Im Parterre des Wohnheimes liegt an einer ruhigen Ecke ein Raum aus dem man schon ohne die Tür zu öffnen Farbe riechen kann. Es ist das Atelier des Gebäudes. Eingerichtet für jene, die so kunstbegeistert sind, dass sie sich nicht in die Schule begeben müssen um ihrem ach so geliebten Hobby nachzugehen. Wenn man den Raum betritt, eröffnet sich einem ein recht gewohnter Anblick. Ein einigermaßen geräumiges Zimmer mit einem antik aussehenden Tisch zum Zeichnen, einem weiteren für Malutensilien aller Art, einem kleinen Bücherschrank und zwei Staffeleien. Das Fenster ist sehr lichtdurchlässig und taucht den ganzen Raum in ein freundliches Ambiente. Bei Bedarf kann man aber auch die weißen Vorhänge benutzen um den Raum abzudunkeln. Obwohl der Raum öffentlich zugänglich ist, fand er bei den meisten Bewohnern bis jetzt wenig bis gar keine Verwendung.
Das kühle Licht des Mondes schien regelrecht herein, doch mied in einer gewissen Weise Momoi um knappe Zentimeter. Das Licht welches ihren Fuß berührte schien keinerlei Wärme von sich zu geben. Es sollte wohl einfach nur hell sein und der Nacht einen gewissen Reiz geben. Oft dachte sie darüber nach, welcher höher gestellte Sinn sich in dem gesamten verborgen hielt. Warum waren Tag und Nacht so voneinander abhängig gewesen und wieso mussten sie ihre Rollen tauschen? War der Tag der Nacht so zu wieder? Sie schmunzelte und selbst im Halbschlaf bemerkte sie, wie lächerlich das alles zu klingen schien. Ihre Gedanken sollten sich leeren und sie sollte wieder in eine Isolation fallen. Es schein einfach ein Fehler gewesen zu sein herzukommen. ".. Müde?", fragte sie verschlafen und neigte ihren Kopf sanft zu Shiina herüber. Es wirkte schon wie geübt. Sie saß einfach nur dort. Wie die Puppe von der sie andauernd dachte und das ihre Porgrammierung einfach so dazu gedacht war. Sie wirkte auf Momoi immer noch ziemlich einsam, fast so wie sie selbst. Doch irgendwie wusste sie, dass es genau das Gegenteil war. Sie hatte es einfach im Gefühl. "Ein wenig.., ja..", bestätigte sie die Frage der zarten Shiina und ging weiter in die bekannte embrionale Schlafhaltung. Das sich Shiina kurz darauf zu bewegen schien, bekam sie nicht wirklich mit.
Der Schweif, welcher sich an Momois Hintern gebildet hat kam zur Ruhe und lag wie ein Gartenschlauch auf dem Boden des Ateliers. Der rotschwarze Schweif war an am Ende Spitz und hatte dort wenige flügelähnliche Gliedmaßen. Würde man es anhand eines Flugzeuges vergleichen, so wären dies die kleineren Tragflächen, die zu den Steuerrudern des FLugzeuges gehören. So in etwa konnte man es sich vorstellen, dass eben auch diese Glieder, diesen gewünschten Effekt mit sich ziehen sollten. Doch hatte ja kaum jemand Momoi in ihrer neuisten Gestalt gesehen. Nur die Soldaten, die sie einst befreiten, doch die wären heute entweder tot oder so alt, dass sie sich kaum noch an sie erinnern würden. Irgendwie, so seltsam es klang, wünschte sie sich etwas für diese Männer tun zu können. Schließlich verdankt sie ihnen das Leben und nicht der Regierung. Auch wenn man in Anbetracht der Dinge, die Gewalt der Politik darin sehen müsste und das die Regierung der Vereignigten Staaten - diese Befreiungsoperation genehmigt hat, eben jener Regierung danken müsste. Doch so sehr sie sich auch bemühte irgendwie Bezug zu diesen Schlipsträgern zu bekommen, verweigerte etwas diesen Drang. Es waren schließlich die dreckigen Bauern, die Soldaten - welche nicht wusste auf was sie sich einlassen, die Momoi in ihren zerissenen Lumpen aus der Einrichtung Wolfstein befreit haben. Ihr Dank war in keinen Worten mit den Taten jener Leute aufzuwiegen.
