gemeinten Spruch verriss. Schnell schaute sie wieder nach vorn gewandt auf den dunkler werdenden Horizont, grub ihre Füße verlegen übereinander in den Sand und stützte sich nach hinten mit ihren Händen ab. Das darauffolgende Schweigen, obwohl nur einen kurzen Moment andauernd, zog sich in Nojras Wahrnehmung wie Kaugummi über mehrere Minuten. Mehrere unbequeme Minuten. Als sie es nicht mehr aushielt und schon erneut etwas sagen wollte, vernahm sie mit großer Erleichterung die sonore Stimme ihres Gesprächspartners. Zu ihrer vollkommenen Überraschung machte er ihr ein Kompliment, bevor er knapp zusammengefasst von dem Grund seines Aufenthalts auf der hiesigen Trauminsel erzählte. Demnach hatte es also wirklich nichts mit der paradiesischen Umgebung zu tun, sondern mit der Suche nach seinem Bruder. Nicht sicher wie weit sie sich in das Gebiet dieses Themas vorwagen durfte, beließ sie ihre Reaktion bei einem verständnisvollen Nicken und einem entgegenkommenden Angebot. “Wenn du dabei Hilfe gebrauchen kannst, stehe ich dir gerne mit Rat und Tat zur Seite.” Von einem geschäftig wirkenden Rascheln untermalt, erhob sich ihr Sitznachbar vollends in die Senkrechte, schnappte sich vornübergebeugt den leeren Karton und schob sich nach einem letzten Blick zum Meer hinaus in seiner vollen Größe vor den Ausblick der braunhaarigen Schülerin. Trotz seiner sehr schlanken Statur machte das einen ganz schön imposanten Eindruck. Davon animiert kraxelte sie ebenfalls nach oben und sammelte mit geschmeidig flinken Bewegungen ihre sieben Sachen auf. Voll ausgestreckt war sie selbst nicht unbedingt die Kleinste, aber der Blondschopf überragte sie dennoch um mindestens nochmal einen ganzen Kopf. Viel wichtiger als das waren jedoch die Worte, welche monoton ihren Weg von seinen gepiercten Lippen in ihre hellhörigen Ohren fanden. Mit einem schelmischen Glitzern in den Augen schenkte sie ihm ein herausforderndes Lächeln, “Ein Geheimstrand wäre nicht geheim, wenn jeder von ihm wüsste. Aber du hast Glück, ich habe noch nichts weiter vor und alleine Bier trinken ist langweilig. Auf zum Supermarkt!”
Die nächsten Worte der Braunhaarige wirkten deutlich bedrohlicher. Insbesondere darum, dass sie ihre ebenso braunen Augen zusammen kniff und zuvor ein böses Lachen aus ihrer Kehle entkam. Dennoch konnte er diese Tatsache, dass sie eine Mörderin sei, nicht ernst nehmen. Auch wenn dem so war, würde er es bestimmt schaffen, gegen sie zu kämpfen, da war er sich sicher. Womöglich war dies eine sehr waghalsige Feststellung. Man sollte sein Gegenüber nie unterschätzen, besonders die kleinen, lieb wirkenden Mädchen. Scheinbar gab es auf dieser Insel einige magische Wesen, die er zum Teil schon kennenlernen durfte. Besonders die Werwölfe fielen ihm vor nur wenigen Wochen recht negativ auf. Die junge Dame zeigte ihr schauspielerisches Talent und versuchte die Illusion aufrecht zu erhalten. Mit einem Kopfnicken bestätigte er den Erhalt der wohl imaginären Freilassungskarte. “Ich würde es dennoch bevorzugen, diese Karte schriftlich überreicht zu bekommen.“, erwähnte er um auf Nummer sicher zu gehen. Warum kämpfen, wenn es durch eine einfache Karte verhindert werden könnte? So hatte er und auch sie mehr vom Tag. Es war sicher kein Fehler, eine derartige Sicherheit für sich zu beanspruchen, wenn dies so einfach möglich war, eine zu bekommen. Pizza gegen Freilassungskarte. Das könnte der Pizzabäcker des Öfteren noch arrangieren. Ein erneutes Missverständnis bezüglich des aktuellen mentalen Gesundheitszustandes des Mädchens verwirrte nun nicht nur mehr den Blondschopf, sondern auch seine kleinere Gesprächspartnerin. Erneut gekränkt durch Gabriels unsicheren Umgang mit Humor versuchte sie sich zu erklären. Das war mal wieder dem jungen Mann zu verschulden. “Nein, schon gut. Es war witzig.“, versuchte er sie zu beruhigen, dennoch hatte er das Empfinden, dass es nicht funktionierte. Womöglich war dies auf seine monotone Stimmlage zurückzuführen. Bereits zum zweiten Male verfärbten sich ihre zierliche Wangen in ein saftiges Rot, sodass man sich fragen könnte, ob die Sonne ihrer Haut Schaden zufügte. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass Gabriel’s Sitznachbarin ihm helfen wollte bei der Suche nach seinem vermissten Bruder. Seine Ohren zuckten, das klang überaus interessant. Selten gab es Personen in seinem Leben, die ihm wirklich helfen wollten. Natürlich blieb er skeptisch, doch abwimmeln wollte er diese Hilfe nicht. Dem jungen Mann war jede nützliche Hilfe recht um seine Mission erfolgreich abzuschließen. Für einen Bruchteil einer Sekunde schlug sein Herz in seiner Brust schneller und härter. Es war ein Moment der Hoffnung, der auch für ihn physisch zu spüren war. So stellte er sich vor den kleineren Körper, welcher ebenfalls zügig aufstand, um den Aufbruch anzukündigen. Er konnte beobachten, wie sich ihre Mimik veränderte und man die Motivation und Überraschung förmlich brodeln spüren konnte. “Bier? Verkaufen die das überhaupt an dich?“, meinte er und zog seine Augenbrauen ungläubig nach oben. Sie sah sehr jung aus, das konnte sie auch nicht abstreiten. Dass sie schon 16 Jahre alt war, wusste der Blondschopf genauso wenig wie ihren Namen. Erstaunlicherweise war diese Information nebensächlich. Langsam bewegte sich der junge Mann und entfernte sich vom Wasser um an die Promenade zu gelangen. Beim nächstgelegenen Mülleimer blieb er kurz stehen um seinen leeren Pizzakarton wegzuschmeißen, ehe er sich umdrehte und das Mädchen vor sich stehen hatte. “Zum Supermarkt… Hier, oder?“, fragte er nach und zeigte mit einer linken gepiercten Hand in die wohl eher falsche Richtung. Etwas mehr als ein Monat war er nun hier, doch den Weg von der Promenade zum Supermarkt hat er bisher noch nie genutzt. Da war es schon praktisch eine Isolanerin bei sich zu haben. Wobei – war sie denn von hier? Als die Beiden dann die richtige Route gewählt haben und sich zum Supermarkt bewegten, blickte er seitlich zu ihr herab. “Du bist also von hier?“, fragte er betont. Das Puzzle zu diesem Mädchen vervollständigte sich nur sehr langsam. Aber eine Beziehung zu einer fremden Person aufzubauen war für Gabriel auch keine leichte Aufgabe.
