Geister, Geister, Weissbrot - Quälgeister überall Vincent & Rhea
Die Tage wurden kürzer und die Nächte länger. Der Herbst stand vor der Tür. Mit verschränkten Armen stand die Halbdämonin vor den Ruinen des ehemaligen Waisenhauses und betrachtete wehmütig die bröckelnde Fassade. Schöne Momente hatte sie hier erlebt – sowohl als Schülerin als auch als Erzieherin. Der traurige Anblick tat ihr weh. Sie war noch nie gut im Abschiednehmen gewesen und liess ihren Blick mit einem leisen Seufzen über das Gelände wandern. Es war friedlich und still hier – eigentlich fast schon zu friedlich... Die leere Stille hatte etwas Unheimliches und bot eine Bühne für die Hirngespinste von besonders fantasievollen Köpfen.
Geister soll es hier geben. Verirrte Seelen, die keine Ruhe fanden und nun ihr Unwesen im verlassenen und versperrten Waisenhaus trieben. Für mehr Aufregung sorgte die ganze Sache dann, als man sich erzählte, dass ein Journalist, der das Waisenhaus betreten hatte, nun als vermisst galt. So zumindest das Gerücht, das die Fantasien der Leute nur noch mehr beflügelte. Rheas Interesse hielt sich in Grenzen... Nein, sie interessierte sich eigentlich gar nicht dafür. Wenn ein paar Geister sich dort eingenistet hatten; schön für sie. Dann hatte das Waisenhaus seine Funktion noch nicht komplett verloren. Der Journalist machte wohl Urlaub oder war halt gerade verreist. Vielleicht hatte er das Gerücht sogar selbst in Umlauf gebracht oder er hat das Waisenhaus wirklich betreten, ist gestolpert und hat sich das Genick gebrochen. Who knows? Es interessierte Rhea schlicht nicht... Zumindest hatte es sie nicht interessiert. Denn das Gerücht hat inzwischen auch die Kinder erreicht und die Erzieherin hatte die Befürchtung, dass die Gruselgeschichten den Kleinen dumme Ideen in den Kopf setzten. Darum stand sie nun hier vor dem verlassenen Gebäude. In erster Linie wollte sie nicht herausfinden, ob es im ehemaligen Waisenhaus nun spukte oder die Überreste eines Journalisten irgendwo vergammelten – sie hielt Wache. Nachts hatten Schüler nur an einem Ort zu sein und zwar im Bett.
Der Wind liess Rheas langes, hellblaues Haar in der Luft tanzen, in das sich ein paar Herbstblätter verirrten. Es dürfte wohl nicht mehr lange dauern, bis die Bäume vollständig kahl waren und ihr Übriges zur unheimlichen Atmosphäre beitrugen. Sie setzte sich auf die Stufe vor dem Eingang hin und war damit beschäftigt die lästigen Blätter aus ihrem Haar zu fischen. Noch spürte sie die Wärme der untergehenden Sonne auf ihrem Gesicht und es würde wohl noch eine Weile dauern, bis es dunkel wurde. Die wahren kleinen Adrenalinjunkies würden wohl erst nach Einbruch der Dunkelheit hier aufkreuzen. Mutproben vielleicht? Rhea konnte es sich jedenfalls gut vorstellen. Aber vielleicht war sie auch nur wieder einmal überbesorgt.
Die Gerüchteküche ging hier auf der Insel anscheinend mit ein paar Einwohnern durch. Es sollte im alten Waisenhaus spuken. Geister sollten angeblich ihr Unwesen dort treiben. Das war doch alles mehr als lächerlich. Und der verschwundene Journalist hatte einfach keinen Bock mehr auf Isola. So und nicht anders musste es sein. Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg zur Ruine des Waisenhauses fort. Eigentlich hatte ich dazu gar keine Lust. Sollten sich die Bälger von mir aus den Hals brechen, wenn sie schon so sensationsgeil waren und den Gerüchten Glauben schenkten. Ein Seufzen entfloh meiner Kehle. Manchmal war der Job als Heimleiter bescheiden scheiße. So sehr ich die Kinder auch manchmal verfluchte, konnte ich doch nicht anders als schützend meine Hand über sie zu halten. Auch wenn sie Mist verzapften. Und vom Mist verzapfen hatte ich ein paar gute Geschichten auf Lager. Die Mühe mir mein Grinsen zu verkneifen gab ich mir gar. Wozu auch? Es war sowieso niemand anwesend, der mich grinsend zu sehen vermochte. Und selbst wenn, was war schon dabei. Ich hatte schließlich ein nettes Grinsen. Bildete ich mir zumindest ein.
