Außer den Luxuszimmern im Neutrakt ist dies der einzige Raum, welcher über einen großen Fernseher und eine ebenso breite Couch verfügt. Sollte diese mal besetzt sein, gibt es auch einen gemütlich weichen Sessel, in den man sich fallen lassen kann. Außerdem ist noch eine Spielkonsole und massig Videospiele vorhanden. Auf der anderen Seite des Raumes befindet sich ein Tisch mit Stühlen sowie eine kleine Küche mit Wasserkocher, Spüle, Herd und Kühlschrank, in dem Speisen und Getränke gekühlt werden können – vorausgesetzt man traut den Mitbewohnern. Wer kein Mobiltelefon besitzt, kann das Telefon im Wohnzimmer nutzen, um Freunde, Geliebte oder die Familie anzurufen.
Es dauerte einige Minuten bis ich aus meiner kurzzeitig, geistigen Abstinenz langsam wieder zu meinen Sinnen zurück fand. Mein Kopf dröhnte. Er pochte und fühlte sich tonnenschwer an, als wäre er kein Teil meiner zarten Gestalt. Benommen versuchte ich beide Augenlider nach oben zu schieben. Das Licht, welches durch das Fenster brach, stach mir sofort in die müden Augen und lies mich für einen Bruchteil blind wirken. "Was ..ist schon wieder .. passiert.. ", murmelte ich mit belegter Stimme und streckte meine Arme suchend nach oben aus um alsgleich zu bemerken, dass sich mein Astralkörper nicht mehr auf dem harten Holzboden befand. Wie ein umgedrehter Käfer, der gerade versuchte mit panischem Gestrample wieder auf die Beine zu kommen. "...nanu......?", lallte ich noch etwas benommen nach meiner Bruchlandung und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, welcher mich.. Moment! In seinen Armen hielt? Erschrocken über die plötzliche Körpernähe des Fremden riss ich die Augen weiter auf und starrte ihn an wie irgend so ein sonderbarer Vogel. Nicht, dass es mich je gestört hatte in fremden Armen hübscher Männer zu liegen. Doch die heutigen Umstände ließen einfach keine Liebschaften zu, zumal ich mir nach den Angriffen der letzten Tage nicht sicher war, welche Absichten der Kerl pflegte. Kurz ließ ich meinen Blick von ihm ab um den Raum zu sondieren, konnte jedoch kein unheimliches Folterwerkzeug oder derartig bösartige Gegenstände entdecken. Auch an mir selbst war alles wie zuvor. Das dünne Nachthemdchen, welches deutliche Kampfspuren trug, war noch an Ort und Stelle. Ich wandte mich ihm wieder zu, zog scharf die Luft ein und musterte ihn so finster wie ein Vampir sein Opfer, kurz bevor er ihm das Blut aus der Halsschlagader saugt. "Heee... du .. da..", setzte ich an, ".... wer zum Teufel bist du .. und was machst du da...?", führte ich meinen Satz fort. Ich versuchte sicher und mutig zu reden, aber in meiner Stimme schwang ein deutlicher Unterton der Unruhe mit. Ruhig, Kaede, ruhig.. keine Panik, der Kerl hat dir jetzt nichts getan, also wird er deine Schwäche jetzt nicht ausnutzen.. Ich versuchte meinen erneut rasenden Puls etwas herunter zu bringen. Zumindest schlug mein Herz ja noch. "... tut mir Leid .. ich hoffe ich werde dir nicht zu schwer.", murmelte ich ihm zu, denn ich machte keinerlei Anstalten mich von ihm herunter zu bewegen. Seine Hände und auch sein Körper fühlten sich so warm an. Eine Wärme, die ich den halben Winter vermisst hatte und mich daran erinnerten, wie durchgefroren ich doch eigentlich war.
