Jaha, jetzt war es soweit! Die letzten Tage hatte ich immer wieder an eine Legende denken müssen, die ich in einem der alten Bücher gelesen hatte, als ich gelernt hatte. Naja, im Grunde hatte ich das Lesen geübt. Jedenfalls hatte ich jetzt genug Zeit meiner Neugierde nachzugeben und hatte diese Steinruine hier aufgesucht. Es hatte erst einmal ewig gedauert sie überhaupt zu finden, aber schließlich hatte ich sie gefunden! Mitten in dem riesigen Wald, in dem diese schmalen Pflanzen in großen Mengen wuchsen. Die wurden außerdem ganz schön groß. Ich hatte leider vergessen wie man die nannte, aber ich machte auch ein paar Bäume aus, also musste das hier ein Wald sein. Jedenfalls hatte sich die Ruine hier ziemlich gut versteckt, aber als ich sie endlich fand, konnte ich nicht anders als sie erst einmal wie verzaubert anzustarren. Sie war... wunderschön! Nicht nur das Grün, das an den hübschen steinernen Überresten wuchs und auch sonst auf jeder erdigen Oberfläche zu sehen war, nein... es gab auch einen Fluss, der irgendwie glitzerte, obwohl nicht gerade viel Licht bis hierher reichte. Vielleicht gehe ich öfter hier her. Hier kann ich bestimmt ungestört schwimmen, ging es mir einen Moment durch den Kopf, ehe ich den Kopf drehte, um mich umzusehen. Da fiel mir ein seltsames Leuchten auf, das prompt hinter einem Baum verschwand. Sofort fiel mir der eigentliche Grund für meinen Besuch hier ein und ich sah konzentriert auf den Boden vor mir, um ja nicht zu stolpern, als ich so schnell ich bei diesem Terrain konnte auf den Baum zu hielt - wahrscheinlich wäre ich schneller gewesen, hätte ich es nicht so eilig gehabt.
Er brauchte keine Legenden, um Leuchten zu sehen ― nur einen Spiegel oder eine stille Pfütze. Dennoch; es war nicht die Hoffnung, Mami und Papi in der Steinruine zu treffen, sondern eher die, irgendwas, was ihm Konkurrenz im Leuchten machte, zu fangen, in ein Marmeladenglas zu stecken und heftig zu schütteln. Ob das Leuchten ihm dann noch einen Wunsch erfüllen würde, sei einmal dahin gestellt: spontan würde ihm aber auch gar keiner einfallen, außer vielleicht ein übergroßer Hamsterball, in den er sich verkrümeln könnte. Blickdicht, mit Sauerstoff- und Energiezufuhr und er wäre zufrieden mit seinem neuen Leben als Haustierchen. Eines hatte er mit den pelzigen Viechern immerhin gemeinsam; sie waren beide unglaublich kurzlebig. Ihn fand man nur meistens nicht so süß, wie ein Mandarinen-großes Säugetier. War aber auch besser so. Auf seiner Reise in den Wald hatte er jedoch weder ein Marmeladenglas, noch ein Handy, das ihn notfalls aus dem dichten Grün hinaus navigieren könnte, im Schlepptau. Die Blumen und das Gras, an dem er vorbei ging, ließen das Köpfchen hängen, doch immerhin ließ keiner der Bäume einen Ast auf Whis‘ Kopf fallen (oder ein Vogel etwas anderes.) Sein Herz leuchtete mit jedem Meter ein wenig heftiger, ehe er deutlich spürte, dass er eine Menge Energie intus hatte. Was er gerade nicht unbedingt gebrauchen konnte, doch immerhin bräuchte er so keine Taschenlampe, falls er irgendwo hineinkrabbeln müsste. Oder im Dunklen wieder sein Bett finden müsste ― er hätte jedoch ehrlich gesagt kein Problem damit, hier im Wald zu schlafen. Es wäre nicht zu kalt, nicht zu unbequem, Asphalt war schlimmer als weiches Gras und Moos und falls Vögel über ihn kreisten, dann nicht, weil er tot war, sondern nur, weil er vielleicht so roch. Lediglich die Stechmücken könnten