Vielleicht klingt es ja komisch, aber ich war noch nie so froh darüber, nach dem Unterricht in der Schule bleiben zu müssen, als heute. Mit einem großen Eimer gefüllt mit jeglichen Putzutensilien, betrat ich den Klassenraum, der es eindeutig nötig hatte endlich grundgereinigt zu werden. Es war wohl das ehemalige Klassenzimmer einer sogenannten „Regenbogenklasse“, welches hier wohl mal vor Jahren gab und aus nicht bekannten Gründen wieder geschlossen wurde. Mir waren schon mehrere unheimliche Gerüchte zu Ohren bekommen, was mit dieser Klasse geschehen war. Von Flüchen, über Morde und rätselhafte Verschwinden von Schülern gibt es etliche Geschichten. Heute wurde verkündet, dass dieser Klassenraum wieder verwendet werden soll, aber er müsse erst geputzt werden. Natürlich hatte ich mich sofort freiwillig gemeldet. Niemand würde jemals diesen Raum so sauber bekommen, damit ich darin sitzen könnte. Außer ich natürlich. Bevor ich irgendetwas in dem Zimmer berührte, zog ich mir die Gummihandschuhe über meine Finger und schaltete dann das Licht ein. Die Sonne war schon langsam am Untergehen, da wir heute bis zum bitteren Ende Unterricht hatten. Der Anblick des Klassenraums jagte mir ein regelrechter Schauer über den Rücken. Jedes einzelne Möbelstück war mit einer dicken Staubschicht überzogen, in jeder Ecke hing ein großes Spinnennetz, Stühle und Tische lagen umgeworfen auf dem Boden, unerklärlich aussehende Flecken an den Wänden und vergilbte Gardinen. Höchstwahrscheinlich würde diese ganze Aktion die ganze Nacht dauern. Aber dies machte mir nichts aus, denn Putzen war meine Leidenschaft. Während ich den Putzlappen in meine Hand nahm, erinnerte ich mich daran, dass sich noch jemand aus meiner Klassen gemeldet hatte, um hier sauber zumachen. Oliver hieß er, glaubte ich. Anscheinend kam er zu spät.
Oliver war fertig mit dem Unterricht und wollte sich eigentlich in sein Zimmer bewegen, doch auf halbem Weg fiel ihm auf, dass er ja noch ein Klassenzimmer putzen sollte. Verdammt, so schnell konnte man etwas wieder vergessen. Auf dem Absatz drehte der Braunhaarige um und lief in die Richtung des Raumes, den er putzen sollte. Er würde diesen Raum mit jemand anderem putzen, doch wer war dies nochmal? Oli überlegte, doch er wusste nicht mehr genau wie diese Person hieß. Er wusste nur, dass es eine blonde Person war. Der Amerikaner würde ihn schon wiedererkennen, wenn er ihn sah. Da war er sich sicher. Ob er noch irgendwo Putzzeug zusammensuchen sollte? Der Braunhaarige lief bei einem Raum vorbei, der solche Dinge hatte. Dort nahm er sich einen Kübel mit Waschlappen und ein wenig Putzmittel. Danach machte er sich auf den Weg zu dem Raum.
Dort angekommen, war auch schon sein Klassenkamerad dort. „Sorry, für die Verspätung. Ich habe den Weg nicht gefunden“, sagte er. Oliver wollte nicht, dass er wusste, dass er es vergessen hatte. Das würde nur ein schlechtes Licht auf ihn werfen. „Ich bin Oliver Blake und du bist?“, fragte er, damit er endlich den Namen der Person kannte, mit der er die Arbeit durchführen durfte. Während er auf eine Reaktion seines Partners wartete, sah er sich im Raum um. Es war fast nicht auszuhalten. Alles war richtig verschmutzt, als ob man schon Jahrzehnte nicht geputzt hätte. Deswegen ging er mal zum Fenster und öffnete dieses. „Sag mal, sollen wir uns die Arbeit aufteilen?“, fragte er ihn und wartete auf seine Antwort.