Nachdenklich blickte die braunhaarige Hobbymörderin unbestimmt nach oben und legte ihren rechten Zeigefinger sanft auf ihr vorgestrecktes Kinn. “Mhm...das ließe sich vermutlich einrichten. Allerdings würde ich dann die Regel einführen, dass du im Besitz von höchstens zwei schriftliche Ausführungen gleichzeitig sein darfst. Ansonsten habe ich morgen wahrscheinlich eine Palette Pizzen vor meiner Zimmertür stehen und danach sehe ich dich dann nie wieder.” Mit einem schelmischen Grinsen schaute sie dem Blondschopf abermals direkt in die Augen. “Abgemacht?” Nojras plötzliche Unsicherheit in Gegenwart des fremden Jungen nagte innerlich etwas mehr an ihr, als sie es sich selbst gegenüber eingestehen wollte. Normalerweise war sie stets souverän, selbstsicher und bis zu einem gewissen Maß sogar wunderbar schlagfertig. Natürlich gab es auch Situationen in denen einiges, oder sogar nichts davon zutraf. Aber das kam wirklich nur sehr selten vor und auch nur dann, wenn sie unter enormen emotionalen Stress stand. Leider eröffnete diese Tatsache nur noch mehr Raum für unbeantwortete Fragen, für die sie bisher noch keine Lösungen in Aussicht hatte. Diesen Umstand nahm sie jetzt erst einmal widerwillig so hin wie er war und verbannte ihn in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins. Nachdem sie mehr schlecht als recht versucht hatte, ihre albernen Redewendungen zu erklären, drangen ein paar knapp hervor gepresste aber beruhigende Worte ihre ebenfalls vor Scham rot angelaufenen Ohren. Sie wusste nicht, wie ernst diese gemeint waren, aber sie erreichten ihr Ziel und verringerten langsam aber sicher den wilden Herzschlag in ihrer Brust. Dieser angenehm einlullenden Stimme hätte sie gerade mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach so gut wie alles abgekauft. Vielleicht hatte sie diesen intensiven Effekt aufgrund der kaum vorhandenen Betonung, vielleicht aber auch nicht. Wer wusste das schon? Die hilflose Halbnixe jedenfalls nicht. Der hiesige Promenadenabschnitt war trotz der milden Temperaturen und dem bevorstehenden Wochenende erstaunlich leer an diesem noch relativ frühen Abend. Ein kurzes, sondierendes Umherschweifen verriet, dass sie bis auf ein paar vereinzelte, schnell vorbei huschende Gestalten scheinbar die einzigen Spaziergänger in der näheren Umgebung waren. Das war zwar ungewöhnlich, aber kam hin und wieder schonmal vor. “Na hör mal, ich bin schon sechzehn. Logo verkaufen die Bier an mich. Außerdem sind wir zu zweit.”, entgegnete sie mit halb gespielter Empörung auf den zweifelnden Blick des gepiercten Riesen und setzte sich ebenfalls gemächlich in Richtung des mit Pflastersteinen angelegten Fußwegs in Bewegung. Sah sie ernsthaft noch zu jung aus um ein paar Flaschen Gerstensaft zu kaufen? Dabei war sie doch so stolz darauf von ihren Eltern endlich ein wenig mehr wie eine angehende Erwachsene behandelt zu werden. Nach der anfänglich verwirrten Wegfindung seitens des Blondschopfs, übernahm Nojra für einen Moment die Führung des kleinen Einkaufstrupps und steuerte die beiden ungleichen Teilnehmer ohne suchen zu müssen ihrem Ziel entgegen. Sie wusste absolut immer wo sich die in Relation zu ihr nächstgelegene Anhäufung von leckerem Essen befand. Was zu ihrem Leidwesen allerdings nicht unbedingt bedeutete, dass eben dieses auch zu einhundert Prozent kostenfrei war. Ein leichtes Kribbeln entlang ihres Nackens und in der Bauchgegend auslösend, schaute der Konversationsmuffel im Gehen seitlich auf die Heilmagierin herab und erkundigte sich interessiert nach ihrem Bezug zu der unumstritten traumhaften Paradiesinsel. Von der Freude, dass ihr Gesprächspartner offenbar mehr über sie wissen wollte, mit einer extra Portion Energie geladen, hopste die Quasselstrippe ein paar Meter voraus, drehte sich schwungvoll um hundertachtzig Grad in einem Halbkreis, streckte die Arme nach hinten aus und setzte im gleichen Tempo wie zuvor rückwärts einen Schritt nach dem anderen. “Korrekt! Ich wurde hier auf Isola geboren. Bin sozusagen ein Original. Deshalb kannst du mich auch wirklich jederzeit anhauen, wenn du mal Hilfe bei irgendwas gebrauchen kannst. Egal was es ist, ich stehe dir mit Rat und Tat zur Seite.” Verspielt zwinkerte sie dem grünäugigen Hünen vielsagend zu und nahm anschließend rasch wieder ihren vorherigen Platz neben ihm auf gleicher Höhe ein.
