Zugegeben, viele Wohnhäuser gibt es entlang der Süduferstraße der Insel nicht. Stattdessen scharen sich hier eher Lokale und diverse Einkaufsmöglichkeiten, doch inzwischen des ganzen Trubels tauchen auch hier und da ein Einfamilien-, da und dort mal ein größeres Wohngebäude auf, wie es beim Wohnhaus Sunahama Nr. 1 der Fall ist. Nur die Straße trennt das zart-orange gestrichene Gebäude vom Strand, den man also - wenn man es möchte - in nur wenigen Gehminuten erreichen kann. Über eine kleine Anhähe betritt man das Wohnareal, das von einigen Bäumen und Palmen umringt ist und ein sehr einladendes Flair bietet. Der hintere, eher schattigere Bereich bietet einen kleinen Hof mit umgebenden Parkplätzen, die den Mietern des Hauses zur Verfügung stehen. Ansonsten hat der Hof jedoch außer ein paar Sitzgelegenheiten nicht viel zu bieten. Wer den Schatten liebt, kann es sich hier aber durchaus gemütlich machen.
Die heiße, trockene Luft brannte in den Lungen des Wolfes. Völlig außer Atem hatte er sich die letzten Meter zu den Strandwohnungen geschleppt, kam seiner menschlichen Form mit wachsender Erschöpfung immer näher. Die verängstigten Menschen hatte er hinter sich gelassen, wer konnte es ihnen bei der Vergangenheit dieser Insel auch verübeln? Auch, wenn es nicht schlecht war, dass ihm niemand im Weg stand. Keuchend kam er vor dem orangefarbenen Gebäude zum Stehen, stemmte sich die Hände in die stechenden Seiten seines Oberkörpers und schlich nun viel langsamer, beinahe im Schneckentempo, zur Haustür. Karina, Karina… wo war noch gleich ihre Klingel? Scheiße, was tat er hier nur. Ein erneutes Aufschluchzen unterdrückend wischte er sich schnell mit dem Ärmel über die feuchten Augen, in der Hoffnung, seine Sicht wäre dadurch etwas weniger verschwommen. „Jansson“, murmelte er leise vor sich hin und verengte angestrengt die Augen, bis er das entsprechende Klingelschild endlich gefunden hatte. Mit zitternden Händen drückte er auf den Knopf neben ihrem Namen, vermutlich viel zu lange, doch auch nach einer halben Ewigkeit tat sich noch nichts. Warum war sie nicht da?! Panisch fuhr er herum, die Augen weit aufgerissen, bis es ihm wieder einfiel. Sie war noch bei der Arbeit! So ein Mist… Haareraufend ging er vor der Haustür auf und ab, völlig vergessend, dass er für die große Haustür unten ja eigentlich einen Schlüssel hatte. Doch was, wenn sein Vater ihm im Hausflur begegnete? Nein, das wollte er so gut es ging vermeiden. Angestrengt schnupperte er, ob es von ihm eine frische Spur gab – konnte sich jedoch nicht genug konzentrieren und wurde durch den nächsten zwitschernden Vogel so sehr aus dem Konzept gebracht, dass er einfach wieder umdrehte und gehen wollte. Aber wohin? Hier war im Moment doch seine einzige Anlaufstelle! Nein, er konnte nicht den Schwanz einziehen. Nicht, wenn er die Nacht nicht unter freiem Himmel verbringen wollte. Wobei bereits der Tag schlimm genug war. Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und die Hitze brannte auf seiner blassen Haut. An den Armen sah man bereits erste Spuren eines Sonnenbrands, doch auch jetzt kam ihm nicht in den Sinn, dass er ja einfach ins Treppenhaus gehen könnte, um dort zu warten. Der erste logische Ausweg schien ihm die Bank im Hinterhof zu sein. Und er zögerte nicht, sich direkt auf den Weg dorthin zu machen. Dass seine Verabredung ihn dort vermutlich gar nicht fand, kam ihm nicht in den Sinn. Zu sehr waren seine Gedanken damit beschäftigt, die vergangene Begegnung wieder und wieder durchzuspielen. Abwesend ließ er sich im Schatten auf eine Holzbank nahe der Hauswand fallen, zog die Beine an und stellte die Füße auf die Sitzfläche – nur, um das Gesicht auf den Knien abzulegen. Hätte Lyall nur zehn Sekunden nachgedacht, wäre es nie dazu gekommen. Was sollte er denn jetzt tun? Mit bebender Unterlippe schlang er die Arme um seine Beine und sah es mittlerweile nicht mehr ein, sich zusammenzureißen. Ein herzzerreißender Schluchzer entkam ihm, das war doch alles beschissen!
