Dies ist, unschwer zu erkennen, der Kunstraum der Schule. Überall stehen offene oder gar verschlossene Farben, Plakate, Leinwände und Staffeleien herum und an den Wänden hängen wunderschöne Bilder, die einst von Schülern gemalt und hier ausgestellt wurden. Der Kunstraum ist in zwei Hälften gegliedert: Die eine, vordere Hälfte besteht einzig und allein aus einigen Staffeleien, die von den Schülern im Unterricht genutzt werden können. Dahinter, also im zweiten Teil des Raums stehen Schulbänke der Reihe nach aufgegliedert, wie sie auch in einigen Klassenzimmern zu finden sind. Allerdings sind die Tische und Stühle hier von der etwas antikeren Sorte, als jene in den Klassenräumen. Erschreckt euch nicht, wenn ihr am frühen Morgen oder am späten Abend den Raum betritt und ihr plötzlich angestarrt werdet - es sind nur die Puppen, die gerne zum Malen verwendet werden.
Cyrano war heute tatsächlich etwas redselig, was wohl an der Aufregung lag, ganz alleine auf einer fremden Insel zur Schule gehen zu müssen. In der Tat war er noch total unschlüssig darüber, wie sich sein Leben hier abspielen würde. Vor allem achtete keiner auf seine Finanzen, was in seinem Fall ein ziemlicher Fehler war. Glücklicherweise hatte er nicht viel mitbekommen an Geld, sodass er tatsächlich haushalten musste, um nicht innerhalb eines Tages bankrott zu gehen. Zumindest nur was sein Portemonnaie anging. Für Nachschub konnten dann natürlich seine Eltern sorgen, aber ob es auch ankommen würde, war natürlich die andere Frage, denn eine Kredikarte hatten sie in weiser Vorraussicht ihrem Sohn nicht mitgegeben. Jedenfalls tat es ihm auch irgendwie leid, dass gerade dieses schüchterne Mädchen seinem Redeschwall zum Opfer fiel, aber ihr winkte ja auch eine Belohnung in Form eines persönlichen Klavierauftritts des jungen pariser Pianisten. Und er war ja nun wirklich gut in dem was er tat. Auf seine Frage hin, ob Alain einen guten Tag erwischt hatte, oder seinem Beschützerwahn nachging, antwortete Shiina damit, dass er sie gut behandelt hatte und sehr nett zu ihr war. Vermutlich spielte da auch ein wenig die Tatsache mit, dass Shiina ein hübsches Mädchen war und durchaus eine annehmbare Schwiegertochter darstellen könnte. Dieser Gedanke ließ den Franzosen leicht die Augen verdrehen. War ja mal wieder typisch für seinen Vater, der ja wusste, wie freizügig sein Sohn mit Mädchen umging. Vielleicht kannte Alain nicht die Namen der Liebschaften seines Sohnes, aber deren Anzahl. Und demnach war es ihm durchaus wichtig, seinen Sohn recht schnell unter die Haube zu stopfen. Ob es Cyrano nun gefiel oder nicht. Jedenfalls hätte er sich mit dem Gedanken anfreunden können, mit einem Mädchen wie Shiina verheiratet zu sein, auch wenn sie sehr still war und die meiste Zeit ein ausdrucksloses Gesicht zeigte. Aber vermutlich musste man sie nur lange genug kennen, damit sie auch richtig aus sich raus ging. Kurz darauf meinte Shiina sogar, dass Alain sicher ein guter Vater war. Dabei nutzte sie seiner Meinung nach den falschen Tempus, denn immerhin war Alain noch am Leben. Als Cyrano nun seine nächste Frage stellte, fiel ihm sofort auf, dass diese genau das war, was er nicht hätte fragen sollen. Ihr bitterböser Blick überzeugte ihn davon, dass er solche Fragen in Zukunft unterlassen würde. Als sie jedoch die Hand hob, kniff er schon mal die Augen zusammen, weil er dachte, dass nun eine schallende Ohrfeige folgen würde, doch blieb diese tatsächlich aus. Stattdessen spürte der Pariser, wie das blonde Mädchen ihm zwei Mal sachte gegen die Stirn tippte und dabei "Böse" sagte. Kurz darauf wurde ihr Blick wieder so, wie man es wohl von ihr gewohnt war. Überrascht war aber nun Cyrano, der diese Handlung nur von seinem Vater her kannte und immer total eingeschüchtert von seinem harschen Unterton war. Doch nun sah er auch, dass Shiinas Blick einer verwirrten Miene wich. Kurz darauf erklärte sie auch, dass Alain gesagt hatte, dass Cyrano immer ein bisschen kleiner würde, wenn man das tat, fügte aber gleich hinzu, dass der Pariser ja immer noch so groß sei wie vorher. Nun konnte sich Cyrano ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. "Damals war ich kleiner und ließ mich noch leicht von meinem Vater verunsichern, wobei das heute vermutlich auch noch funktionieren dürfte. Das mit dem kleiner werden hast du nur falsch verstanden. Er hatte es im übertragenen Sinne gemeint. Aber mir tut meine Frage von vorhin wirklich leid und ich hoffe du verzeihst mir.", erklärte der junge Franzose freundlich lächelnd und zuckte plötzlich zusammen, als er spürte, wie sein Handy vibrierte. War es also wirklich schon so spät? Er musste nun schell zurück in seinen Klassenraum, denn die nächste Unterrichtseinheit würde gleich beginnen und er wollte keinesfalls zu spät erscheinen. Schnell wandte sich der Franzose seinem Gegenüber zu, beugte sich zu ihr hinab und hauchte ihr zwei angedeutete Küsse auf die Wange, je einen auf jede Wange. So wie es in Frankreich eben normal war. "Au revoir, Shiina. Es hat mich sehr gefreut, dich kennen zu lernen. Die kleine Klavieraufführung steht dann also nach dem Unterricht, wenn du möchtest, treffen wir uns dann im Musikraum, okay?", sprudelte Cyrano nur so herraus und wandte sich wie ein Wirbelsturm zur Tür und ließ Shiina vermutlich ziemlich verdutzt zurück, ohne wirklich auf ihre Antwort zu warten.