Das sich darauf ein fröhliches und doch trauriges Lächeln auf den Lippen der Gestaltwandlerin bildete, bemerkte sie sicher. Doch galt dies nicht nur einzig und allein den Soldaten, sondern auch der Person, welche sich mit ihr hier befand. Du bist hier willkommen. Immer willkommen. Es war, ja? Es war - es war einfach etwas, bei dem Momoi am liebsten zu weinen vermochte. Wie oft, ja nur wie oft hatte sie diesen Satz bereits zu wünschen vermocht? Fünf einfache Wörter, die für einen jemanden wohl nur eine reine Höflichkeitsform gewesen sein mag, doch für Momoi eine ganz andere Welt bedeute. Tränen flossen ihr aus dem Gesicht und füllten den Boden unter ihr Dezent mit kleinen Seen. "Danke.. es bedeutet mir unglaublich viel..". Dies würde sie nie vergessen. Nie! Denn es war Shiina die diese Worte zum ersten Mal gesagt hatte. Zu einem Experiment.
Sie verglich sich oft mit der Tragödie von Frankensteins Monster. Ein Wesen, dass geschaffen wurde um die Perfektion aus allem und jeden zu sein. Doch wo hatte Perfektion ihre Grenzen? Etwa in der Form? Nein. Denn schließlich war Frankensteins Monster, so missgebildet es auch war, nicht in eine Trauer gefallen, weil es Verachtung auf sich zog - sondern, weil es niemanden gab der genauso war wie er. Und irgendwie fühlte sie sich gänzlich dieser Legende verbunden.
Eine Decke? Wie aufmerksam bemerkte sie noch, ehe sie in einen kurzen Schlaf fiel. Auch wenn sie wie eine aufgezogene Puppe wirkte, so schien sie es tatsächlich nicht gänzlich zu sein, oder? Sie sprach monoton, doch handelte irgendwie auch eigenmächtig. Danach zu fragen erschien ihr kurzer Hand sehr unfreundlich. Doch ihr Dank war Shiina sicher und auch ihre Zuneigung ihr Gegenüber wuchs. Irgendwie hoffte sie, dass Shiina sich mit ihr anfreunden könnte. Denn Freunde, hatte Momoi bislang keine.
Es war leider ein Zeugnis von Shiinas emotionaler, nicht ganz kompetenter, Wahrnehmung. Zwar hatte sie die Rosahaarige neben sich auf dem Boden, welche nun, für sie aus unerklärlichen Gründen, anfing zu weinen. Aber etwas daraus machen tat die Engelin bei weitem nicht. Zumindest nicht so, wie man es sich vielleicht erwarten würde. Es war nun einmal ein Fakt, das sich die Gedanken und Gefühle des exzentrischen Mädchens mehr durch ihre Handlungen zeigten, als durch ihre Aussagen. Auch wenn die Blondine wohl in diesem Moment alles richtig gemacht zu haben schien. Im Anflug eines kurzen Momentes, lies die Künstlerin ihre Arbeit liegen und wandte den Blick zu ihrer liegenden Besucherin, welche gerade vor Freude weinte. Ihr Kopf legte sich leicht schief und sie betrachtete das Mädchen einen kurzen Moment. Erfasste die bewässerten Augen, die roten Ränder unterhalb des Sehapparates, welche sich beinahe immer automatisch bildeten, aber kein Wort verließ die Lippen der Siebzehnjährigen. Nicht einen Mucks gab sie von sich, sondern saß dort und betrachtete sie in ruhigen und monotonen Atemzügen. Dann, im Bruchteil einer Sekunde, arbeitete sie wieder weiter an ihrem Gemälde. Die Arme bewegten sich in einem wieder sehr akkuraten Muster und erneut benetzte Farbe die Leinwand. Das Ganze wirkte vielleicht im ersten Moment etwas herzlos und – in diesem Moment wohl auch – nicht sehr mitfühlend. Doch wer die Blondine länger kannte der wusste, dass dem bei weitem nicht so war. Shiina war sehr emotional, sie Band es nur nicht jedem mit ihrer Mimik und Gestik auf die Nase.
