Ivy war eigentlich in der Bibliothek gewesen, um ein wenig für den Unterricht zu lernen, doch plötzlich hatte sie ein Buch gefunden, indem von einer Legende die rede war. Erst dachte sie sich, dass Legenden doch sowieso nur blödes Gerede waren, doch dann erkannte sie die Stelle. Die war ja direkt in der Nähe gewesen! Einen Moment lang zögerte sie, aber dann beschloss Ivy einfach mal raus zu gehen. Sie liebte sowieso die Natur und sie hatte nun lange genug in der ruhigen langweiligen Bibliothek rumgehangen. Selbst wenn sie keine Spuren von der Legende finden würde, war es immer noch ein schöner Ort in der Natur.
Sie machte sich also auf und nach einer Weile war sie bereits da. Überwältigt von den großen Steinruinen staunte sie erst einmal nicht schlecht. Wunderschön! Langsam sog sie die frische Luft ein und ging dann ein wenig um die Ruinen herum. Plötzlich bemerkte sie etwas im Augenwinkel und sie stockte. Hallo? Ist da wer? fragte sie nun doch ein wenig ängstlich. So ganz alleine fühlte sie sich dann plötzlich doch nicht mehr so sicher. Wieder war da etwas in ihrem Augenwinkel! Schnell drehte sie den Kopf und sah etwas hinter der nächsten Wand verschwinden. OK! Das wars! Sie würde ganz schnell die Biege machen! Ein wenig panisch drehte sie sich um und lief schnell den Weg wieder heraus.
Die verlassene und lässt vergessene Ruine erstreckte sich vor Mikhail. Der wolkenverhangene Nachmittag passte dabei perfekt ins Bild und setzte dem Ganzen das i-Tüpfelchen auf. Da hatte der Werwolf sich wirklich den richtigen Tag ausgesucht, um diese Stätte abzulichten. Er richtete die Linse seiner kompakten Kamera auf einen steinernen Torbogen, der bessere Zeiten gesehen hatte, aber überraschenderweise noch vollkommen intakt war. Kein besonderes Motiv. Nichts, womit man einen Fotowettbewerb für sich entscheiden würde, aber die Art, wie das Efeu um den Stein wuchs und dadurch einen Kontrast zwischen Uraltem und Lebendigem erzeugte, war irgendwie schön. Mike kaufte sich seine Gedankengänge manchmal selbst nicht ab. Da faselte er tatsächlich wie ein in die Jahre gekommener Kunstprofessor. „Gut, dass niemand hier ist“, murmelte er auf Russisch zu sich selbst, als er den Auslöser drückte. Fotografie war schließlich nicht unbedingt das coolste Hobby von allen und eigentlich so gar nicht passend zu seiner hitzköpfigen Natur. Mit leicht herausguckender Zunge begutachtete er die Fotos. Gut, aber noch nicht perfekt. Zufrieden war er noch nicht, also ging Mike weiter, tiefer in die Steinruine hinein, als er erst Schritte und daraufhin einen bekannten Geruch wahrnahm. Bloß konnte er den Geruch partout nicht zuordnen. Eine Mitschülerin? Eine alte Bekannte? Nein, er assoziierte den Geruch definitiv mit der Schule hier. Die Kamera hielt er an der Schlaufe und ließ sie locker runterbaumeln, während er sich umsah. Wie hoch standen die Chancen, dass noch jemand an diesem tristen Tag in dieser gottverlassenen Ruine herumlungerte? Richtig, nicht sehr hoch. Erst als er die Mädchenstimme vernahm, ploppte ein passender Name in seinem Gehirn auf. Die Stimme klang, wie die des Mädchens, mit dem er vor ein paar Tagen dieses Klassenzimmer putzen musste. Ivy — da war er sich ziemlich sicher. Gerade, als er hinter einer halbverfallenen Mauer verschwand, hörte er, wie die Schritte in Richtung Ausgang trabten und sich damit immer weiter entfernten. Zunächst verwirrt, setzte er rasch die Verfolgung auf, was nicht besonders schwer war. Sie waren immerhin die einzigen Menschen hier und ihr Geruch damit recht dominant. Aus seinem lockeren Joggen wurde ein schneller Lauf, wobei er den eisblauen Schopf, auf den er inzwischen eine recht freie Sicht hatte, nicht aus den Augen ließ. Kurz vor dem Ausgang der Steinruine, hatte Mike sich hinter eine Mauer geschlichen, um auf Ivy zu warten. Mit einem lauten „BUH!“ sprang er aus seinem Versteck, direkt vor die Füße des Mädchens, die Arme erhoben und mit einem höchst amüsierten Grinsen auf den Lippen.
