Das gesamte Gelände des Wohnheims mitsamt seinen Freiflächen wird von einem Mauerzaun umfasst. Das Eingangstor zum Areal ist unter Tags stets geöffnet und wird in den nächtlichen Stunden in der Regel verschlossen, wobei jeder Bewohner sowohl einen Schlüssel für das Eingangstor und die Haustüre, als auch einen für sein eigenes Zimmer besitzt. Nach einem kurzen Marsch spaltet sich die Zufahrt um ein kleines mit Bäumen bepflanztes Areal in zwei Wege auf, welche nach Besagtem direkt vor dem Anwesen wieder zusammenführt. Das Yanega-Anwesen aus den 1920ern verfügt im ersten, sowie im zweiten Stockwerk über einen Haupt-, einen West- und einen Ostflügel. An der Rückseite des Gebäudes erstreckt sich ein riesiger Garten, den man von vorne betrachtet oft gar nicht vermuten möchte. Im unteren Stockwerk befinden sich allgemeine Räumlichkeiten, sowie die Apartments der Erzieher, während die Bewohner im ersten Stock in zwei Trakte aufgeteilt sind. Vom Prestigebalkon aus hat man einen guten Ausblick über das Gelände vor dem Wohnheim, der bis zum Eingangstor zurückreicht und bietet eine gewisse Überwachungssicherheit - eine Gewissheit, die den Isolanern seit der Angriffe der Lykantropen wichtiger zu sein scheint.
Als müsste sie auf einen ganzen Schwall von Rekruten warten, stand Vivian kerzengerade und mit dem Blick auf ihrer Uhr ruhend am Ausgang des Wohnheims. Nur vereinzelt wanderte ihr Blick weg vom Handgelenk und gen Boden, wo bislang noch ihre Ausrüstung ruhte. Matthew ließ sich Zeit, das konnte sie auf jeden Fall so festhalten, während der Zeiger auf ihrer Uhr verkündete, dass es soeben 12:08 Uhr geworden war. Er hatte zwar noch 7 Minuten, die ihm heute beim Frühstück schon eingeräumt wurden, aber trotzdem. Sportlich war etwas ganz anderes und wer wusste am Ende schon, ob der Rothaarige tatsächlich auftauchen würde? Die Frage erledigte sich allerdings schon im nächsten Moment von selbst, als das leichte Knallen der Tür zu hören war, die wohl ein wenig zu enthusiastisch aufgeschlagen wurde. Ein prüfender Blick in die Richtung verriet der Engelin auch sogleich, was da vor sich ging. Und nein, es war nicht @Leviathan der dort mal wieder sein Unwesen trieb. Es war Matthew, höchstpersönlich. Seine freundliche Begrüßung prallte allerdings an Vivian ab, wie ein Flummi an einer Betonwand. Dabei meinte es die Blondine nicht mal böse, sie war einfach mental gerade in einem ganz anderen Modus. „9 Minuten und 34 Sekunden.“, korrigierte sie seine „kleine Verspätung“ mit einem trockenen Blick auf ihre Uhr, als würde sie ihn hier gerade einem benoteten Test unterziehen. Dabei störte sie eigentlich nur, dass er das Wort „klein“ auf eine Zeitspanne von zehn Minuten strecken wollte. Für sie war eine kleine Verspätung – wenn überhaupt – höchstens mit einem Zeitraum von fünf Minuten vereinbar. Nicht, dass sie ihm das jetzt noch großartig erklären wollte.
Stattdessen nahm sich Vivian die Zeit ihre türkis-blauen Augen, die mal wieder das einzig Lebendige in ihrem Gesicht darstellten, über die Ausrüstung ihres Rekruten schweifen zu lassen. Sein T-Shirt, die knielange Jeans, die Sneakers. Hatte sie ihm nicht etwas von festem Schuhwerk gesagt? Na, wenigstens den Rucksack hatte er dabei … und seiner Position zu Urteilen war dort wohl auch etwas drin. Immerhin eine Sache, um die sie sich keine großartigen Gedanken machen musste. Was den Rest anging … Matthew würde wohl früh genug rausfinden, das Sneakers jetzt nicht die beste Wahl waren. Vorher musste sie ihm wohl aber erst noch einen kleinen Lagebericht geben. „Wir marschieren durch den Ausgang, folgen der Straße und gehen dann in Richtung des nordwestlich gelegenen Bambuswaldes.“, kündigte sie an und deutete mit ihrer Hand in Richtung des Tores, durch das sie in den nächsten Minuten gehen würden, „Wenn alles gut läuft, sollten wir um circa 1300 am Zielort sein.“. Was ein strikter Zeitplan war, wenn man die Distanz bedachte, die sie hier zu Fuß – und bei diesen Temperaturen – zurücklegen wollten. Sorgen um Matthew machte sich Vivian dabei allerdings keine. Er hatte ja auch nicht so viel zu schleppen wie sie, da war das sicherlich ein kleiner Spaziergang. So zumindest war ihre Vorstellung des Ganzen. Und damit nicht noch mehr Zeit verloren ging, schnallte sie sich ihren großen Rucksack auf den Rücken, schulterte ihre eingepackte Waffe daneben und deutete mit einer Handgeste an, dass ihre Trainingssession begonnen hatte. Nun gab es nur noch sie, ihn, und die Natur. Letzteres würde der schlimmste Gegner sein. Auf Werwölfe würden sie höchstwahrscheinlich nicht treffen – und wenn doch, dann wäre Vivian die Erste, welche den Rothaarigen zurück zum Wohnheim schicken würde, um Hilfe zu holen. Ihre Handlung hingegen war simpel: Kämpfen. „Es wäre Ratsam, wenn du auf deine Atmung achtest. Versuche einen Rhythmus zu halten, um Seitenstich zu vermeiden.“, warf sie ihm eine kleine Aufgabe für die Reise zu, an der er sich jetzt schon einmal versuchen konnte. Das klang nämlich so schön einfach, während sie jetzt noch auf dem gepflasterten Weg entlangliefen. Spätestens ab dem Feldweg aber war das schon wieder eine ganz andere Geschichte. „Und solltest du zurückfallen, oder eine Pause brauchen, sag rechtzeitig bescheid.“, was sie versuchte mit einem extra aufgebautem Blickkontakt zu ihrem Rekruten als besonders wichtig hervorzuheben. Nichts wäre gewonnen, wenn er ihr in der Hitze zusammenklappen würde und sie ihn den ganzen Weg schleppen musste. Mal ganz davon ab, dass die Erzieher vermutlich sichtlich überfordert wären. Falls sie überhaupt einen der Angestellten finden würde, das durfte man in der Gesamtgleichung ja auch nicht vergessen. Mh … ob er? Ein kurz musternder Blick überzog Matthew während sie das letzte bisschen Straße überquerten, bevor es auf einen leicht unebenen Feldweg ging. Sie würde es nicht rausfinden, wenn sie ihn nicht fragte. „Bist du dem FTF Kampf zugeordnet?“. Gesehen hatte die Blondine ihn dort auf jeden Fall noch nie, aber das musste nichts heißen. Die Lehrkräfte könnten sie aus logischen Gründen auch einfach getrennt haben. Seine Fähigkeiten konnten schließlich Grundverschieden sein. Was konnte er eigentlich? Die Frage sollte sie auch gleich mal stellen. Es half dabei zu evaluieren, wie er Einzusetzen war. Die Fähigkeiten seiner Kameraden zu kennen war immer gut, besonders während eines solchen Ausfluges.
