Einer der wenigen Orte im Bereich des alten Waisenhauses, die man auch nach dem Werwolfsangriff noch betreten kann, ist jener Strand, den sich die Bewohner und Mitarbeiter des Waisenhauses einst hart erkämpfen mussten. In den letzten Jahren vor dem Angriff wurde der kleine Strandabschnitt im Norden der Insel exklusiv nur noch von Waisenhausbewohnern benutzt und war auch eigens für diese vorgesehen. Vom Beachvolleyballplatz oder gar von der einst legendären Toku-Ni-Bar unweit des Strandes ist heute jedoch kaum noch etwas übrig. Das Netz des Feldes befindet sich längst nicht mehr an Ort und Stelle und liegt achtlos und zerfetzt irgendwo im Sand. Das Gebäude, das einst die Bar darstellte gleicht einem Trümmerhaufen.
Mir war einfach unbegreiflich, dass dieses Mädchen nicht mit mir sprechen wollte, und dann auch noch solch einen barschen Ton anschlug. Bei allem Respekt, aber das ging dann doch zu weit. Für einen Moment zog ich in Erwägung wieder zu gehen und sie ihrem trostlosen Schicksal zu überlassen, aber solche einsamen Menschen wie sie brauchten unbedingt Hilfe von Außerhalb. Alleine würden sie ihre innere Leere niemals besiegen. Gutmütig strich ich über das schneeweiße Fell des Kaninchens und musterte den Rücken der Fremden. »Wieso bist du so sauer auf Melody?«, fragte ich sie ruhig mit meiner melodischen Stimme. Es musste doch eine Erklärung für ihr Verhalten geben. »Mel möchte dich doch nur kennen lernen.« Beinahe flehend kamen diese Worte über meine Lippen. Abrupt beförderte ich Shiro auf mein Haupt und zog mir Schuhe samt Strümpfe aus. Der Sand knirschte zwischen meinen Zehen und ich verspürte ein Gefühl von Freiheit. Vielleicht war es doch die falsche Entscheidung gewesen mich hier hinter Mauern zu verstecken? Nachdenklich watete ich in das kühle Wasser, hielt jedoch inne als ich diagonal zu dem Mädchen stand; uns nur noch wenige Meter trennten.
Ich atmete einmal tief ein und dann wieder aus. Was habe ich getan? Was?! Mit meiner linken Hand fuhr ich mir unbewusst über das Armband, welches ich um mein rechtes Handgelenk trug. Normalerweise hasse ich es wenn ich dies tue, aber in gewissen Momenten konnte ich einfach nichts dagegen tun. "Ich bin nicht sauer, nur genervt." Warum antwortete ich ihr überhaupt? Ich sollte es ehrlich lassen. Als sie meinte das sie mich kennen lernen möchte, hätte ich beinahe laut los gelacht. Sie glaubte wohl tatsächlich, das ich nett oder so wäre. Naiv. Als ich bemerkte, das sie nun auch mit ihrem Füßen im Wasser stand, reiste mir solangsam der Geduldsfaden. Schnell ging ich im Kopf die optionen durch, die mir helfen würden sie endlich vom Hals zu haben. Das effektivste erschien mir, mich einfach um zudrehen und ihr ins Gesicht zu schlagen. Wiederum war sie jünger und kleiner als, das empfand ich dann doch als ziemlich gemein und unfair... doch... was war schon fair? Ich stand wirklich kurz davor sie einfach zu schlagen, aber irgendwo wäre es dann auch einfach eine Überreaktion gewesen. Also lies ich den Gedanken wieder fallen. "Ich dich aber nicht.", meinte ich dann knapp und kurz und fing an weiter durch das Meer zu gehen, jedoch nicht weiter nach vorne, sondern nach rechts. Einfach den Strand entlang.
Sie watete weiter durch das Wasser; ich folgte ihr. Meine Schritte waren langsamer und ich war darauf bedacht Abstand zu halten. Ihre Stimme klang genervt und sie schien nicht begeistert von meiner Anwesenheit. Dennoch ließ ich nicht locker, schritt weiter durch das Wasser und starrte verbissen ihren Rücken an. »Gibt es denn einen Grund für deine schlechte Laune?«, fragte ich neugierig und empfand sogar etwas Mitleid mit ihr. Niemand hatte es verdient schlecht gelaunt durch den Tag zu gehen, daher wollte ich ihr helfen. »Sag es Melody, dann kann sie dir helfen.« Auf meiner Meinung beharrend beschleunigte ich mein Tempo etwas, wirbelte das Wasser auf, sodass die Gischt den Zipfel meines Rocks benässte. Das würde ich später mit einem Föhn in Ordnung bringen, bevor die nächste Stunde begann. Oder ich rannte einfach schnell auf mein Zimmer, um meine Kleidung zu wechseln. Die Strümpfe waren ohnehin voller Sand und mit den Schuhen sah es nicht besser aus. Ich fuhr mit den Fingerspitzen über die Wasseroberfläche und quiekte vergnügt als eine höhere Welle kam und bis über meine Kniekehlen spritzte. Am liebsten hätte ich mich in einen weißen Tiger verwandelt und wäre kopfüber ins Nass gestürzt. Aber vor dieser Fremden wollte ich es nicht wagen.