Eine Regel? Das Mädchen steht also auf Regeln und Klarheit. Nicht mehr als zwei Freilassungskarten - es wirkte, als wäre es ihr ernst. Vielleicht steckte doch etwas Wahrheit hinter der Krimigeschichte und er würde schlussendlich auf diese Karten plädieren. Die Grinsebacke blickte mit ihren braunen Augen direkt in die, des Blondschopfs. Er erwiderte ihren Blick, als sie ein letztes Mal nachharkte, ob das in Ordnung geht. Bedacht streckte er seiner Verhandlungspartnerin seine gepiercte Hand entgegen. Selbst da konnte er es nicht lassen und schmückte seinen Bereich zwischen Daumen und Zeigefingern mit einem Piercing, welches in der heruntergehenden Sonne glitzerte. "Abgemacht.", wiederholte er ihre Worte und hielt dem Blick stand. Er wollte mit ihr das Versprechen mit einem einfachen Handschlag – so wie es für ihn üblich war – versiegeln. Dass er das ganze wohl zu ernst nahm, war seinem nicht vorhandenem Humor zu verdanken. Mit einem leichten Druck war dies auch erledigt. Ihre Aussage, dass sie Bier kaufen durfte und die Beiden ohnehin zu Zweit waren, verursachte bei dem jungen Mann erneut ein Zucken auf den Lippen. "Isola ist merkwürdig. Ich dachte, es geht dabei um die Anzahl der Jahre, die man auf dem Buckel hat, nicht um die Anzahl der Personen, die eintreten.", kommentierte der Norweger und ignorierte ihre Empörung über ihr Alter. Später wenn sie Erwachsen und alt wird, wäre sie bestimmt froh darüber, wenn man sie jünger schätzt. Er verstand jedoch, dass es in der aktuellen jugendlichen Phase nicht so cool war. Zwar hat der angehende Erzieher bereits selten mal mit jungen Erwachsenen gearbeitet, dennoch war er nicht sonderlich gut im Schätzen von Alter anhand des Aussehens. Zudem war das Mädchen sehr naiv und leichtgläubig, was auf wenige Lebensjahre schließen ließ.
Gemeinsam marschierten sie zum Supermarkt und erreichten diesen auf schnellstem Weg, da sich die waschechte Isolanerin natürlich gut in der Gegend auskannte. Plötzlich sprang die Braunhaarige zügig nach vorne, ehe sie sich umdrehte und munter rückwärts spazierte, sodass sich die Beiden während der Konversation in die Augen sehen konnten. Sie wirkte fröhlich, sie war munter, sie war eine echte Energiekugel. Gabriel hingegen hielt seine Augen nicht nur auf das Mädchen fixiert, als sie erzählte, dass sie hier geboren wurde, sondern behielt auch die Umgebung im Blick. Ungern hätte er sie in eine Laterne laufen oder in ein unvorhersehbares Loch fallen lassen, wenn sie schon so nett war und erneut ihre Hilfe anbot. Sie meinte es wohl wirklich ernst, wenn sie es in kürzester Zeit schon wieder erwähnte. Ihre Hilfe. Jederzeit. Rund um die Uhr also. Ob dies wirklich der Fall sein wird? Etwas betrübt blickte er auf den Boden vor sich, als sie sich wieder umdrehte und sich neben ihn gesellte. Solch einen Freund hatte er schonmal, welcher versprach, immer für ihn da zu sein. Unglücklicherweise war dem leider nicht so. Gabriel blieb jedoch nichts anderes übrig, als die Zeit vergehen zu lassen und zu beobachten, was weiterhin hinter dem Mädchen steckte. Natürlich konnte er die Hilfe einer Isolanerin gut gebrauchen. Dennoch war er skeptisch und ging vorerst nicht auf ihr Angebot ein. Er konnte ihre Motivation gerade nicht teilen und steckte seine Hände in seine Hosentasche. "Und gehst du hier also in die Schule?" "Sie ist 16 Jahre alt, vermutlich schon.", ratterte es unter dem Beanie. "Dann könntest du mir vielleicht wirklich helfen.", erwähnte er und blieb für einen Moment lang stehen, um die Braunäugige genauer zu betrachten, indem er sich zu ihr drehte und ihr genau in ihr Gesicht blickte. Ihm fiel das Schimmern an ihren Wagen schon eher auf, doch was es genau war, wusste er nicht. "Fokus.", forderte er von sich selber, ehe er die Frohnatur fragte: "Kennst du einen Theo? Theo Wallin?" Es fiel dem jungen Mann nicht leicht, den Namen seines Bruders so auszusprechen. Möglich war es, dass er schon länger hier auf Isola war und das Mädchen kannte. Oder er auch hier in die Schule ging. "Oder was weiß ich was er hier auf dieser Insel tun könnte…" Es war zum Verzweifeln. Theo war älter als seine Gesprächspartnerin, was jedoch für Gabriel schwierig war sich das vorzustellen. Das letzte Mal, als sie sich gesehen haben, waren sie beide noch Kinder gewesen. Dass es dem älteren Bruder näher ging, als er zugeben würde, konnte man bestimmt daran spüren, wie es innerlich brodelte, als er auf eine Antwort wartete. Anschließend wandte er sich von dem weiblichen Körper ab und spazierte mit den Händen in den Hosentaschen weiter in Richtung Supermarkt, welcher schon zu erkennen war. "Ach. Egal.", meinte er seufzend und stand nun mit der Schülerin vor dem besagten Laden. Er hatte keine Hoffnung viel Hilfe diesbezüglich von ihr zu bekommen. Er suchte nach der Nadel im Heuhaufen und das mit einer Heuschnupfenallergie. Wie kommt man nur auf die Idee eine Insel zu besuchen, wenn man Angst vor dem Wasser hat. "Dämlicher geht’s ja gar nicht mehr.", beleidigte er sich selber, ehe sie das Geschäft betraten.