Dass der Engländer doch ein wenig zu spät dran war, schien für ihn jetzt nicht weiter schlimm zu sein. Immerhin wollte Vivian so oder so 15 Minuten auf ihn maximal warten und in diesen befand er sich ja noch locker. Vielleicht würde das die Blondine anders sehen, aber daran dachte der Rothaarige in diesem Augenblick nicht. Er versuchte nur so schnell wie möglich an den Treffpunkt zu gelangen. Als er dort ankam, erwähnte Vivian Minuten und Sekunden. „Hä?“, fragte er verwirrt. Dass sie sich damit auf seine Verspätung bezog, daran dachte Matthew nicht. Für ihn hätte es auch theoretisch ein Fremdwort sein können, das er einfach nicht verstand. Ob Vivian ihm dies erklären würde? Sicher war sich der Rothaarige nicht. Aber wenn es unwichtig war, musste er es ja auch nicht unbedingt wissen. Nachdem der Engländer nach dem Plan nachgefragt hatte, plauderte auch schon die Engelin darauf los. Interessiert darüber, hörte er ihr zu. Als Vivian den Bambuswald erwähnte, musste Matt ein wenig lächeln. Er dachte gerade an den Ausflug mit @Isalija und Yui, die leider schon wieder die Insel verlassen hatte. Ach ja, das waren gute Zeiten. Sogar einen Panda konnten sie dort dazumal sehen! Es war einfach ein unglaublicher Ausflug und wahrscheinlich hätte seinem Bruder sowas auch gefallen. Schade, dass er es ihm nicht mehr zeigen konnte. Vivian erklärte, dass sie dann um 13 Uhr wohl am Zielort ankommen würden. Was wohl der exakte Zielort war? Neugierig überlegte er, aber einen wirklichen Anhaltspunkt hatte er nicht. Immerhin war er ja nur ein Mal bis jetzt im Bambuswald und das war auch schon ein wenig länger her. „Was ist denn genau der Zielort?“, fragte der Rothaarige einfach mal, ohne darüber nachzudenken, ob Vivian ihn damit überraschen wollte, oder nicht. Gleich darauf machte sich die Blondine schon langsam auf den Weg. Sie deutete auch dem Rothaarigen, dass sie jetzt wohl sich auf den Weg machen würden. Kurz musterte der Engländer die Engelin. Sie hatte einen Rucksack dabei und noch eine Tasche. „Sag mal, was hast du denn alles dabei? Es sieht wirklich sehr schwer aus“, fragte er einfach gerade heraus und machte sich ein wenig Sorgen um das Mädchen. Ob sie wirklich so viel tragen konnte? Sicher war sich der Magier nicht, aber einerseits machte sie solche Trainingssessions öfters. Egal. Im Anschluss gab sie noch Tipps zur Atmung und betonte nochmals, dass er sich melden sollte, wenn er eine Pause brauchen sollte. „Alles klar, ich werde auf alles achten. Dankeschön“, gab er ihr zu Antwort und fing daraufhin schon an bewusst zu atmen. Er versuchte seine Atmung bewusst in einem Rhythmus zu halten, um Seitenstiche schon vorzusorgen. Ob er sich die ganze Zeit darauf konzentrieren konnte, war eine andere Frage. Während des Weges, fing Vivian ein Thema an. Das Thema zu den FTF Training. „Also, ich bin im FTF Training, aber nicht beim Kampf. Ich bin in der Magie drinnen. Wieso? Wo bist denn du drinnen?“, gab er die Frage interessiert zurück und sah sie kurz an, konzentrierte aber gleich darauf seinen Blick auf den Boden, damit er auch wirklich nicht stolpern konnte.