-Wusch- Noch ehe ich wirklich bemerkte was geschieht, war ich auch schon klitschnass. Wütend sah ich zum Meer. Ja, mir war schon bewusste, das es nichts bringt, das Wasser böse anzugucken, aber ich konnte nicht anders. Ich strich mir meine nassen Haare nach hinten und sah trotzig an mir runter. Alles nass. "Du bist der Grund. Checkst du das nicht?!", fauchte ich sie an und drehte mich dabei zu ihr um. Ich hasste es wenn nasse Klamotten an meinem Körper klebten und dies taten sie gerade, das hieß das meine Laune nicht wirklich besser wurde. Im Gegenteil. Nun sah ich die Hasenflüsterin wütend an, es kam mir vor wie eine Ewigkeit- wahrscheinlich waren es aber nur ein paar Sekunden-, dann wendete ich mich von ihr ab und ging vom Wasser weg, vom Sand weg und ging aufs Gras, welches hinter dem Sand wuchs. Mit einem lauten "plums" lies ich mich auf das Gras fallen und fluchte laut. "Scheiße." Das Gras war weder weich, noch hatte es meinen Fall gefedert. Wie kam ich überhaupt daraus, das Gras dies tat? Ich rieb mir meinen Hinter und stöhnte genervte. Wenn das Mädel mich nun noch weiter nerven würde, konnte ich wirklich für nichts mehr garantieren.
Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und meine Laune änderte sich schlagartig von fröhlich und vergnügt zu traurig und getroffen. Ich verstand nicht wieso sie mich als derart lästig empfand, denn ich wollte ihr nur etwas Gesellschaft leisten. Das war unfair. Die freundlichen Menschen litten immer am meisten, genau so wie die Guten immer zu erst starben. Warum gab es überhaupt böse und ungerechte Menschen auf der Erde? Enttäuscht wischte ich mir mit dem Handrücken über die feuchten Augen um erfolgreich die Tränen zu vertreiben. Inzwischen war das Mädchen aus dem Wasser auf die Grasfläche gegangen und hatte sich dort nieder gelassen. Ihre Kleidung klebte an ihrem Körper, was man von meiner nicht unbedingt behaupten konnte. Einzig und allein mein Rock hatte etwas von dem Salzwasser abbekommen, wohingegen meine Bluse trocken geblieben war. Eine Weile betrachtete ich die Fremde beim Sitzen und Schmollen – ich deutete es als dies – bevor ich ebenfalls das Wasser verließ. Ihr Fluchen hallte in meinen Ohren nach. Sanftmütig nahm ich Shiro in die Hände und streichelte sein weiches Fell. Darauf setzte ich ihn auf meine Schulter, um die Hände frei zu haben und Schuhe, sowie Strümpfe aufsammeln zu können. Zögernd näherte ich mich dem Mädchen, ging vor ihr in die Hocke und legte den Kopf schief. Mit einem breiten Lächeln und geschlossenen Augen hockte ich da. »Melody möchte nicht, dass Menschen in ihrer Nähe schlecht gelaunt sind«, sagte ich nach einer Weile und öffnete wieder die Augen. Ich ließ mich nach hinten fallen, fing den Sturz mit den Händen ab und fing an leise eine Melodie zu summen.
Da ich nun davon überzeugt war, das mich die Hasenflüsterin in Ruhe lassen würde, legte ich mich nun auf das grüne Gras und verschränkte meine Arme hinter meinem Kopf. Die Sonne würde bestimmt meine Klamotten trocknen. Langsam schloss ich meine Augen und genoss die warmen Strahlen auf meiner Haut. Und gerade als ich glaubte mich endlich wieder zu entspannen, wurde mein glauben zerstört. Genervt öffnete ich meine Augen und sah in das grinsende Gesicht, der Hasenflüsterin. Nur halb hörte ich ihr zu und als sie sich dann vor mir saß und anfing zu summen, stand ich wirklich kurz davor sie einfach zu schlagen. Aber ich versuchte mich selbst zu beruhigen. Sie ist ein dummes Mädchen. Sie spricht in der dritten Person von sich. Sie kann wahrscheinlich gar nichts dafür. Ein angeborener Fehler. "Okay." Ich atmete kurz tief ein und wieder aus. "Tora Akemi, Mondklasse.", stellte ich mich knapp vor und lächelte sie wahrscheinlich ziemlich gereizt an. Aber ich lächelte sie an! "Zufrieden?" Nun musste sie zufrieden sein! Denn ich hatte nun wirklich nicht vor, mich weiter mit ihr aufzuhalten. Mit einem Schwung stand ich wieder auf meinen Beinen und sah mich kurz um. Wo ging es zum Wohnheim zurück? Noch einmal lies ich meinen Blick über den Privatstrand streifen und entschied mich dann für eine Richtung, wo ich mir fast ganz sicher war, das dies die richtige Richtung war und so ging ich los. In der klitschnassen Schuluniform und mit dem wissen, wenn mich noch jemand ansprechen würde, würde ich ihn wirklich schlagen.