stressig werden, oder irgendwelche Motten, doch die gab es in der Schule auch. Auf zwei Beinen. Und noch nerviger. Ganz alleine schien Whis in der herrlichen Einsamkeit jedoch nicht zu sein; er hatte vielleicht nicht die aller-besten Ohren, doch um schnelle Schritte auf unebenem Waldboden zu hören, genügte es dann doch. Und das wiederum genügte, die Sehnsucht nach seinem Bett wachsen zu lassen―was so entgegen allem, was das Irrlicht zuvor gedacht hatte, stand. "Mhr..." murrte er, wenig begeistert, konnte auch schon bald den dunklen Schopf erkennen, der hier so unelegant durch den Wald wetzte und vermutlich mehr Pflanzen in Mitleidenschaft zog, als Whis es mit seiner puren Anwesenheit nur tat. Er immerhin ließ gerade nur Gras im Umkreis von geschätzt drei bis vier Meter welken, blieb dafür jedoch (gerade jetzt) an einem Punkt stehen, leuchtete vor sich hin und lockte die Fremde vielleicht alleine damit schon an ― sei es nun, weil sie auf der Jagd nach funkelnden Legenden war, oder weil sie der Anziehung eines fast-voll-aufgeladenen Onibi nicht widerstehen konnte.
Mehr oder weniger sicher erreichte ich den Baum, auf den ich so zielstrebig zugelaufen war. Ich war zwei mal umgeknickt und es irgendwie geschafft mir die Wade an einem Art zu zerkratzen, aber ich war nicht gestürzt oder schwer verletzt. Als ich mich nun am Baum abstützte, um etwas Halt zu haben, stellte ich fest, dass dieses merkwürdige Leuchten nicht mehr hier war. Stattdessen machte ich in einigen Metern Entfernung eine Person aus. Also... Naja, die Person leuchtete. Überrascht weiteten sich meine Augen. War das Leuchten in der Legende etwa eine Person? Würde eine Person mir meinen Wunsch erfüllen? Wie ein Dschinn? Vielleicht war er Magier. Und er leuchtete. Ehe ich mich versah hatte ich bereits ein paar Schritte in seine Richtung gemacht, blieb dann aber mit dem Fuß an der Wurzel des Baumes hängen und fiel prompt der Länge nach hin. Mir entfuhr noch ein überraschtes hohes Quieken, fing mich noch rechtzeitig mit den Armen ab und lag schließlich verwirrt blinzelnd am Boden. Es war ja nicht das erste Mal, dass mir das passierte. Deshalb stand ich auch ganz ruhig wieder auf und prüfte erst einmal, ob ich mich verletzt hatte. Die Bestandsaufnahme ergab eine Schürfwunde an der Hand, eine weitere am Knie und Schmutz auf meinem Kleid. Also war alles in Ordnung. Peinlich war nur, dass der Mann das alles gesehen hatte. Und der sollte mir einen Wunsch erfüllen? Wahrscheinlich würde er grinsen und sagen, es gäbe nur eine Sache, die er für mich tun könne. In Watte einwickeln. Oder etwas in der Art. Mit einem leisen Seufzen wischte ich mir den Schmutz von den Händen und klopfte mir das Kleid ab, ehe ich mich erneut umsah. Bewegende Leuchte: Nein. Leuchtende Person: Ja. Also weiter. "Hallo!", rief ich ihm diesmal winkend herüber und gab mir Mühe diesmal den Boden nicht aus den Augen zu verlieren. "Ähm... Wissen Sie, dass Sie leuchten?" Oh, ja, blöde Frage. "Ich meine- Also, ich suche etwas leuchtendes hier." Noch ein paar Meter. Irgendwo hatte ich mir nochmal die Wade aufgekratzt. Die andere. "Sind Sie vielleicht dieses leuchtende Wesen, das hier lebt?" Je näher ich kam, umso mehr stellte ich fest, dass es sich nicht um einen Mann handelte, sondern um einen Jungen, etwa in meinem Alter. Vielleicht etwas älter. Ach herrje. Ist er vielleicht ein Mitschüler? Oder er hat die Schule gerade beendet. Wie peinlich...