Es dauerte nicht wirklich lange, bevor in Matthew das dringende Bedürfnis aufkam ihr heutiges Ziel in Erfahrung zu bringen. Was Vivian ihm natürlich unter keinen Umständen vorenthalten wollte. Vielleicht kannte er den Ort ja. Auch wenn sie nicht damit rechnete, dass der Rothaarige aufgrund seiner vorherigen Trainingshistorie ein großartiges Wissen über seine Umgebung hatte. Womit sie sich freilich nicht auf das Wohnheim und alles drumherum bezog, sondern die etwas weiter Außerhalb liegenden Örtlichkeiten. Neben den normalen Schulwegen durch den Bambuswald waren das Flugzeugwrack, die Bucht, die geheimnisvolle Eiche und der Wasserfall nur ein paar Beispiele von dem, was alles Abseits von Isolas Zivilisation schlummerte. Perfekte Orte für einen Rückzug, oder ein kleines Lager, sollten die Dinge mal wirklich schrecklich werden. „Wir befinden uns auf dem Weg in den Bambuswald, um dort im tieferen Teil zum Flugzeugwrack zu gelangen.“, fasste sie die erste Stufe ihres Plans kurz zusammen, ohne ihn mit überflüssigen Richtungsanweisungen zu behelligen. Er würde Momentan sowieso noch nichts damit anfangen können. Dafür fehlte dem jungen Mann im Moment einfach noch die Erfahrung und Experise. Allerdings nichts, was man nach mehreren Tagen mit der Engelin nicht erlernen konnte. Sie war – entgegen ihrem strikten Eindruck – eine sehr geduldige Lehrerin. „Es ist unsere erste Station für eine Rast.“, und somit auch für die erste Übung: Orientierung. Auf Isola eine nicht gerade unwichtige Kompetenz. Immerhin konnte man sich aufgrund der flachen Verhältnisse nicht auf eine Triangulation verlassen uns musste andere Methoden zu Rate ziehen. Jedoch … alles zu seiner Zeit. Noch waren sie ja nicht Ansatzweise beim Wald angekommen.
Doch so schnell würde sie Matthew mit seiner Neugier wohl nicht abschütteln können. Während er am Frühstück eher Verhalten wirkte und sich kaum – oder nur gemäßigt – für das Training begeistern konnte. Anscheinend wirkte es Wunder, wenn man dann dabei war und so gesehen eigentlich nicht mehr weg konnte. Und da Vivian keineswegs eine Geheimniskrämerin war, ließ sie ihren neuen Rekruten auch an diesem Wissen teilhaben, während sie den Feldweg in Richtung des Waldes entlangschritten. „In meinem Rucksack sind Rationen, Werkzeug, Erste-Hilfe und eine Plane.“, kommentierte sie kurz und knapp, ehe sie sich einmal leicht zur Seite drehte um ihm dabei – seine Aufmerksamkeit überprüfend – ins Gesicht zu sehen. Im Anbetracht ihrer folgenden Ratschläge wohl eine gute Sache. Da war es nur fair, dass Vivian dieses Interesse in Form ihrer eigenen Frage einmal an ihren Begleiter zurückwarf. Der ihr in diesem Fall sogar mehr Informationen zukommen ließ, als sie es im ersten Moment erwartet hätte. Ein Magier also … mh. Sie musterte den Rothaarigen einen Moment lang und versuchte sich so einen platonischen Eindruck seiner Fähigkeiten zu machen. Innerlich darüber sinnierend, welchen Nutzen er wohl in einer brenzligen Situation haben könnte. Vorausgesetzt er schwor von seinem morgendlichen Statement ab und rettete nicht nur sein eigenes Leben. „Ich belege den FTF Kampf, um meine Fertigkeiten weiter zu festigen.“, und auch ein bisschen, um die anderen Schüler der SnK Oberschule im Auge zu behalten. Zumindest den Teil, der am Ende auch Kampfpotential aufweisen konnte. „Außerdem ist es wichtig, sich mit den Talenten der anderen auseinanderzusetzen. Man sollte sich so oft wie möglich von den Fähigkeiten der anderen einen Eindruck verschaffen. Es könnte in gewissen Situationen essenziell sein.“, was Matthew hoffentlich verstehen würde. Wenn nicht: Mit Fragen hatte der Rothaarige ja bisher weniger Probleme gehabt. „Als Zweites bin ich ebenfalls bei Magie. Jedoch sind meine Fähigkeiten vermutlich nicht ausreichend, um bei den höheren Stufen mitzuwirken. Ich baue meine Fähigkeiten immer noch aus.“. Und das eher schlecht als recht. Immerhin war die Blondine nicht sehr schnell, wenn es um die Nutzung ihrer engelstechnischen Talente ging. Mehr als Patronen zu materialisieren konnte sie auch nicht im Moment.
Doch statt sich diesem Thema nun weiter hinzugeben, nutzte Vivian ihre Position auf dem Feldweg, um einen kleinen Zwischenstopp Zwecks Fortbildung einzulegen. Sie empfand, dass es vielleicht eine ganz gute Idee wäre Matthew zumindest mit ein paar Nebensächlichen Grundlagen vertraut zu machen. „Weißt du, wie man Richtungsangaben mit einem Kompass macht?“, und holte im selben Moment einen dieser magnetischen Wunderwerke aus ihrer kleinen Tasche am Rucksack hervor, ihn demonstrativ in seine Richtung haltend. Indirekt damit andeutend, dass er es ruhig erst einmal versuchen sollte.
Der Zielort war doch etwas, das dem Rothaarigen mehr oder weniger im Gedächtnis herumschwebte. Zum Glück erklärte die Blondine ihm auch sogleich, wohin sie genau gehen würden. Somit war die Neugier des Magiers fürs Erste gestillt und somit konnte er sich dem Laufen wirklich hingeben. Dass es aber im Bambuswald ein Flugzeugwrack gab, wusste er nicht. So weit war er wohl noch nie gegangen und das obwohl er doch recht weit im Bambuswald war. „Interessant. Warum gibt es dort denn eigentlich ein Flugzeugwrack? Ist dort mal ein schwerer Unfall passiert?“, fragte er noch, immerhin war es nicht selbstverständlich, dass es einfach irgendwo Flugzeugwracks gab. Eventuell gab es ja auch einen historischen Hintergrund, den der Engländer gar nicht kannte. Vivian würde ihm sicher die Antwort darauf geben, wenn sie diese wusste, da war er sich sicher. Der schwere Rucksack von Vivian machte dem Magier kurzzeitig Sorgen. Was wäre, wenn er zu wenig dabei hatte, was wenn er andere Sachen auch mitbringen hätte sollen, wie zum Beispiel Waffen. Gut, eine Waffe hatte der Rothaarige ja eigentlich nicht, aber ein Messer von der Küche hätte er schon mitnehmen können. Doch so wie es aussah, hatte die Blondine alles dabei, was man brauchen könnte. Zum Glück dachte wenigstens eine Person an alles. „Wow, du hast ja wirklich an alles gedacht! Ich habe nur einige Sachen zum Essen dabei und Wasser. Wenn du auch was brauchst, ich hab genug da“, antwortete er ihr gleich darauf. Somit wussten beide, was der jeweils andere dabei hatte. Das war wichtig, wenn es ein Problem geben würde. Aber was konnte schon bei so einer Wanderung passieren? Wahrscheinlich nichts. Matthew fühlte sich auf Isola in jeder Ecke sicher und konnte sich nicht vorstellen, dass wirkliche Gefahren lauern konnten. Interessant war während der Wanderung die Frage zum FTF, denn Vivian machte nicht nur Kampf, sondern auch Magie. Der Rothaarige hatte sie noch nie dort gesehen, was darauf schließen ließ, dass sie tatsächlich vom Level her unter ihm war. „Magie?“, fragte Matt nochmals nach. „Was für eine Art Magie kannst du denn? Vielleicht kann ich dir ja helfen“, fügte er noch fragend mit an. Magie war etwas, das tatsächlich viel Konzentration brauchte und ihm half es sich die Magie vorher bildlich vorzustellen. Ob Vivian damit Probleme hatte? Vielleicht, aber er könnte ihr sicherlich mal helfen, wenn sie diese überhaupt annehmen wollte.