Karina
Karina Aurelia Jansson
141 Charakterbogen Aufenthaltsort: Aktuelles Outfit: Die Haare sind fast ganz unten mit einer Schleife zusammengebunden. Am Oberkörper ist ein schwarzes Jackett mit weißer Bluse darunter. Am Hals sitzt ein Halsband mit einer grünen Brosche, fein säuberlich in den Kragen eingearbeitet. Die Beine verdeckt ein schwarzer und leicht kürzerer Bleistiftrock, sowie eine Strumpfhose. An den Füßen finden sich zwei schwarze Schuhe mit Absatz wieder. (Siehe Signatur)
So eilig hatte es Karina nun auch wieder nicht auf dem Weg nach Hause. Sie wusste, dass Cyril vermutlich auf sie warten würde. Doch wieso und warum, das war der Dämonin überhaupt nicht klar. Sie rechnete ja eher mit etwas Schulischem. Warum sonst sollte der Wolf auf sie zukommen? Es war ja mehr als offensichtlich, dass sie dort eindeutig kulanter war als Vincent. Lag vermutlich auch daran, dass sie die kleinen Welpen noch nicht so oft an der Backe hatte wie er. Nicht, dass sie sich über ihre Oma-Rolle, oder wie auch immer man das nannte, beschwerte. Es sorgte ja nicht nur bei ihr für Abwechslung. Auch Cyril musste so nicht immer in der Wohnung seines Vaters rumlungern. Obwohl sie selbst weder eine Konsole, noch andere jugendliche Begehrlichkeiten in ihrem Besitz hatte. Ihren Laptop oder den Fernseher konnte man sicherlich nicht positiv anrechnen. Besonders ersteres war eher für den privaten Gebrauch und … Recherchen. Ja, das ist ein guter Begriff dafür.
Nichtsahnend und tiefenentspannt – so wie man die Blondine auch kannte – nahm sie also den Bus in Richtung Strand und bemühte sich dabei jeden Fahrgast mit einem netten Lächeln zu begrüßen. In den meisten Fällen kam das sogar in doppelter Ausführung zurück und die Dämonin nutzte die Gelegenheit einen alltäglichen Plausch mit dem Busfahrer selbst und einer älteren Dame zu halten. Irgendwo musste ja auch sie ihre Infos herbekommen. Könnte ja sein, dass die Bar in der Innenstadt einen neuen Whiskey im Angebot hatte. Den müsste sie natürlich sofort einem skandinavischen Intensivtest unterziehen. Vielleicht schaffte sie es sogar dem Wirt eine dieser Flaschen abzuschwatzen, damit auch der griesgrämige Alpha von der Nachbarwohnung etwas davon hatte. Es gab schließlich nichts Schöneres, als sich in Gesellschaft die Kante zu geben. Was wohl, ohne zu übertreiben, sehr lange dauern würde. Die eine Flasche wer mehr oder weniger nur das Vorspiel gewesen. Falls man dann überhaupt beim Trinken blieb und … Ein leichtes Grinsen bildete sich während dieser Gedanken auf ihren Lippen. Lediglich die Frage nach ihrem eigenen Wohlbefinden holte die Sukkubus wieder aus ihrem sehr lebhaften Fantasien heraus. Kurz darauf fand man sich auch schon am gewünschten Zielort wieder. Mit einem netten Winken und flüchtigem Lächeln ging die Begegnung zu Ende und ihre Schuhe hatten schon jetzt den altbekannten Bürgersteig des Strandareals unter sich. Schnell schaute Karina noch einmal auf ihr Handy, aber fand keine neue Nachricht vor. Also musste er wohl selbst noch auf dem Weg sein, oder dort warten.