Ivy lief immer weiter zum Ausgang. Es machte ihr unheimlich Angst. Der Himmel. Dieses Ding und dann - plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Wer war da? Was wollte er von ihr? Sie wurde immer schneller und als sie dann hinter einer Wand hervor lief, sprang jemand hervor, den sie erst nicht erkannte. Laut vor Panik und Angst schrie sie auf und ging ein paar Schritte zurück, sodass sie über ihre eigene Füßen stolperte und dann schließlich auf dem Hintern landete. Ihr Herz klopfte bis zum Hals und vor Schreck und Angst hatte sie tatsächlich ein paar Tränen in den Augen. Doch dann erkannte sie Mike. Erleichterung war zu sehen, doch der Schreck saß noch tief. Beschämt von ihrer Angst drehte sie schnell den Kopf weg und wischte sich die Tränen weg. Ach Mike, du bists! sagte sie mit zittriger Stimme und zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht. Normalerweise war sie immer für einen Spaß zu haben, doch dieses Mal hatte sie wirklich richtig Angst gehabt. Sicherlich würde sie in einigen Minuten darüber lachen können, doch nun saß der Schreck noch tief und sie versuchte sich etwas zu beruhigen. Ihr Körper zitterte und verlegen spielte sie sich ein wenig an den Haaren herum. Das war ihr so peinlich gewesen!
Der Werwolf hatte keine Ahnung gehabt, dass er sie wirklich so sehr erschrecken würde. Für ihn war das ein lustiges Fangspiel gewesen. Aber er hatte das Mädchen schließlich auch als Ivy erkannt. Im Gegensatz dazu schien sie keinen Schimmer gehabt zu haben, wer ihr auf den Fersen gewesen war. Seine Aktion bereute er jetzt ein wenig, auch, wenn ihr Gesicht absolut unbezahlbar war. „Hey, hey“, versuchte er sie unbeholfen zu beruhigen, nachdem sie einen Schrei, der beinahe die Ruine erschütterte, von sich gab. Als Mike die Tränen in ihren Augen sah, verzog er peinlich berührt das Gesicht und kratzte sich unschlüssig an der Wange. Das hatte er ja nun wirklich nicht gewollt. Zumal ihre erste Begegnung im Klassenzimmer ähnlich ungeschickt begonnen hatte (man erinnere sich an den Blumentopf). So langsam würde Mikhail an ihrer Stelle denken, dass er ihr nach dem Leben trachtete. „Sorry, ey, ich wollt dich nicht erschrecken. Also, schon, aber nicht so sehr“, erklärte er, ein wenig stotternd, weil auch er nun etwas mit der Verlegenheit kämpfte. Schließlich ging er in die Hocke, um nicht weiterhin auf Ivy herabsehen zu müssen. War zwar schön einmal der Größere zu sein, aber fühlte sich komisch an, während sie da so auf dem Boden kauerte. „Was machst du denn hier?“, wechselte er prompt das Thema. Die Frage danach, ob sie sich etwas getan hatte oder ob es ihr gut ging, ließ er dabei aus. Ein Gentleman hätte ihr wahrscheinlich hochgeholfen und sich zuerst nach ihrem Befinden erkundigt, doch solche Kleinigkeiten entfielen dem Teenager oft. Außerdem interessierte er sich mehr dafür, was Ivy zu einer verlassenen Ruine trieb. Sein Motiv schien ja relativ ersichtlich zu sein, anhand der Kamera, die er locker zwischen den Fingern hielt.