Auf einem Feldweg kamen die beiden dann zum Stehen. Wie aus dem Nichts, wandte sich dann die Blondine auch gleich mit einer Frage an ihn. „Hä?“, entkam es dem Rothaarigen nur, weil er von dieser Situation überrumpelt wurde. Sie hielt ihm sogleich einen Kompass hin, den der Engländer nahm. „Man muss doch nur schauen, wohin die Nadel des Kompasses hinzeigt, da ist dann Norden. So in etwa“ sagte er und demonstrierte ihr das Gesagte sofort. „Oder gibt es einen anderen Trick?“, fragte er daraufhin noch und war gespannt auf ihre Antwort.
Das Interesse ihrer Begleitung an dem Wrack war – angesichts der anfänglichen Enthaltsamkeit für das Rausgehen – dezent erstaunlich. Jedoch hatte Vivian selbst nicht wirklich eine genaue Ahnung warum oder wieso ein so großes Flugzeug sich inmitten des tiefen Bambuswaldes befand. Lediglich das Wissen, dass es sich nicht um ein Ziviles Konstrukt handelte, konnte sie mit absoluter Sicherheit bestätigen. „Darüber kann ich nichts sagen. Ich habe keine Nachforschungen über diesen Ort angestellt.“. Und sie hatte es vermutlich auch nicht vor. Alles, was sie wissen musste, war, dass dieser Ort ein gutes Versteck inmitten des unwegsamen Gebietes war. Es bot Schutz vor Elementen, hatte Wasser in der Nähe und relativ leicht einsehbare Fluchtkorridore. Die Möglichkeiten der Angreifer minimierend, während es gleichzeitig die Reaktionszeit der verteidigenden Fraktion verstärkte. „Es ist einer von vielen möglichen Rückzugspunkten auf der Insel, das verschafft diesem Ort einen Sonderstatus.“. Alles weitere müsste er sich vor Ort einfach selbst erschließen, oder in den Geschichtsbüchern nachschlagen. Vielleicht wussten ja auch einige der Lehrkräfte bescheid und konnten ihn aufklären. Sie hatte im Moment sehr wenig Interesse daran.
Vielleicht lag das auch nur daran, dass sie vieles einfach als gegebenen Umstand akzeptierte, oder sich daran gewöhnt hatte. „Die meisten Unternehmungen scheitern an einer mangelnden Vorbereitung.“, erwiderte Vivian recht trocken auf das Kompliment ihres Wandergenossen. Es war ihre Standard-Vorbereitung, weswegen sie dahinter nicht einmal ansatzweise etwas Besonderes sah. Das nette Angebot, dass sie im Notfall noch etwas abbekommen könne, sollte allerdings nicht unbeachtet bleiben. „Allerdings werde ich darauf zurückkommen, wenn es erforderlich ist. Danke.“. Womit dieses Thema für sie auch schon wieder beendet war. Besonders viel hatte Vivian in ihrem momentanen Modus nicht für Smalltalk übrig. Das dürfte Matthew sicherlich aufgefallen sein. Nun, zumindest keinen „Smalltalk“, der sinnlos mit Höflichkeiten und übertriebenen Floskeln um sich warf. So, wie sie es sonst immer tat, wenn die Engelin irgendwo im Wohnheim unterwegs war. Doch anscheinend hatte sie mit ihren kleineren Statements eine Kette an Ereignissen losgetreten, die von Seiten Matthews aus immer mehr Fragen aufkommen ließ. Wobei die Frage nach ihren magischen Talenten ähnlich wie beim Flugzeugwrack ausfallen würde. Vivian versuchte es dennoch zu umschreiben. „Ich kann lediglich Patronen manifestieren. Das ist alles. Ich habe weder eine Bezeichnung, noch einen Typ für diese Art von Magie zugewiesen bekommen.“, was nicht verwunderlich war, wenn man sich diese Fähigkeit einmal im Detail anschaute. Die Lehrer der SnK-Oberschule hatten deswegen schon vor langer Zeit angeordnet, sie in der Grundessenz der Magie zu unterrichten, damit sie sich alles weitere selbst erschließen kann. Aber sowohl das lernen, als auch Vivians Selbstständigkeit ließen stark zu wünschen übrig … leider. „Meine Fähigkeiten werden denen eines Magiers grundlegend Unterlegen sein. Es würde allerdings nicht schaden, deinen Ansatz, wenn er sich vom grundlegenden Vorgehen unterscheidet, auszuprobieren.“, schloss sie ihre Antwort, welche leicht zur Selbstanalyse mutiert war, ab und richtete ihr Augenmerk wieder auf den Weg vor ihnen. Ihre Zusage hatte er damit zumindest schon einmal. Was er nun daraus machte, war gänzlich seine Sache.
