Teilnehmer: Jin, Shiina Mashiro Startort: Der Stadtpark, am Brunnen Zeitpunkt: vor drei Jahren | Weihnachtsfeier
Vor drei Jahren, es war ein Weihnachtsabend. Shiina hatte sich von dem gewöhnlichen Trubel im Waisenhaus entfernt und im Park der Stadt an einem Brunnen niedergelassen. Es war einer ihrer Lieblingsplätze auf der Insel. Besonders in dieser Nacht fand sie es mehr als nur beruhigend den Nachthimmel zu beobachten. Was sie nicht wusste, noch jemand anderes war zu diesem Zeitpunkt auf dem Menschenleeren Platz. Es war jene Begegnung, welche den Grundstein für eine Freundschaft legte, die sogar tierische Instinkte komplett überwand.
Es war eine einigermaßen kühle, ruhige Mondnacht. Es war zwar Weihnachten. Aber auf Schnee hoffte man, aufgrund der Lage der Insel, jedes Jahr aufs Neue vergebens. Trotzdem feierte man auch auf der Insel Isola jedes Mal ein prächtiges Fest im Waisenhaus. Es gab einen Weihnachtsbaum, ein Buffet und alle aus dem Waisenhaus und der Schule kamen zusammen um ausgelassen das Fest des Beisammenseins zu feiern. Alle bis auf die damals noch fünfzehnjährige Shiina. Diese hatte sich, sehr weit entfernt vom Waisenhaus, in ihrem Kleid an ihren Lieblingsplatz an diesem festlichen Abend gesetzt. Mitten im Stadtpark saß sie auf dem Randstein des Brunnens und schaute, die Hande in ihrem Schoss verweilend, hinauf in den Nachthimmel. Sie genoss es hier zu sein. Die eigensinnige Künstlerin hatte schon immer ihren eigenen Gedanken mehr Folge geleistet als irgendwelchen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Auch wenn diese Feier im Waisenhaus ihr Geburtstag gewesen wäre, so hätte sie wohl dasselbe getan. Es lag an der exzentrischen Art der Künstlerin. Auch schon damals lebte sie größtenteils in ihrer eigenen Welt. Ihre Gedanken, da spielte sich alles für die Blondine ab. Es war ihr Reich. Eine Landschaft mit tausend Eindrücken und Farben die so majestätisch waren, das sie den meisten Menschen verwehrt blieb. Dies war mitunter einer der Gründe, warum ihre Gemälde wohl so berühmt - und begehrt waren. Sie galt als Genie, ein Wunderkind auf dem Gebiet der Kunst. Doch alles hat seinen Preis wenn man so will. Sie war dadurch so still und abwesend. Dass sie für andere wirklich als großartig relevant angesehen wurde. Sie war sozusagen ein Außenseiter. Zwar wurde sie nie direkt wie einer behandelt. Aber während andere draußen am Strand spielten, saß die Engelin in ihrem Zimmer und malte Bilder. Kaum bis gar nicht bekam man sie zu Gesicht und wenn sie dann mal an die Öffentlichkeit ging, dann sah man sie meistens alleine im Speisesaal vor einem Zeichenblock sitzen und aus dem Fenster starren. Allein dies hatte wohl einen weitestgehend abschreckenden Effekt auf andere gehabt. Shiina selbst bekam davon allerdings nicht viel mit. Wie gesagt, sie lebte in ihrer eigenen Welt. Alles was für die Engelin zählte waren Pinsel und Leinwand. Das war ihre Art sich auszudrücken. Alles was man von ihr Wissen wollte, ihre Laune, oder wie sie sich fühlt. Jedes kleinste Detail fand Platz in ihren Bildern. Heute jedoch war alles etwas anders. Man könnte sagen sie fühlte sich wirklich etwas einsam. So anmutig wie sie am Rand des Brunnens saß und in das Sternenzelt starrte, machte es fast den Eindruck. Ihr Kleid, die Hochgesteckten Haare. Wie ein Mädchen dessen Verabredung nicht erschienen war sah es wohl von weitem aus. Nun wandte sich ihr Blick langsam entgegen ihres Schoßes. Einen Moment lang schaute sie auf ihre übereinandergelegten Hände, dann geradeaus den Weg des Parks hinunter. Viel konnte sie nicht erkennen. Nur die Laternen, welche vereinzelt in regelmäßigen Abständen entlang des Weges standen, machten es möglich ein wenig in die Entfernung zu sehen. Aber keine Menschenseele in Sicht. In diesem Moment striff eine seichte Brise über den Platz mit dem Brunnen. Sie brachte etwas kühlere Luft als die vorherigen. Die Böe sorgte dafür, dass es Shiina ein wenig fröstelte. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihrer Haut. Erst infolge dessen wandte sie ihren Blick nach links, an das Ende des Platzes. Dort erblickte sie eine weitere Person in der Dunkelheit. Sonderlich gut erkennen tat sie diese allerdings nicht. Sie stand abseits der Laternenkegel. Bekannt kam ihr die Statur aber trotzdem vor. "...wer bist du?...", fragte sie in ihrer sanften Stimme in Richtung des unbekannten Wesens quer über den Platz. Angst, dass ihr etwas passieren würde, hatte sie keine. Ihr Kopf ließ so etwas gar nicht zu. Wie gesagt sie lebte in ihrer eigenen Welt. Aber selbst wenn. Shiina war ja kein normaler Mensch. Sie würde sich verteidigen, wenn auch nur passiv.