Aber ganz so alleine war ich anscheinend nicht. Denn ich konnte bereits Schlumpfine riechen. Somit war mein Zeitvertreib bis etwas passierte gesichert. Ein paar Schüler würden sicher den Gerüchten zufolge hier aufkreuzen und dann war es an uns sie wieder zurückzuschicken. Vielleicht sogar selbst zu eskortieren. Wir wollten ja nicht, dass sich eines unserer Schäfchen bei dem Versuch die Ruinen zu erklimmen und nicht stabile Treppen zu steigen ein Bein oder sogar schlimmer das Genick brach. Während ich die letzten Schritte hinter mich brauchte, lag mein Augenmerk auf Rhea, die Blätter aus ihren Haaren zupfte. Tja, solche Probleme kannte ich nicht. Aber was erwartete sie eigentlich bei dem Nest auf dem Kopf? Ich kam vor der Blauhaarigen zum Stehen. »Brauchst du Hilfe?«, war meine Frage an sie, während ich ihr bereits ein Blatt aus den Haaren zupfte. So viele waren es nicht mehr. Würde die Langhaarige auch ganz gut ohne mich schaffen. Sie war ja auch schon ein großes Mädchen, welches selbst für sich sorgen konnte. Sonst hätte sie wohl kaum den Posten als Erzieherin bekommen. Die Auswahlkriterien waren demnach erfüllt worden.
Hätte sie einen Spiegel gehabt, wäre es wohl ein Kinderspiel gewesen, die drei, vier kleine Blättchen aus ihren Haaren zu fischen. Eigentlich war es ihr auch egal gewesen, was sich da in ihrem Haar verfangen hatte. Hätte sie ja spätestens in ihrer Wohnung wieder entfernen können. Es war eher ein Zeitvertreib gewesen, da sie vergessen hatte, Lektüre oder sonstiges Material zur Beschäftigungstherapie mitzubringen. Da sie aber schon hier war, wollte sie wegen ein bisschen Langeweile nicht den ganzen Weg zum aktuellen Waisenhaus zurücklegen – auch wenn sie von der Annahme ausging, dass die Schüler erst nach Einbruch der Dunkelheit hier auftauchen würden.
Für einen kurzen Augenblick war sie so abgelenkt gewesen, dass sie das Erscheinen des Heimeleiters gar nicht bemerkt hatte. Ihre Sinne mögen zwar besser als die eines Menschen sein, aber an ein Werwolfsnäschen oder Vampiröhrchen kamen sie leider nicht heran. Erst als Vincent sie schon fast erreicht hatte und der Wind ein paar vertraute Geruchspartikels des Werwolfs zu ihr herantrug, hob Rhea ihren Kopf. Sie winkte kurz mit der einen Hand, während die andere immer noch die langen hellblauen Haare abtastete. Auf seine Frage hatte die Halbdämonin gar keine Antwort mehr geben können. Vincent hatte ihr bereits das letzte Blatt rausgezupft. „Guten Abend... und Dankeschön“, sagte sie und tastete ihren Kopf nochmals kurz ab, um sicherzugehen, dass sie die Blätter losgeworden war.
„Ich nehme mal an, dass du auch wegen dem Gerücht hier bist?“ Eine rhetorische Frage. Als Heimleiter hatte er bestimmt schon von den Gerüchten gehört. Selten entging etwas seinen sensiblen Wolfohren und die Erzieherin schätze den Kartoffelpirat sehr als Arbeitskollegen. Neugierig neigte Rhea leicht ihren Kopf und sah zu Vincent hoch, um mit ihren grauen Augen abzuschätzen, welche Meinung er zur ganzen Spukgeschichte hatte. Dabei nahm sie am Rande wahr, wie die Sonne langsam unterging und die Dämmerung einbrach. „Wird wohl nicht mehr lange dauern, bis die ersten Kinder hier aufkreuzen... obwohl ich gerne hoffen würde, dass keines hier auftaucht...“ Mit diesen Worten erhob sie sich, klopfte den Staub von ihrer Kleidung ab und wandte dann ihre Aufmerksamkeit wieder dem Heimleiter zu. Ihre Mimik war unbewegt wie eh und je, aber sie freute sich, den Abend und die Nacht nicht alleine verbringen zu müssen. Nicht, weil sie Angst hatte, sondern weil sie bereits befürchtet hatte, stundenlang Däumchen drehen zu müssen.