Vivian ging es auch eigentlich eher darum, ihn auf ein akzeptables Trainingsniveau zu heben. Bitter nötig, wie die Antwort des Rothaarigen ihr schon kurz nach ihrer Frage zeigte. „Das ist lediglich die Angabe der Himmelsrichtungen.“, kommentierte sie seine Aussage und schaute auf den Kompass hinunter, ehe ihre klar wirkenden – und momentan leicht stechend wirkenden – blauen Augen wieder auf Matthews Gesicht landeten. „Dieser Kompass verfügt über einen Deckel mit einer Lücke, die du auf ein Ziel ausrichten kannst.“, womit sie andeutete den Deckel auf eine der Baumreihen auszurichten. „Am Rand des Kompasses findest du zahlen. Das sind Richtungsangaben. Sie können von deiner aktuellen Position eine exakte Angabe zum Blickwinkel liefern.“, sie versuchte das mit einem Deut in Richtung des Wohnheimes noch einmal genauer zu erklären. „Wenn wir beide hier stehen und du deutest jetzt an, dass du auf 220 etwas gesehen hast, kann ich mit meinem Kompass genau nachsehen, welche Richtung du meinst. Es ist nützlich für Sichtungen auf mittlere Distanzen.“. Denn alles im Nahbereich wäre … naja, zu nah dran. „Probiere es mit der Baumreihe dort hinten aus. Welche Grad-Zahl sagt es aus. Ob du es richtig gemacht hast siehst du, wenn ich in die richtige Richtung schaue.“, und damit offenbarte ihm die Blondine einen weiteren Kompass, der sich in einer der anderen Taschen befand. Der erste kleine Test des Rothaarigen hatte soeben begonnen …
Der Engländer hatte ein Interesse am Wrack. Warum konnte er selbst auch nicht wirklich sagen. Es interessierte ihn einfach, wie das Wrack genau dort im Bambuswald abgestürzt war und was Menschen hier verloren hatten. Ob es vielleicht auch solche Wesen waren, wie die, die hier lebten? Oder waren es vielelicht die allerersten, die sich auf dieser Insel niedergelassen hatten? Vielleicht aber solche Fragen konnte er nicht stellen, da Vivian selbst nicht sonderlich viel darüber wusste. Für sie war es nur ein Rückzugsort, der wohl von ihr regelmäßig genutzt wurde. „Achsoo…“, gab er nur knapp von sich und somit schien das Thema Flugzeugwrack für den Moment erledigt zu sein.
Das Kompliment, das der Rothaarige der jungen Frau machte, schien sie nicht wirklich zu freuen oder so. Es schien schon fast so, als ob die Sachen im Rucksack zu ihrem Standardequipment gehörten. Doch als Matthew ihr noch das Essen und Trinken von ihm anbot, bedankte sie sich bei ihm und dies zauberte ihm ein sanftes Lächeln ins Gesicht. Vivian war zwar etwas seltsam, aber auf ihre Weise wirklich nett. Man verkannte die Blondine schnell in ihrer Art. Die Fähigkeit, die Vivian besaß, kannte der Magier überhaupt nicht. Aber er hatte generell nicht wirklich viel mit Magier zu tun gehabt und somit wusste Matt nicht wirklich viel über andere Zauberkünste. „Klingt nach einer mächtigen Magie, wenn man sie richtig einsetzen kann“, gab er zu. Im Anschluss führte die Blondine noch weiter ihre Gedanken aus. Sie war wirklich der Meinung, dass sie den Fähigkeiten eines Magiers unterlegen war. Das konnte sich der Rothaarige kaum vorstellen. Jeder hatte sein Limit, auch der Magier selbst und somit konnte man nie wissen, wie stark man wirklich war. „Es muss nicht unbedingt sein, dass du einem Magier unterlegen bist. Vielleicht kannst du deine Kräfte besser einteilen und würdest so einen Kampf locker gewinnen. Auch meine Fähigkeiten kommen schnell an ein Ende…“, erklärte er und fing an zu pfeifen. Gleich daraufhin fing der Wind langsam an sich zu bewegen. Als er mit dem Pfeifen wieder aufhörte, stand der Wind wieder still. „…Siehst du, wenn ich aufhöre mit dem Pfeifen, dann kann ich den Wind nicht mehr kontrollieren und er geht in seine normale Form über. Somit ist Kommunizieren in einem Kampf mit mehreren Personen für mich eine Herausforderung. Aber auch wenn ich außer Puste bin, habe ich Probleme mit dem Pfeifen. Das ist jetzt aber nur ein Beispiel. Ich kämpfe normalerweise nie“, antwortete er ihr daraufhin. Ob es ihr etwas brachte, wusste der Engländer leider nicht. „Aber was ich dir als Tipp verraten kann, ist dass du dich wirklich mal hinsetzt und dich versuchst zu konzentrieren. Stell dir gedanklich deine Magie einfach vor, dann sollte es mit der Zeit einfacher sein, diese auch auszuführen“, erklärte der Engländer ihr daraufhin die Taktik, die ihm so sehr geholfen hatte.
Was Vivian von dem Magier wollte, wusste er offensichtlich nicht. Doch zum Glück erklärte die Blondine auch gleich daraufhin, auf was sie hinaus wollte. Es ging wohl um die Zahlen, die am Rand des Kompasses waren. Diese Zahlen konnten dann die exakte Position von etwas anzeigen. „Ohh…“, entkam es dem Rothaarigen nur erstaunt darüber. Als Vivian ihm dann einen weiteren Kompass in die Hand drückte und meinte, er solle es probieren, schien Matthew ein wenig nervös zu werden. Immerhin wollte er es richtig machen und sie nicht noch weiter damit nerven, weil er es nicht konnte. Innerlich betete er zu Gott, in der Hoffnung, dass er nichts falsch machen würde und so begann er die Grad-Zahl zu bestimmen. „Hm… es ist auf der Grad-Zahl…“, fing er an und stockte ein wenig, doch dann sah er die für ihn richtige Grad-Zahl. „…es ist die Zahl 262“, sagte er gerade heraus. Ob er richtig lag?