Das sie ihre Arbeit niederlegte und Momoi eine Decke gab, schien dabei nur noch Nebensache zu sein. Die beiden, so schien es, verstanden sich auch ohne Worte. Die Malarbeit wurde wieder aufgenommen, das Geräusch des Pinsels auf der Leinwand kehrte zurück und Fabre wurde verbraucht. Währenddessen verstrichen ein paar Momente des Abends, in welchen der Mond den beiden nebeneinander positionierten und doch irgendwie einsamen Mädchen Licht spendete. Das die Rosahaarige kurz eingenickt war, zog derweil völlig an der exzentrischen Engelin vorbei. Sie hatte Momoi die Decke ja nicht ohne Grund gegeben, sie wollte doch schlafen, oder? Zumindest ging sie davon aus. Warum würde sie sonst erwähnen, dass sie müde war? Allein deswegen legte die Siebzehnjährige großen Wert darauf ihre Besucherin nicht zu stören. Ein Grund mehr, warum das Gemälde vermehrt Gestalt annahm. Man erkannte nun ganz deutlich die Züge der Farbe. Auf der einen Seite nahmen Häuser ihre Gestalt an, vereinzelt hatte sie schon das Detail der Fenster und Lichter gesetzt, während das ganze auf der Waagrecht liegenden Leinwand immer weiter zu verschwimmen schien. Man sah auf einmal nur eine Art Wüste, darüber Blau und sonst noch nichts. Man erkannte eindeutig, dass hier noch sehr viel fehlte. Aber Shiina arbeitete daran, voll und ganz in ihrer Malerei und dem wohl vielfältigsten Universum gefangen, das man sich hätte erträumen können: Ihrem eigenen Kopf. Das erkannte man vor allem daran, dass ihre Bewegungen sogar noch präziser wurden. Als wäre sie eine Maschine, schmiegte sich der Pinsel im perfekten Winkel, mit dem perfekten Druck und der perfekten Farbmischung an sein Ziel und hinterließ genau so viel Farbe wie er sollte. Das Genie in seiner Perfektion war am Arbeiten.
Doch es machte eine kleine Pause, als Shiinas Ohren Bewegung von ihrer Besucherin erfassten. Mitten in der Luft, blieb ihre Hand stehen und ihre orange-roten Augen suchten im Raum nach Momoi. Welches sich ohne Probleme auffinden ließ. „…Guten Morgen…“, sagte sie zum ersten mal wieder in ihrem sanften Tonfall und betrachtete sie einen kurzen Moment. Die Augenringe waren weitestgehend verschwunden. Nur, wer penibel darauf achtete, würde sie noch erkennen. Aber ansonsten sah nur ihre Mähne etwas zerzaust aus. Auch, wenn die Blondine das Chaos in den Haaren von Momoi schon als eine Art interessantes Muster zu sehen schien. Doch es war ein kleiner Knacks, den die Rosahaarige in diesem Moment betrachten durfte. Wie man diesen nun bewertete, blieb einem nur selbst überlassen. Kurz engten sich die Pupillen des zarten Gesichts und eine gewisse Art von Lächeln kehrte ein auf den Wangen der sonst so kühlen Malerin. „Na? Gut geschlafen?.“, war ein Kommentar welcher zwar in sanfter Stimme, aber auch in schwungvoller Tonlage mit zu dem liegenden Mädchen hinüberschwappte. Danach jedoch im Zuge eines Augenblicks wieder verschwand. Als wäre nie etwas gewesen, drehte sich die Blondine wieder ihrem Bild zu…..