Ivy saß auf dem Boden und hatte kurz den Blick von Mike gewandt, aber so wie die Atmosphäre sich änderte, war es ihm nun auch unangenehm gewesen. Naja war ja logisch, denn Ivy hatte nicht das Gefühl, dass Mike sie so sehr hätte erschrecken wollen und natürlich gab sie ihm dafür keine Schuld. Er wollte nur einen kleinen Spaß machen. Der erste Schreck war so langsam weg und die Farbe in ihrem Gesicht kam auch schon wieder. Alles gut. sagte sie lächelnd. Du hast mich halt richtig gut erwischt. musste sie zugeben. Abstreiten wäre ja auch absolut sinnfrei gewesen. Ich muss sagen, das war wirklich gut gemacht! Sich immer so zwischen den Mauern zu schleichen, dass ich dich im Augenwinkel sehen konnte! sagte sie, aber eher im lobenden Sinne. Mike war anscheinend ein Meister im Erschrecken! Der Schrecken war nun fast vollständig weg und Ivy war wieder fröhlich und gut drauf. Immerhin war sie nun nicht mehr alleine und ihr Begleiter war ein ziemlich netter, gutaussehender Kerl. Auch war sie froh, dass Mike nun das Thema wechselte. Sie wollte allerdings nicht als eine abergläubische verrückte Person gesehen werden, deswegen verdrehte sie ein wenig die Wahrheit. Ich war in der Bibliothek und hab ein Buch über Sehenswürdigkeiten in der Nähe gefunden. Und dieser Ort schien ganz schön zu sein. Sie grinste, dann fiel ihr seine Kamera auf. Beim nächsten Motiv würde sie zurückärgern und eine Fotobomb machen. Bei dem Gedanken musste sie noch mehr grinsen. Und du spielst Fotograf? Dann machte sie ein gespielt schockiertes Gesicht. Oder bist du ein Stalker? Sie kicherte.
Zum Glück kippte sie ihm hier nicht komplett aus den Latschen und wurde ohnmächtig oder so. Dann hätte er nämlich schon ein größeres Problem gehabt. Aber nein, ihr Gesichtsausdruck normalisierte sich wieder, genau wie ihre Laune. Er hatte schon kurz gedacht, dass sie ihm dieses Mal wirklich böse sein würde. Auch seine Verlegenheit legte sich wieder, sodass auf Ivys lobende Worte hin kurz ein selbstzufriedenes Grinsen auf seine Züge trat. „Jahrelange Übung“, gab er zurück. Dass sie wiederum ein ziemlich leichtes Opfer gewesen war und die Gegebenheiten hier zu seinen Gunsten gelegen hatten, erwähnte er lieber nicht. Man musste ja kein Salz in die Wunde streuen, da wo sich die Stimmung gerade wieder zum Positiven wandte. Während Ivy ihm mitteilte, was sie hier überhaupt trieb, richtete Mike sich wieder auf und hielt dem Mädchen schließlich auffordernd die freie Hand hin. Sie mussten ja nicht ewig auf dem kalten Boden hocken, obwohl es auch mal ganz angenehm war, auf Augenhöhe mit jemandem zu sein, der normalerweise etwas größer war. Wo blieb sein langersehnter Wachstumsschub bloß?
Dass sie den ganzen Weg hierhergekommen war, nur, um sich eine alte Ruine anzuschauen, kam Mikhail irgendwie skurril vor, aber jedem das seine. „Weiß nicht, ob ich das als Sehenswürdigkeit bezeichnen würde. Gibt irgendwie nicht so viel … zu sehen“, erwiderte er nachdenklich und zuckte leicht mit den Schultern, während er den Blick kurz schweifen ließ. Tatsächlich hatte er etwas mehr erwartet, als in sich zusammenfallende Mauern, aber was hatte er bei einer Steinruine bitte anderes erwartet? Er, ein Stalker? Mike grinste schief. „Als ob! Dann wär ich ja der mieseste Stalker der Welt.“ Er ließ seine Kamera ein wenig hin und her schwingen, wie ein Yo-Yo. „Näh, ich mach nur Fotos für ein Schulprojekt. Kunstunterricht und so, weißte?“ Als würde er zugeben, dass er freiwillig hier war, um in seiner Freizeit Fotos einer Ruine zu machen. Genau! „Ich brauch noch ‘n paar Motive. Kommste mit? Ich beschütz dich auch, wenn ‘n echter Stalker auftaucht“, grinste er, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. Er hatte zwar gern seine Ruhe beim Fotografieren, aber zu zweit wär’s vielleicht lustiger.