„Ich würde mich davon distanzieren, sie als mächtig zu beschreiben.“, erwiderte die Blondine mit der allseits bekannten Monotonie in ihrer Stimme. Ohne Waffe brachte ihr dieser Zauber nämlich absolut nichts. Die Patronen wären nichts weiter als Steine, die sie aus Provokationsgründen nach dem Gegner werfen konnte – wenn überhaupt. Da war die Windmagie des Rothaarigen schon eindeutig professioneller. Einzig und allein seine mangelnde Kondition würde hier eine große Schwäche darstellen. Wer nur mit Pfeifen den Wind kontrollierte, sollte seine Bewegungen in brenzligen Situationen sehr gut planen. Doch Matthew wirkte auf die Engelin keinesfalls so, als würde er in die Richtung auch nur irgendwie einen Gedanken verschwenden. Auch sein Ratschlag sah sie mit gemischten Gefühlen entgegen. Prinzipiell unterschied er sich nämlich nicht großartig von denen, die ihre Lehrkräfte immer wieder mit auf den Weg gaben: Konzentriere dich und versuche deine Magie zu verstehen. Das Fing war nur, sie musste sich nicht konzentrieren, wenn sie Magie wirkte. Sie tat es einfach … aber das funktionierte nicht auf andere Dinge bezogen. Als wäre sie limitiert – ja, geradezu eingeschränkt in ihren Fähigkeiten. Dabei konnte Vivian nicht einmal sagen, ob es nicht vielleicht sogar ein externer Faktor war, der dort seine Hände im Spiel hatte. Sich darüber beim Training den Kopf zu zerbrechen war allerdings auch nicht wirklich hilfreich. Mh … ja, das könnte funktionieren. Selbst wenn Matthew ihr nicht in diesem Sinne geholfen hatte, so war es zumindest eine neue Idee, die er durch seine vorherige Erklärung angestoßen hatte. Blieb nur fraglich, ob ihre eigene Vermutung dazu korrekt war. Letztendlich wollte sie ihm aber nicht gleich die Schaufel ins Gesicht hauen. „Der Ratschlag an sich ist gut, jedoch nicht zielführend. Ich muss allerdings sagen, dass deine Formulierung mich auf einen Umstand hingewiesen hat, den ich vielleicht nutzen kann. Danke dafür, Matthew.“.
Auf die Spekulationen mit Magie folgte dann erst einmal etwas Praktisches. Die Aufgabe mit den Grad-Zahlen sorgte im ersten Moment klar ersichtlich für Verwirrung. Logisch, nutzten die Leute selten die am Rand befindlichen Nummern zur bloßen Orientierung. Im Normalfall hatte man ja auch Karten dabei und musste nur die Himmelsrichtung ermitteln. Deswegen war die Aufgabe wohl – trotz der Erklärung – etwas schwierig für ihn. Weitere Hilfestellungen würde er aber nicht mehr von ihr bekommen. Wenn man es so betrachtete, war der Ausflug mit der Engelin ein konstanter Test seiner adaptiven Fertigkeiten. Gut, ein Test seiner adaptiven Fähigkeiten in der light-Version. Deswegen wartete Vivian auch nicht lange, nachdem er ihr die geforderte Antwort gab, schaute auf ihren Kompass und drehte sich stur und diszipliniert in die Richtung, die ihr die Zahl angab. Die Engelin schaute nun direkt über das offene Feld und tatsächlich in die Richtung, in welche sie vorher geschaut hatte. „Gute Angabe.“, lobte sie den Erfolg ihres Trainingspartners, bevor sie ihren Kompass zuklappte und wieder in die Tasche packte. Matthew durfte ihren anderen vorerst behalten. Wenn er verloren ging, hatte er wenigstens ein Werkzeug, um sich zu orientieren. „Solche Sachen brauchen Übung.“, setzte sie erneut an, während sie mit ihren Stiefeln die letzten Meter zum Wald zurücklegte, „Genauso, wie du eventuell an deiner Konstitution arbeiten solltest. Sie scheint wichtig zu sein.“. Seine Magie war immerhin stark davon abhängig. Wenn er nach diesem gesamten Marsch noch in irgendeiner Form kräftig herumpusten konnte, wäre die Blondine in jedem Fall sichtlich überrascht. „Oder aber du machst dir die Atemtechnik von vorhin zunutze. Im Endeffekt wirst du sie erst jetzt brauchen, weil wir auf unebenes Gelände kommen.“, womit sie einen letzten Blick über ihre Schulter warf, um den Rothaarigen einen Augenblick lang zu überprüfen. Gut, er war noch anwesend. „Versuche, nicht zu weit zurückzufallen.“.
Das Thema mit ihren Fähigkeiten schien ein doch recht großes Thema zu sein. Die Blondine schien nicht überzeugt von ihren Fähigkeiten zu sein. Warum verstand der Rothaarige nicht ganz, aber dann kam ihm ein Geistesblitz. Eventuell dachte Vivian, dass sie eine Waffe brauchen würde, um damit auch überhaupt einen Schaden anzurichten. Doch Matthew hatte zuvor tatsächlich weiter gedacht, auch wenn es manche vielleicht nicht für möglich gehalten hätten. „Also ich finde deine Fähigkeit super. Stell dir vor, wenn wir jetzt angegriffen werden würden, dann könnte ich deine Patronen dem Gegner direkt mit dem Wind anschießen. Aber…“, sagte er und hielt kurz inne. Eventuell sollte er nicht weiter darüber reden. Jedoch stellte er sich die Frage, ob Vivian eventuell selbst nicht daran dachte und er ihr damit ein paar Gedankenanstöße geben konnte. „…Vielleicht entwickelst du ja noch eine weitere magische Kraft, um die Patronen dann auch in Lichtgeschwindigkeit auf deine Gegner zu schießen. Ich würde an deiner Stelle nicht zu voreilig sein. Vielleicht entwickelst du ja noch weitere Talente aus der Grundfähigkeit“, versuchte er die Blondine freundlich und sanft lächelnd zu motivieren ihre Hoffnung nicht aufzugeben. Ob es klappen würde, wusste der Rothaarige nicht. Aber er hatte die Hoffnung, dass er ihr dadurch weiter Gedankenanstöße geben konnte, die sie motivierten weiterzumachen. Den Ratschlag, den Matt noch zur Konzentration gab, schien sie ein wenig zu motivieren, auch wenn es etwas war, das viele nicht ernst nahmen. Es war das A und O der Magie und etwas, auf das man einfach nicht verzichten konnte, egal wie sehr man sich das wünschte.