Nachdem ich der Blauhaarigen das letzte Blatt aus ihren Haaren gepflückt hatte, schien sie sich selbst noch einmal zu vergewissern, dass wirklich alle Blätter entfernt wurden. Rhea hatte wohl wirklich wenig Vertrauen in mich, dass sie meine Arbeit sogar kontrollierte. Aber Frauen waren ja sowieso etwas eigen, was ihre Haarpracht betraf, daher tat ich es einfach ab und machte mir keine weiteren Gedanken darüber. »Dir auch einen guten Abend.», gab ich auf ihre Begrüßung zurück. Ich wollte nicht, dass man von mir behauptete, dass ich keine Manieren besäße. Ich war ein wirklich gut erzogener Wolf. Jawohl, das war ich.
Die Gerüchte waren wohl wirklich auf der gesamten Insel verbreitet worden. Da fing eines der Bälger an, schon stieg der Rest mit ein. Ein frustriertes Seufzen verließ meine Lippen und ich verdrehte mein Auge. Natürlich war ich wegen der Quälgeister hier. Schlumpfine lag damit also mehr als richtig. Ich konnte mir zwar besseres vorstellen, aber ein paar Schüler die Leviten zu lesen, war ebenfalls nicht zu verachten. Wenigstens ein kleiner Trost, wenn man schon hier Wache steht. Die Kinder würden unter Garantie trotzdem einen Weg ins Waisenhaus finden, aber ich konnte mich noch immer auf meine Spürnase verlassen und sie erschnüffeln. Niemand war vor meinem Riechkolben sicher. Meine Schäfchen erschnüffelte ich auch noch auf 10 Kilometer gegen den Wind. »Ganz recht. Bin mal gespannt, wer sich wirklich hierher getraut. Ein paar Übeltäter schweben mir bereits vor.«, grinste ich der Blauhaarigen zu, die sich gerade von ihrem Sitzplatz erhob. Die Stufen waren wohl doch nicht so bequem oder aber sie wollte nicht unhöflich sein. Von mir aus, hätte sie auch ruhig sitzen bleiben können. »Bin mir ziemlich sicher, dass wir ein paar von unseren Schäfchen treffen werden. Hoffentlich mit trockener Hose.«, lachte ich. Die Vorstellung unsere Kinder mit eingesauter Hose zu treffen, war einfach göttlich. Ich konnte wohl nicht abstreiten, dass ein wenig Schadenfreude in mir aufkam. »Wartest du eigentlich schon lange hier?«, durchbrach ich die aufkommende Stille. Wir verstanden uns immerhin gut genug, um ein wenig Smalltalk zu betreiben.
Das frustrierte Seufzen und Augenverdrehen des Wolfes quittierte Rhea mit einem leichten Zucken ihrer Mundwinkel. Aber zugegeben, sie wüsste auch Besseres mit ihrem heutigen Abend anzufangen, als hier auf dem Gelände des alten Waisenhauses Wachhund zu spielen. Doch die Schäfchen hatten nun einmal Priorität und wer weiss, was ihnen hier nachts alles zustossen konnte. Im Kopf der Blauhaarigen spielten sich kurz die schlimmsten Horrorszenarien ab und sie schüttelte sich, um das Kopfkino loszuwerden. Man bezeichnete sie zwar oft als zu beschützend und fürsorglich, aber dieses Mal waren ihre Befürchtungen wohl gar nicht so falsch. Zumindest war die Verletzungsgefahr auf dem zerstörten ehemaligen Waisenhaus ziemlich gross. An die Geister, die hier angeblich spuken sollten, glaubte Rhea aber eher weniger. Doch wer weiss? Vielleicht würden sie heute Nacht ja doch einem begegnen. Aber für Gesellschaft sorgte ja bereits Vincent. Dafür brauchte Rhea nun keinen Geist mehr. Dass der Heimleiter ebenfalls Wache hielt, hatte jedoch noch einen Vorteil. Sein sensibles Spürnäschen würde sich wohl noch als ganz nützlich erweisen. Die Halbdämonin konnte mit ihren unterdurchschnittlichen Dämonensinnen kaum mithalten und so konnte sie von seiner Anwesenheit nur profitieren.