Mit dem markanten Klackern ihrer Absatzschuhe arbeiteten sich ihre Beine den weißen Weg aus Betonplatten zur Haustür empor. In ihren Händen bereits der Schlüssel für die Haustür liegend, der auf den letzten Metern noch von ihren Fingern so zurechtgelegt wurde, dass er das altbekannte Klimpern von sich gab. Doch entgegen ihrer Vermutungen fand sie am unteren Eingang keinen Cyril vor. Gut, er konnte ja auch oben warten. Kurz öffnete sie die Tür und schaute die Lücke im Treppenhaus hinauf. „Cyril?“, kam die Frage etwas verwirrt durch die Etagen gerufen. Eine Antwort allerdings blieb aus. „Mh.“, dachte sich die Sukkubus und machte sich innerlich lustig über den Werwolf. Erst sofortige Anwesenheit fordern und dann selbst nicht da sein. Das war ihr ja der Richtige. Wenn er sich nicht einfach umentschieden hatte und einfach zu Freunden gegangen ist. Würde ihn zwar nicht vor der Rache Vincents retten, aber wohl die Entscheidende Ablenkung schaffen. Teenager waren alles andere als Rational. Sie hat auch sehr gerne einfach nur Unfug angestellt. Gut, ihr Unfug war etwas expliziter, aber es geht ums Prinzip, nicht?
Bevor sie jetzt aber noch weiter hier rumstand und Rätselraten spielte, rief sie den Werwolf einfach auf seinem Handy an. Wozu waren die Dinger schließlich da? Mit dem Arm lässig an die Haustüre angelehnt, wartete sie das markante Wartegeräusch ihres Hörers ab. Nur, um etwas entfernt ein Klingeln zu vernehmen. Aber das war der Hinterhof? Mit erneut markanten Geräuschen folgte Karina der zart-orangen Hausfassade bis zu einem weiteren Eingang. Selbstsicher ihn jetzt gefunden zu haben, legte sie einfach auf und ging um die Ecke, wo sie den schattigen Innenhof gut überblicken konnte. Und was sahen ihre smaragdgrünen Augen dort? Einen dunkelhaarigen Welpen, der offensichtlich schon besseren Tage gesehen hatte. Nicht zu vergessen das Schluchzen, welches sie schon auf die Entfernung gut vernehmen konnte. Manchmal waren die etwas feineren Ohren doch zu was gut. „Hier bist du!“, erwiderte sie in einem relativ unwissenden Tonfall und trat ein paar Schritte an ihn heran, bis sie vor ihm zum Stehen kam und sich leicht vor ihm hinunterbeugte. Sorge, dass der Schwarzhaarige sich von ihrem Ausschnitt – weil sie ihre Bluse wegen der Hitze aufgeknöpft hatte – ablenken ließ, hatte sie da eher weniger. Alles was Cyrils Hormone hochleben ließ, besaß sie zum Glück nicht. Aber das war momentan, so schien es, eher weniger das Problem. „Hey … was ist denn los?“, fragte sie mit beinahe schon fürsorglichen Zügen und versuchte aus den Reaktionen des Wolfes weitere Informationen abzulesen, was im Moment aber nicht ganz so einfach war. Sie hatte ihn auch nie wirklich weinen sehen. Hier und jetzt war das erste Mal, dass sie den Welpen so am Boden erlebte. Nun … es gab immer ein erstes Mal. Zumindest dämmerte ihr jetzt, warum er nicht zu Vincent gegangen war. Aber vorerst brauchte sie mehr Infos.
Huch, was war das denn? Etwas irritiert über den plötzlich bekannten Ton wanderte der verschwommene Blick des Wolfes runter, zu seiner Hosentasche. Wer wollte denn jetzt was von ihm? Sicher war es sein Vater, der wegen den geschwänzten Unterrichtsstunden anrufen wollte. Oder Lyall, der ihn doch nicht in Ruhe ließ und weiter rumheulen wollte, wie leid ihm das doch alles tat. Tz. Da würde er garantiert nicht dran gehen, er machte sich ja nicht einmal die Mühe, sich überhaupt zu bewegen und sein Handy aus der Hosentasche zu ziehen. Stattdessen legte er die Stirn wieder auf seinen Knien ab und schloss die Augen, darauf wartend, dass sein sonst geliebter, jetzt verhasster Klingelton endlich verstummen würde. Sollen ihn doch alle einfach nur in Ruhe lassen. Ja, gleich würde er sein Handy einfach ausschalten, dann konnte ihm heute niemand mehr auf die Nerven gehen. War eh ein Wunder, dass ihm noch niemand deswegen geschrieben hatte. Na… vielleicht traute sich nur keiner. Als sich ihm das leise Klackern hoher Schuhe näherte, hob er kaum sichtbar den Kopf und schnupperte kurz. Karina. Gut. Doch selbst wenn es jemand anderes gewesen wäre, was hätte er schon tun können? Seine Atmung hatte sich gerade erst wieder beruhigt, seine Beine waren vom ungewohnt langen Rennen definitiv zu schlapp, um sowas nochmal hinzulegen. Von der brennenden Hitze mal ganz zu schweigen. Nein, er würde sich nicht aus dem kühlen Schatten fortbewegen, egal wer das gewesen wäre. Zum Glück musste er sich darum bei der Blondine eh keine Sorgen machen.