Mit meinem Putzlappen wischte ich erst mal den groben Staub von den Oberflächen ab und wünschte mir dabei, dass ich einen Mundschutz hätte, da es doch eine ganze Menge Staub war und dort gut möglich auch irgendwelche Pilze oder sonstige schädliche Erreger mit bei sein könnten. Da ich aber nichts hatte um meine Atemwege zu schützen, versuchte ich einfach so wenig wie möglich zu atmen. Vielleicht würde ich sterben, aber dann war dieser Klassenraum wenigstens wieder benutzbar und das war es mir fast schon Wert. Ich war so vertieft in meine Tätigkeit, dass ich gar nicht mitbekam, wie jemand den Raum betrat und zuckte dementsprechend erschrocken zusammen, als plötzlich eine Stimme sprach. “Wa-.“ Ich brach mitten im Wort ab und drehte mich um, mein Herz raste wie verrückt. Die Gerüchte um dieses Klassenzimmer waren nur all zu deutlich in meinem Kopf und deswegen war ich sehr froh darüber, dass an der Tür doch nur mein Klassenkamerad stand. “Man schleicht sich nicht einfach an, wusstest du das nicht? In deiner Erziehung ist eindeutig was schiefgelaufen.“ Missmutig grummelte ich vor mich hin, bis sich mein Herzschlag wieder normalisiert hatte. Der Junge entschuldigte sich für sein zu spät kommen, hätte den Weg nicht gefunden, blablabla. Dann stellte er sich vor, obwohl ich genau wusste, wie er hieß. Immerhin gingen wir in eine Klasse, doch tatsächlich fragte er nach meinem Namen. Ich verdrehte genervt meine Augen. “Lavi.“ Den Putzlappen, welchen ich vorhin vor Schreck fallen gelassen hatte, nahm ich wieder in meine Hand und machte dann bei der Aufgabe weiter, wo mich Oliver vorhin unterbrochen hatte. Er sollte mich bloß in Ruhe lassen. Nachdem er mich so erschreckt hatte, war er automatisch unten durch, und zu pünktlich war er auch nicht gewesen. Die Arbeit aufteilen? Ich sah ihn mit hoch gezogener Augenbraue an. “Kennst du dich denn mit dem Putzen aus? Weißt du, welche Mittel wo für am besten geeignet sind?“ Mit meiner Hand zeigte ich auf einen eklig aussenden, grünen Fleck an der Wand. “Hast du eine Ahnung, wie du so einen Fleck am schnellsten und effektivsten entfernen kannst?“
Anscheinend hatte der Braunhaarige seinen Klassenkameraden erschreckt, denn dieser ließ vor Schreck den Lappen fallen und sagte dann, dass man sich nicht anschlich und dass bei seiner Erziehung eindeutig was schiefgelaufen war. Oliver fing zu grinsen an. Mit solch einer Aussage hatte der Amerikaner wohl wirklich nicht gerechnet. Er grinste ihn einfach nur an und sagte nichts zu diesem Thema. Wahrscheinlich würde der Klassenkamerad sich so grün und blau ärgern und das fand Oli noch lustiger. Er fand seinen Charakter jetzt schon sehr unsympathisch, darum war es ihm wohl auch egal, was der Klassenkamerad von ihm hielt.
Er stellte sich knapp mit Lavi vor. Aha, so hieß also die Person, die jetzt schon sehr unsympathisch wirkte. Na wenigstens, gab er bei dieser Frage mal eine Antwort und motzte nicht schon wieder herum. Doch nachdem Oliver ihn gefragt hatte, ob sie die Arbeit aufteilen sollten, fragte Lavi, ob er sich denn mit dem Putzen auskennen würde und wissen würde, welche Mittel wofür am besten geeignet waren. Danach zeigte er auf einen grünen Fleck an der Wand und fragte ihn, ob er wissen würde, wie man diesen Fleck am schnellsten entfernen könnte. Der Braunhaarige ging wortlos zu der Auswahl an Putzmitteln und sah diese sich genauer an. Er entdeckte einen Allzweckreiniger. Dieser nahm er in die Hand und nahm dann noch einen Radierschwamm zur Hand. Anschließend ging er zu diesem Fleck hin und sprühte den Allzweckreiniger hinauf, danach schruppte er ordentlich mit dem Radierschwamm diesen Fleck weg. Es ging nicht sofort alles hinunter und so musste er diesen Vorgang einige Male wiederholen. Doch er sah dies als einen Test von Lavi an, deswegen gab er sich Mühe und tatsächlich, der Fleck war weg. „Ja, ich denke schon, dass ich mich auskenne“, sagte er anschließend ein wenig provokant zurück und wartete seine Reaktion ab.
