Unerkenntlich mühsam schleppte ich mich zum Speisesaal. Meine Anreise hatte doch viel mehr von meiner Energie verbraucht, als erwartet. Es fällt mir schon schwer, jeden einzelnen Schritt den ich tat auszuhalten, ohne vor Schmerzen aufzustöhnen. Doch ich hatte die erste Hürde bereits überwunden. Ich hatte mich hier angemeldet um während meines Aufenthaltes hier auch eine Bleibe zu haben. Die Prozedur war langwierig und nervenaufreibend. So hatte ich mir das ganze gar nicht vorgestellt. Zusätzlich viel es mir unglaublich schwer Informationen über meine Familie preiszugeben und anzugeben, mein Vater sei tot. Vater… Ich unterdrückte ein schmerzerfülltes Grummeln, als ich einmal zu fest mit meinem linken Fuß auftrat. Ich muss dafür sorgen, dass ich mein Ziel nicht aus den Augen verliere. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt bevor ich ihn wieder verliere?

Ich öffnete mit Anstrengung die große Doppeltür, hinter der sich der Speisesaal befinden sollte.Selbst, wenn mir nicht danach zu Mute ist, mit anderen Leuten zu reden, ich brauche Informationen über den Aufenthalt meines Vaters. Außerdem würde es mir sicherlich gut tun, mal wieder etwas ordentliches zu essen. Zum Leidwesen meiner Mutter hatte ich meine Nahrungszufuhr in den letzten Tagen fast komplett eingestellt. Viel zu nahe war ich an dem Durchbruch dran! Schlaf war für mich ebenfalls Mangelware. Dass ich hier einen Zimmergenossen bekommen würde war mich nicht entfallen, doch ich bin tolerant. Eigentlich gäbe es nichts, was er tun könnte um mich auf die Palme zu bringen, desswegen ist es gut so wie es ist. Ich sollte und muss mir über sowas keine Sorgen machen, dafür gehen gerade viel wichtigere Dinge vor sich. Selbst wenn ich aussah, als wäre ich einen matschigen Abhang runtergefallen, es existierten gerade wichtigere Gedanken in meinem Kopf.

Ich hatte es geschafft die metallene Barriere zu überwinden und blickte mich schwer atmend in dem großen Raum um. Niemand hier, womöglich bin ich der erste, auf die Minute genau pünktlich zum Abendessen. Das war bei mir Zuhause auch stets so gewesen. Ich wollte keine Minute in Gemeinschaft meiner Familie verpassen, doch heute mache ich mir trotzdem Vorwürfe. Hätte ich es doch nicht nur bei unseren gemeinsamen Mahlzeiten und Ausflügen belassen… mit einem sachten Kopfschütteln sah ich vom Boden auf. Ich sollte anfangen Pläne zu schmieden, nachdem ich mich etwas gestärkt habe! Meine verdreckte Kleidung klebte mir teilweise schon an der Haut, bin ich doch ziemlich unsanft hier angekommen, doch das störte mich nicht.

Ich holte mir meine Portion abendessen ab und setzte mich aneinen Tisch neben den Fensterreihen. Ich war sogar ganz angetan von der Mahlzeit vor mir, dass ich nicht länger wartete und ohne Umschweife meinen ersten Bissen nahm. Kaum breitete sich der Geschmack in meinem Mund aus, entspannte sich mein Körper mit einem leisen Seufzen. Meine Beine streckten sich aus, mein Rücken beugte sich, meine Schultern sanken hinab und ich schloss für einen längeren Moment meine Augen. Was würde ich tun, wenn ich Vater gefunden habe? Würde ich vor Freude weinen, ihm um den Hals fallen? Eigentlich darf ich das ja gar nicht… in dieser Zeit bin ich nicht sein Sohn. Mein Gehirn drohte schon oft genug an dem Paradoxon zu zerbersten, dass ich hier offiziell nicht existiere aber gleichzeitig doch ganz eindeutig hier bin. Man könnte sagen, ich bin Schrödinger’s Katze - tot und lebendig zugleich!

Ich öffnete meine Augen abermals und fing nun bewusst an zu kauen und den Fisch vor mir zu verputzen. Meine neutrale Mine spiegelte wohl auch meinen Gemütszustand wieder. Ich versuchte, nicht zu denken, sondern einfach zu machen. Vielleicht sollte ich gleich danach mit dem Bus in die Stadt fahren und mich einmal umsehen, allerdings... Da, ich tu es schonwieder - Denken! In diesem moment legte ich mein Besteck behutsam auf der Serviette auf dem Tablett ab und richtete mein Blick aus dem Fenster. Da waren grüne Bäume und zahlreiche flauschige Pollen, die gemeinsam mit Bienen und Vögeln durch die Luft flogen. Der Himmel war blau und nahezu wolkenlos. Wahrlich ein frühsommerliches Paradies. Ich hatte diese Insel in meinen wenigen Lebensjahren nur ein Paar mal verlassen - Urlaub - doch diese Zeiten sind nun schon länger vorbei für mich.

Da war ein großer Baum direkt in meinem Blickfeld und ich bemerkte, wie sehr ich mir wünschte, mit Satoru darunter zu sitzen. Dass er mich dann anschließend nach Hause eskortiert und es mir schwer fällt ihn an der Tür zu verabschieden. Manchmal hat meine Mutter ihn dazu gezwungen, noch mit uns zu Abend zu essen und mein Vater schlug oft vor, dass er bei mir übernachten könnte, was mich immer zutiefst peinlich berührte. Unterbewusst zeichnete sich ein andächtiges Lächeln auf meinen Lippen ab. Ich stellte mir ihre Gesichter vor und wurde gleichzeitig unsagbar traurig und hoffnungsvoll. Ein bittersüßer Ablick - das beschrieb mein verträumtes Antlitz wohl gerade am ehesten. Ich war so fixiert auf meine utopischen Vorstellungen, dass ich gar nicht bemerkte, wie sich ein weiterer Waisenheimbewohner zu mir gesellte.

Man wurde mir gesagt ich würde mit jemand in ein Zimmer sein, wer es sein würde werde ich nachher sehen.

Ich hoffte, dass er mir verzeiht und ich trotzdem sitzen bleiben kann, falls wenn er jedoch will, dass ich gehen soll dann würde ich machen und ich würde in irgend welche freie Platzt setzten.