Ivy war froh darüber, dass nun auch Mike wieder normal war. Keine Verlegenheit, keine komische Atmosphäre mehr, super! Fröhlich nahm sie seine Hand und stand somit mit seiner Hilfe wieder auf. Warum sollten sie auch noch weiter auf dem staubigen Boden hocken? Vielen Dank. sagte sie und klopfte ihr Kleid ein bisschen vom Staub ab, doch sobald sie sich umgedreht hatte, konnte man sehen, dass ihr ganzer Hintern noch voller Staub war. Jahrelange Übung? Sie grinste. Dafür war es aber dann doch nicht so gut. Ärgerte sie ihn spielerisch und ging ein paar Schritte aus der Ruine raus. Sie drehte sich zu ihm und und plötzlich sah sie wieder was, hinter Mike, hinter einer Wand verschwinden. Verwirrt schaute sie an Mike vorbei und ihr Mund öffnete sich kurz, dann aber schüttelte sie den Kopf und grinste wieder. Sie hatte sich das bestimmt nur eingebildet. Komisches Wetter, komische Ruinen. Ja irgendwie dachte ich auch, dass es hier irgendwie ein wenig... magischer wäre. gab sie zu und berührte eine kalte alte Wand. Da spürte sie gar nichts drin. Sie lachte. Auch ein schlechter Stalker, ist ein Stalker! Sie boxte ihm leicht gegen die Schulter. Kunstprojekt also? Soso. Hatten sie überhaupt Kunst gehabt? Kurz überlegte sie und zuckte dann mit den Schultern. Wenn es ihm peinlich war, dann würde sie sicherlich nicht noch weiter darin rumstochern. Du wirst mich beschützen? Oh na dann komm ich auf jeden Fall mit! Sie grinste und streckte ihm die Zunge heraus. Du Held! Allerdings war sie doch ganz froh darüber, dass sie nun nicht mehr alleine war. Irgendwie war es hier doch ein wenig unheimlich gewesen.
Er musterte Ivy einmal von oben bis unten, nachdem sie seine Hilfe angenommen und sich aufgerappelt hatte. Ein Kleid wäre nicht seine erste Wahl bei einem Ausflug in eine alte Steinruine, aber er wusste auch nicht, wie Mädchen tickten. „Kein Ding.“ Sollte er ihr sagen, dass sich noch Staub an ihrem Poppes befand? Mike zog es kurz in Erwägung, entschied sich dann aber dagegen, bevor sie ihm noch vorwarf, dass er ihren Hintern angaffte. Irgendwie tat er das zwar auch, aber nur, weil der Dreck die Aufmerksamkeit des Werwolfs auf sich zog. Ganz bestimmt! Bevor seine Gedanken drohten weiterhin um Ivys Po zu kreisen, musste er ihrer frechen Aussage die Stirn bieten. „Pfff, dein Gesicht hat gerade aber was anderes gesagt.“ Und ihr Schrei. Aber er wollte nicht zu viel Salz in die Wunde streuen, wo sich die etwas betretene Stimmung gerade wieder gelegt hatte. „Is‘ was?“ Reflexartig drehte er seinen Oberkörper ebenfalls herum, um Ivys Blick zu folgen, doch hinter ihm herrschte, mit Ausnahme von alten Mauern und Geröll, gähnende Leere. Wollte sie ihn jetzt etwa auch drankriegen? Dann müsste sie sich aber mehr Mühe geben. Trotzdem sollte er auf der Hut bleiben, falls sie etwas ausheckte. Er drehte sich wieder der Blauhaarigen zu, die seine Meinung über die Ruine teilte. Der Burner war die wirklich nicht. „Vielleicht gibt’s weiter drinnen was Cooles zu sehen“, merkte er trotzdem an. In Spielen musste man schließlich auch tiefer in den Dungeon vordringen, bevor man den Schatz fand. Ihr freundschaftliches Knuffen ließ Mike wortlos über sich ergehen, war vielleicht sogar ein bisschen stolz darauf, dass Ivy ihn so vertraut behandelte, obwohl sie sich kaum kannten. Das war er überhaupt nicht mehr gewohnt. „Dann lass mal losgehen.“ Grinsend setzte er sich in Bewegung, achtete jedoch darauf nicht voraus zu hechten, sondern schön neben Ivy zu laufen. Dafür, dass sie eben noch so panisch gewesen war, war sie jetzt ganz schön frech. Aber Mikhail sollte das recht sein. Besser so, als wenn sie in Tränen aufgelöst wäre.
Mike schaltete seine Kamera wieder ein und schaute seine letzten Schnappschüsse durch, während sie sich tiefer in die Ruine wagten. Als er bei einem bestimmten Foto angelangte, blieb er abrupt stehen und runzelte die Stirn. Dann hielt er seine Kamera Ivy hin, sodass sie das Display sehen konnte. „Seh nur ich das oder siehst du da auch so ein komisches—Leuchten? Ich hatte das noch nie bei einem Foto. Von der Sonne kann’s ja auch nicht kommen bei dem Himmel.“ Mike zoomte näher an das Glühen heran. Es sah ein bisschen aus wie ein Glühwürmchen, aber das Licht hatte eher einen rosafarbenen Schimmer. „Voll seltsam, ey …“ Vielleicht hatte seine Kamera doch nur einen Sprung?