Völlig abseits der Weihnachtsfeier im Waisenhaus hatte ein junger Mann namens Jin selbst an einem Tag wie diesem viele Termine die es einzuhalten ging. Der Tag hatte den immer gleichen, monotonen Ablauf wie er ihn nun schon seit längerer Zeit gewohnt war. Man brachte ihm jeden Tag zur gleichen Zeit die menschliche Sprache bei, versuchte ihm mit therapeutischer und psychologischer Unterstützung zur Ruhe und Selbstkontrolle zu verhelfen und brachte ihm wichtige Dinge bei um ihn ein Verständnis dafür zu geben was es bedeutete ein "Mensch" zu sein. Jeder Tag lebte sich genau wie der zuvor und jedes mal wurden seine Hoffnungen auf etwas Abwechslung vehement zerschmettert. Aber was sollte er schon dagegen tun können? Diese Menschen hatten es sich in den Kopf gesetzt ihn zu sozialisieren. Wirkliche Mittel sich dagegen zur Wehr zu setzen hatte er nicht mehr. Immerhin wusste man nun nach drei Jahren wie man mit ihm umzugehen hatte. Wie man ihn notfalls im Falle eines Rückfalls wieder in seine menschliche Form zurück zwingen konnte. Viele Optionen hatte er dadurch nicht, weshalb sich Jin dafür entschied völlig mit den Erziehungs und Lehrkräften zu kooperieren. "Du hast heute gute Fortschritte gemacht, Jin. Unter diesen Umständen können wir es uns durchaus vorstellen öfter mit dir unter Menschen zu gehen! Das ist doch etwas tolles, oder etwa nicht?", sprach einer der zwei Therapeuten, welche mit ihm schon seit Stunden in der Stadt unterwegs waren. An sich war das eben Gesprochene ein verlockendes Angebot gewesen, doch Jin wusste, dass da nicht all zu viel dran war. Zwar war er nun einige Stunden mit seinen beiden Aufpassern in der Stadt gewesen, doch wurde jeglicher Menschenkontakt vehement unterbunden. Die beiden Männer trauten sich inzwischen zwar den Jinouga an belebtere Orte zu bringen, doch schienen sie nicht im geringsten daran zu glauben, dass menschlicher Kontakt zum jetzigen Zeitpunkt etwas Gutes, geschweige denn etwas Sicheres wäre. Aus psychologischem Standpunkt aus gesehen war es jedoch sehr geschickt. Immerhin musste man vor jedem sozialen Kontakt erst ein mal überprüfen wie Fälle wie er überhaupt darauf reagierten zum ersten mal seit langem von vielen fremden Menschen umgeben zu sein. Aus menschlicher Sicht gesehen war es jedoch nichts weiter als eine Qual für Jin gewesen. "Ich...will mich wieder verwandeln. Ich war viel zu lange in dieser Form...darf ich wenigstens bald wieder zu mir selbst werden? Wenigstens für einen kurzen Augenblick?", fragte Jin völlig frei raus ohne eine Reaktion auf das eben gesagte zu bieten. Er hatte inzwischen wenigstens eine derartige Selbstkontrolle, dass eine Rückverwandlung in seine tierische Form wohl für kein erweitertes Aggressionspotential seinerseits sorgen würde. Und dennoch verbot man es ihm seit langer Zeit. Es war grausam...langsam aber stetig schien er jegliches Gefühl für seine wahre Gestalt zu verlieren. Er fühlte sich einfach in diesen, sich immer noch recht fremd anfühlenden Körper gepresst. "Ich denke das ist keine gute Idee, Jin. Immerhin sind wir hier gerade in der Stadt. Wenn du dich hier verwandeln würdest, könnte es viele Leute verstören", ohne diese Antwort lange auf sich einwirken zu lassen, antwortete der junge Mann. "Ausreden. Immer wieder Ausreden. Wenn wir zurück wären, würde euch auch irgend etwas einfallen...", der Jinouga war diese Reaktionen gewohnt. Warum war seine Verwandlung nur so ein Tabu Thema? Er hatte besonders in diesem letzten Jahr gezeigt, dass er lernwillig war. Dass er kooperativ war...und dennoch vertraute man ihm so wenig. Dabei wurde auch völlig außer Acht gelassen, dass es ihn eindeutig quälte immer nur in diesem Körper zu stecken. Die Erzieher und Therapeuten des jungen Mannes schienen sich so sehr auf seine Sozialisierung zu konzentrieren, dass sie dabei völlig außer Acht ließen, dass sie seine tierische Seite dabei völlig vernachlässigten und Stück für Stück zu beseitigen schienen. Gerade als Jin alle Hoffnung fahren lassen wollte, kam es jedoch endlich dazu, dass jemand seine Seite ergriff. "Ich finde wir sollten ihm langsam wieder die Gelegenheit geben sich zu verwandeln. Du kannst nicht abweisen, dass er großartige Fortschritte macht. Wenn wir jedoch weiterhin seinen Wunsch abschmettern, laufen wir Gefahr, dass er sich verliert. Wir dürfen seine bisherige Natur nicht vergessen. Immerhin können wir nicht für immer verhindern, dass er sich zurückverwandelt. Und wenn es dann dazu kommt, läuft er Gefahr wieder in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen", entgegnete die zweite Aufsichtsperson auf das eben gesprochene. Aber wie es zu erwarten war, endete das alles nur in einer hitzigen Diskussion zwischen den Beiden Psychologen. Beide hatten ihre Ansichten und empfanden jene ihres Kollegen als viel zu gefährlich. Jin seufzte als er die Unterhaltung zwischen Ihnen beobachtete. Natürlich war es gut wenn jemand mal für ihn Partei ergriff...und vielleicht würde es ja etwas bewirken. Aber er rechnete nicht mehr damit.