Er hatte gedacht, der Wald würde ihm die Ruhe gewähren, die er sicherlich verdient hatte, doch tat er das nicht. Die welkenden Blumen erinnerten Whis' ein wenig an wummernde Kopfschmerzen, als würde alles um einen herum sich drehen und ineinander zusammenfallen, dabei war er den Anblick doch eigentlich schon gewohnt. Mehr oder minder. In New York City immerhin hatte er eher den Asphaltdschungel bewundern dürfen. Müde Tauben, die sich aufgeplustert auf den nächsten Laternenpfosten gekuschelt hatten und gähnende Passanten waren Hinweis darauf gewesen, dass er die Energie seines Umfeldes in sich aufnahm, doch welkende Blumen? Wenn er nicht gerade vor irgendwelchen Blumenläden übernachtete. Etwas, was durchaus schon passiert war―doch immerhin hatte er sich meist vollständig dort aufgeladen. Auch wenn es für ihn eigentlich keinen großen Unterschied machte, ob er nun von Menschen und Tieren oder von Pflanzen die Energie nahm. Oder eben gemischt ― wie gerade jetzt. Das Mädchen mit den schwarzen Haaren kam immerhin näher, begrüßte ihn und plapperte dann weiter. Dass sie ihn siezte, brachte den 19-Jährigen dazu, leicht die Augenbraue zu heben, während er an sich hinab sah, als wolle er sicher gehen, dass er nicht doch aus Versehen einen Anzug angezogen hatte, der ihn weitaus älter wirken ließ, als er tatsächlich war. Hatte er aber nicht. Hätte ihn auch gewundert. Sowas konnte er sich gar nicht leisten. Anstatt zu antworten, schwieg er das Mädchen einfach an, beobachtete, wie sie auf ihn zukam, ihr Umfeld geradezu ignorierend, was doch recht... typisch war. Er kannte das schon. Leute, die einfach ohne nach links und rechts und links zu schauen über die Straße gelaufen waren, nur um zu ihm zu kommen. Andere, die ihre Sachen einfach stehen und liegen ließen, wenn er vorbei ging, weil sie ihm hinterher wollten. Es war nervtötend ― nicht einmal der Geruch nach Müll, Kippen und verwahrlostes Aussehen allgemein konnte diese Motten daran hindern, ihm hinterher zu flattern. Gerade jedoch hatte er nicht einmal den Müll-Geruch auf seiner Seite: er roch vielleicht nicht nach Blümchen, aber im Müll hatte er schon eine ganze Weile schon nicht mehr gekramt. "Seh' ich vielleicht aus wie 'ne helfende Elfe?" Er hob die Augenbrauen an; das wagte er zu bezweifeln. "Oder als―" Nun ja; ja, er sah aus, als würde er im Wald leben. Seine wirren Haare und der unordentliche Kajal ließen ihn nicht wirken wie jemand, der täglich in den Spiegel sah. "Ich such das auch." Whis hatte sich kaum von der Stelle bewegt, wagte nur wieder einen Blick auf die Pflanzen um ihn herum, bei deren Anblick er die gelben Augen leicht zu Schlitzen verengte und dann wieder aufsah, um die Fremde anzusehen."-aber bei deiner Lautstärke und deinen eleganten Schritten macht's wohl kaum Sinn, nach irgendeinem Leuchten zu suchen. Da haut ja alles im Umkreis von 50 Metern ab." Außer er; er stand noch in seinem Kreis aus welken Grashalmen und faulenden Blumen.