Ihr gereiztes Grinsen störte mich nicht im geringsten. Immerhin hatte ich erreicht, dass sie überhaupt eines zu Stande brachte, und ob es nun ein ehrliches war oder nicht, spielte in diesem Moment keine Rolle. Ich stellte mein fröhliches Summen ein und ließ mir unwillkürlich flauschige Katzenohren wachsen, die schräg von meinem Kopf ab standen und etwas zuckten, während ich ihrer Stimme lauschte. Wortlos betrachtete ich das Mädchen – genannt Tora – dabei, wie sie sich erhob und offenbar den Weg zurück zur Akademie ansteuerte. Lachend machte ich eine Rolle rückwärts und richtete mich schließlich ebenfalls auf. »Melody ist in der Sternenklasse!«, warf ich ihr hinterher und fing spontan an zu winken. Dabei zuckten meine Ohren nur umso heftiger, ein weißer Schweif erschien. Ich war kurz davor mich komplett in einen Tiger zu verwandeln, doch konnte ich diesen Impuls noch unterdrücken. »Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!« Lachend und zugleich summend ließ ich mich wieder ins Gras plumpsen. Shiro krabbelte in meinen Schoß und fing an, an meinem Rock herum zu knabbern. Zwar hatte ich keine Ahnung wie spät es war, aber die nächste Stunde fing bestimmt noch nicht an. Da konnte ich es mir hier genau so gut noch bequem machen.
Der Auftritt von dem Blonden war spektakulär und Toyo hätte ihm gerne geholfen. Nur war es ein wenig schwer ihm zu helfen, wenn man an jemand anderen gefesselt war und vermutlich hätte er dann wirklich das Bein des Jungen in seine Weichteile bekommen. Darauf konnte er auch sehr gut verzichten. Trotzdem nahm den Türkishaarigen die Situation mit. Es war ja nicht so, dass er ihn verärgern wollte oder gar mit ihm Spielen, er hatte wirklich Interesse an dem Jungen. Nur die Frage, ob der Blonde auch so etwas wie bi war, war noch ungeklärt. Hoffentlich würde er es im Laufe der Zeit noch heraus finden. Selbst wenn er nicht in diese Richtung ging, man konnte alles einmal ausprobieren. Wobei die meisten männlichen Wesen wären dem sicher abgeneigt, also machte er sich keine allzu großen Hoffnungen. Zumal seine Chancen bei dem Blonden nach diesem Tag beträchtlich gesunken waren. Ein wenig genickt über den Verlauf des Gesprächs und dem Abgang des Blonden ließ der Türkishaarige den Kopf sinken. Und genau auf seinem Kopf landete ein bescheuertes Handtuch von einem Mädchen. Toyo wollte es sich gerade vom Kopf pflücken als Sky es zwischen die Finger bekam und es zur Besitzerin zurückwarf. Die Blondine sprach seinen Namen und der Türkishaarige drehte sich in ihre Richtung mit einem müden Lächeln auf den Lippen. "Hmm?", und kurz darauf bekam er auch schon die Antwort. Sky stellte das Tablett klappernd auf den Tisch und zog den jungen Mann hinter sich her, raus aus dem Speisesaal. Ihre Wut war deutlich zu spüren, aber diese würde wieder verfliegen und Toyo hatte auch gar keine Ahnung warum sie so reagierte. Warum entschuldigte sich eigentlich die Blondine, ein wenig skeptisch blickte er in ihre Richtung. "Kein Ding.", sprach der Halbengel und ging einfach neben Sky her. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg ins Nirgendwo. Er hatte keinen Plan wohin sie gingen. Aber es war ihm auch egal.