Die Sonne hatte sich etwas gedreht. Das durch das Fenster kommende Licht erhellte den Raum ungemein und zeigte auch deutlich wie viel Staub und abgestandene Luft sich in diesem befand. Mich störte es wenig. Das Licht, welches die feinen Staubkörner, die kaum schwerer als die Luft waren, ließ diese auffunkeln. Mal hier und mal dort eins. Es hatte etwas von einem mystischen Wald. Nur das dies einfach kein Wald war, sondern das Wohnzimmer des Waisenhauses. Dann rührte sich etwas. Es war für mich kein schweres Rätsel gewesen was es hätte sein können. Das zarte Wesen, welches sich in meinen Armen noch befand schien aufgewacht zu sein. Ich schmunzelte als ich sie ansah und lockerte meinen Griff. Es war wohl kaum noch nötig gewesen. Sie würde auch bald ihre Kraft komplett zurück erlangen. Und das befürwortete ich in jeder Hinsicht. "Mein Name ist Roy Mustang..", antwortete ich in einem ruhigen, erzählerischen Ton und noch bevor mich ihre Worte gänzlich erreicht hatten, weshalb sie hier war, begann ich schon davon zu berichten. Ich erklärtre ihr demnach auch, dass ich nicht weiß, wieso sie gerade hier war. Zu dem gestand ich, dass ich einfach vor mich hin gedöst habe und dann durch einen lauten Knall aufgewacht bin. "Zu schwer bist du nicht wirklich.", begann ich zu sprechen und erhob mich mit ihr in den Armen. Es hatte etwas beruhigendes an sich, etwas anzuheben, dass einem gerade als Ausgleich diente. Jedoch konnte ich nicht wirklich sagen, weshalb gerade sie so auf mich wirkte. Vielleicht war es auch einfach die fehlende Nähe zu anderen Menschen, anderen Wesen, welche ich nun nicht mehr gezielt suchte. Denn sie suchten mich.. So also drehte ich mich schwungvoll herum und plazierte sie auf dem Platz an dem ich gerade noch saß. Er war durch meine Körpertemperatur vorgewärmt gewesen und als ich sie so ansah, dachte ich mich auch, dass sie gerade etwas wärmeres nötig hätte. Ich zog mir den Pullover aus, welchen ich heute früh angezogen hatte und legte ihr den um die Schultern. "Hier.", sagte ich und deutete kurz, dass ich einen Moment verschwinden würde. Denn im Zimmer neben an lagen noch einige Notdecken. Sie würden ihr, bis die Sonne ihr Maximum erreicht hat, erst einmal etwas Wärme spenden. Ich kam zurück und schaute kurz auf sie als ich zwingen der Tür stand. Ich schüttelte mich kurz, lächelte sie an und legte ihr die Decke um. "Ich denke, dass wird dich wärmer halten!", versicherte ich ihr ruhig und setze mich ihr gegenüber auf die andere Seite des Tisches. Dort befand sich kein Stuhl odere ähnliches, sondern nur der kalte Boden, des Wohnzimmers. Ich hatte damit keine Probleme und machte auch kein großes Drama drauß, auf einem harten Boden zu sitzen. "Was ist denn passiert?", fragte ich sie und schaute kurz darauf noch einmal in Richtung des Fensters, ehe ich mich wieder ihr zuwandt.
"Roy Mustang?", wiederholte ich seinen Namen flüsternd, während er mir seelenruhig von meiner Bruchlandung erzählte und ich ihm anscheinend aus seiner Traumwelt gerissen hatte. Dass es ihn anscheinend jedoch so gar nicht störte, dass ich einfach so herein geplatzt war und er auch so keine sonderlichen Anstalten machte mich abzuschütteln nachdem ich wieder bei Bewusstsein war, erstaunte mich etwas. "Ich wollte dich nicht wecken.", sagte ich mit schief gelegtem Kopf. "Sag mal Roy, haben wir uns zuvor schon einmal gesehen?", fragte ich mit leicht gerunzelter Stirn. Ich war mir wirklich nicht mehr sicher gewesen. Keine Sekunde später drehte sich der schwarzhaarige Junge samt meiner Gestalt herum und platzierte mich dort, wo er kurz zuvor saß. Ich schüttelte mich kurz. Coole Sitzheizung schmunzelte ich. "Hee.. was machst du da..", sagte ich entsetzt, als ich beobachtete, wie sich mein Gegenüber entkleidete um jedoch fest zustellen, dass er sich wohl um meine Gesundheit zu kümmern schien. "Dankeschön.", sagte