Die anschließende Aufgabe, die Vivian dem Engländer dann stellte, war am Anfang komplizierter als gedacht. Doch nach ihrer Erklärung, war es besser verständlicher. Nun lag es an den Angaben von Matt, ob er es richtig machen würde oder nicht. Er gab die Richtung mit einer gewissen Unsicherheit an. Zu seiner Überraschung, war dies sogar richtig und Vivian lobte ihn sogar ein wenig. Mit einem stolzen Lächeln im Gesicht, freute sich der Magier, dass er es richtig gemacht hatte. Den weiteren Worten der Schulkameradin folgte er sogleich auch noch, auch wenn sie ihm einen kleinen Stich verpassten, was seine körperliche Verfassung anbelangte. Noch hatte er keinen Bauch bekommen, aber natürlich musste er schon langsam irgendetwas für seine körperliche Verfassung tun. Somit war der heutige Tag eindeutig der Beginn von seinem neuen Leben. Gleich darauf forderte die Blondine ihn noch auf weiterzugehen. Er blickte sie an und grinste frech. „Keine Sorge. Ich werde nicht zurückfallen. Pass du lieber auf deine Schritte auf“, sagte er ihr und versuchte ihr damit zu sagen, dass sie vor Stolperfallen aufpassen musste. Ob sie dieser indirekten Bitte auch nachkommen würde? Wer wusste das schon. Der Rothaarige lief nun neben Vivian her und ging mit ihr weiter in Richtung des Bambuswaldes.
Ob sie zu harsch zu dem gerade frisch geplätteten Magier war? Nein, ganz und gar nicht. Sie nahm bereits genug Rücksicht auf ihn, indem sie sich über die bereits bekannte Route auf den Rückweg machten. Außerdem – ja, das durfte man nicht vergessen – blieb sie gleichauf mit seiner Geschwindigkeit. Selbst, wenn er schwächelte oder eine Pause brauchte, passte sich die Blondine an ihren geräderten Trainingspartner an. Jederzeit ein wachsames Auge auf ihn werfend, damit er nicht plötzlich umkippte und keiner was davon mitbekam. Da er offensichtlich keine Verletzung hatte, sollte ihre Fürsorge auch nicht über das Niveau simpler Gesten hinauswandern. Die selbstgebastelte Trage konnte also erstmal ein gedanklicher Plan bleiben – vorerst, zumindest. Um den Rothaarigen nicht noch zusätzlicher Belastung auszusetzen, blieb Vivian den Rückweg über auch verdächtig still. Immer wieder gingen ihre Augen zwischen den Bambushalmen durch und suchten die Umgebung nach irgendwelchen Wildtieren ab, bevor ihre Blicke dann wieder zu Matthew wanderten. Sie musste ihm wohl nicht erzählen, was für ein verdammtes Glück er gehabt hatte, dass der Panda wohl mehr neugierig als wirklich aggressiv war. So eine Begegnung konnte einfach viel zu schnell in die Hose gehen. Wenn es die Zeit zuließ, sollte sie hierher zurückkehren und den Bären aus diesem Gebiet vertreiben; es wäre besser so. Für sie – aber allem voran für die anderen Bewohner der Insel, welche sich ihr ein oder andere Abenteuer durch den Wald nicht verkneifen konnten.
Erstmal allerdings ging es darum ihr aktuelles Sorgenkind weiter in Richtung des Wohnheims zu treiben. Nach nicht mal einer Stunde hatten sie schon wieder die einigermaßen normalen Gefilde des Waldes erreicht und waren nur eine Viertelstunde später auch schon wieder auf dem Feldweg, wo Matthew vorhin mit dem Kompass geübt hatte. Zwei Pfade später stolzierten die beiden Hobby-Abenteurer auch schon durch das Eingangstor des Wohnheims. Wobei Vivian den Eindruck vermittelte gerade eine Neuverfilmung von Apocalypse Now gedreht zu haben. Allerdings war man das schon von ihr gewohnt. Es war neben ihren Ausflügen ja allgemein bekannt, dass sie nicht wirklich das typische Mädchen von Nebenan war. „Nun, in Anbetracht unserer Ankunft hier, betrachte ich das Training als beendet.“, schlussfolgerte die Blondine, während sie mit einem kleinen Schritt ihren Körper so drehte, dass die Front komplett zu Matthew zeigte. „Die Sache mit dem Tier vorhin, hätte auch schnell schiefgehen können. Es tut mir leid, dass ich dich für einige Sekunden alleine gelassen habe. Das hätte nicht passieren dürfen.“. Denn als Neuling oblag er ihrer Verantwortung – ihrer Aufsichtspflicht. Beim nächsten Mal müsste sie da mehr drauf achten … falls es ein nächstes Mal geben würde. Er hatte es zwar bis zum Ende ausgehalten, doch ob er weitermachen wollte? Die Frage würde sich wohl nur über die Zeit hinweg beantworten. „Ich empfehle deswegen, dich noch einmal im Krankenzimmer begutachten zu lassen. Ich konnte zwar auf dem Rückweg nichts feststellen, aber es könnte durchaus sein, dass es auch Spätfolgen geben kann, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind.“. Dabei starrte die Engelin so intensiv in sein Gesicht, als könnte der bloße Blickkontakt ihm diese Anweisung in die tiefsten Tiefen seiner Seele brennen. Vermutlich würde sie morgen früh noch einmal nach ihm sehen, damit auch wirklich alles in Ordnung war. Sicher ist sicher. „Wenn es sonst nichts Weiteres gibt, danke ich für die Teilnahme und deine Ausdauer in diesem Unterfangen. Dein Wille ist stark, dass ist ein guter Anfang.