Wo sich das gekühlte Bier versteckte, war rasch gefunden. Mit einem 6er-Tray in der linken Hand ging der baldige Erzieher schnurstracks Richtung Kassa, ohne groß zu diskutieren, ob es nicht zu viel für die Beiden war. Die Biersorten kannte er bereits und wusste somit, welches er wählen würde. Für den Gesprächsverweigerer gab es keine Diskussionen bei Sache Alkohol. Als er diese kleinen Flaschen Vodka an der Kassa sah, packte er noch zwei davon dazu. Als der Preis genannt wurde, zückte er sein Portemonnaie, bezahlte gentlemanlike alles zusammen. "Keine Diskussion.", erklärte er mit monotoner tiefer Stimme, ehe er ohne ein weiteres Wort aus dem Laden trat, nachdem er wieder beide Trays in die Hand genommen hatte und die zwei kleineren Fläschchen in seine Hosentasche steckte. Es wirkte edel und vornehm, dass er das junge Mädchen einfach einlud. Schlussendlich ging es ihm jedoch nur darum, dass er für sich selber genug Bier dabei hatte und ganz sicher nicht eine Schülerin für sich bezahlen lassen würde, wenn er doch Geld mit seiner Arbeit verdiente. So viel würde dieser kleine Körper ohnehin nicht trinken können, speziell im Vergleich zu ihm. Kurz blieb er stehen draußen stehen, als sich die Ladentür hinter ihnen verschloss. Etwas verloren drehte er sich zu seiner Begleitung um. "Wohin?", fragte er konkret die Isolanerin und würde ihr wie ein Entenküken der Mutter blind folgen. Seine grünen Augen wanderten über den schmächtigen Körper und musterten ihn erneut. "Serienmörderin? No way." Es beschäftigte ihn wohl doch mehr, als ihm lieb war.
“Jupp.”, stieß sie nonchalant als Antwort auf die an sie gestellte Schulfrage hervor. “Ich wohne sogar seit kurzem in dem dazugehörigen Internat.” Nach einem Moment der Überlegung fixierte sie die grünen Untiefen ihres Gegenübers und sprach in einem vor Neugierde triefenden Tonfall, “Und du?”. Vielleicht war die Bleibe des fremden Jungen gar nicht mal so weit von ihrer eigenen Unterkunft entfernt und sie könnten sich so hin und wieder per Zufall über den Weg laufen. Zwar war Isola nicht sonderlich groß im Durchmesser, dennoch bot die Insel erstaunlich viel Platz um sich nötigenfalls aus dem Weg zu gehen. Und das wollte die aufgedrehte Halbnixe gerade ganz sicher nicht. Dieser verwegen Typ mit der sonoren Stimme, den unzähligen Piercings und dem verdammt süßen Wuschelkopf zog sie fast schon auf magische Weise an. Hatte sie vielleicht jemand mit einem Zauber belegt? Beinahe sofort, nachdem Nojra ihr ehrlich gemeintes Hilfsangebot zum wiederholten male an den schlaksigen Blondschopf neben ihr gerichtet hatte, ergriff dieser die Gelegenheit auch schon und erkundigte sich nach einem gewissen Theo Wallin. Nachdenklich verfiel die braunhaarige Schülerin in ein angestrengtes Schweigen und so liefen die beiden in beinahe absoluter Ruhe, nur unterbrochen von dem Geräusch ihrer Schritte, nebeneinander her. Sie durchwühlte jeden nur erdenklichen Winkel ihres derzeit durch Verwirrung beanspruchten Kopfes und ließ den Klang des erwähnten Namens immer wieder wie eine gesprungene Schallplatte durch ihre Gedanken hallen. Leider klingelte es auch nach mehreren vergangenen Minuten der intensiven Kontemplation noch immer nicht in ihrer Birne und das entnervt wirkende Abwenden ihres Gesprächspartner machte ihr mit einem eiskalten Stich in den Bauch bewusst, dass doch mehr Zeit als gedacht vergangen sein musste. “Nein, tut mir leid, den Namen habe ich bisher noch nicht gehört. Ist das dein Bruder?”, entgegnete sie schließlich kleinlaut, begleitet von einem entschuldigenden, beinahe gequälten Gesichtsausdruck. Hatte sie ihn mit ihrem Zögern irgendwie verletzt und war er jetzt einfach nur noch genervt von ihr?
Am Supermarkt angekommen überließ Nojra gänzlich ihrem Begleiter die Führung durch das Alkoholsortiment, da dieser sofort nach Betreten des Ladens zielsicher die Regale entlang schlenderte. An der Kasse setzte sie ihren Freizeitrucksack galant auf dem Boden ab und durchkramte diesen merklich orientierungslos auf der Suche nach ihrem verspielten Portemonnaie. Ehe sie dieses aussichtslos anmutende Unterfangen erfolgreich abschließen konnte, zückte der fremde Junge auch schon seinen eigenen Geldbeutel und bezahlte den gesamten angefallenen Betrag der berauschenden Beute, ohne auch nur den Ansatz eines Widerspruchs seitens der Quasselstrippe zuzulassen. Nachdem sie den einseitigen Einkauf hinter sich gebracht hatten, machten sich die beiden ohne weitere Umschweife auf den Weg in Richtung Geheimstrand. “Folgen Sie mir, Watson.”, forderte sie mit einem breiten Grinsen und in die Hüften gestemmte Arme vorfreudig auf. Sie brauchten ungefähr zwanzig Minuten bis das ungleiche Paar, einen steil abfallenden Pfad hinab folgend, das Ufer einer abseits der Menschenmassen liegenden Bucht erreichten. Auf der rechten Seite sorgte eine kleine über viele Jahre von dem heranbrandenden Wasser ausgespülte Höhle für Schutz vor etwaigen Witterungsbedingungen. “Tada! Willkommen an meinem absolut liebsten abgeschiedenen Ort im Sommer.”, mit einer ausholenden Bewegung drehte sie sich einmal langsam und einladend im Kreis. Danach schnappte sie sich ihre Allwetter Picknickedecke aus ihrer Tasche und nestelte ein gemütliches Fleckchen innerhalb der trockenen Grotte zurecht. Anschließend gesellte sie sich wieder zu dem Bierträger und zeigte auf das seitlich an ihm baumelnde Sixpack. “Darf ich?”.