ich eher kleinlaut, als er mir seinen Pullover um die nackten Schultern legte. "Den geb ich dir wieder frisch gewachsen, gebügelt und sorgfältig zusammen gelegt wieder zurück! Das verspreche ich dir hoch und heilig.", rief ich Roy noch nach und verfolgte ihn mit meinen Augen, wie er den Raum verließ. Nanu, lässt er mich jetzt hier einfach wortlos sitzen? Vogel! Ich griff nach einem Ärmel des Pullover, ließ ihn wieder nach vorne gleiten. Neugierig schnupperte ich an seinem Kleidungsstück, ehe ich es mir über den Kopf zog und gar nicht bemerkte wie Roy wieder im Türrahmen stand. Ob das jetzt wohl creepy aussah? Ich grinste ihm nervös entgegen und zuppelte etwas verlegen am Pullover, welcher nur ein kleines Stückchen kürzer als mein Nachtgewand war. Ich wollte gar nicht wissen wie ich in jenem Moment aussah. Meine Haare zersaut, ähnelten einem Vogelnest, meine Haut trocken und meine Lippen spröde. Ich konnte mich nur wage daran erinnern, wann ich das letzte mal mein Beauty-Programm zelebriert hatte. "Danke, das wäre echt nicht nötig gewesen.. ist dir etwa nicht kalt?", fragte ich während ich einen sichtlich erleichterten Gesichtsausdruck auflegte, als sich Roy auf der anderen Seite des Tisches nieder setzte. Er musste ja nicht unbedingt jede verdreckte Pore meiner Hat unter die Lupe nehmen können, das wäre mir unangenehm gewesen. "Was ist denn passiert?" ich legte den Kopf etwas schief, "Ich weiß ja nicht wie du die letzten Tage verbracht hast..", mein Atem stockte und ich presste angestrengt meine Augen zusammen. "Ich bin erst kurz vor Weihnachten auf der Insel angekommen und in dieser kurzen Zeitspanne ist schon einiges passiert. Und in den letzten Tagen überwogen eher die schlechten Ereignisse". Die Worte schienen sich in meinem Hals zu verknoten und der Knäuel wollte nicht über meine Lippen kommen. Ich konnte die Worte nicht entwirren, ich wollte sie gar nicht entwirren. So ernst erlebte man mich wirklich selten. "Naja, eigentlich war ich auf der Suche nach .. einem Freund, welcher hier irgendwo herum geistern muss. Ich kann ihn nicht mal erreichen, weil ich Idiotin mein Handy irgendwohin verschmissen habe.", sprach ich mit dünner Stimme, als würde ich jede Sekunde losflennen. Verärgert über meine eigenen Dummheit ballte ich meine Fäuste und presste diese so fest ich konnte gegen meine Oberschenkel um einem drohendem Heuldrang entgegen zu wirken. Levi gehts gut. Ihm muss es einfach gut gehen! Er ist zwar auch ein Dussel, aber wer würde meinen Engel schon klein kriegen? Ich schluckte hart und deutlich hörber, ehe ich meinen Blick wieder erhob und ihn in Richtung Roy richtete. Meine Augen glühten und ich konnte es nicht verhindern, dass sich eine Träne löste und über meine Wange kullerte. Schnell versuchte ich diese mit dem Ärmel des Pullovers wegzuwischen. Ich räusperte mich, "Und? Wie kommst du hier her, Roy? Erzähl mir bitte bitte bitte etwas Schönes!". Ich sehnte mich danach etwas Ablenkung zu bekommen und hoffte darauf, dass er meinen Wink verstand mich nicht auf mein peinliches Geheule anzusprechen.
Wie eine etwas zu wild geratene Hummel war der Engel die meisten der Fenster im 2. Und 1. Stock des Waisenhauses abgeflogen und bei dem Versuch einen Blick in das Innenleben des Raumes zu erhaschen gegen jedes einzelne davon geklatscht. In keinem der beiden Stockwerke war Levi auf Mitschüler gestoßen, den ersten Stock jedoch hatte er etwas genauer inspiziert. Dass sich weder Caiwen noch Kaede in ihrem Zimmer befanden machte den Jungen stutzig, weshalb er auch die Abstellräume und die Gänge abgesucht hatte, aber auch dort nicht fündig würde. Einerseits besorgt, anderseits erleichtert seufzte Levi, als er den Gang im 1. Stock durchlief und schließlich vor der zum Teil eingestürzten Treppe stand. Ein Blick nach oben, einer nach rechts. Die Decken waren soweit noch in Ordnung. Wieder sammelte der Engel seine ganze, restliche Energie und ließ seine Flügel aus den Narben seines Rückens sprießen. Über die Trümmer zu klettern war zwar möglich, könnte aber weitere Schäden zur Folge haben, weshalb sich der Junge für einen etwas anderen Weg entschieden hatte: Nämlich ein unelegants, flattriges Durchquetschen. Wie ein Vogel, der verzweifelt versuchte, aus seinem Käfig zu entkommen arbeitete sich Levi die Treppen vom ersten Stock ausgehend bis nach unten ins Parterre. „Matti? Bist du da?