Erst, als sie vor ihm zum Stehen kam, hob der Schwarzschopf den Kopf und wischte sich noch einmal über die feuchten Augen. „Du warst noch nicht da, wollte nicht im Hausflur warten“, erklärte er kleinlaut seine Situation und stellte die Füße wieder vor sich auf den Boden. Sie hatte seinem Vater doch noch nichts erzählt, oder? Zumindest nahm er den Geruch des Alphas nicht in unmittelbarer Nähe wahr, was entweder bedeutete er war noch auf dem Weg, oder sie hatte ihn wirklich vorerst rausgehalten. Was der Junge wirklich hoffte. „Die Schülerzeitung, wir haben doch gestern noch davon geredet“, fing er an, noch immer etwas schniefend. „Das Interview. Lyall wurde interviewt.“ Mist, warum hatte er die Zeitung nicht mitgenommen? Jetzt konnte sie im Park jeder Idiot aufheben und lesen. Der Desinfektionsfreak hat sie garantiert einfach liegen gelassen, als würde er das verdreckte Teil nochmal aufheben. Erst recht nicht, nachdem der Wolf sie seinem Freund wütend vor die Füße geschmissen hatte. Hm… musste es eben so gehen, ohne Beweise. Vielleicht reichte seine aktuelle Stimmung dafür ja auch schon aus. Oder Karina glaubte ihm auch so? „Er hat es erzählt. Dass der Heimleiter mein Vater ist, im Interview. Und @Ciarán hat es einfach so mitgeschrieben und gedruckt, dieser scheiß Verräter…“ Als guter Freund hätte er vielleicht auf die Idee kommen können, ihn vorher mal zu fragen. Sein fester Freund allerdings auch. War wohl zu viel verlangt, auf dieser Insel sowas wie Privatsphäre zu haben, mal etwas für sich zu behalten. Oder generell nachzudenken, was man ohne das Wissen anderer über sie veröffentlichte. Bei Stars und den Reportern sah das natürlich anders aus, doch er war nun mal keine Berühmtheit, da gehörte sich sowas einfach nicht. Dachte er bis jetzt zumindest, bis sich die ganze Welt gegen ihn verschworen hatte.