Eine Schülerin im Internat war sie also. Ob man da etwa lernte, dass man Fremde einfach so anquatschen und mitnehmen konnte? In Norwegen war die ganze Situation etwas anders. Die Leute dort waren verschlossener, eher in sich gekehrt und nicht unbedingt scharf darauf jemand Fremdes kennenzulernen. So zeigte sich Gabriel wohl in seiner ursprünglichen Natur, wobei es ihn nicht störte, dass dieses Mädchen an seinem Feierabend ihn unter ihre Fittiche nahm. Er war oft alleine, kannte nur die Arbeitskollegen in der Pizzeria gut, jedoch der Umkreis war ihm unbekannt. Dennoch merkwürdig, dass eine junge 16-jährige den Älteren ansprach und sie nun gemeinsam unterwegs waren. “Und ich?“, überlegte er, als ihr neugieriger Blick in seinem Gesicht hängen blieb. “Ich wohne nicht im Internat.“, stellte er unbeeindruckt fest und erkannte nicht die Absicht der Braunhaarigen, ehe er fortfuhr: “Ich wohne gleich gegenüber von der Pizzeria.“ Sein Arbeitgeber war so freundlich und hatte ihm eine Unterkunft angeboten. Da durfte man auf keinen Fall absagen, sondern muss die Gunst der Stunde für sich nutzen. Ein wenig kam er sich vor wie in einer niedrigeren Gesellschaftsklasse, da sie eine intelligente Schülerin war, während er in einer Küche und als Kellner arbeitete und einfach nur froh um ein Dach über dem Kopf war. Die Beiden konnten nicht unterschiedlicher sein. Die schweigsamen Minuten zwischen ihnen waren unheimlich. Sie quälten den jungen Mann, am liebsten hätte er auf eine Wand eingeschlagen um die Stille zu durchbrechen. Mit geballten Fäusten versuchte er jedoch ruhig zu bleiben. Sein Atem wurde schwerer und anstrengender. Auch wenn sie sich dafür entschuldigte ihn nicht zu kennen, machte es die ganze Situation für den Norweger nicht unbedingt besser. Als sie neugierig fragte, ob es denn sein Bruder war, nickte er mit einem knappen “M-hm.“, ehe er sich auf Anderes konzentrierte um sich abzulenken.
Keine Widerrede, das passte dem jungen Pizzabäcker doch recht gut. Die Blicke der Kassiererin ignorierend standen sie vor dem Laden, ehe die Isolanerin die Führung übernahm und die Beide in Richtung Geheimstrand führen wollte. “Wallin, nicht Watson.“, korrigierte er unbewusst seine Gesprächspartnerin und war überrascht, dass sie den Zusammenhang des Nachnamens zu seinem Bruder nicht gecheckt hatte. Watson? Also bitte! Das war doch ein komplett anderer Name bis auf die ersten zwei und den letzten Buchstaben. Aber nun gut, eine solche Verwechslung lag wohl darin, dass sie wohl übermotiviert ihre Hände in die Hüften stemmte und mit einem breiten Grinsen den Hatsch zum Strand startete. Als der Weg plötzlich bergab führte, hielt er kurz inne um zu checken, ob sie sich sicher war, wo sie gerade hinwollte. Doch ohne zu zögern lief sie den ihr bekannten Weg und Gabriel blieb wohl nichts anderes übrig als ihr zu folgen. Das tat er dann auch und vor ihm eröffnete sich eine Aussicht, die nicht schöner hätte sein können. Eine unfassbar tolle Bucht mit Wasser, Felsen und einem tollen Naturangebot breitete sich vor ihm aus. Seine Beine hielten an, sodass er sich die Gegend ansehen konnte. Seine grünen Augen fixierten anschließend den Körper vor ihm, welcher begeistert eine Pirouette drehte und den Unbekannten willkommen hieß. Der Gesprächsfaule wandte sich von ihr ab, als sie eine Decke hervorzauberte und den Sitzplatz markierte, während Gabriel sich die Gegend genauer unter die Lupe nahm, indem er seine Augen über die Umgebung schweifen ließ. Besser hätte es ihm gefallen, wenn es nicht so viel Wasser an diesem Ort gab. Aber was hätte er sich erwarten sollen, wenn sie zu einem Strand wollten? Etwas abwesend streiften seine Blicke über die Natur, ehe er aus seinem Trance gerissen wurde, als das Mädchen wieder bei ihm stand und ihn auf das Bier in seiner linken Hand aufmerksam machte. Ohne den Blick von ihren Augen abzulassen erhob er seinen linken Arm, sodass sie sich ein Bier nehmen konnte. Gar keine schlechte Idee, sich gleich eines zu gönnen. Langsam und bedacht ging er zur Decke und legte den Sixpack ab, ehe er sich selbst noch eines nahm. Es waren Flaschen ohne Drehverschluss – ob das Mädchen einen Bieröffner bei sich hatte? Wenn ja, wäre der junge Mann überrascht, würde dadurch das Mädchen aber genauer kennenlernen, ob sie eine ordentliche Biertrinkerin war. “Früh übt sich.“, dachte er insgeheim, ehe er einen seiner grünlichen Würfel von seiner Gürtelkette entfernte. Geschickt legte er seine Handfläche über den Flaschenhals, um den Würfel als Öffner zu verwenden. Nach einem kurzen Plop steckte er den Bierdeckel in seine Hosentasche, ehe er auch schon im stehen die Hälfte des Bieres runterleerte. Es war erfrischend ein kühles Bier sich in dieser Ruhe zu gönnen. Dabei war es ihm gerade einerlei ob er alleine war oder nicht. Sein Blick ruhte erneut auf dem weiblichen Körper mit dem Bier in der Hand. “Brauchst du Hilfe?“ Alles was hier zu hören war, waren die Wellen die regelmäßig an Land gespült wurden, ehe sie sich wieder zurückzogen um erneut zu versuchen, noch mehr Land unter sich zu vergraben. “Ein guter Ort für einen Mord.“, überlegte sich der Blondschopf immer noch neben der Decke stehend.