„Nein, bin auch eben erst angekommen“, antwortete Rhea dann auf seine Frage und liess ihren Blick wieder über die Fassade streifen. Für einen Augenblick wurde sie wieder wehmütig. Sie war seit dem Lykanthropen-Angriff nicht mehr hier gewesen und konnte nicht damit aufhören, die alten Bilder aus der Vergangenheit heraufzubeschwören. So lange war es eigentlich noch nicht her, dass Vincent und sie tagein und tagaus über diese Stufen gingen. Aber was geschehen war, war geschehen. „Und? Wer schwebt dir denn alles so als Übeltäter vor?“, fragte sie dann und griff damit Vincents vorherige Bemerkung wieder auf. Sie hatte ja selbst ihre Vermutungen, aber ein Vergleich wäre bestimmt interessant. Vielleicht könnte man ja sogar eine Wette draus machen. „Was hältst du davon, wenn wir es uns drinnen gemütlich machen? Mindestens zwei heile Stühle sollten wir hoffentlich noch finden...“, schlug sie anschliessend vor. Frische Luft war ja schön und gut, aber so langsam wurde es doch etwas kühl und die ganze Nacht wollte sie nun auch nicht stehend im Freien verbringen. Die Stufe würde auf Dauer als Sitzgelegenheit wohl ebenfalls unbequem werden. „...Und wen wir Glück haben, hat auch die ein oder andere Rotweinflasche den Angriff überlebt.“
Zum Glück wartete die Langhaarige nicht bereits schon seit Stunden. Niemand ging in der Früh oder zur Mittagsstunde auf Geisterjagd. Erst abends oder bereits in der Nacht gab es den nötigen Touch. So zumindest war meine Einschätzung, wenn man den daran glaubte. Das es Geister gab war definitiv nicht abzustreiten, aber ganz sicher nicht in der Ruine des Waisenhauses. Das war alles mehr als lächerlich. Innerlich hatte ich den Verursacher bereits auf unzählige Weisen geopfert. Da kam mir die Frage von Rhea gerade recht, bevor mich meine Gelüste übermannten und ich irgendjemanden oder irgendetwas Schaden zufügte. »Also Levi und Ryder sind ganz vorne dabei. Ich könnte mir vorstellen, dass Ryder gerne seine Artgenossen treffen will.«, lachte ich. Das mit den Artgenossen war mir gerade erst spontan in den Sinn gekommen. Aber wenn ich die Rassen meiner Schäfchen gut genug in Erinnerung hatte, dann war Ryder der einzige Geist. Gut, Tyrus war ein "Flaschengeist" konnte man also unter Umständen ebenfalls zu dieser Gattung zählen. Die feinen Unterschiede kümmerten mich gerade nicht im Geringsten. »Möglicherweise Yuu mit Ruby. Oder so verpeilt wie Sky sich manchmal anstellt, könnte ich mir auch vorstellen, dass sie versehentlich ebenfalls hier landet.«, führte ich weiter aus als mir noch eine weitere Person in den Sinn kam, »Ophaniel wäre auch noch so ein Kandidat, der garantiert den Gerüchten nachgehen will, einfach weil‘s spaßig ist und Kinder neugierige Geschöpfe sind.« Ich fand meine Einschätzung recht gut und war gespannt ob Schlumpfine mir ebenfalls zustimmen würde. Vom Personal konnte ich mir eigentlich niemanden vorstellen, der sich freiwillig auf Geistersuche begab. Aber die Erwachsenen gingen mir sowieso an meinem Knackarsch vorbei, die konnten selbst auf sich aufpassen. Aus meiner Sicht hätten wir auch noch weiter draußen rumgammeln können, aber ich wollte die Dame nicht frieren lassen. »Klar, gehen wir ins Gebäude, damit die Übeltäter nicht gleich wieder abhauen, ich will ja schließlich eine Standpauke halten.«, grinste ich ihr entgegen. Sollte es Rhea zu kühl werden, konnte ich ihr gerne meine Jacke geben. Ich benötigte sie noch als Erzieherin, da wäre ein Erfrierungstod äußerst unpassend. Bei der Rotweinflasche war ich mir allerdings nicht so sicher. Das Gebäude sah ziemlich ramponiert aus. Ich konnte auch ohne Alkohol eine gute Gesellschaft darstellen. »Erträgst du mich nur mit Alkohol?«, stellte ich meiner Begleiterin pikiert die Frage als wir bereits das Innere des übrig gebliebenen Waisenhauses betraten.