Karina
Karina Aurelia Jansson
141 Charakterbogen Aufenthaltsort: Aktuelles Outfit: Die Haare sind fast ganz unten mit einer Schleife zusammengebunden. Am Oberkörper ist ein schwarzes Jackett mit weißer Bluse darunter. Am Hals sitzt ein Halsband mit einer grünen Brosche, fein säuberlich in den Kragen eingearbeitet. Die Beine verdeckt ein schwarzer und leicht kürzerer Bleistiftrock, sowie eine Strumpfhose. An den Füßen finden sich zwei schwarze Schuhe mit Absatz wieder. (Siehe Signatur)
Auf die Logik, dass den Schwarzhaarigen im Hinterhof erst recht niemand finden würde, ging sie im Anbetracht der aktuellen Situation besser nicht ein. Es war unschwer zu erkennen, wie aufgewühlt der Teenager dort gerade auf der Bank saß und sich mit etwas – oder jemandem – zu arrangieren versuchte, was so gar nicht in seinen bisherigen Lebensverlauf hineinpasste. Sie musste nur noch rausfinden was das besagte Ereignis war. Mit dem Feingefühl eines Trampels wollte Karina auf jeden Fall nicht an die Sache herangehen. Gab ja bekanntlich viele, die schon im ersten Moment mit Sprüchen wie: „Das wird schon wieder.“; oder: „Wir alle machen doch Fehler.“, um die Ecke kamen. Wer allerdings nur einen Hauch an empathischer Intuition oder Auffassungsgabe besaß, der würde hier erstmal seine Kommentare zurückhalten. Was – wie zu erwarten – auch von ihrer Seite aus geschah. In die Hände spielte ihr hierbei, dass der kleine Welpe sich schon von selbst zu öffnen begann und sie mit Informationen fütterte. Gut, sie waren eher fragmentarisch und die Dämonin musste selbst noch ein bisschen mitdenken, um nicht abgehängt zu werden, aber besser als gar nichts. Alles was die Sukkubus jetzt tun musste war am Ball zu bleiben, ein Interesse zeigen. „Ja, was ist mit der Schülerzeitung?“, hakte sie deswegen mit besänftigender Stimmlage nach und blieb mit ihren smaragdgrünen Augen vollends auf seinem Gesicht hängen. Ihre, nach vorne geneigte, Pose kein bisschen verändernd. Musste sie auch erstmal nicht, denn wie bestellt kam auch sogleich die Antwort. Innerlich etwas überrascht, aber nach außen hin gefasst dreinschauend ließ sie diese Info über sich ergehen. Sie hatten Lyall interviewt? Na so viel zu der Theorie mit den Insel-Stars und Celebrities. Anscheinend hatte die Schülerzeitung doch eher eine Art von Boulevard-Charakter. Obgleich sie das nicht störte, weil Klatsch und Tratsch für sie dazugehörten und Geheimnisse sowas wie ein kleiner Fetisch von ihr waren, es lud doch zum Nachdenken ein. Wenn es die Schüler traumatisierte oder bloßstellte … nun, in Ordnung war es nicht. Deswegen verblieb die Blondine auch weiterhin still, nickte bestätigend und lud ihren Patienten damit zum Fortfahren ein. Sie wusste ja schon länger von Cyrils Geheimniskrämerei, wenn nicht schon andere von selbst dahintergekommen waren. Immerhin war die Insel klein und Gerüchte verbreiteten sich hier wie ein Lauffeuer. Gestern noch eine Affäre, heute schon das Inselgespräch. Kleinstadtsyndrom taufte Karina es in ihrem eigenen Wörterbuch. Aber Isola war ja auch nichts anderes in ihren Augen.
„Oh, Liebling. Das ist ja schrecklich!“, pflichtete sie ihm leicht erschrocken bei und ging vor ihm in die Hocke, um Cyril ihre Hände auf die Oberschenkel zu legen, während sie nun einfühlsam zu ihm emporblickte. Nun machte das Ganze Sinn. Er fühlte sich hintergangen, betrogen. Aufgrund des Mangels an aggressivem Verhalten – die Bezeichnung als „scheiß Verräter“ mal ausgenommen – allerdings, hatte er diesen Unmut wohl schon in dem Moment abgeschüttelt, in welchem sie die SMS bekommen hatte. Aber diese Wunde wollte sie in diesem Moment nicht wieder aufreißen. Der Hintergrund dieses Ereignisses war zu brüchig, um richtig darauf eingehen zu können. „Und sowas sitzt tief und tut weh, das verstehe ich nur zu gut.“, während Karinas Hände leicht Cyrils Oberschenkel auf und ab glitten und sie dabei so aufmunternd wie möglich in sein Gesicht blickte. „Aber da ist doch noch mehr passiert, nicht wahr?“, und ihre Hände griffen in einem passenden Moment nach den Seinen, die sie daraufhin hielt und kurz sanft drückte. „Willst du mir das nicht oben einfach mal von Anfang an erklären, mh?“. Was bei ihr als Signal dafür stand, dass man sich auf den Weg machen sollte. Zwingen tat sie den Welpen dennoch kein bisschen. Zumindest nicht direkt. Sie erhob sich lediglich wieder in eine stehende Position vor ihm und hob seine Hände – welche die Dämonin nicht losließ – mit empor. „Ich mach dir auch eine heiße Schokolade.~“, warf sie ihm fröhlich entgegen und ließ eine kleine Mini-Welle von ihren durch seine Arme laufen. Ein kleines Kichern am Ende keinesfalls unterdrückend. Ein Test, wenn man so will. Mal sehen, ob sie damit Erfolg hatte.