“, rief der Engel durch den weitläufigen, großen Flur im Parterre, erhielt aber keine Antwort und konnte auch sonst kaum Geräusche vernehmen. Bis auf… „Wer spricht da?“ Nur unter großer Anstrengung und die Luft dabei anhaltend konnte der Engel aus der Ferne, wahrscheinlich einfach aus einem verschlossenen Raum, Stimmen wahrnehmen. Nur dumpf, aber sie waren da. „Matti soll nicht quatschen, sondern Leute rausbefördern..“, klagte der Schüler im Stillen und folgte den Geräuschen bis zur verschlossenen Tür des Wohnzimmers. „EY! Quatsch nicht zu viel!“, rief Levi in den Raum, als er die Tür aufriss und im nächsten Moment einen Tristam erwartete. Entgegen seiner Vermutung saß da jedoch eine dem Engel sehr vertraute Person auf der Couch und drehte Däumchen. Einer Person gegenüber, die Levi im ersten Moment nicht zuordnen konnte, die auf dem kalten Boden Platz gefunden hatte. „Kaede.“ Immernoch stand der Engel in der Tür und hielt die Türklinke fest. Aus seiner Stimme konnte man einen Hauch von Seligkeit entnehmen, sein funkelndes graues Augenpaar jedoch verriet, dass ihm sehr wohl etwas an einer der Personen im Wohnzimmer lag und vor allem an der Tatsache, diese nun heil aufgefunden zu haben. Nur kurz hielt dieser Moment an, da wurde der Schüler schon wieder von der Realität gepackt. „Was macht ihr denn noch hier?“, rief er in den Raum, was schon viel aufgeregter klang. „Sagt mir nicht, ihr habt hier von all dem Chaos da draußen nix mitbekommen!“ Fast schon hätte man meinen können, der Engel wolle die beiden für ihre Entspanntheit tadeln. „Worauf wartet ihr? Die Treppe ist eingestürzt und das Waisenhaus kann es jeden Moment auch, also raus mit euch!“ Mit einem flüchtigen Blick zeigte der Engel an sich, an der geöffneten Türe vorbei und musterte seine Freundin und ihr Gegenüber. Hatte er sie gerade bei etwas Bestimmten gestört? Dass sich der Junge allerdings in meilenweiter Entfernung und ihr gegenüber am anderen Ende des Tisches befand, erkannte Levi zwar eindeutig. Schien aber so seine Probleme damit zu haben, Eins und Eins zusammenzurechnen. Seine Augenlider verengten sich bei dem Gedanken kurz, als er aber am Schüler vorbei und wieder zu Kaede schielte, fielen ihm die vielen Schichten auf, die sich um den Körper des Mädchens befanden. Die letzte bildete eine große Decke. „Alles okay, Käddi?“ Mittlerweile hatte der Engel die Tür dann doch ihrem eigenen Schicksal überlassen und quetschte sich mit seinen immer noch ausgebreiteten, schwarzen Flügeln durch die Tür hindurch und war in den Raum gestapft, blieb aber kurz vor dem kleinen Tischchen stehen. „Sagt mal, war Matti hier?“
Ich nickte mit jedem gesagten Wort. Das Gefühl ihrer Hilflosigkeit und ihrer Ansgt um eine Person konnte ich nur zu gut verstehen. Wie oft nur plagte mich auch dieser Schmerz? Und hatte ich dabei auch ein solches - seelenloses Gesicht gemacht? Ich schaute kurz zur Seite und suchte meine Worte. Ihre Sorge und gleichartige Trauer schlug wie ein Feuer um sich und erfasste mich kurzer Hand. "Ich..", stammelte ich verlegen, kaum in der Lage einen vernünftigen Satz hervor zu bringen. Ich schaute wieder zum Fenster und schaute auf den einen Sonnenstrahl, welcher das Zimmer greller erschienen ließ. Es wirkte fast wie in einem dieser alten Filme. Kurz schumzelte ich und begriff die Lage.