Ivy schaute nur verlegen auf den Boden, als Mike wieder erwähnte, dass ihr Gesicht aber etwas ganz anderes gesagt hatte. Es war ihr jetzt nicht mehr so unangenehm gewesen, wie vor ein paar Minuten noch, aber trotzdem war es ihr noch ein wenig peinlich gewesen. Sie würde die Sache einfach noch ein bisschen ruhen lassen, bis sie wirklich über sich selbst lachen konnte.
Als Mike dann sich umdrehte zu dem Licht, welches Ivy kurz gesehen hatte, grinste sie ihn nur doof an. Er würde ihr sicherlich eh nicht glauben, was sie gesehen hatte, deshalb entschied sie einfach so zu tun, als würde sie ihn ein wenig ärgern würde. Ach nichts.
Schließlich stimmte sie Mike zu und folgte ihm weiter rein in die Ruine. Wenn sie nicht mehr alleine war, traute sie sich nun auch deutlich mehr. Dennoch blieb sie relativ nah bei Mike und versteckte sich so ein wenig hinter ihm, dennoch eher dezent. Sie lehnte sich zu ihm rüber, als er seine Kamera durchguckte. Nicht schlecht. sagte sie anerkennend zu seinen Bildern und lächelte ihm zu. Allerdings hatte er dann auf einem Bild das Leuchten fotografiert, welches sie schon die ganze Zeit gesehen hatte. Einen Moment überlegte sie dann, es ihm vielleicht doch zu erzählen, doch sie zögerte. Aus Reflex schaute sie nach hinten und sah direkt wieder das Leuchten hinter einer Wand verschwinden. Verwirrt griff sie nach Mikes Hand. Da war es wieder! sagte sie verwirrt und zeigte mit dem Finger auf die Wand, hinter der es verschwunden ist.
Entweder es kam ihm nur so vor oder Ivy wurde tatsächlich etwas nervöser, je weiter sie in die Ruine voranschritten. Nach seinem plötzlichen Überfall konnte Mike es ihr nicht wirklich verübeln und die Tatsache, dass sie ihn hier vielleicht als so etwas, wie ihren Beschützer, ansah, störte ihn nicht im Geringsten. Oder es war nur Wunschdenken von ihm. Trotzdem lief er betont aufrecht (um sich dadurch vielleicht ein paar Zentimeter größer zu mogeln) und bestimmt neben Ivy her. Ihr Lob beschleunigte seinen Puls ein klein wenig. Wahrscheinlich trug auch die Verlegenheit dazu bei, dass sein Herz schneller hüpfte. Von seinem geheimen Hobby wusste keiner und seine Fotos zeigte Mike eigentlich niemandem. „Wird wohl für ‘ne Drei reichen“, wies er ihr Kompliment trotz alledem zurück. Wenn er schon log, dann sollte er auch richtig lügen und dabei bleiben, dass die Fotos nur für den Kunstkurs waren. Er wartete darauf, dass Ivy etwas zu dem Leuchten sagte, doch je länger sie ihn anschwieg, desto dümmer kam er sich dabei vor, es überhaupt erwähnt zu haben. Wahrscheinlich war es nur ein Lichtreflex, den seine Kamera irgendwie ungünstig eingefangen hatte. „Ach, egal, das—“, setzte er an und wählte im Menü schon die Option „Foto löschen“ aus, als Ivy plötzlich seine Hand nahm und auf irgendetwas zeigte. Die Geste überraschte ihn mehr, als ihr Ausruf, aber er zog seine Hand vorerst nicht zurück. Wahrscheinlich war es nur ein auffordernder Händedruck, nach dem Motto: Komm mit, da ist etwas! Mike schaltete seine Kamera aus und verstaute sie in seiner hinteren Hosentasche, sodass sie der Sache nachgehen konnten. „Was denn?“, fragte er schließlich, nachdem er sich geräusperte hatte. Er konnte weder etwas sehen noch riechen, egal, wie sehr er sich konzentrierte. „Ivy, wenn du mich jetzt verarschst, wirst du das bereuen“, drohte er ihr grinsend, lief aber langsam, mit der Blauhaarigen an der Hand, auf die Mauer zu. Was sollte da sein? Er konnte sich nicht vorstellen, dass hier irgendwas anderes rumlief außer Krabbelviecher und vielleicht Mäuse, die sich hier eingerichtet hatten. Aber deren Geruch würde der Werwolf eigentlich wahrnehmen ...
