An einem kleinen Teil der großen Grünflächen hat sich ein junges Mädchen die Mühe gemacht, eine Gedenkstätte für die Opfer der Angriffe durch die Lykantropen zu erschließen. Bei den vielen geschnitzten Kreuzen aus Holz, die in den fruchtbaren Boden eingelassen sind handelt es sich lediglich um Kenotaphe, da viele der leblosen Körper nicht mehr aufgefunden wurden. Ein paar wenige wurden von ihren Familien am Friedhof bestattet. Über den Verbleib der anderen paar wissen die Isolaner auch nicht Bescheid. Darum wurde dieser Ort ins Leben gerufen, um den Opfern der Angriffe zu gedenken. An einem kleinen, überdachten Tischchen befinden sich sowohl fertig geschnitzte Kreuze als auch unverarbeitetes Holz für jene, die es selbst tun möchten. Mit einem Lackstift oder einer Ritzung kann man den Namen seines oder seiner Liebsten im Kreuz verewigen. Hier und da scheint zwischen den Kreuzen auch kunstvolle Schnitzerei auf, die man einzelnen Opfern gewidmet hat. Der Ort strahlt eine bedrückende Stille aus und wird von allen Isolanern respektvoll behandelt.
Ivy war einfach von der Tür des Krankenzimmers los gerannt und hatte einfach auf ihre Füße vertraut, wo die sie hinbringen würde. Vielleicht war das Rennen für ihren Fuß nicht gerade ideal, doch das war ihr in diesem Moment total egal. Sie wollte schnell weg von allen und alleine sein.
Als sie ihren Blick vom Boden nahm war es eigentlich keine Überraschung wo sie nun gelandet war. Bei der Gedenkstätte für die Werwolfsopfer. Sie ging langsam über die Blumenwiese zu den hölzernen Kreuzen und versuchte sich ihre Tränen wegzuwischen, die allerdings immer wieder viel zu schnell nachliefen. Während sie über die Wiese lief, pflückte sie ein paar hübsche Blumen und kniete sich dann vor ein Kreuz nieder. Langsam legte sie die Blumen vor das Kreuz und dann fing sie laut an zu schluchzen und zu weinen. So ging das eine ganze Weile...
Itsu folgte stumpf dem einen Gefühl welches ihn zuvor im Zimmer aufgekommen war. ”Kreuze, Kreuze, Kreuze…”, rief er sich ständig in sein Gedächtnis zurück, wie eine endlose Schleife, während er seinen Blick über die Grünflächen im Außenbereich des Wohnheims gleiten ließ. An einem Punkt blieb er dann hängen. Ein kleiner Bereich der Grünfläche fokussierte sein Auge. Mehrere Kreuze erhoben sich aus dem fruchtbaren, mit Blumen befleckten, Grün. Er ging einem kleinen Weg entlang den, wie er dachte, anscheinend schon mehrere Personen betreten hatten um, die sich wenige Meter vor ihm ragenden, Kreuze zu besuchen.
Er ging langsam diesen Weg entlang. Er spürte das dieser Ort nicht dafür bestimmt war mit Hatz und Unbedacht betreten zu werden. Er schaute immer wieder auf die, sich langsam an ihm vorbeiziehenden Kreuze, zu begutachten. Auf allen waren Schnitzereien und Namen eingraviert oder geschrieben. ”Irgendetwas war anscheinend vor kurzem hier auf dieser Insel passiert. stellte er Gedanklich fest, da die Kreuze so gut wie noch keine Altersschwächen aufwiesen und viele noch relativ frisch waren. Plötzlich, als er recht weit mittig war, vernahm er das Geräusch einer schluchzenden Person. Er schaute sich direkt nach der Geräuschquelle und die dafür verantwortliche Person um, bis er hinter einem Kreuz ein weißhaariges Mädchen entdeckte. Sie war ungefähr in seinem Alter. Sie hockte vor einem Kreuz wo sie anscheinend frisch gepflückte Blumen von der Wiese gelegt hatte. Er erinnerte sich an das Bild, was er zuvor, vor seinem inneren Auge gesehen hatte. Es passte wie ein Garnfaden ins Nadelöhr.
Mit Bedacht sie nicht bei ihrer Trauer zu stören setzte er sich, nicht weit entfernt auf eine Bank. Doch als er sich setzte knarrte die Bank ungewollt. Sie schien nicht sonderlich oft benutzt worden zu sein, was das Holz anscheinend Spröde gemacht hatte. Er biss die Zähne aufeinander, da er nicht unbedingt Aufmerksamkeit erzeugen wollte, obwohl er am liebsten jetzt zu der, doch recht hübschen, Weißhaarigen gegangen wäre um sie zu trösten. Doch an so einem Ort war das, seiner Meinung nach, nicht angebracht. Der Ort war zum Trauern nicht um persönlichen Frust auszulassen.
Ivy kniete vor dem Kreuz und bedauerte ihren Verlust. Warum musste es denn unbedingt Jaden treffen? Sie weinte und hatte den Blick zu Boden gesenkt. Sie war froh gewesen, endlich mal alleine zu sein. Kein Jacob und kein Arzt, die sicherlich nur helfen wollten, aber sie musste einfach nur in Ruhe trauern. Zumindestens hoffte sie das.