Dem Streitgespräch der Psychologen müde machte sich Jin auf etwas die nahe Umgebung des verlassenen Stadtparks kennen zu lernen. Es waren zur Zeit nur sehr wenige Personen unterwegs. Eine Sache die Jin sogar irgendwie beruhigte. So machte sich der junge Mann auf und entfernte sich still und heimlich immer weiter von seinen Aufpassern. Um ehrlich zu sein machte ihn das sogar auch etwas nervös. Wie ein Hund, der etwas tat was ihm nicht gestattet war, wartete er nur auf laute Zurechtweisung seiner "Herrchen". Doch auch nach einer längeren Weile kam nichts dergleichen. Auch als er sich immer weiter von ihnen entfernte. Sie schienen ihn gar nicht mehr zu bemerken. Und dann passierte es: Jin verließ den Sichtbereich der beiden Männer vollends. "...wer bist du?...", als eine fremde Stimme erklang, zuckte Jin erschrocken zusammen, hörte damit auf durch die Gegend zu schleichen und begann sich nach ihrer Quelle um zu sehen. In der Nähe befand sich ein plätschernder Brunnen, an welchem ein junges Mädchen saß, welche Jin zu beobachten schien. Hatte sie das eben gefragt? War er gemeint? Der junge Mann begann damit sich zaghaft umzusehen. Niemand anderes schien in der Nähe zu sein, also war es wohl tatsächlich er an den die Frage gerichtet war. "Jin...", antwortete er als er vorsichtig in das Licht der Laterne kam und das dort sitzende Mädchen genauer betrachtete. Im Licht angekommen blieb der junge Mann auch vorerst wieder stehen, da er sich ihr erst einmal nicht zu sehr nähren wollte. Wenn seine Aufpasser das sehen würden, würden sie immerhin vermutlich eine Herzattacke bekommen. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass er ebenfalls neugierig darauf war mit wem er es hier zu tun hatte. "Ich bin Jin. Du? Wer...bist du?", das Herz des Jinouga begann damit zu rasen. Endlich war dieser Moment gekommen. Zum ersten mal seit drei Jahren hatte er es hier doch tatsächlich mit einer Person zu tun, die nicht zufällig in das Projekt seiner Sozialisierung eingebunden war. Natürlich wurde dieses Szenario schon öfter mit ihm durchgegangen. Doch um ganz ehrlich zu sein...hatte er nun trotzdem nicht die geringste Ahnung wie er sich verhalten sollte.
Eine ganze Weile passierte gar nichts. Es schien zuerst so als ob die in die Schatten der Nacht gehüllte Person gar nicht darauf einzugehen versuchte. Doch das hieß nicht, dass die Blondine nicht seine Umrisse erkennen konnte. Auch wenn es sich als nicht sehr einfach erwies. Mit einem auf die Silhouette des Fremden fixierten Blick, beobachte sie zuerst wie dieser erst stehen blieb und sich dann allem Anschein nach umschaute und schließlich aus dem Schatten in den Lichtkegel der Laternen trat. Nun konnte sie ihn sehr gut erkennen. Wie heute auch scannten ihre Augen jedes einzelne Merkmal des weißhaarigen Jungen. Seine gelben Augen, seine Statur. Einfach alles. Erst, als er zögernd seinen Namen nannte, wandte sich der Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen wieder den seinen. "..Jin..." , wiederholte sie noch einmal und legte den Kopf schief. Ja, irgendwie fand sie den Jungen Mann vor sich sehr faszinierend. Er war mehr als nur eine Erscheinung. Seine Aura verriet es ihr. Doch es war nichts Dämonisches oder dergleichen. Irgendwie ging seine Ausstrahlung in Richtung...Tier?! Shiina war etwas verwirrt. So etwas hatte sie noch nie gespürt. Selbst die anderen Tiermenschen auf der Insel hatten alle eine andere Aura. Sagen tat sie jedoch nichts. Stattdessen beobachtete sie den Jungen dabei, wie er langsam näher kam. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Als wäre eine Grenze vor ihm im Boden gezogen, bewegte er sich nicht weiter auf die Blondine zu. Erst jetzt folgten die nächsten Worte der Konversation. Zögernd fragte nun auch Jin nach ihrem Namen. Als wären sie zwei Tiere die sich vorsichtig gegenseitig beschnuppern verhielten sie sich.Es war wirklich ein seltsames Schauspiel. Das jedoch schien den Beiden im Moment überhaupt nicht aufzufallen. "...Shiina...", kam sanft die Antwort der Engelin auf seine Frage über ihre Lippen. Ihr Blick wanderte nun gesenkt zurück zu ihrem Schoss. Dort angekommen schaute sie wieder empor in den Himmel. Während Jin gerade extrem unter Strom stand. War Shiina ganz ruhig, so wie immer. "...beobachtest du auch gerne die Sterne...", fragte sie Jin nun und schaute ihm wieder ins Gesicht. "...ich mache so etwas gerne...", fügte die Engelin nach einer kurzen Zeit der Stille noch einmal ergänzend hinzu. Es kam selten vor das Shiina so viel redete. Dazu auch noch einfach so. Würden jetzt ein paar Lehrer hören wie viel Sätze sie gebildet hatte. wäre wohl die Frage gekommen warum sie die denn nicht im Unterricht macht. Ein weiteres Mal machte sich die Künstlerin daran den Nachthimmel zu betrachten. Es lässt sich nur vermuten was Jin bei der ganzen Sache dachte, falls er das überhaupt tat. Wahrscheinlich bemerkte er nicht einmal das die Engelin durch und durch ein wenig weltfremd war. Er war bestimmt schon so unter Spannung, das er beim nächsten Satz der Blondine womöglich zum Mond fliegen würde. Er wusste ja nicht was Shiina als nächstes sagen würde. Aber dass es sehr viel Überwindung von seiner Seite aus kosten würde sei gesagt. Wie aus dem nichts schaute sie ihm wieder, auf die mittlerweile schon bekannte Art, ins Gesicht. "...willst du dich auch setzten?...", fragte sie ihn und deutete mit der linken Hand auf den Platz direkt neben ihr. Danach packte sie diese wieder zurück in ihren Schoss. Nun lag es an Jin eine Entscheidung zu treffen. Für Shiina war dabei absolut kein Problem. Doch er musste ja seinen Sicherheitsabstand - und seine Scheu überwinden. Schüchtern war der mit gelben Augen Bestückte junge bestimmt nicht. Aber Shiina wusste das alles ja gar nicht. Alles was sie tat war ihn so zu behandeln, wie alle anderen auch. Jedem hätte die Künstlerin einen Platz neben sich angeboten. Sogar dem Sensenmann hätte sie es erlaubt, wäre dieser nun vorbeigekommen. Ganz so gesprächig wie Jin wäre der aber allemal nicht gewesen.