“, erklärte sie in ihrer monotonen Stimme weiter, während sie einen kurzen Blick zurück zum Tor warf. Gab es noch etwas, dass es zu erwähnen galt? Ah! Ja, genau! „Ich werde außerdem über deine Ratschläge bezüglich der Magie nachdenken, Matthew.“, und ihre Schuhe klappten einmal gegeneinander, als sie sich hinstellte, als hätte gerade ein Offizier seinen Antritt macht. Eine schnelle Geste ihres Respekts, wenn sie sich nicht gerade in ihrem normalen Modus befand und mit allerlei Höflichkeiten um sich warf. Welche Vivian auf die Allgemeinheit wohl angenehmer wirken würde? Beide waren ja auf ihre Art und Weise emotionslose Spiegelungen ihrer Hauptpersönlichkeit. Doch die Art und Weise, wie Worte gesprochen wurden, konnten viel ausmachen. Mh … „Sollte es sonst noch etwas geben, stehe ich jederzeit zur Verfügung. Ansonsten wünsche ich noch einen angenehmen Abend und eine gute Erholung.“. Und damit erntete der Rothaarige von ihr einen kleinen Salut, sowie ein leichtes Nicken. Erst dann löste sich ihre Haltung und der Rucksack auf ihrem Rücken wurde mit einem kräftigen Schubser wieder in Position gebracht. Für sie war es jetzt erstmal an der Zeit die Dusche aufzusuchen …
Natürlich dachte sie zuerst ans Rennen?! Sie konnte ja schlecht über die Insel hechten und mit ihm das Jagen trainieren. Er war nämlich kein Jungtier und mit seinem Hokuspokus waren seine Instinkte wohl auch nur der normale Durchschnitt. Kurz gesagt: Wenn seine Magie irgendwann mal keinen Bock mehr hatte, stand er da wie ein Meerschweinchen in der Wüste. Eventuell nicht der beste Vergleich, aber zum Glück konnte hier ja keiner Gedanken lesen … und selbst wenn, wäre es ihr irgendwie auch wieder egal. Dann konnte sich derjenige gleich mit aufschreiben, dass sie ihm – sollte er das offenbaren – die Fresse polieren würde. Doch weg vom physischen Box-Workout hin zu den Ideen des rothaarigen Bonzen-Dämons. Kommentarlos – und mit einer kritisch gehobenen Augenbraue – lauschte sie seinem Vorschlag und zuckte dann nur relativ gleichgültig mit den Schultern. „Meinetwegen. Ist mir vollkommen egal.“. Hauptsache er verstand unter Workout nicht am Strand zu gammeln und sich den Arsch platt zu sitzen. Dann, so ihre Meinung, hätte er ihr das auch gleich sagen können. Welcher Löwe ließ sich nicht gerne die Sonne auf den Pelz scheinen? Naja, whatever. Anscheinend hatte sie mit ihrer Zusage sowieso die Hoffnungen von dem Typen ins unermessliche steigen lassen. „Dann bis gleich.“, verabschiedete sie sich von ihm und blieb noch einen Moment lang sitzen, um sich ein paar Sekunden Ruhe zu gönnen. Erst danach brachte sie langsam ihre Sachen zurück und blieb danach kurz im Gang des Wohnheims stehen. Ob sie sich vielleicht auch lieber ihren Sport-Kram besorgen sollte? Cynthia starrte an sich herunter und dachte daran, wie sehr sie es hasste ihre Lieblingsklamotten total durchtrieft den ganzen Tag am Leib zu tragen. „Wäre wohl ne gar nich‘ so bescheuerte Idee …“, murmelte sie und begab sich mit schnellen Schritten einmal in ihr Zimmer, um dort einen schnellen Wechsel hinzulegen. Ihre alten Klamotten landeten – wie von ihr gewohnt – auf dem Bett, ehe der Schrank überfallen wurde und sie sich eine schwarze knielange Jogginghose anzog und eines ihrer schwarzen, bauchfrei gestalteten Tanktops überzog. Die Schuhe wechselte sie vorsorglich auch mal, da sie mit den Stiefeln einfach mehr Kraft brauchen würde, um in die Gänge zu kommen. Danach begab sie sich zum vereinbarten Treffpunkt. Da sie die Zeit nicht ausgemacht hatte, kümmerte es sie auch nicht, wenn sie ein paar Minuten zu spät kam. Aufgrund der fehlenden Prinzesschen-Gene lag sie aber vermutlich mehr als gut in der Zeit … und so war es auch. Kein Dämon weit und breit.
Alles, was ihr jetzt also noch übrigblieb, war warten. Warten darauf, dass der Kerl sein Wort hielt und auch wirklich hier aufkreuzte. Im Notfall konnte sie sich auch ohne ihn auf den Weg machen und ihre Runden drehen. War ja nicht so als ob Joggen eine Gemeinschaftssportart war. Das behaupteten nur alte Knacker, die beim Rausgehen eine übernatürliche Angst aufwiesen, nicht mehr zurückzufinden. Oder – und das war irgendwie noch schlimmer – dieses komische Nordic-Walking. Laufen mit Gehilfen … was eine scheiß Erfindung. Sie hoffte auch inständig darauf, dass Mathéo nicht gleich mit so nem Rotz wie Yoga um die Ecke kommen würde. Allein die Vorstellung ließ ihr ein sichtlich schockiertes Zucken durch den Schweif laufen. Nein, sie wollte, wenn sie da schon irgendwas machte, auch beschäftigt sein. Mal sehen, ob das am Ende kein Wunschdenken werden würde …
"Man widerspricht oft einer Meinung, während uns eigentlich nur der Ton, mit dem sie vorgetragen wurde, unsympathisch ist." - Friedrich Nietzsche