Sie dachte einen Moment an die schönen Zeiten mit Jaden. Ihr erstes Treffen und dann ihr gemeinsamer Flug durch den wunderschönen Himmel, der leider nicht so gut ausging. Sie musste kurz grinsen, als sie an die Situation im Bad dachte und den Kuss. Nun strömten die Tränen heftiger und sie schluchzte lauter. Sie würde ihn so vermissen.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch und sie schaute sich um, da hatte sich doch tatsächlich jemand - mitten im Nirgendwo - auf eine Band in ihrer Nähe gesetzt. Sofort versuchte sie sich zu fangen und die Tränen wegzuwischen, was im ersten Moment schwierig erschien, da immer wieder neue Tränen nachliefen. Sie wandte den Blick von ihrem Mitmenschen ab und stand dann auf. Diese Situation war ihr mehr als unangenehm gewesen. Sie hatte gedacht sie wäre allein und deshalb hat sie sich einfach der Trauer hingegeben, doch nun war jemand da, der sie beobachtet hatte. Wie seltsam. Einen Moment hatte sie sich überlegt, ob sie einfach gehen sollte, doch das wäre sicherlich unhöflich gewesen. Allerdings war es auch nicht sehr höflich sie hier zu beobachten. Sie versuchte sich zu beruhigen und atmete einige Male tief ein und aus. Sie wusch sich ihre letzten Tränen weg und schaute dann traurig auf das Kreuz. Eigentlich hatte sie keine Lust mit jemandem zu reden. Mehr als ein halb fröhliches Lächeln brachte sie nicht zu ihrem Unbekannten Anwesenden.
Er versuchte sie nicht zu beachtet schaute sich ein wenig um als würde er die Landschaft begutachten. Doch merkte er schnell, als die Person aufstand und sie ihm rüber schaute, dass er schon längst aufgeflogen war. “Ich...nein....ich wollte dich nicht beobachten beziehungsweise nicht gewollt!” Er verhaspelte sich beim Sprechen. Er redete mal wieder schneller als er dachte. Passiert andauernd, wenn er bei etwas erwischt wird. Doch als er merkte das, dass lächeln was sie ihr entflog nicht grade gewollt war. Er merkte schnell das die Trauer die in ihrer Seele festsitzt, sehr tief saß. ”Was soll ich denn jetzt nur machen. Sie wollte bestimmt alleine sein.” dachte er sich und lächelte, um nicht unhöflich zu sein, zurück.
Was mache er nun, schoss ihm in einem Affenzahn durch seinen Kopf bis er zu einem Entschluss kam was er bei Bekannten gesehen hatte die das Grab seines Vaters besuchten als er trauerte. Er ging auf sie zu, darauf bedacht nichts umzuschmeißen, zu stolpern oder sonstige peinliche Dinge anzustellen. Als er schließlich bei ihr ankam, schaute er auf das Kreuz und dann auf den kleinen Strauß Blumen. Er schaute sich um, darauf bedacht eventuell eine schöne Blume zu finden die er danebenlegen konnte, um sein Mitgefühl ausdrücken zu können. Doch keiner der Umliegenden Blumen gefielen ihm. ”Ok dann habe ich keine andere Wahl.” Mit diesem Gedanken zog er sich seine Handschuhe aus, formte diese zu einem Trichter und pustete hinein. Eine kleine Eisblume, ein Vergissmeinnicht, das Zeichen des Abschiedes und Erinnerung. Er legte diese kleine Eisblume neben den ihren, blieb einen Moment knien und richtete sich ohne ein Wort zu sagen wieder auf. An so einem Ort hatte man nicht viel zu sagen. Gesten und Blicke genügten um eine Person sein Mitgefühl zu zeigen. Er schaute sie mit einem ruhigen lächeln und einer kleinen Nickenden Geste an. “Ich muss mich entschuldigen, dafür das ich dich gestört habe.”, versuchte er sich leise zu entschuldigen.
Ivy sah den Unbekannten ein wenig verwirrt an, als dieser so schnell zu sprechen begann. Er hatte sie wohl nicht stören wollen, was ja eigentlich ein gutes Zeichen gewesen war, doch er hatte es getan. Sie versuchte sich weiterhin zu beruhigen und nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen.
Allerdings fiel ihr das noch schwerer, als der Unbekannte eine wunderschöne Blume aus Eis zauberte und sie neben Jadens Grab legte. Sie musste noch einmal schluchzen, bei dem Anblick des Vergissmeinnicht und drehte sich dann etwas weg, da sie nicht wollte, wie er sie weinen sah. Sie wischte sich wieder ihre Tränen weg und schaute dann zum Unbekannten und lächelte ein wenig freundlicher. Ist ok. Dieser Ort ist ja für alle da. sagte sie freundlich und schaute dann auf das Grab. Er war mein Freund und wurde bei dem Werwolfsangriff getötet. Sagte sie traurig. Ich habe es heute erst erfahren. sagte sie dann und musste sich wieder ein paar Tränen unterdrücken. Dieses Mal gelang es ihr aber nicht sehr gut und wieder flossen ein paar Tränen. Tut mir leid. Schluchzte sie und es nervte sie selber ein wenig, dass sie sich einfach nicht im Griff hatte und nicht aufhören konnte zu weinen. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht.
Nach einer Weile wurde es ziemlich dunkel und Ivy schaute kurz hoch. Tut mir leid, aber ich muss nun weg. sagte sie leise und wusch sich ihre letzten Tränen weg. Sie wollte nicht überrötet in ihrem Zimmer ankommen, wenn vielleicht schon ihre Mitbewohnerinnen da waren.