"Hm...", Jin ließ seinen Blick keine Sekunde von dem Mädchen weichen, welches sich eben als Shiina vorgestellt hatte. Nun, eine besonders euphorische Vorstellung der Beiden war dies nun nicht gewesen. Hatte Jin irgend etwas falsch gemacht? Dieses Mädchen hatte eine ganz andere Art zu sprechen als der junge Mann es von seinen ganzen Aufpassern und Lehrern gewohnt war. Um genau zu sein wurde er quasi bei jeder Gelegenheit von ihnen zu geschwafelt, sodass er manchmal sogar vergaß worum es in manchen Situationen denn nun genau ging. Von Shiina auf der anderen Seite ging eine unfassbar beruhigende Aura aus. Als die Engelin ihren Blick zum Himmel richtete und die Sterne betrachtete, war Jin versucht es ihr gleich zu tun. Aber um dies auch durchzusetzen war er in diesem Moment immer noch zu nervös. Immerhin wurde ihm immer gesagt, dass man seine Gesprächspartner ansehen sollte. Auf der anderen Seite...war sie eine Gesprächspartnerin? Vielleicht hatte sie nur nach seinem Namen gefragt weil es sie in diesem Moment interessiert hatte. Das hieß noch lange nicht, dass man danach in einer Unterhaltung war. Gerade als sich Jin wieder umdrehen wollte um wieder zu seinen Begleitern zurückzugehen, begann Shiina wieder damit zu sprechen. Um genau zu sein war das sogar eine weitere Frage an ihn. Er jetzt wandte sich der Blick des Tierwesens von der Engelin ab und wanderte hinauf in den Himmel. "Ich mag die Sterne sehr...genau wie den Mond. Das alles erinnert mich an Zuhause", der Blick des Jungen verblieb am Sternenhimmel, ehe er erneut ausholte. "Ja...auch wenn es scheinbar weniger Sterne gibt als früher...das ist schade", antwortete Jin etwas wehmütig. Er hatte in den letzten Jahren nicht wirklich darüber nachgedacht wieso dem eigentlich so war. Dass die immer größer werdende Zivilisation in den Städten dafür sorgte, dass man Nachts einfach weniger Sterne am Himmel sehen konnte, wusste er nicht. In seiner unschuldigen, naiven Welt gab es einfach viel weniger als früher. Es vergingen einige Augenblicke bis Shiina wieder das Wort ergriff, welches den jungen Mann aus seinen Erinnerungen riss. Ob er platz nehmen wollte? Neben ihr? Jin wusste nicht wirklich was er davon halten sollte. Zum einen wäre es doch unhöflich gewesen diese Geste des guten Willens abzulehnen. Auf der anderen Seite empfand sich Jin wegen seiner passiven Art ein wenig unangenehmen Gesprächspartner. Denn so etwas betrachtete man laut seinen Lehrern als "einseitige Unterhaltung" und als solche würde seine Gegenwart ohnehin irgendwann zu einem Ärgernis werden. Von daher war es am besten das Angebot der Engelin abzulehnen. Sie würde es sicher verstehen. "Ich denke...das ist in Ordnung, ja", obwohl sich Jin im Kopfe dazu entschieden hatte ihr Angebot abzulehnen, willigte er mit seinen Worten auf Shiinas Angebot ein. Eine Begebenheit, die den Jinouga nur noch mehr irritierte als er es ohnehin schon war. Nichtsdestotrotz ging er langsam auf die Engelin zu um neben am Rande des Brunnens platz zu nehmen. Nun wo er eingewilligt hatte, konnte er es immerhin wohl kaum noch zurücknehmen. Auch wenn es ihm lieber gewesen wäre auf Abstand zu bleiben...doch auf der anderen Seite wollte er um keinen Preis der Welt als unhöflich angesehen werden. "Du...uhm...", begann Jin nach einigen Momenten der Stille zu sprechen. Er wollte irgend etwas sagen oder Fragen. Einfach irgend etwas. Auch wenn ihm nicht ganz klar war was es denn war. Er konnte schlecht zulassen, dass jegliche Initiative in dieser Unterhaltung von Shiina kam. Smalltalk...wer hätte gedacht, dass er so etwas heute halten würde? "Warum sitzt du denn ganz alleine hier?", fragte Jin etwas unbeholfen. Etwas Besseres war ihm in diesen Moment einfach nicht eingefallen. Er hoffte einfach, dass die Engelin ihm das nicht all zu übel nehmen würde.
Eine ganze Weile verweilte Jin in sicherer Entfernung und schaute die Blondine an. Würde man jetzt in seinen Kopf hineinschauen können, so wären einem bestimmt die ganzen Gedankengänge mit einem mal entgegen gesprungen und hätten einen unter sich begraben. Aber was will man von jemandem erwarten der sein ganzes Leben nichts außer geplantem Kontakt mit anderen hatte? Die Unsicherheit war ihm quasi ins Gesicht geschrieben. Umso hilfreicher war es, das die Künstlerin ihn auf etwas ansprach, was auch er interessant zu finden schien. Zumindest schien es so. Die Art wie er empor zu den Sternen guckte war eindeutig und letzten Endes bekannte er sich sogar Verbal dazu. Obgleich er danach eine ziemlich wehmütige Aussage verfasste, welche ihm die verwirrten Blicke der Siebzehnjährigen einbrachten. Es werden immer weniger Sterne? Kurz legte die Blondine den Kopf etwas in die Schräge. Konnte das wirklich sein? Besser wissen tat sie es auf jeden Fall nicht, Dementsprechend konnte sie sein Argument nicht widerlegen. Nein, vielmehr glaubte sie ihm das sogar noch. Ein Fakt, welcher die Engelin etwas traurig stimmte. Mit gesenktem Blick schaute sie auf ihren Schoss und dachte darüber nach wie es war, keine Sterne mehr am Himmel sehen zu können. Umso mehr erfreute es das exzentrische Mädchen, das Jin ihr Angebot annahm. Mit einem fokussierten Blick auf seine Person beobachtete Shiina das Halbwesen dabei, wie es langsam in ihre Richtung kam. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten kam er nun immer näher. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis Jin sich endlich neben ihr befand und langsam auf den Rand des Brunnens sinken ließ, der Blick Shiinas immer noch auf ihm ruhend. Da saßen sie nun. Direkt nebeneinander. Mitten auf einem Platz im Stadtpark der menschenleerer nicht hätte sein können. Nun trat eine Zeit der Stille zwischen den beiden ein. Sie hatten ja immerhin nur so wenig miteinander geredet, aber jetzt schien es wohl vorbei zu sein. Auch der Blick Shiinas löste sich wieder von seinem Gesicht und verlor sich ein weiteres Mal in den Weiten des Himmels. Irgendwann würde die Engelin ihn wieder etwas fragen. Aber im Moment war es einfach das Statement mit den Sternen, welche sie aus irgendeinem Grund fest in seinem Bann hielt. Hätte Jin nicht in diesem Moment beschlossen das Gespräch wieder neu anzusetzen, wären wohl noch weitere fünf Minuten des Schweigens eingetreten. Mit einer etwas zögernden Anrede, versuchte das Halbwesen wieder eine Konversation in Gang zu bringen, mit Erfolg. Denn Shiinas Kopf löste sich aus seiner, nach oben gerichteter, Position und drehte sich schließlich in seine Richtung. Mit einem erwartenden Blick, welcher nur wenige Sekunden später in einen fragenden Überging. Schaute sie dem weißhaarigen Jungen in die gelben Augen. Vermutlich war Jin erst jetzt richtig bewusst geworden wie nahe die beiden aneinander saßen. Viel Abstand war da nämlich nicht zwischen den Köpfen der beiden. Wenn er darauf achtete konnte er sogar den leisen Atem der Engelin auf seiner Haut spüren. Seine Frage brachte der Junge mit gelben Augen trotzdem über seine Lippen. Warum sie hier war, fragte er die Engelin. Nur, um eine ziemlich offensichtliche Antwort zu erhalten. "...ich habe niemanden der mit mir hier sonst sitzen würde...", entgegnete ihm die Künstlerin ohne auch nur einmal von ihrem neutralen Gesichtsausdruck abzuweichen. Klar, das klang jetzt sehr vereinsamt von Seiten Shiinas. Aber sie selbst sah das natürlich nicht so, wie es andere vielleicht tun würden. Soziale Kontakte waren für die Blondine eine optionale Sache. Alles was sie benötigte um wunschlos glücklich zu sein war eine Leinwand und Farbe. So ganz Spurlos ging die Frage aber dann doch nicht an der Engelin vorbei. Man könnte sagen Jin hatte ihren Kopf ein Stücken mehr in Richtung Realität geholt. Eine ziemlich beeindruckende Leistung. Manche haben dies nämlich schon seit fünf Jahren versucht und sind bis jetzt immer wieder aufs neue gescheitert. "Abgesehen davon finde ich es schön dem allgemeinen Trubel zu entkommen.", da sprach sie für einen kurzen Moment! Die nicht exzentrische Shiina. Anscheinend hatte der kleine Anstoß des Weißhaarigen gereicht um eine Reihe von richtigen Prozessen im Kopf der Blondine in Gang zu setzten. "Und du Jin, warum bist du hier so ganz allein?", stellte sie nun die Gegenfrage, "Sicherlich nicht um einem Geschöpf wie mir an einem Brunnen Gesellschaft zu leisten, oder?". Nun war es offiziell. Jin hatte es geschafft Shiinas gefangenen Geist an die Oberfläche zu holen.
Als Shiina ihren Blick vom Himmel nahm und ihn auf seine Frage hin mit einem nachdenklichen Blick betrachtete, wich Jin ein wenig mit dem Kopf zurück. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er sich vor Nervosität vielleicht etwas zu nahe bei Shiina Platz auf dem Brunnen platz genommen, denn die Gesichter der Beiden kamen sich doch etwas sehr nah. Es war eine zwiespältige Position. An sich hatte der junge Mann nicht die geringsten Berührungsängste. So etwas hatte noch nie in seiner Natur gelegen. Auf der anderen Seite gab es einige Dinge die seine Erzieher ihm versuchten im normalen Umgang mit anderen Menschen beizubringen. Dazu gehörte unter Anderem, dass man nicht aufdringlich erscheinen sollte. Übermäßige Körpernähe konnte - besonders wenn man sich noch nicht gut kannte - zu genau dieser Sache führen. Letzten Endes war es jedoch die Tatsache, dass Shiina das alles jedoch nichts auszumachen schien, welche Jin verunsicherte. Nichtsdestotrotz versuchte er weiterhin aufmerksam bei den Worten zu sein, welche Shiina an ihn richtete. "Das ist Schade", entgegnete das Halbwesen als sein Blick wieder geradeaus auf den Boden landete und er über die Antwort der Engelin nachdachte. Er wusste nich wirklich wie sie das nun meinte. Hatte sie allgemein niemanden, der etwas mit ihr unternehmen würde oder meinte sie damit die Tatsache, dass hier sonst keiner war, der überhaupt neben ihr hätte Platz nehmen können? Das Mädchen machte auf Jin einen sehr netten, beruhigenden Eindruck. Etwas was er sehr schätzte. Von daher war es nicht verwunderlich, dass er von letzterer Deutung ausging. Er konnte immerhin wohl kaum der einzige sein, der es genoss mit einer Person wie ihr zu sprechen, oder? "Ja...wer möchte das nicht?", fragte Jin etwas geistesabwesend als Shiina erwähnte, dass sie versuchte dem aktuellen Trubel ein wenig zu entgehen. Das war eine Motivation die das Halbwesen sehr gut nachvollziehen konnte. Tag für Tag war er von Menschen und Wesen umringt, die etwas von ihm wollten. Die ihn erziehen und sozialisieren wollten. Die versuchten ihn so weit zu bringen, dass er selbst keine Gefahr mehr für Andere war. Auch wenn dies noble Ziele waren, so war es für ihn selbst sehr anstrengend. Selbst freie Tage waren ihm nur sehr selten vergönnt. Aber wenn er so darüber nachdachte...was wollte er überhaupt mit freien Tagen? Jin hatte keine wirkliche Freunde, außerhalb seines Erzieherkreises mit denen er überhaupt etwas unternehmen könnte. Dafür wurde er zum jetzigen Zeitpunkt noch viel zu sehr isoliert. Außerdem kam er bis heute mit der ganzen Technik aus dieser Zeit nicht zurecht. Und selbst wenn man ihn mal in Ruhe ließ, die freie Natur in der man ihn nur schwer überwachen konnte