Skeptisch sah ich Oliver dabei zu, wie er sich aus dem Eimer einen Allzweckreiniger rausnahm. Es war jetzt nicht unbedingt die schlechteste Wahl, aber er hätte auch noch eine Bessere treffen können. Dazu holte er sich noch einen Radeierschwamm und ging zu der Wand mit dem Fleck, auf welchen ich gezeigt hatte. Allein schon, weil er dies alles schweigend tat und es wirklich ernst nahm, bekam er ein paar wenige Pluspunkte. Meinen Test würde er aber trotzdem nur bestehen, wenn der Fleck verschwinden würde. Es dauerte eine Weile, während er kräftig mit dem Schwamm über die eklige Wand schrubbte und eine angespannte Stille sich ausbreitete, dann trat er einen Schritt zurück und gab seine Arbeit frei. Der Fleck war weg. Etwas zu arrogant sagte er mir, dass er schon glaubte, sich auszukennen und ich wollte ihn nur deswegen nun doch durch Fallen lassen, aber ich riss mich zusammen. Dafür war ich zu erwachsen um auf jede Provokation einzugehen. “Na gut.“ Ich zuckte mit meinen Schultern. “Dann kannst du ja mit der Wand weiter machen, die hat noch genug Flecken. Ich kümmere mich um die Tische.“ Ich drehte mich wieder von dem Braunhaarigen weg und staubte die Tische weiter ab, welche noch standen, doch unter der Staubschicht zeigten sich die nächsten unerklärliche, verschiedenfarbigen Dreckkleckse. Ein Seufzen entwich meine Lippen. Als nächste machte ich mich dran die Tische vom Boden aufzuheben, was anstrengender war als gedacht. Wie schwer konnte so ein Tisch bitteschön sein?! Während dieser Tätigkeit konnte ich mir ein angestrengtes schnaufen nicht verkneifen. Beim letzten Tisch angekommen, war ich heil froh und ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, doch gerade als ich meine Finger um die Tischplatte legte, um ihn daran hochzuheben, krabbelte plötzlich etwas über meine Handschuhe. Etwas Großes, schwarzes, dickes, mit langen Beinen. Ein lauter, schiefer Schrei entwich meiner Kehler. Ich ließ den Tisch sofort los, zog meine Handschuhe aus und warf sie panisch auf den Boden. “Oliver! Töte es! Sofort!“
Nachdem Oliver Lavi gezeigt hatte, dass er doch eine Ahnung vom Putzen hatte, meinte dieser, dass er bei der Wand weiter machen könnte, da es dort ja noch genug Flecken gab. Er würde sich derweil um die Tische kümmern. Der Braunhaarige nickte und war zufrieden mit sich selbst. Er hatte wohl Lavi gezeigt wo der Bartel den Most holt. Darauf konnte der Amerikaner wirklich stolz sein. Er wurde nun von Lavi soweit akzeptiert, dass er auch putzen konnte. Das war doch schon mal ein Fortschritt oder? Er kannte seinen Klassenkameraden nicht wirklich, darum wusste er nicht, ob dies ein positives Zeichen oder ein negatives war. Doch was der Braunhaarige wusste, war, dass er sich sicherlich nicht aus der Ruhe bringen würde, wenn Lavi wieder provokative Konversation mit ihm betrieb.
Er verließ seine Gedanken und machte sich an den nächsten Fleck. Es waren wirklich einige Flecken an der Wand und Oliver wollte lieber nicht wissen, aus was diese bestanden. Er machte es genau gleich, wie beim vorhergehenden Fleck. Sprühen und schrubben. Er hatte den nächsten Fleck auch schon fast erledigt, als Lavi plötzlich einen entsetzlichen Schrei von sich gab. Der Amerikaner erschrak und drehte sich zu seinem Klassenkameraden um. Dieser Schrie nur noch, dass Oliver es töten sollte und das sofort. Oliver sah sich um und entdeckte eine kleine schwarze Kakerlake am Boden, die so aussah, als ob sie auch vom Schrei von Lavi erschreckt wurde und deshalb nicht mehr weiter rannte. Oliver war in einigen Schritten beim Übeltäter und zerquetschte ihn indem er einfach auf das Tier draufstand. Irgendwo tat es ihm ja leid dieses Tier zu töten, aber viele andere Optionen hatte er einfach nicht. Vor allem nicht mit Lavi. „Du hast mich erschrocken! Wegen so einem Tierchen machst du solch einen Aufstand?“, fragte er unverständlich seinen Klassenkameraden. Er wollte noch dasselbe anfügen, das Lavi ihm bei ihrer ersten Begegnung im Raum gesagt hatte, aber er ließ es doch, da er nicht einen Streit provozieren wollte. „Sollen wir vielleicht die Arbeiten tauschen? An der Wand kommt dir sicher kein Tier entgegen“, sagte Oliver zu ihm und wartete seine Reaktion ab. Es wunderte den Braunhaarigen wirklich, dass er solche Angst vor Insekten hatte und davor so große Töne von sich gab. Jeder hatte wohl komische Eigenheiten im Leben. Naja, da konnte der Amerikaner nicht viel machen. Aber er fand seinen Vorschlag schon gut, denn sonst würden die beiden diesen Raum nie fertig bekommen. Wer wusste auch schon, ob die Kakerlake nicht noch eine Familie mit 6 Kopf hier hinterlassen hatte.