Mein Gegenüber betrachtete ich kurz genauer. Es war nicht diese Art von Musterung, welche ich sonst bei einem x-beliebigen Menschen machen könnte und er dies eben nur so deuten konnte. Nein, es war eher eine Suche nach Anhaltspunkten, nach kleinen Lücken in dieser Trauer. Etwas wo ich ansetzen hätte können um sie aus diesem Loch zu ziehen. "Ich bin hier, weil ich mich verlaufen habe.", gab ich etwas peinlich zu und griff mir lachend an den Hinterkopf. Dann begann ich ihr zu berichten, wie ich durch etliche Orte gelaufen bin, weil ich einfach blind los marschiert bin. Dass ich ein paar Kinder im Wald gesehen habe und dann irgendwie zu dem Wohnzimmer gekommen bin. "Ich bin manchmal etwas übermüdet.. und das liegt wohl oder übel hier dran.." Ich hob ein dickes A4 großes Buch hoch, welches mit etlichen Schnürren geschnürrt war und wo überall Merkzettelchen heraushingen. Es war meine Forschungsschrift.
Und plötzlich stand da jemand in der Tür. Ist er etwa die Person, die das Wesen meinte? Kaede? Matti? Mir sagten die Namen nichts. Na wie auch. Ich hatte mich die ganze Zeit hier nur mit mir selbst und den Forschungsschiften beschäftigt. Da blieb kaum Zeit für zwischen menschliche Kommunikation. Ich ließ die ganze Sache, von wegen Einsturz, ersteinmal auf mich wirken. Bestimmt war dort etwas wahres dran, aber da nun jemand hier sitzt, der Informationen aus erster Hand hat.
Ich lauschte ihm mit offenstehendem Mund, so wie ein geistig zurückgebliebenes Kind in der Vorlesestunde. "Ah, also bist du eine kleine Schlafmütze..?", hakte ich kurz nach, ehe ich sich mein Gesichtsausdruck zu einem kleinen Lächeln umformte. Meine Augen verfolgten seine Hände, als er ein großes dickes Buch zum Vorschein brachte. "Was ist das denn für ein fetter Schink-..", setzte ich die Frage neugierig an, ehe ich durch einen lauten Knall unterbrochen wurde. Wrums. Schwungartig wurde die Türe aufgerissen und ich zuckte erschrocken zusammen. "Was zur Hölle?!", quitschte ich und zog mir panisch die Decke über den Kopf. Was war das? Ein Angriff? Ein Erdbeben? ... Aliens? Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit meinen Engel zu entdecken, als ich durch einen kleinen Schlitz der Decke schielte. Und auf einmal stand er da. In Fleisch und Blut. Die eine Person nach der ich mich seit Ewigkeiten gesehnt hatte und mir vor Sorge den Appetit verdarb. "Levi", stammelte ich mit dünner Stimme, während sich meine Augen erneut mit Tränen zu füllen drohten. Ich zog schniefend die Nase hoch, wischte sie mit dem Handrücken ab. Und plötzlich spürte ich, wie schwer mein Körper durch die Last der Sorgen geworden war, und wie sich diese langsam von mir abschüttelte. Wie angewurzelt stand er da und konnte sich kaum von der Türklinke lösen. War er etwa so schockiert über mein ranziges Aussehen? Ich schüttelte mich kurz, ehe mich der Engel aus den Gedanken riss. "Häääääääh? Was für ein Chaos?", fragte ich mit schiefgelegtem Kopf und blickte ihn mit aufgerissenen Augen fragend an. "Die Treppe ist eingestürzt..", wiederholte ich ihn eher gedankenverloren, während ich ihn weiter musterte und es kaum glauben konnte ihn wieder zu sehen. Und in jenem Moment sah Leviathan nicht mehr so entspannt und erleichtert aus wie zuvor. "DIE TREPPE IST EINGESTÜRZT?", plapperte ich erneut nach und verstand nun allmählich die Worte, welche der Engel in den Raum warf. Das erklärte wohl auch, warum er sich samt Flügeln in das enge Wohnzimmer gesellte. "Scheiße Levi.. scheiße, scheiße, scheiße! Was machen wir jetzt? Ich möchte noch nicht sterben!", keuchte ich panisch, sprang auf und pfefferte dabei die Decke auf die Couch. Mein Herz pumpte spürbar schneller und das Adrenalin ließ mich von einer auf die andere Sekunde wieder wach wirken. Das letzte mal hämmerte es so heftig in der Weihnachtsnacht, welche wir gemeinsam auf der Hütte verbracht hatten. Nur klopfte es da aus einem ganz anderen, viel schönerem Grund so stark. Mein Blick glitt kurz zu Roy, welcher das anscheinend