war für ihn Tabu. Ein langgezogener Seufzer entfuhr der Kehle des Halbwesens. Abgesehen davon Bücher zu lesen gab es ohnehin kaum etwas, was er in seinen freien Zeiten machen konnte. Und Bücher las er ohnehin schon mehr als genug... Als Shiina den jungen Mann wieder aus seinen Gedanken riss, drehte dieser seinen Kopf ebenfalls wieder in ihre Richtung, bis sein Blick wieder in ihren Bernsteinfarbenen Augen zum stehen kam. "Nein. Natürlich nicht", die Antwort des Halbwesens war nun nicht die Charmanteste gewesen, jedoch neigte er dazu sehr ehrlich zu sein wenn man ihn etwas fragte. Was dies anging, schienen die Engelin und Er sich doch relativ ähnlich zu sein. "Ich bin mit zwei meiner Erzieher hier. Sie haben mich zum ersten mal mit in die Stadt genommen und sie diskutieren dort hinten miteinander. Ich denke sie haben es noch nicht gemerkt, dass ich weg bin. Sonst würde ich sie rufen hören", antwortete Jin als er auf eine nahe Baumreihe zeigte. Irgendwo abseits dieser standen die Beiden vermutlich immer noch und diskutierten eifrig darüber ob es nun eine gute oder eine schlechte Idee war Jin wieder zu gönnen sich wenigstens ab und zu wieder in seine Tierform gleiten zu dürfen. "Ich mag die Stadt nicht...sie ist so laut. Überall sind diese komischen Lichter und Autos. Und alle leben irgendwie nur für sich selbst, als würden die Anderen nicht existieren. Das verunsichert mich", erklärte Jin mit einem gegen Ende relativ traurigen Blick. Er hatte die Welt so anders in Erinnerung. Zwar hatte er damals mit Menschen nicht viel zu tun, doch das Tierreich war ganz anders. Sie lebten entweder alleine oder in Gemeinschaften. Letztere gab es allerdings dort viel mehr als die oftmals jagenden Einzelgänger. Aber im Menschenreich...lebte irgendwie jeder nur für sich. Zumindest schien es für ihn nach dem heutigen Tag so zu sein. Natürlich, seine ganzen Erzieher lebten in einer Gemeinschaft und arbeiteten zusammen. Doch alleine hier in dieser Stadt gab es so viele Menschen, die sich gegenseitig nicht zu bemerken schienen. In der damaligen Zeit machten die Menschen einen ganz anderen Eindruck. Es schien sich in den letzten 800 bis 900 Jahren wirklich unfassbar viel verändert zu haben. Nicht nur technisch gesehen...sondern auch zwischenmenschlich. "Das...ist traurig", mit diesen Worten wanderte der Blick des Halbwesens wieder nach oben in den Himmel. Die Welt war einfach nicht mehr so wie früher. Und selbst nach drei Jahren tat er sich schwer sich daran zu gewöhnen.
Auch Jin bemerkte nun mehr als deutlich wie nahe er der Blondine eigentlich war. Er war so überrascht davon, dass er sogar mit dem Kopf etwas zurückwich als er den Blickkontakt mit Shiina herstellte. Dies war natürlich nicht unbegründet. Für jeden hatte es bestimmt etwas Unangenehmes einer fremden Person gleich am Anfang so nahe zu sein. Bei äußerlicher Betrachtung der ganzen Szene musste man ihm sogar Recht geben. Die Art und Weise wie sie beide dort vor dem Brunnen saßen erinnerte sehr stark an die eines Pärchens. Lediglich das Händchen halten fehlte in der Gesamtgleichung. Für Außenstehende ließ die Position der beiden aber nur schwer eine andere Deutung zu. Shiina hingegen ließ dies total unberührt. Keinen einzigen Gedanken verlor die Engelin darüber, wie zweideutig die aktuelle Position der beiden war. Für sie war es einfach nur ein stumpfes nebeneinander sitzen. So ganz schien Jin ihre exzentrische Seite also nicht vertrieben zu haben. Lediglich ihre Art zu Sprechen hatte sich bei der Siebzehnjährigen verändert. Stattdessen wartete sie geduldig auf eine Antwort des Weißhaarigen, welche auch kurze Zeit später folgte. Er verneinte auf die Aussage Shiinas hin, dass dieser, wie sie bereits gesagt hatte, nicht hier war um ihr Gesellschaft zu leisten. Stattdessen erklärte der Junge dem blonden Mädchen was es eigentlich mit seiner Präsenz hier auf sich hatte. Das er mit Erziehern hier war und diese dort hinten irgendwo diskutieren würden. "...Erzieher?...", fragte die Künstlerin während sie mit ihrem Kopf in die Richtung schaute, in welche Jin zeigte. "...warum brauchst du denn Erzieher?...", wollte die Blondine nun wissen und ihr Blick widmete sich wieder dem seinen. Natürlich hatte sie keinerlei Ahnung von der Situation des Weißhaarigen und das diese Frage eventuell sehr unangenehm für den Bengel sein konnte. Erzieher kannte Shiina bis jetzt auch nur vom Waisenhaus. Ihr wurde immer gesagt, dass diese nur im Waisenhaus für Ordnung sorgen sollten. Ein Grund, warum sie von der Annahme Ausging er würde ebenfalls im Waisenhaus wohnen. Auf die Idee danach zu fragen kam die Blondine allerdings in diesem Moment noch nicht. Viel zu sehr verwirrte sie die Tatsache, dass Erzieher manche nun auch beim Spazieren gehen begleiteten. Als der Gelbäugige dann auf die Stadt zu sprechen kam, sah die Siebzehnjährige förmlich wie sich sein Blick wandelte. Desto mehr er über die Menschen und ihre jetzige Lebensweise sprach, umso mehr versank er in einer Art Traurigkeit. Als er dann seinen Blick empor richtete und in den Himmel schaute, verweilte Shiina mit dem Blick auf seinem Gesicht. Sie konnte mit dem Thema nicht wirklich etwas anfangen, geschweige denn es komplett verstehen. Was sich in einer kurzen Schräglage ihres Kopfes äußerte. Woher sollte sie so etwas denn auch wissen? So weltfremd wie die Vierzehnjährige war konnte man sie als generell unerfahren in Sachen Leben und Gesellschaft einstufen. Das beste Beispiel war die Momentan noch präsente Position, in welcher die beiden nebeneinander saßen. Doch auch wenn