Mit einem höchst interessierten Blick schaute die Blondine in das Gesicht des Parisers, als dieser anfing, die eigentliche Bedeutung der Aktion zu erklären. Irgendwie fand Shiina das gerade sehr schade. Warum konnte er nicht einfach kleiner werden? Es dauerte ein bisschen bevor die Engelin das Ganze zu verstehen begann. Dann nickte sie nur noch dazu und unterließ es weiter darüber nachzudenken. Wenn man es genau nahm, dachte sie schon an den heutigen Nachmittag. Sie freute sich auf das Klavierspiel des Braunhaarigen Parisers. Irgendwie mochte sie ihn ein bisschen mehr als andere. Wobei das bei Shiina, wahrscheinlich wie bei anderen auch, keinen wirklichen Unterschied machte. Es war die erste Stufe von Normal weg in Richtung Freund. Und von diesen hatte die Engelin nicht viele. Keine, um genau zu sein. Die meisten gingen ihr entweder aus dem Weg oder hielten sie einfach für zu unhöflich, oder langweilig, als das sie sich mit ihr abgeben würden. Stören tat die Künstlerin das jedoch nicht. Sie realisierte es ja nicht einmal. Doch irgendetwas schien den Jungen plötzlich auf zu scheuchen. Er zuckte zusammen, blickte etwas panisch drein und schaute dann wie von einem Blitz getroffen auf sein Handy. Was er dort sah vermochte die Blondine nicht zu sagen. Immerhin konnte sie nicht durch Handys hindurch gucken. Falls sie das jemals können würde. Aber eins stand fest, sonderlich überrascht war die Engelin nicht gerade. Auch nachfragen, warum er so reagierte, tat sie nicht. Stattdessen schaute sie ihn ausdruckslos an und versuchte mit ihren Blicken den seinen zu folgen. Was sich als sehr einfach herausstellte, denn wenige Sekunden danach wandte sich der Franzose schon wieder von seinem Handy ab und beugte sich zu ihr herunter. Sie würde lügen wenn ihr das nicht ein wenig seltsam vorkam. Doch was wollte er nun machen? Die Antwort folgte wenige Sekunden danach. So, wie es in Frankreich nun mal brauch war, hauchte er ihr zuerst einen Kuss auf die linke - dann auf die rechte Wange und verabschiedete sich in Windeseile. Schnell und mit der Aussage, dass die Klavier Aufführung nach seinem Unterricht stattfinden sollte, ließ er die Blondine im Kunstraum zurück. Noch eine gute Minute stand Shiina regungslos da und versuchte das gerade passierte zu verarbeiten. Auch, wenn diese beiden gehauchten Küsse nur zum Abschied waren, so kamen diese doch ein wenig zu plötzlich für die Siebzehnjährige. Abgesehen davon hatte dies noch nie jemand ihr gegenüber gemacht. Was in ihr eine gewisse Art an Faszination weckte. Mit langsamen Schritten begab sich die Blondine wieder zurück zu dem Stuhl wo ihre Tasche lag. Packte das Foto, welches immer noch in ihrer Hand befand, zurück in eines der Fächer und setzte sich wieder. Ein Gähnen entwich der Engelin und schon bald begann sie wieder in ihre Tagträumerei zu verfallen. Wie als würde sie in einer Schockstarre verharren. saß sie dort und schaute wieder einmal durch das Glas des Kunstraumes nach draußen in die Umgebung. Es entwich ihr ein weiteres Gähnen und ihre Augenlieder begannen sich langsam schwer an zu fühlen. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken lehnte sich Shiina auf den Tisch vor ihr und schlief ein. Schon kurz danach wich ihre normale Atmung einer sanfteren, ruhigeren. Das war wohl der Beweis, dass sie im Reich der Träume angekommen war. Blieb nur zu hoffen, dass der Schul-Gong sie zu ihrer nächsten Stunde wecken würde. Wenn nicht, hatte sie ein gehöriges Problem. Insbesondere dann, wenn man sie dann noch im Kunstraum vorfinden würde. Doch diese Sorgen waren so fern von ihr, wie ihre Gedanken von der Realität.
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Mit einem ziemlich unsaften Ton wurde die Blondine aus ihren Träumen geweckt. Zuerst öffnete sie nur langsam ihre Augen, dann richtete sie sich langsam auf und rieb sich die Augen. Lange hatte sie nicht geschlafen. Aber es hatte gereicht um sie zumindest etwas wacher zu machen. Wortlos und mit langsamen Bewegungen griff die Engelin nach ihrer Tasche, dann stand sie auf und begab sich zur Cafeteria. Laut ihrem Wissen sollte es dort nun etwas zu essen geben. Wenn nicht war es auch egal, sie wusste ja wo sie ihren Baumkuchen her bekam.