leicht auf die Schulter nahm. Seelenruhig saß er da. Verstand er etwa nicht, was hier gerade vorging? oder war er etwa lebensmüde und ich verbrachte die letzte halbe Stunde mit einem Verrückten? "ROY! Hör auf die Hände in den Schoß zu legen.. Willst du sterben?", fauchte ich nun eher in seine Richtung um ihm klar zu machen, dass hier wohl gerade die Kacke am Dampfen war. "Wie kommen wir nun alle hier raus?", stammelte ich nervös und tappste mit meinen nackten Füßen von einem Bein aufs andere. Ich trat einen Schritt an Levi heran, stand nun ganz nah vor ihm und erhob meinen Blick. "Ich bin so froh, dass du da bist und es dir anscheinend gut geht", murmelte ich mit zittrige Stimme in seine Richtung, stellte mich auf die Zehenspitzen und schlang meine Arme um seinen Hals. Wie sehr hatte ich seine Nähe vermisst. Seine Haut auf meiner zu spüren. Seinen Geruch und auch seine wuscheligen Haare. Und als ich ihn so an mich presste, spürte ich, wie dünn er doch geworden war. Die letzten Wochen nagten wohl auch sehr an seinen Rippen. Seinen Herzschlag zu spüren beruhigte mich wieder deutlich. Ich seufzte erleichtert und löste mich nur schwer wieder von ihm ab. "Matti..?", fragte ich. Wer war Matti noch gleich?"Du meinst den ollen Weihnachtsmann?", fragte ich nach kurzem Überlegen etwas unsicher, da ich keine andere Verbindung zu dem Namen knüpfen konnte. Abgesehen davon, dass ich diesen besagten Matti ohne Kostüm wohl kaum erkannt hätte. "Nein.. den habe ich hier noch nicht gesehen..", antwortete ich. "..seid ihr etwa das Rettungskomitee?", fragte ich den Engel, und hielt mich mit beiden Händen am unteren Saum seiner Jacke fest. Ich wollte ihn nicht wieder los lassen. Nie wieder.
Der Junge, der sich Kaede gegenüber befand und seelenruhig am Boden vor sich hin vegetierte hatte auch nach der Ankündigung des Engels keine Anstalten darauf gemacht, sich von dem Fleck Boden zu lösen. Ihm entwich nicht einmal der Hauch einer Antwort, was Levi stutzig gemacht hatte. Auch Kaede hatte einen Moment gebraucht, um das Auftauchen des Engels und im Anschluss die Nachricht zu realisieren. Leviathan war ihre traurige und zugleich erleichterte Reaktion allerdings nicht entgangen – vermutlich fühlten die beiden in diesen Moment dasselbe. Glück im Unglück. Der jeweils Andere hatte überlebt. Nur etappenweise schaffte es das Mädchen, sich das aktuell Geschehene vor Augen zu führen. Verwirrung. Stille Akzeptanz. Schock. Was darauf folgte, war schlicht ergreifend Panik. Levi erschrak schon fast, als Kaede von der Couch hochsprang und eine Einlage bot, die man an Drama kaum überbieten konnte. Es war, als würde sie die Emotionen von dem anderen Jungen auch noch ausbaden. Der Engel hatte zwar während der Kundgebung äußerst alarmiert geklungen, vom Tod war allerdings nie die Rede. „Ehm.“ Auch davon nicht, dass es keinen Weg nach draußen gab. „Jetzt beruhig dich ein bisschen!“, fuhr der Nakamura die Schülerin fast schon an, als diese den anderen Jungen mit in ihr Panikboot zerren wollte. Zwei hyperventilierende Individuen wären zu viel des Guten gewesen. In dem Moment, als sich Kaede dem Engel näherte, tat er es ihr gleich und verfolgte dabei den Plan, sie etwas zu beschwichtigen, auch wenn er alles andere als bewandert in diesem Gebiet war. „Ja, es ist alles gut.“ Umso froher war er, als Kaede ihre Arme um den schmalen Körper des Engels geschlungen hatte. Behutsam legte er seine flache Hand auf ihren Kopf, seine andere auf ihren Rücken und lächelte herab in ihr Gesicht, das sie fast schon in seinem Körper vergrub. Ihre Atmung wurde langsam ruhiger und es folgte auch kein weiterer, panischer Ausruf. Erleichtert seufzte der Nephilim und schlug unkontrolliert mit seinen Schwingen. Es war dennoch sanft und zeugte wohl auch davon, dass es nicht nur Kaede war, die sich beruhigte. Dass es nicht nur Kaede war, die froh war, jemand Vertrautem wieder zu sehen. Nur kurz standen beide so da, bis das Mädchen sich wieder von ihm löse und stattdessen nur noch den Stoff des T-Shirts, welches Leviathan unter der offenen Lederjacke trug, umfasste. Der Blick des Engels glitt zu dem unbekannten Schüler – falls er denn einer war. „Ob der ein Erzieher ist?