sie den Inhalt von Jins Aussage nicht deuten konnte, die Trauer in seinem Gesicht erkannte die Blondine. Sie wollte ihn aufmuntern. Langsam erhob die Engelin deswegen ihre linke Hand und ließ diese langsam auf die rechte Schulter des Halbwesens sinken. Wenn schon das sitzen neben ihr ihm ein wenig unangenehm war, wie reagierte er wohl dann auf diese Berührung? "...Hör nicht auf zu rennen...", sagte sie ihm in sanfter Stimme und schaute weiterhin auf sein Gesicht. Ein Ratschlag welcher dem Weißhaarigen vermutlich nicht sehr viel brachte. Die Aussage der Künstlerin war so unscheinbar, das sie das Potential hatte Jin eher zu verwirren als wirklich nützlich zu sein. Dennoch ließ sich bei genauerem Nachdenken durchaus ein Sinn aus dieser "Ermutigung" ableiten. Was diese allerdings ganz genau zu bedeuten hatte wusste wohl nur der Kopf von Shiina. Aber da das Halbwesen dort unmöglich hineinschauen konnte, war er wohl oder übel auf seine eigenen Fähigkeiten zur Interpretation angewiesen. Dann blieb sie still. Erst nach ein paar Sekunden holte sie die eine Frage wieder ein, welche sie sich schon vorhin in Gedanken gestellt hatte. Ihre Hand entfernte sich langsam von seiner Schulter und wanderte zurück in ihren Schoss und ihr neutraler Blick wich einem leicht fragenden. "...kommst du auch aus dem Waisenhaus...?".
Als Jins Blick den Sternenhimmel absuchte, kam dieser schließlich am Mond zu stehen und verweilte dort. Wenn er so darüber nachdachte, dann hatte es schon etwas lustiges. Damals, als er noch in seinem Rudel lebte, wanderte sein Blick oft zum Mond. Auch wenn sich so viel in dieser Welt geändert hat, war es schön zu wissen, dass wenigstens der Mond welcher von ihnen immer zu angeheult wurde noch der genau gleiche war. Wenigstens diese Konstante blieb nach wie vor bestehen. "Hm...", das Halbwesen dachte nach wie er am besten auf die Frage der Engelin antworten konnte. Immerhin war das ganze ein etwas kompliziertes Thema gewesen. Wobei dies hierbei fast schon das falsche Wort war. Kompliziert war es immerhin nicht wirklich. "Ungewöhnlich" vermochte es viel besser seine Situation zu beschreiben. "Ich komme eigentlich nicht von hier. Auch nicht aus dieser Zeit. Mir müssen viele Dinge beigebracht werden um in dieser Welt zurecht zu kommen. Dafür brauche ich meine Erzieher und Lehrer...immerhin kann mir sonst niemand dabei helfen. Alle die ich sonst kannte sind immerhin seit vielen Jahrhunderten tot", erklärte Jin ehrlich, schaffte es jedoch die junge Frau aufmunternd anzulächeln. Auch wenn es traurig klang, so hatte er es inzwischen verarbeitet, dass heute alle weg waren, die er einmal kannte. Natürlich vermisste er sie...aber niemand lebte ewig. Und auch wenn Jinouga potentiell bis zu 120 Jahren alt werden können, so reichte auch das lange nicht um die vergangenen Jahrhunderte zu überstehen. Es war nichts mehr was ihn direkt mit Trauer erfüllen konnte. Auf Shiinas Aufmunterungsversuch hin, blieb sein fragender Blick nachdenklich in den Augen der Engelin hängen. Er wusste nicht wie sie das genau meinte. Jedoch interpretierte er es als eine Art Aufmunterung. Jemandem die Hand auf die Schulter zu legen hatte immerhin eine sehr beruhigende, aufmunternde Auswirkung auf Personen. Bei Jin tat man das oft um ihn in schwierigeren Situationen zu beruhigen und zur Konzentration zu bringen. Aber auch wenn es ihm schlecht ging, tat man das bei ihm oft. Es war eine der wenigen Gesten, welche wirklich eine Auswirkung auf ihn hatten. Von daher war es nicht verwunderlich, dass er nicht mit Ablehnung reagierte, sondern Shiina einfach nur still anlächelte. Auch wenn er sich nicht bewusst war, was ihre Worte bedeuteten, so erkannte er eindeutig den guten Willen in ihrer aufmunternden Geste. Das reichte ihm schon um dankbar zu sein. Sie war wirklich eine sehr gute Person. Da war er sich sicher. "Nein...ich wohne dort. In dieser Richtung. In den Randbezirken der Stadt, wo man von der ganzen Hektik dieses Ortes nichts mitbekommt", erklärte Jin als Antwort auf ihre letzte Frage und zeigte einmal erneut in die Richtung in der sich dieser Ort befand. Auch wenn man ihn von hier aus nur erahnen konnte. Er lebte seit seinem Ankommen mit all den Anderen dort, in einem umgebauten und umfunktionierten Lagerhauskomplex. Auch wenn das vermutlich sehr seltsam war, so kannte er es nicht anders. "Ich soll irgendwann in das Waisenhaus. In das außerhalb der Stadt, hoch im Norden der Insel. Aber ich bin dafür noch nicht bereit. Meine Erzieher sagen, dass ich noch ein paar Jahre brauche, bis ich dort hin ziehen kann", unbewusst passte sich die Pose des jungen Mannes der von Shiina an, da seine Hände nun ebenfalls auf seinen Schoss wanderten. Er wünschte sich er hätte eine bessere Antwort geben können aber nicht einmal er wusste um wie viele Jahre es sich dabei handelte. Waren es zwei oder drei? Vielleicht vier oder fünf? Erahnen konnten dies nur die ganzen Erzieher und Verhaltensforscher. Aber Jin tat sich schwer das zu verstehen, was in den beschäftigten Köpfen dieser Personen vor sich ging. "Kommst du aus dem Waisenhaus? Bist du also auch ein übernatürliches Wesen?", fragte das Halbwesen relativ indiskret. Das Waisenhaus im Norden war immerhin das einzige welches er kannte. Und soweit er wusste, war dies ein Ort für alle möglichen Wesen. Gestaltwandler, Halbwesen, Engel, Dämonen. Die Möglichkeiten schienen grenzenlos. Auf die Idee, dass es hier in der Stadt eventuell auch eines geben konnte, kam er nicht. Jedoch musste er das auch gar nicht. Shiina roch nicht wie ein Mensch...