Es überraschte ihn schon etwas, dass die Lehrerin genau so reagierte, wie er es sich erhofft hatte. Im positiven Sinne natürlich. Es war die beste und allem voran auch die richtige Entscheidung, bei ihr um Hilfe zu bitten – nicht bei seinem Vater, oder gar bei seinen Freunden. Ja, er verspürte beinahe ein Gefühl von Geborgenheit, Verständnis. Was ihn dazu brachte, sich langsam wieder zu beruhigen. Die sanften Streicheleinheiten seiner Mutter in spe taten ihr übriges und er schaffte es sogar, ihren aufmunternden Blick mit einem leichten Nicken zu erwidern. Sie würde ihm mit Sicherheit helfen, alles wieder gerade zu biegen. Und wenn das nicht funktionierte, hatte sie für ihn vielleicht trotzdem einen hilfreichen Tipp. Denn abseits des Zeitungsartikels war das für den heutigen Tag ja nicht das einzige Unheil, was ihn heimsuchen würde. Doch das würden sie nicht sofort klären müssen, nicht hier draußen, in der brennenden Hitze. Demnach kam dem jungen Werwolf das Angebot nach drinnen zu gehen wie gelegen, auch, wenn er gegen das Aufstehen etwas einzuwenden hatte. Seine Beine fühlten sich nach dem langen Rennen müde und kraftlos an. Andererseits wollte er unbedingt ins Kühle, sodass ihm eigentlich keine große Wahl blieb.
„Hm… vielleicht lieber ohne heiß?“, fragte er zögerlich und rappelte sich langsam mit auf. Die heiße Schokolade von ihr war zwar nahezu unschlagbar (sein Paps und sie machten sich den Titel gegenseitig immer wieder aufs Neue streitig, aber das hieß ja, dass es trotzdem gut war), aber nicht bei den Außentemperaturen. Schließlich gab es auch Eisschokolade, vielleicht hatte sie ja ein paar Eiswürfel für ihn. Milch frisch aus dem Kühlschrank würde aber auch schon reichen, da war er jetzt nicht so anspruchsvoll. Ihr leises Kichern sorgte tatsächlich für ein kleines Mundwinkelzucken, wenn auch kaum sichtbar. Dennoch entzog er seine Hände vorsichtig ihrem Griff und er nahm den Schultergurt seiner Tasche und hängte sie sich um. Noch einmal kurz über die Augen wischen, dann war er aufbruchbereit. Langsamen Schrittes, ihm taten wirklich die Beine weh (kam Muskelkater nicht immer erst am Tag danach?), folgte er der Blondine zum Eingang. Auf dem Weg dahin konnte er nicht anders und streckte die Nase prüfend schnuppernd etwas in die Höhe. Nicht, dass Vincent in der Zwischenzeit daheim war, kurz davor, oder im Flur auf sie lungerte. Oder was noch viel schlimmer wäre: Lyall war ihm doch gefolgt. Was er jetzt wohl machte? Bevor er diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, schüttelte er energisch den Kopf. Nein, es interessierte ihn nicht und er wollte es gar nicht wissen. Vermutlich war der rote Wolf schon wieder super drauf, hatte seine Dummheit vergessen und war mit seinen Freunden irgendwo unterwegs. Und sie hatten einen riesigen Spaß. Wie abwegig das war, kam ihm gar nicht in den Sinn. Nicht, dass er sich überhaupt die Mühe machte und daran auch nur einen Gedanken verschwendete.
In der Zwischenzeit hatte Karina die Tür aufgeschlossen und das Treppenhaus betreten. Er selbst folgte noch etwas zögerlich, erneut seine Nase anstrengend. Und trat erst ein, als es keinen Zweifel an der Abwesenheit des Alpha oder anderen Wölfen gab, die ihm gerade gestohlen bleiben konnten. „Danke“, flüsterte er kaum hörbar über die offen gehaltene Haustür und schleppte sich Stufe für Stufe die Treppe hoch, bis sie vor der Wohnungstür der Blondine zum Stehen kamen. Autsch, brannte das in den Beinen!