“, fragte sich der Schwarzhaarige im Stillen und verwarf den Gedanken sofort wieder. Er machte zwar einen reifen Eindruck, aber was wäre er für ein Erzieher, der mit einer Schülerin gemütliche Stunden im Freizeitraum des Waisenhauses verbrachte, während genau dieses auf dem besten Weg war, sich selbst zu Grunde zu richten. „Genau, der olle Weihnachtsmann.“, der Engel grinste leicht, als Kaede über Matti nachdachte und scheinbar nicht mehr mit diesem in Verbindung bringen konnte. Der Blick des Engels blieb aber starr beim Typen. Erst, als Kaede fragte, ob Mathéo und Leviathan das Rettungskommando bildeten, löste er seinen festgenagelten Blick wieder und blinzelte stattdessen in ein Paar bernsteinfarbener Augen, in welchem er sich schon einmal verloren hatte. Noch bevor er drohte, dies zu wiederholen, kehrte er auf den Boden der Tatsachen zurück. „Nein, die hätten uns nie im Leben rein gelassen. Alle anderen sind schon vor dem Waisenhaus versammelt.“, teilte Leviathan beiden mit. „Und wir sollten auch endlich gehen. Mathéo hat bestimmt woanders noch Leute aufgegabelt.“ „… hoffe ich zumindest. Aber so unfähig ist Matti sicher nicht, dass er sich von einer herabstürzenden Decke begraben lassen würde.“„Am besten direkt durchs Fenster nach draußen. Geht am schnellsten, die Gänge im Parterre sind doch ziemlich verwüstet.“ Kaede am Handgelenk packend stapfte der Engel zu den Fenstern des Wohnzimmers und ließ beim Anblick der doch recht schmalen Fenster seine Flügel noch während dem Weg dorthin wieder erblassen. Als er sich genau gegenüber des Jungen befand, blieb er nochmal stehen. „Du bist jetzt aber kein irrer Typ, der sich statt vor einem Zug zu werfen sich einem einstürzenden, alten Haus einfach so hingibt, oder?“, fragte er den Jungen mit hochgehobener Braue und schob Kaede dann vor sich. „Schaffst du’s?“ Für eine solche Frage hätte jeder Bewohner des Waisenhauses wohl eine in die Fresse bekommen können. In Anbetracht der vergangenen Tage aber war es nicht selbstverständlich, dass die Energie bei all den paranormalen Lebewesen noch aufgeladen war.
Glück. Was bedeutete es? Seit ich aus England hergekommen war, ist mir die Frage ein stetiger Begleiter gewesen und sie machte nicht immer Halt, wenn ich verlangte davon nicht mehr geplagt zu werden. Ich definiere Glück, dass es ein Zustand ist in dem sich die Welt auf wenige Quadratmeter beschränkt. Und eben jene kleine Fläche in der sich zwei Individuen ein Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und endloser Treue schwören - nenne ich Glück. Ein Raum jeneits von des Zeit und Raum Kontinuums. Ein Raum in dem ein maßloses Gefühl entsteht, welches nur aufrichtig wahr ist: Liebe.
Mein trüber, geistloser Blick lag auf den beiden. Und ich nenne es durchtrieben, doch ich glaueb ich hatte einen Einblick in diesen Raum des Glücks als ich Kaede und den jungen Engel, Levi, sah. Nur ein trübes Lächeln entglitt mir und mein einst so fokusierter Blick fiel auf das samtbraune Wildleder ummantelte Büchlein. Mein Arbeit, meine Freizeit, meine Existenz - ja, mein gesamtes Leben setckt in diesem Buch. Es ist ein Fluch wie auch ein Segen, dass ich es habe - doch es ist ein Werk, dessen nicht einmal der Teufel wüsste welches Ausmaß es erreichen würde. Von Gott ganz zu schweigen. Denn für ihn, wie ich herausfinden will, müssen wir Alchemisten abscheuliche Wesen sein. Das träge Seufzen, das ich von mir gab untermalte diesen Ausdruck meines Blickes und als der Junge vor mich trat, mir die Frage zu steckte, ob ich nicht verrückt sei, würde ich diese Frage ungerne mit nein beantworten. Ich war verrückt. Doch verrückt ist ein Zustand in dem sich ein Chaos gebildet hat. Das Äquivalent, die Ordnung, welche stets die Balance halten muss zum Chaos, war bei mir seit einigen Tagen durcheinander.