Während der Werwolf seine Vermutungen zu ihrer eben gestellten Frage äusserte, hörte die Blauhaarige stumm zu und nickte hin und wieder leicht ihren Kopf. Ihr Gesichtsausdruck blieb dabei unverändert, obwohl sie über die Erwähnung, dass Ryder wohl seine Artgenossen treffen möchte, sehr amüsiert war. Die Vorstellung, wie der neue Schüler durch die Trümmer wanderte und nach den Geistern rief, war ja irgendwie doch komisch. Beinahe hätte sie sogar aufgelacht. Aber eben nur beinahe. „Levi soll die neue Schüler nur nicht auf dumme Ideen bringen... doch deine Überlegungen sind plausibel... Von dir habe ich aber auch gar nichts anderes erwartet..“ Sie hatte selbst ähnliche Vermutungen und ihr Blick schweifte kurz zum Weisshaarigen rüber, ehe sie fortfuhr: „...wobei mir zu Ohren gekommen ist, dass es kürzlich erst Streit gab in der Cafeteria... zwischen Ruby, Yuu und Ryder? Aber gut, Skye könnte ich mir auch gut vorstellen... nur Ophaniel... Daran will ich gar nicht denken...“ Rhea fasste sich an die Stirn, wo sich tiefe Sorgenfalten gebildet hatten. Der Gedanke daran, dass der kleine unschuldige Engel hier herumflog und sich verletzten konnte, beunruhigte sie sehr. Hier lauerten doch überall Gefahren und so verspielt wie der Kleine war... Wer weiss, was ihm da alles passieren konnte – ob mit oder ohne Heilkräfte... Ophaniel hatte hier an diesem düsteren Ort einfach nichts verloren. Ein Grund mehr, um diesen Gerüchten ein Ende zu bereiten.
»Klar, gehen wir ins Gebäude, damit die Übeltäter nicht gleich wieder abhauen, ich will ja schließlich eine Standpauke halten.« -- Rhea nickte Vincent mit einer todernsten Miene zustimmend zu. Ob sein Grinsen meinte, dass seine Äusserung scherzhaft gemeint war oder er es einfach amüsant fand – das war nebensächlich. Rhea würde sämtliche Unruhestifter bestrafen, damit andere nicht auf die gleiche dumme Idee kommen würden. Wieso konnte man die Kinder nicht einfach irgendwo einsperren, damit sie sich nicht wehtaten? Wenn es nach Rhea ginge, am besten in eine Gummizelle, wo sich keines ihrer Schäfchen verletzen konnte. Doch dann wären sie natürlich nicht mehr glücklich und das wollte die Erzieherin selbstverständlich auch nicht. Sie musste schlichtweg einsehen, dass sie die Kinder nicht vor alles beschützen konnte. Die Gummizelle erwähnte sie Vinny gegenüber natürlich nicht. Ein Glück, dass Werwölfe keine Telepathie beherrschten.
Die Bemerkung, ob Rhea ihn nur mit Alkohol ertrug irritierte die Halbdämonin etwas. Eine Fangfrage? Sie runzelte wieder ihre Stirn und ging die Stufen hinauf, um durch die Öffnung zu gehen, wo sich einst die Eingangstür befand. Zeit schinden. „Weniger wegen dir und dachte auch nicht daran, während dem Warten zu Trinken. Mich nimmt’s eher Wunder, ob die Flaschen, die ich in meinem Zimmer gelagert habe, überlebt haben und noch zu retten sind...“ Sie hatte keinen Weinkeller in ihrer Wohnung installiert, aber für alle Fälle trotzdem ein paar edlere teure Tropfen in ihrem Safe gelagert. Für besondere Anlässe. Wäre schon Schade um die Flaschen gewesen. Ihre Augen scannten kurz die Umgebung ab. Würde wohl nicht gleich alles zusammenstürzen, wenn sie nun zu zweit hier herumwanderten. „Und dich muss ich nicht ertragen...“, fügte sie schliesslich hinzu, während sie die Überreste eines ehemaligen Schrankes zur Seite schob. Tatsächlich empfand sie die Gesellschaft des Werwolfes als sehr angenehm und erachtete ihn nicht als blossen Arbeitskollegen, obwohl sie Freundschaften unter Mitarbeiter gegenüber eher vorsichtig ist. Wenn’s zum Streit kam, sollte die Arbeit ja nicht drunter leiden; aber Vincent würde wohl in jedem Fall professionell bleiben. Vielleicht vertraute Rhea dem Heimleiter auch nur so sehr, weil sie wusste, wie sehr ihm die Kinder ebenfalls am Herz lagen.