Die Antwort auf Shiinas frage kam schnell und direkt. Er war also gar nicht von hier? In den Gedanken der Blondine setzte sich gerade ein einzigartiges Bild zusammen. Jin in Paris, Jin in London. Alles Orte die sie schon einmal gesehen hatte und wo sie wegen der verschiedenen Kunstausstellungen schon einmal gewesen war. Was anderes konnte sie sich gar nicht vorstellen. Doch je weiter sie den Worten des Weißhaarigen folgte, umso bitterer wurde der Nachgeschmack in den Augen der Engelin. Der Ausdruck von Hilflosigkeit und Trauer, welchen die Künstlerin aus seiner Aussage herauslas, stimmte sie auf eine gewisse Art und Weise selbst traurig. Eine Sache die die Blondine sehr verwirrte. Sie war selbst nicht traurig und dennoch fühlte sie sich so niedergeschlagen als wäre sie es. Nachdenklich sank ihr Kopf gen Boden. Was von außen natürlich wie eine Art Anteilnahme aussah, war eigentlich keine. In ihren Gedanken beschäftigte sich Shiina gerade einfach nur Instinktiv mit diesem einen Thema: Warum fühlte sie sich traurig, obwohl sie es nicht war? Doch die Antwort darauf blieb ihr, wie schon so oft, wieder einmal verwehrt. Langsam richtete sie ihren Blick wieder auf Jin, welcher sei nun aufmunternd anlächelte. Ein Anblick, welcher Shiina wieder aufheiterte. Gleich im Anschluss, äußerte sich ihr Gegenüber dann zu der Frage nach seinem Wohnort. Die Blicke der beiden waren nun wieder auf das Gesicht des Gesprächspartners fixiert. Erst, als Jin in die grobe Richtung zeigte und dazu erklärte und seinen Wohnort etwas genauer beschrieb, änderte sich dies. Der Blick des exzentrischen Mädchens folgte nämlich seinem Finger. Natürlich konnte man die Position von hier nicht sehen. Wie denn auch? Einen kurzen Moment schaute die Blondine in die Dunkelheit, dann widmete sie sich wieder dem Weißhaarigen Jungen. "...ich kenne den Ort...", gab sie ihm als Antwort und bestätigte ihm damit, dass sie wusste wovon er gerade sprach. "...er ist schön...", gab sie anschließend noch ein kurzes Statement dazu ab, "…schöner als so manch anderer Ort und voller Farben...". Ein leichtes Lächeln bildete sich auf ihren Mundwinkeln. Sie war selbst ein paar Mal dort gewesen. Zwei Mal um genau zu sein. Beim ersten Mal hatte sie sich verlaufen und beim zweiten Mal war sie dort mit Absicht gewesen. Sie hatte dort eine Inspiration für ihre Bilder gesucht. Weswegen sie die Behauptung Jins nur bestätigen konnte. Außerdem waren die Randbezirke, wie sie bereits sagte, an den meisten Stellen schöner als so mancher Bereich in der Innenstadt. Trotzdem war der Weg dorthin immer sehr weit. Ein Grund, warum die Engelin nie wirkliche Lust gehabt hatte wieder dorthin zu gehen. "...ich hoffe die Zeit vergeht für dich schnell genug...", versuchte Shiina ihn direkt nach seiner zwiegespaltenen Nachricht mit dem einzig ins Waisenhaus zu ermutigen. Versank aber danach sofort wieder in Stille, als das Halbwesen sie direkt fragte, ob sie ebenfalls eines dieser übernatürlichen Wesen sei. Ohne etwas Weiteres zu sagen schaute Shiina weg von ihm und empor in Richtung des Mondes. Dort verweilte sie dann ein paar Minuten. Auch, wenn man jetzt den Eindruck bekommen könnte, sie wäre sauer - oder beleidigt gewesen. Dem war bei weitem nicht so. Sie dachte lediglich darüber nach. Etwas das sie nicht tun würde, wenn Jin sie nicht aus ihrem exzentrischen Zustand teilweise gelöst hätte. Wortlos stand die Blondine nun vom Rand des Brunnens auf und stellte sich direkt vor den Jinouga. "...ja, bin ich...", meinte sie und schaute ihm direkt in seine gelben Augen. Wie aus dem nichts erschienen hinten aus ihrem Rücken erst ein paar weiße Stummel, dann ging alles ganz plötzlich. Von einem Moment auf den anderen klappten links und rechts von ihr zwei wunderschöne Flügelpaare heraus, welche in einem angewinkelten Zustand verweilten. Sie waren ungefähr so groß wie sie selbst und leuchteten in einem reinen weiß. Des Weiteren ging von ihnen ein leichter, heller Schimmer aus. "...ich bin ein Engel...", erklärte Shiina ihm mit ihrer sanften Stimme. Fragte aber zur Sicherheit noch einmal nach. "...weißt du was das ist?...". Die Hände vor ihrem Bauch übereinander gelegt, verweilte sie nun stehend vor Jin und ließ diesen ihre neue Form betrachten. Eigentlich hatte sich ja, bis auf die Flügel, nicht viel geändert. Aber wer weiß ob er schon einmal Kontakt zu so einem Wesen gehabt hat?