Mit der geschlossenen Flasche Bier in der Hand, wackelte die braunhaarige Schülerin ohne Umschweife zurück zu dem kurz zuvor vorbereiteten Picknicktuch, im Schutz der kleinen an die Bucht angrenzenden Höhle. Nachdem sie sich gemütlich in einem lockeren Schneidersitz niedergelassen hatte, inspizierte sie verstohlen den schlaksigen Körper ihres mit ernster Miene umher schauenden Begleiters. Seine Klamotten hingen unbetont an seiner Statur herab und die Haltung wirkte durchgehend teilnahmslos, fast schon eingesunken. Auch wenn seine Ausstrahlung nicht die eines typischen Schwarms war, so konnten sein Gebaren und die vielen an sichtbaren Stellen verteilten Piercings nicht darüber hinwegtäuschen, wie allgemeingültig attraktiv er eigentlich war. Ein erneutes Ziehen breitete sich feurig in Nojras Bauchgegend aus und veranlasste sie dazu sich den Blondschopf vor ihrem geistigen Auge in bedeutend engerer Kleidung vorzustellen. Mit einem abrupten Kopfschütteln stieß sie den Gedanken gewaltsam von sich und betrachtete nachdenklich den schaumigen Gerstensaft in ihrer Rechten. Kein Drehverschluss, mhmm. Gerade als sie sich fragte, wie sie ihr Getränk möglichst frei von Unfällen und etwaigen peinlichen Situationen öffnen konnte, spürte sie den kribbelnden, fixierten Blick des fremden Jungen auf sich ruhen. Mit dem angenehmen tiefen Klang seiner sonoren Stimme bot er der unbeholfenen Möchtegern-Erwachsenen seine Hilfe bei der Lösung des durchaus offensichtlichen Deckelproblems an. “Ehrlich gesagt, ja.”, gab sie in einem einsichtigen Tonfall von sich. Keine dreißig Sekunden später nippten die vollen Lippen der schweigsamen Quasselstrippe auch schon fleißig an dem goldenen Gebräu und beförderten es ihre Kehle hinab in den Magen. Mal schauen wie schnell sie etwas von den Auswirkungen der bei gut 5 Promille liegenden Umdrehungen mitbekommen würde. Hoffentlich sehr schnell, denn diese unangenehme innere Anspannung ging ihr so langsam gehörig auf den Zeiger. Vielleicht würde auch ihr Gesprächspartner unter dem gleichen Einfluss etwas entspannter und eine ordentliche Portion redseliger werden. “Danke”, entfleuchte es ihr knapp zwischen 2 großen Schlucken. Im Moment wusste sie nicht so recht, wie sie die Konversation am besten am Laufen halten konnte. Sie wollte sich vorzugsweise nicht noch länger so schamlos aufdrängen, wo sie doch bisher kein wirklich zu einhundert Prozent eindeutiges Zeichen dafür erhalten hatte, dass der verwegene Typ sie gerne näher kennenlernen wollte. Plötzlich kam ihr das gesamte Unterfangen bedrückend surreal vor. Um sich nicht in diesem stark einnehmenden Gefühlssog zu verlieren, setzte sie die kühle Buddel erneut an ihrem selten still stehenden Mund an und leerte das Volumen in wenigen durch Durst verstärkten Zügen bis auf den letzten Tropfen. Die darauffolgenden Minuten vergingen in beinahe absoluter Stille und boten dem Rauschen der unermüdlich gegen das Ufer brandenden Wellen die perfekte Bühne für ein einsames Solokonzert. Als die erwartete abstumpfende Konsequenz des Alkohols endlich einsetzte, unternahm die Halbnixe doch noch einen weiteren Versuch der Annäherung und patschte mit ihrer linken Pfote direkt neben sich auf ein freies Stück Decke. “Magst du dich nicht mit hierher setzen?”
Erneut nutzte er einen seiner Würfel um den Deckel ihrer Flasche zu öffnen. Geschickt hielt er seine eigene Flasche am Hals in der linken Hand mit nur zwei Fingern, während er die zweite Flasche nahm und sie öffnete. Sie genau beobachtend überreichte Gabriel der Fremden das offene Getränk, welche sich zügig daran vergriff und ebenfalls einiges hinunter leerte. Ein kurzes >Danke< brachte sie noch heraus, bevor sie wieder die kühle Erfrischung die Kehle hinabfließen ließ. Sie hatte es wohl eilig. Es sah ästhetisch aus, wie dieser junge Körper die Bierflasche an die Lippen legte, sie hoch hob und heraustrank. Man könnte meinen, es gefiel dem jungen Mann, was er da sah, als er mit einem schiefen Lächeln sich von ihr abwandte und erneut die Gegend erkundete. Währenddessen gönnte auch er sich ebenfalls einiges von seinem eigenen Getränk. Es war angenehm ruhig. Keine Menschenseele, die vorbei spazierte und die Aufmerksamkeit auf sich lenken lassen könnte. Während der Norweger die Ruhe genoss, schien das Mädchen so ihre Probleme damit zu haben, dass für wenige Minuten kein Wort gesprochen wurde. Langsam drehte er seinen Oberkörper zu ihr um, als sie auf die Decke klopfte und ihn fragte, ob er sich nicht zu ihr setzen wollte. Nun war er an der Reihe, sich zu ihr zu gesellen, so wie sie es vorhin bei ihm getan hat. “Warum auch nicht.“ So setzte er sich in Bewegung und beförderte seinen Po direkt neben dem Mädchen auf der besagten Decke, immer darauf Acht gebend, dass er nichts vom flüssigen Gold verschüttete. Seine Beine ragten natürlich über den Deckenrand hinaus. Mit der linken Hand griff er nach hinten um sich daran abzustützen. So hatte er noch eine Hand als Getränkespender frei, jedoch leerte er die Flasche gerade mit einem letzten Zug. Er legte die Flasche neben die Decke, ehe er auf seinen Kopf griff und die Mütze herunter zog. Es war auffällig, wie ruhig sie wurde. Das machte den Blondschopf nachdenklich und hinterfragte, ob es wohl wieder ein Problem mit ihrer mentalen Gesundheit gab. Doch er erinnerte sich, es war nur ein Scherz gewesen. Oder wollte sie da etwas überspielen? Wie dem auch sei – schlussendlich war er derjenige, der das Wort ergriff und zu seiner Gesprächspartnerin blickte. “Bist du immer so ruhig, wenn du hier bist?