Langsam öffnete die Drachin ihre verschlafenen Augen wieder. Ihr Blick wanderte zum beleuchteten Fenster hin zur Staffelei an welcher sich, zu ihrer Überraschung weiterhin die kleine Shiina befand. Sie rutschte etwas unbeholfen und noch recht verschlafen nach vorne, um einen doch besseren Blick auf die künstlerische Ader zu werden. Doch so oft es der Fall war, spielte das Schicksal in Form der kuscheligen Decke dieses Mal nicht mit. Ihre Beine waren komplett umschlungen, ihre Hose war zur Hälfte nach unten geschoben, wohl einfach aus Gewohnheit sich vor dem Schlafen gehen auszuziehen und ihre Haare lagen im Grunde auch im Weg. Alles also ein reines Debakel, welches sich wohl noch zu einem größeren Übel hätte entwickeln können. So also zwängte sie sich irgendwie aus diesen Gewebestrippen heraus und stand dann in halb heruntergelassener Hose vor Shiina. ".. Guten? Morgen?", etwas duselig schauite sie noch einmal aus dem Fenster um wirklich sicher zu gehen, dass sie den Tag nicht verschlafen hat. Würde irgendwie schlecht kommen, wenn manam ersten Schultag fehlt. Das ihr Blick dann wieder auf Shiina fiel als sie eine weitere Frage stellte, war ja offensichtlich. Sie sah ja schon recht niedlich aus. "Ja. Etwas wenig, aber ja.", antwortete sie und zog sich dann die Hose hoch. Sie zu zumachen, kam ihr dabei weniger in den Sinn und so stellte sie sich einfach neben das orange Mädchen. "Bist du fertig geworden, Shiina?", fragte sie.
Sie kniff ihr Gesicht leicht gereizt zusammen als sie mehrmals auf dem harten Boden des Ateliers umherdrehte. Wie als würde sie jemanden sagen wollen: Lass mich doch noch weiter schlafen, drehte sie sich einfach stur nach rechts. Doch so langsam breitete sich dann auf dem zarten, bleichen Nacken des Mädchens ein unangenehm, warmes Gefühl aus, dass mit der Zeit immer wieter zu nahm. Geschlagene zehn Minuten bekämpfte sie die innere Uhr, welche schon vor eben diesen zehn Minuten das Ende ihres Schlafes kennzeichnete und groß an die Glocke gehängt hat.
Momoi legte die Decke beiseite, welche sie von Shiina bekommen hatte. Sofort dachte sie zurück an die Nacht mit ihr. Es war wieder passiert. Bemerkt hatte sie es während des Wachwerdens. Ihre Augen fühlten sich schwer und unglaublich ermüdet hat. Sie hatte geweint. Wohl wieder wegen all dem. Sie schüttelte es ab und suchte ihre Hose. "Wo ist das blöde Teil denn?", fluchte sie etwas vor sich und kurze Zeit darauf beließ sie es einfach dabei und suchte vergeblich nach ihrer Bekannten innerhalb des Ateliers. Es war komisch, aber irgendwie fühlte es sich so an als würde Shiina ganz in der Nähe sein. Ausatmend und das Bild betrachtend, dass das zierliche orange haarige Mädchen malte, legte sie ihren Kopf schief. Was für eine tiefere Bedeutung könnte es denn haben?
Als sie dann doch zur Uhr hochsah, welche über der Tür hing, wurde ihr bewusst, dass es noch andere Dinge zu tun gab. Beispielsweise sich fertig für die Schule zu machen. Mit dem schwarzfarbenen Höschen tappelte sie also aus dem Atelier und versuchet auf Zehspitzen so schnell wie möglich in ihr Zimmer zu kommen. Gott, dass es bloß kein Junge mitbekommen würde, dass sie so rumrennen würde. Das würde bestimmt nicht gerade gut kommen, dadurch dass sie sich eh schon bei manchen bestimmt unbeliebt gemacht hatte.
tbc: Zimmer Nr. 104 [Dreierzimmer] - Sayiana, Shiina, Momoi