"Nein.", antworte ich nur knapp. Mein Blick wanderte zum Fenster. Ich war in Gedanken, doch habe ich ihr Gespräch, oder eher die Anweisung des Jungen verstanden. Die Flure waren keine Option mehr und so war der logische Ausgang das Fenster. Keine der mir bequemsten Arten zu gehen, doch war dies eine Notlösung. Ich erhob mich und verstaute mein Buch in der Gesäßtasche. Für mehr war auch keine Zeit. Das Gebäude würde bald seinen Vertrag erfüllt haben und nun war es für uns Zeit zu gehen. Alles halt ein Ende und nichts bleibt Ewig. Dieser Ansicht war ich nicht immer, doch das Streben nach der Wahrheit die uns Alchemisten dazu veranlagt immer weiter in die Gebiete Gottes zu treten, lassen uns diese pessimistische Art zu leben nur als einzige Lösung zurück. So würden auch all meine anderen Unterlagen nun hier bleiben, wie auch meine Kleidung und mein Geld. Mein Ausweis und meine Dokumente würden hier auch ihr Ende finden. Ich schnaufte, doch war ich entschlossen zu leben. Denn meine Reise würde hier kein Ende sehen.
Die Alchemie nun einzusetzen würde dem Gebäude ziemlich zusetzen, deshalb wäre es sehr unklug. Doch als ich herüber zum Fenster trat und versuchte dieses zu öffnen bemerkte ich, dass es verschlossen war. Ein ziemlich ungüstiger Zeitpunkt, aber ich denke nicht, dass die Regeln des Hauses noch gelten Fähigkeiten zu unterdrücken. Und selbst wenn, tat ich dies nicht aus eigennützigen Schritten. Ich streifte mir schnell die Handschuhe herüber, welche cih doch stets bei mir trug und schnippste leicht auf das Schloss des Fensters. Ein kleiner Funken sprang herüber und ließ das Schloss nach einem kurzen orangenen Blitz zerbrechen. Sicher eine Schande für mich, noch weiter dem Gebäude zu schaden, doch waren noch zwei weitere in meinem Bereich gewesen, denen das Leben auch wichtig genug war. Ich schob es auf und würde Kaede den Vortritt lassen. Sie war wohl das am geschwächteste Wesen im Moment. Ich nickte dem Jungen zu, dass er vor mir das Haus verlassen könne. Das Schlusslicht zu bilden wäre für mich demnach auch keine Schande.
Aus für Leviathan unerklärlichen Gründen gestaltete sich der Ausstieg durch das Fenster im Wohnzimmer nach draußen komplizierter als gedacht, ließ sich doch das Fenster nicht auf Anhieb öffnen. In dem Moment, als Levi nach den Rechten sehen und Kaede wieder zur Seite schieben wollte, machte sich der für Levi unbekannte Junge nützlich. „Handschuhe?“ Fragwürdig musterte der junge Engel sein Gegenüber, der sich also doch nicht unter den Ruinen begraben lassen wollte und sich stattdessen voll und ganz dem Fenster hingab, welches sich nicht auf Anhieb öffnen ließ. „Wuah!“ Der Schwarzhaarige schreckte zurück. Er hatte nicht mit einem solch farbenfrohen Spiel aus Blitzen und Funken gerechnet. Nicht, nachdem sich der Typ die Handschuhe übergezogen hatte. Doch etwas peinlich berührt kratzte sich Levi am Hinterkopf und versuchte schnell von seinem schreckhaften Verhalten abzulenken, während der andere Junge nun problemlos das Fenster aufmachen konnte. „Komm, du zuerst, es ist nicht hoch.“ Wieder schob der Engel Kaede vor sich, als auch der andere Typ signalisiert hatte, ihr den Vortritt zu gewähren. Er hatte sich hinter die beiden gestellt, weshalb Levi davon ausging, dass er ihr wohl direkt folgen konnte. So gut es ging hielt er die Hand des Mädchens solange fest, bis sie durch das Fenster nach draußen kletterte und auf sicheren Boden hüpfte. Levi tat es ihr sofort gleich, allerdings nicht, ohne das Fenster während seiner Aktion genau unter die Lupe zu nehmen. Was hatte der Typ gerade gemacht?