“ Er wollte wissen, ob alles in Ordnung mit ihr war. Eine Quasselstrippe, die plötzlich verstummte, war doch besorgniserregend. Doch auch wenn er versuchte aus ihr schlau zu werden, so ganz gelang es ihm nicht. Der Blondschopf verstand nich, was sich nun plötzlich geändert haben sollte. So raffte er seinen Oberkörper wieder etwas auf, ehe er sich zwei weitere kühle Biere nahm und diese erneut öffnete, nachdem die Haube neben ihm auf der Decke landete. Eine der Flaschen überreichte er seiner jungen Gesellschaft, während die Andere er selber behielt und nach einem ordentlichen Schluck vorsichtig auf die Seite legte, wo es einigermaßen guten Halt vom Untergrund hatte. Das Bedürfnis nach einer Zigarette stieg ständig, besonders als er das erste Bier intus hatte. Dennoch versuchte er sich in Anwesenheit eines jungen Mädchens doch zusammenzureißen und erstmals abzuwarten. “Du brauchst jetzt keine Zigarette.“, sprach er zu sich selber. Er lehnte sich erneut etwas zurück, indem er sich an seinen Handflächen nach hinten hinweg abstützte. Sein Blick war in das schimmernde Gesicht des Mädchens gerichtet, welche unruhig und unzufrieden wirkte. Wurde ihr nun etwa bewusst, dass sie zu wenig von ihm wusste und hatte doch Angst davor, was er als nächstes tat? Mit seinen Piercings assoziierte man doch des Öfteren Untaten oder gewisse Boshaftigkeiten, mit dem Gabriel jedoch nichts am Hut haben wollte. “Woher weißt du eigentlich…“, begann er nachzufragen und war richtig neugierig auf ihre Antwort, “…dass nicht ich ein Serienmörder bin?“ Eine berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass sie einem Wildfremden ihren geheimen Lieblingsort anvertraute. Ob sie das schon öfters durchgezogen hat? Wenn ja, gab es bestimmt bald einige Leute hier und es tummelten sich hier genauso viele Sonnenschirme wie am Strand an der Promenade entlang. Schlussendlich griff er doch in seine Hosentasche und holte eine angefangene Zigarettenpackung heraus. Er sah sie an, legte sie jedoch nur neben sich auf die Mütze, ehe er sich wieder seiner Sitznachbarin widmete. Kurz seufzte er, ehe er wieder das Gesicht des Mädchens suchte um ihren Blick zu fangen.
Kurz nachdem der fremde Junge sich neben ihr auf die Decke gepflanzt hatte, befreite er seine wuschelige Haarpracht auch schon von der locker sitzenden Beanie. Bei dem Anblick kribbelte es der nun bereits leicht angeschwipsten Halbnixe noch ein wenig mehr in den Fingerspitzen. Aus irgendeinem Grund wollte sie unbedingt einmal ihre rechte Hand gänzlich in den blonden Strähnen vergraben und mit langsamen Bewegungen durch jede einzelne von ihnen streifen. Natürlich konnte sie das gerade auf keinen Fall bringen und so zog sie abermals ihre Beine bis an den Oberkörper und verschränkte ihre Arme so gemütlich wie möglich über ihnen. Eine unerwartet besorgte Frage riss die junge Schülerin aus ihren ungewollten Tagträumen und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder voll auf ihren Gesprächspartner, welcher mit nur geringem Abstand scheinbar gelangweilt neben ihr saß. Trotz des dominanten Geruchs nach frisch gebackenem Hefeteig und erhitztem Fett jeglicher Art, war da noch etwas anders. Etwas unterschwellig herbes, anziehendes. “Nein, nicht unbedingt. Ich weiß nur nicht so recht was ich jetzt erzählen könnte. Ich habe mich schließlich schon genug unaufgefordert aufgedrängt.”, erwiderte sie mit einem verständnisvollen Lächeln auf den vollen Lippen. Wie zur Antwort nestelte der gepiercte Hüne neben sich an dem angebrochenen Sixpack herum und reichte ihr ohne einen weiteren Kommentar eine neue, geöffnete Flasche Gerstensaft. “Danke.” Mit kräftigen Zügen leerte die seltsam ruhige Quasselstrippe auch diese auffallend zügig bis zur Hälfte und setzte sie, durch ihren festen Griff gesichert, auf ihrem linken Ellenbogen ab. Ein schwummriger Druck breitete sich wabernd im Innern ihres Kopfes aus und legte sich gemächlich auf ihre geschäftig umher wirbelnden Gedanken, Entspannung kroch von der Mitte aus in jede ihrer Gliedmaßen. Die Aufregung der vergangenen Stunde fiel immer mehr von ihr ab und ihr Sinn für vernünftiges Denken und Verhalten bekam eine angenehm mit weichen, weißen Polstern ausstaffierte Gummizelle spendiert. Sie saß also an einem vorangeschrittenen Abend mit einem völlig Unbekannten an einem ruhigen und abgeschiedenen Platz am Rand einer Insel, welche irgendwo im Nirgendwo lag. Was sollte schon schief gehen? “Weil du schon ein verdammt dummer Serienmörder sein müsstest, dir deine Opfer ausgerechnet an einem Ort zu suchen, an dem du als Neuling auffällst wie ein bunter Hund.”, entgegnete sie daher mit einem frechen Grinsen auf die ominöse Anspielung des zweibeinigen Bieröffners. “Außerdem gibt es hier auch gefährlichere Dinge als verrückte Menschen.” Die braunen Rehaugen musterten ausdruckslos die währenddessen hervorgezauberte Packung Glimmstängel und fixierten anschließend die grünen Untiefen des unschlüssig wirkenden Pizzabäckers. “Also, wenn du unbedingt rauchen willst, dann stell dich bitte etwas weiter weg und vergiss nicht danach den Zigarettenstummel mitzunehmen. Das Zeug schadet nur der Umwelt.” Keine fünf Minuten später stellte sie die nächste leere Goldsaftpulle außerhalb der unmittelbaren Gefahrenzone sicher auf dem steinigen Untergrund ab. Mit nun merklich herab gesenkter Hemmschwelle rutschte Nojra unangekündigt näher zu ihrem Partner und schaute ihm ebenfalls verwegen in das schwer zu lesende Gesicht. “Wieso? Was hast du denn mit mir vor?”