Mein sinnloses durch die Gegend gehen, brachte uns zu einem Strand und schon lockerte sich meine Stimmung. Frische Luft, Sonnenstrahlen, der Geruch vom blauem Meer. Ich atmete einmal tief ein und der Wind wehte meine Haare nach hinten. “Herrlich.” seufzte ich und sah zum Himmel empor, dann wieder zu Toyo. “Sag mal, gibt es nur so welche Idioten hier?” Ich sah ihn noch einen Moment an, er schien nicht gerade die beste Laune zu haben, dann schweifte mein Blick zurück zum Meer. Wie gern würde ich jetzt schwimmen gehen. Mit nackten Füßen ging ich kleine Schritte durch den Sand, auf das Wasser zu, darauf bedacht Toyo nicht zu sehr hinter mir her zuziehen. “Ich hoffe mal es war okay, das ich dich einfach mit raus gezogen habe.” Wieder sah ich zu ihm und lächelte. “Hier ist es doch eh schöner als in diesem vermieften Speisesaal.” Ups, da sprach noch leichte Wut aus mir. Mit meiner freien Hand strich ich mir die störenden Strähnen aus meinem Gesicht aber der Wind wirbelte sie immer wieder zurück. Doofer Wind. “Wollen wir mit unseren Füßen und Beinen ins Wasser gehen?” fragte ich ihn, denn ich wollte dies unbedingt und wüsste eigentlich keinen Grund warum er was dagegen haben sollte, also ging ich weiter. Ich wäre ja auch sofort rein gegangen, jedoch hatte Toyo ne lange Hose und Schuhe an und so musste ich warten. Als wir so gut wie schon im Wasser standen, blieb ich stehen. Lächelnd tritt ich den Sand hoch und sah zu wie die Sandkörner durch die Luft flogen, schön auf den Jungen rauf. “Oh nein, sorry.” Ich fing an zu lachen und wuschelte durch seine Haare, um den Sand raus zumachen, verunstaltete dabei seinen Zopf und musste wieder lachen als ich die zerzauste Pracht an sah. “Der Wind hätte sie eh durch einander gebracht!” versuchte ich mich raus zureden, wer weiß wie wichtig ihm seine Frisur war.
Sonne, blaues Meer, Strand, was würde seine Sorgen eher wegwaschen als dieser Ausblick? Nun die Anwesenheit von Sky trug auch einen großen Teil dazu bei, dass die Anspannung von ihm abfiel. Jeder hatte sicher schon einen Korb bekommen. Doch noch war nichts entschieden. Umwerben war die Antwort. Oder doch lieber in Ruhe lassen. Im Moment war in Ruhe lassen die bessere Option für Toyo. Heute wollte er nicht mehr daran denken. "Ein paar gibt es sicher noch.", grinste der Türkishaarige und schaute ebenfalls einmal zum Himmel. Das Wetter war herrlich, es zeugte auch nichts mehr von dem Kampf der in der Nacht noch gewütet hatte. Es war schon richtig gewesen auf diese Schule zu gehen. Hier fand er Freunde und war unter anderen Wesen. Sky setzte sich in Bewegung und schritt auf das Meer zu. Es funkelte wie wild und die Sonne spiegelte sich im Meer. Brav wie ein Hündchen folgte er der Blondine, es blieb ihm auch nichts weiter übrig. Aber das Meer war einfach zu anziehend. Er hätte seine Kamera mitnehmen sollen. Welch Schande. Vielleicht brachte er Sky ja noch dazu, noch einmal in sein Zimmer zu gehen. "Ja alles klar. Solange ich nicht auf die Fresse fliege, kannst du ziehen so viel du willst.", gestand der Türkishaarige. Es war ja nicht so, als würde ihm das Geziehe so viel ausmachen. Toyo konnte sich ein Kichern nicht mehr verkneifen, da die Wut von der Blondine noch nicht verraucht war. Diese Emotion stand ihr auch ganz gut. Nicht immer das kleine nette Mädchen. Sehr wandlungsfähig. Aber mit ein wenig Übung konnte das jeder sein. Das Mädchen ging noch ein paar Schritte weiter und Toyo folgte. War doch eine klare Rollenverteilung. "Ich bin dabei.", antwortete er ihr. Immerhin konnte man diesem blau einfach nicht widerstehen. Es zog einen wie magisch an. Beinahe am Wasser angelangt blieb die Blondine stehen und wartete geduldig, bis sich der Türkishaarige die Schuhe ausgezogen hatte und die Hose hochkrempelte. Nun war er bereit für ein wenig Spaß. Doch zuvor bekam er noch eine Ladung Sand ab. Sky wuschelte ihm durch die Haare und zerstörte seine Frisur. Eigentlich konnte er es nicht ausstehen, wenn ihm jemand in seine Haare rumwuschelte. "Hätte er gar nicht.", lachte der junge Mann und ging weiter auf das Wasser zu. Diesmal war er es, der die Führung übernahm und Sky keine andere Möglichkeit gab als ihm zu folgen, wenn sie nicht den Boden küssen wollte.