(ooc: Wie kaputt ist das Waisenhaus eigentlich? :’D Sind da nur noch Trümmer oder steht das Gebäude von der Struktur her noch? Nur so zum sichergehen, dass wir nicht zwei verschiedene Vorstellungen von den Ruinen haben und aneinander vorbeischreiben xD)
Während wir unseren Weg ins Gebäude antraten, lauschte ich den Worten der Blauhaarigen. Levi sollte andere Kinder nicht auf dumme Gedanken bringen, der Zug war bereits abgefahren. Wobei ich manchmal die Vermutung hegte, dass Levi andere Leute eher unbewusst auf dumme Gedanken brachte. Er sprach eben immer ohne vorher nachzudenken und sich möglicher Konsequenzen bewusst zu werden. Mit dem Alter würde sich dieser Umstand ganz bestimmt ändern. Ich glaubte fest daran. Auch ein Chaosengel konnte zur Vernunft kommen. Rhea schien ebenfalls die Tension zwischen Ryder und Yuu über Ruby mitbekommen zu haben. Bekräftigend nickte ich. Schließlich war ich eines Tages Zeuge einer beinahe Schlägerei der Beiden geworden. Zu deren Glück hatten sie Schlägerei nicht in meinem Beisein angefangen. »Die Jugend. Eifersüchteleien sind wohl an der Tagesordnung.«, kommentierte ich. Ehrlich gesagt kannte ich mich mit diesem Gefühl kaum aus. Schließlich hatte ich nur wenig ernstzunehmende Beziehungen geführt. Mal abgesehen von meiner Ehe, wo mir Francesco des Öfteren doch ein solches Gefühl beschert hatte. Und heute konnte ich ihn zu meinen Freunden zählen.
Das Waisenhaus sah von Innen noch schlimmer aus als zuvor angenommen. Überall lagen Trümmer und alles war mit einer Staubschicht bedeckt. Gedanklich massakrierte ich den Gerüchteverbreiter bereits zum 100sten Mal. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was hier alles passieren konnte. Die Gefahr bestand nicht nur für unsere Bälger sondern auch für die anderen Kinder auf Isola. Wobei hier konnte ich die Schuld bei Verletzungen den Eltern zuschreiben, schließlich hatten sie ihre Aufsichtspflicht verletzt. Trotzdem wollte ich einen solchen Zwischenfall lieber vermeiden. Aber ich musste zugeben, das Gebäude eignete sich wirklich gut für Geistergeschichten. Gott sei Dank musste ich nicht alleine patrouillieren, sondern hatte Schlumpfine an meiner Seite. Ich konnte mir bereits vorstellen, wie Rhea den Kindern eine Standpauke hielt und eine saftige Strafe auferlegte. Dieser Gedanke ließ mich kurz grinsen und sogar hoffen, dass eines der Kinder hier auftauchte. Gerne würde ich Rhea in Action erleben, wobei sie gerade eine interessante Aussage tätigte. »Wir können ja mal nachschauen und wenn wir während dem Warten durstig werden, haben wir bereits was zu trinken da. Vorausgesetzt die Flaschen sind heil.«, grinste ich, auch wenn Rhea bereits beteuert hatte, dass sie nicht daran gedacht hatte während des Wartens zu trinken. Sehr löblich von ihr, schließlich befanden wir uns noch im Dienst. »Ladys first.«, gab ich bekannt und machte eine ausladende Handbewegung. Schauen kostete nichts und außerdem konnten wir uns auf meine Nase verlassen. Ich würde mögliche Eindringlinge früh genug erschnüffeln.