Sie wollte sich also nicht aufdrängen. Wie ungünstig – schließlich hat sie das ja scheinbar zuvor gemacht und Gabriel ließ sich darauf ein. Nun waren sie an diesem ruhigen Ort und wussten wohl beide nicht, wie’s weiter gehen soll. Dennoch beruhigte es ihn, dass sie mit einem Lächeln darauf antwortete. Alles andere wäre erneut ein Grund zur Besorgnis gewesen. Ob es ein Fehler war, der Braunhaarigen erneut ein offenes Bier zu überreichen? Zwar bedankte sie sich höflich, doch es fühlte sich falsch an, dass sie wieder die Hälfte des alkoholhaltigen Getränkes wie Wasser leerte. Das konnte doch nicht gesund sein für diesen zierlichen kleinen Körper. Er beobachtete sie besorgt. Doch als sie von ihrer Flasche abließ, setzte er seine eigene an seine Lippen und trank daraus, ohne den Blick von dem Mädchen abzuwenden. Anschließend erklärte sie, warum sie keine Angst vor dem großen Mann hatte und er viel zu auffällig war um unerkannt zu bleiben. Naja, die Arbeit in der Pizzeria half dem Norweger auch nicht unbedingt um nicht entdeckt zu werden. Viele Isolaner mögen Pizza, das konnte man an den vollen Mittagstischen und auch Abends oder Wochenends erkennen. Und dann gab es da noch Gefährlicheres als verrückte Menschen. Wie bitteschön meinte sie das? Nachdem die Unbekannte ihren Wunsch bezüglich der Zigaretten äußerte, haderte er erst einen Moment. Ob sie das nun ernst meinte? Mit einem Zug leerte sie den restlichen Inhalt der Bierflasche in ihren Körper, ehe sie den Raum zwischen den Beiden verringerte und sich ihrer unbekannten Begleitung näherte. Ängstlich? Das war sie bestimmt nicht. Schüchtern? Manchmal. Fordernd? Ja, doch, sie scheint zu wissen, was sie will. Und das bekam sie zu ihrem Ungunsten dann auch. Ihre Blicke trafen sich, als sie ihm eine merkwürdige Frage stellte. Was er mit ihr vor hatte? Mit ihr hatte er nichts vor. Er wollte gelegentlich seine Pizza als Abendessen verspeisen, anschließend zuhause seine angefangene Vodkaflasche leeren, vermutlich noch die ein oder andere rauchen und Musik hören. Mehr stand nicht auf seinem heutigen Abendplan. Insbesondere stand kein junges Mädchen auf seinem Plan. “Ich mit dir? Was sollte ich denn vor haben als bunter Hund von Isola.“ Diese Aussage hatte ihn wohl sichtlich verwirrt, wie sie das denn meinte. Seine sonst so monotone Stimme bekam verhältnismäßig mehr Tonarten hinein, besonders bei zwei Wörtern, die ihm im Kopf herumgeisterten. Bunter Hund? Meinte sie etwa seine Piercings? Seine Narben? Seine… was meinte sie damit? Klar, stellte sich die Gesellschaft eher gegen das ganze Metall im Gesicht, da es wohl unnatürlich war. Doch war sie so klassisch verstrickt, dass auch sie das stören konnte? Ohne eine Vorwarnung erhob er sich langsam von der Decke, schnappte sich seine Zigarettenpackung und entfernte sich nur wenige Meter von ihrer Sitzecke. Mit dem Rücken zu ihr gewandt, vollführte er nur die Aufgabe, die er von dem Mädchen zuvor bekam. Er entnahm aus der Packung eine Zigarette, steckte sie sich in den Mund und mit dem Feuerzeug, welches er ebenfalls in die halbe Packung gewürgt hatte, zündete er sich mit leicht gebeugten Nacken den Glimmstängel an. Genüsslich nahm er gleich einen großen Zug, sodass das Ende ordentlich glühte. Bewusst pustete er den Rauch in die entgegengesetzte Richtung aus, ehe er das Gefühl hatte wieder etwas ruhiger zu werden. Für einen Moment anvisierte er die Bucht und dessen Schönheit, während er einige Rauchschwaden abgab, welche zügig von der kühl werdenden Abendluft aufgenommen wurde. Während der Raucher sich beruhigte, zog eine Brise an ihnen vorbei. Viel werden sie wohl nicht mehr von der Sonne haben, was jedoch niemanden von den beiden stören musste. Sein Körper dankte ihm für die Einhaltung der Sucht, indem er sich entspannte und der Puls in den Ruhemodus gelangte. Mit zwei Schritten drehte sich der rauchende Kerl um, sodass er wieder die Teenagerin erblickte. Er steckte seine Zigaretten wieder in die Hosentasche, in der er die zuvor gekauften Vodkaflaschen vorfand. “Hast du auch schonmal etwas härteres als Bier oder Sekt getrunken?“ Nun würde sich heraus stellen, ob sie eine Regelbrecherin war oder sich doch zurückziehen würde. Er nahm beide dieser Miniatur-Fläschchen heraus und zeigte sie der Braunhaarigen. Nachdem er einen weiteren Zug seiner Zigarette nahm, warf er geschickt eine der Fläschchen zu ihr hinüber, ehe er weiter rauchte, bis nur mehr der Filter übrig geblieben war. Natürlich gab er ihrem Wunsch nach, rieb den restlichen Stängel am Boden an einem Stein, sodass er nicht mehr glühte, ehe er den Stummel in seine Zigarettenpackung steckte. So war sie aufgehoben und wurde nicht unnötig in der Umwelt landen. Sie hatte schon recht damit.